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Zu “Empirisch belegte Brötchen” von Marco Tschirpke


Empirisch belegte Brötchen „Auf einer Bogenlampe,
Vertieft in ihr Gefieder,
saß gurrend eine Taube
Und schiss auf dich hernieder.“

Am Anfang war ich schlicht unterwältigt. Ein paar Schenkelklopfer, ein paar Schmunzeleien. Aber Marco Tschirpke vermochte nicht, mich wirklich in Erstaunen zu versetzen, mit seinen Geschichten und gereimten Pointen. Das wirkte doch alles sehr brav, sehr glatt und wenig hintersinnig. Nett, aber nicht spaßig.

Wäre es dabei geblieben, hätte ich sagen können: gut, ist halt nicht mein Humor, funktioniert vielleicht auf der Bühne irgendwie besser und man sollte ja auch bedenken: dem Kleinkünstler Tschirpke dürfte der Erfolg seines letzten Buches im Nacken gesessen haben (und der Verlag war sicher auch an einer schnell folgenden Publikation interessiert). Und immerhin: einige Einzeiler und Kürzestgeschichten schloss ich dann doch ins Herz. Wie etwa eine kurze Geschichte der 68er Bewegung, die noch auf eine angenehme Weise respektlos und hämisch daherkommt.

„Sie wollten die Vereinigung aller Proletarier. Sie erreichten die Mülltrennung.“

Bereits zu Anfang ging mir allerdings Tschirpkes immer wieder eingestreute, geradezu aufgesetzte Selbstironie auf den Senkel. Die sollte zwar erste Wahl des Kabarettisten und Spaßmachers sein, sonst kann man ihn irgendwann nicht mehr ernst nehmen, aber bei Tschirpke wirkt sie manchmal dermaßen aufgesetzt und fadenscheinig, dass man nur die Augenbraue hebt und nicht die Mundwinkel.

Groteske Züge nimmt dieses Thema in einem, im Buch abgedruckten, Briefwechsel an, bei der die Direktorin des August Macke Hauses Bonn ein in der ZEIT veröffentlichtes Gedicht von Tschirpke wegen des laschen und fahrlässigen Umgangs mit historischen Fakten, betreffend die Person August Mackes, kritisiert (völlig zurecht, meiner Meinung nach).

Es ist schon sehr frech, wie Tschirpke darauf reagiert und z.B. als einzige Quelle Wikipedia nennt. Bei einem schon ziemlich diffamierenden Gedicht ist so ein laxes Vorgehen einfach nur daneben. Aber dass er diesen Briefwechsel hier abdrucken lässt, als wäre er eine Geste der Selbstironie oder als hätte das Ganze Unterhaltungscharakter, das schmeckt schon sehr nach übereifriger Selbstinszenierung. Nach schlechter, heuchlerischer.

„Heute an einem Spiegel vorbeigelaufen und festgestellt, dass ich überhaupt nicht meinem Schönheitsideal entspreche.“

Es ist leicht zu verurteilen und gerade über Humor lässt sich streiten: Was ist Anecken, was Beleidigen? Was ist Satire, was Schmiererei? Was ist unbequeme Parodie mit Entlarvungscharakter und was ist plakative Tumbheit? Das sieht sicher jeder anders. Und eigentlich darf die Komik ja vieles, fast alles – sie ist das anarchische Ventil einer Gesellschaft.

Was mich bei Tschirpke aber aufregt, ist, dass seine (nicht unbedingt zahlreichen, aber dennoch vorhandenen) Geschmacklosigkeiten eben nicht anecken oder entlarven, sondern es sich schlicht und einfach: einfach machen. Und oft sind sie darüber hinaus unnötig. Wie zum Beispiel das Gedicht „Im Eifer des Geschlechts“:

„Goethe hatte Mitarbeiter:
Männer gut und ganz bei Sinnen.

Brecht, als Liebhaber gescheiter,
Hatte Mitarbeiterinnen.“

Das ist, pardon, einfach nur chauvinistisch. Ein Schnellschuss mit einem ungelenken Reim, der wirklich wehtut. Schenkelklopfer finde ich okay, sogar Groschenhumor mag noch angehen und so mancher Witz über Männer und Frauen gehört nun mal dazu (ich mag sie nicht, aber ich will auch nicht von der Moral zum Moralisieren übergehen, wenn es um ein Späßchen geht). Aber so ein Gedicht, das ist schlicht sexistisch und unnötig.

Genauso daneben und billig, auch nach dem Motto „leicht gemacht“, dieses Gedicht:

„Heute fielen von den Bäumen
Lolitas ohne Zahl.
Jetzt lümmeln sie im Rasen
Und stecken ihre Nasen
In Bücher ihrer Wahl.

Die eine liest Nabokov,
Die andere Christoph Hein,
Die dritte Grass-Gedichte.
Ach, guck ma, jetzt erbricht se
Sich in das Buch hinein.“

Es ist fraglich, ob Herr Tschirpke viele Grass-Gedichte gelesen hat. Es gibt da sicher einige problematische, aber auch einige sehr schöne. Pauschalurteile sind hier in jedem Fall fehl am Platze.
An dieser Stelle muss ich mir natürlich an die eigene Nase fassen: Warum reite ich auf diesen wenigen Beispielen so herum, wo doch ein ganzes Buch mit teilweise ganz netten Texten vor mir liegt?

Ganz klar: meine vernichtend anmutende Kritik an diesem Buch ist sicher nicht der Weisheit letzter Schluss. Ich habe meinen Fokus auf das Problematische gelegt und bin diesem Ansatz gefolgt. Es wird ohnehin genug (berechtigte) Lobeshymnen geben.

Humor hat meiner Meinung nach, gerade weil er eigentlich alles darf und weil Witze eben nicht nur mit Unerwartetem, sondern auch mit Bekanntem, mit Vorurteilen etc. arbeiten, eine moralische Verantwortung. Nicht in dem Sinne, dass er nicht anecken darf. Er darf sogar politisch unkorrekt sein, wenn er diese Position reflektiert, wenn er um den doppelten Boden weiß – man lacht manchmal, weil ein Reflex bedient wird und manchmal, weil man Zusammenhänge erkennt. Diesen doppelten Boden vermisse ich bei Tschirpke. Seine Texte wirken zumeist eindimensional.

Es gibt einiges in diesem Buch, das dennoch gelungen ist, keine Frage; einer meiner Lieblingstexte ist zum Beispiel ein kurzer Essay über Techno; dessen süffisant-kritische Einstellung fand ich sehr erfrischend. Und auch die einfache Häme kann, wenn man ihrer Meinung ist, ja durchaus anziehend sein, wie ich bei diesem Gedicht feststellen musste:

„Ihr, die ihr Revolverblätter
Herstellt: Lob will ich euch singen
Wollte ihr vom Springer-Hochhaus
Endlich auch mal runterspringen.“

Ich habe das Meinige gesagt; es ist nicht das Alleinige, was es hier zu sagen gäbe. Ich hoffe, diese Kritik wird als das wahrgenommen, was sie ist: eine Kritik und nicht der Wunsch, sich auf dem Rücken eines Werkes moralisch zu profilieren.

Zu Walle Sayers Band “Strohhalme, Stützbalken”


„Katzentapser und wie es auf Mülltonnen schneit.
Fern werden Nachttresore geleert und Kummerkästen.”

Es gibt Dichter, die dich bei der Hand nehmen, bei denen das Begegnen in jeder Zeile vorhanden ist und stattfindet, in etwa wie an einem stillen Frühlingsmorgen für einige Augenblicke alles erfahrbar ist und jeder Eindruck nach einem anderen geschieht und erst im Nachhinein zu dem Frühlingsmorgen als Ganzes verschmilzt. Solche Dichter warten in ihren Gedichten auf die Aufnahme des Lesers in ihre Geste, jede Zeile ist Ankunft und nicht Abfahrt; in diesen Gedichten ist oft etwas enthalten, das über verschiedene Gedanken und Ansichten hinweg ein luzider Begriff ist, eine Idee dessen, woraus Momente im Leben gebaut sein könnten.

“Der am äußersten Ast aufgehängte Meisenknödel
pendelt eine Winterfrage aus.”

Walle Sayer schreibt seine Gedichte, wie man Kerzen, eine nach der anderen, ausbläst, mit leichter Traurigkeit, aber auch einer Gewissheit, in welcher schon das in Formung begriffene Bleiben geschwenkt wird – das Außen wird zum Bild, das Innere übernimmt die Bewegung des Außen in Gefühl und Erinnerung hinein.
Im Angesicht eines Gedichts sehen wir oft erst, wie stark wir selbst Resonanzkörper sind, unser Erlebniswiderschein der Welt ihre Tiefe gibt.

Sayers Gedichte bestehen ganz aus einer Unwillkürlichkeit, die sich so niederschlägt wie eine kleine Ewigkeit. Ihre Kürze machen sie in der Länge des Miteinanders, dass der Leser empfindet, wett; zum Beispiel wenn er sehr behutsam eine gleichsam quicklebendige und starre Erinnerung auferstehen lässt, zu der viele bestimmt ein eigenes Äquivalent kennen:

“Die Stelle, wo die Umkleidekabine stand.
Ein Bretterverschlag in seiner Verschwundenheit.
Allein das Astloch, das verblieb.
[..]
In der Rückwand der Luft.”

Die Fähigkeit des Menschen aus der Zeit heraus in die Erinnerung einzutreten und sich die physische Welt als Raum zu bewahren, der auch alte Züge annehmen und mit ihnen ausstaffiert werden kann, anknüpfend an Gefühle und Gerüche, Erlebnisse unseres Lebens, ist eine wesentliche Magie unseres Daseins. “Vielfältig wie die Tönungen eines Herbstwaldes”, wie Chesterton sagen würde, treiben Gedichte alte Wahrnehmungen als neue Pflänzchen hervor; und auf dem Papier lassen sie sich immer wieder lesen, sind präsent als Tür und Tor zu dieser uns so einmalig erschienenen Nähe. Walle Sayer hat in seinen besten Gedichten sehr viel von dieser Nähe, von den Verbindungen zu unserer Wahrnehmung gesammelt und in knappen Worten aufleuchten lassen, aber auch wo er nur ein Bild schafft, ist das Ergebnis beeindruckend.

“Ein Eiszapfen
träufelt Augentropfen
in das Starren der Tonne.”

Hätten Momente Initialen, würden sie, ins Gefühl übersetzt, oft wohl so aussehen, wie Sayers Gedichte. Man kann seinen neuen Band sehr gut nur für ein-zwei Gedichte zur Hand nehmen, nur um sich in aller Ruhe am sonnenfleckigen Wind einer kurzen Chiffre für unser Dasein und dadurch unseres ganzen inneren Lebenswertes zu erfreuen. Poesie ist in keiner Form wirklich kompliziert, eigentlich muss man nur immer Tranströmers Worte beherzigen: “Es ist wie ein Gebet zur Leere./ Und die Leere kehrt uns ihr Gesicht zu/ und flüstert:/ Ich bin nicht leer, ich bin offen”. Walle Sayer sind auf besonders schöne und klare Weise offen. Und deswegen sind sie sehr lesenwert.

“Und jede Weltreise beginnt auf einem Dreirad,
eine staubige Hauptstraße hinunter,
an drei Misthaufen vorbei.”

Ein paar einfache, wirklich gute Gedichte – “Das Leben so bedrohlich mal zwei”


Ich mag den Klang der Wendung “wirklich gut” eigentlich nicht, da er etwas Bekräftigendes an sich hat, das aber gleichzeitig auf etwas schwachen Beinen steht; fast eine Art Oxymoron. Doch wenn diese Wendung dann einmal „wirklich“ zutrifft, gibt es wenig andere Wendungen, die passend wären.

So auch bei den Gedichten von Benjamin Lauterbach, die man kaum mit etwas anderem betiteln kann als “wirklich gut” – auch weil sie wenig andere Merkmale haben. Sie sind unaufgeregt, öfters etwas lapidar, dann wieder nachdenklich, und immer wieder: bestechend in ihrer Schlichtheit, aus dieser Deckung heraus den Leser für sich einnehmend.

Es gibt keinen großen Angelpunkt, keine filigrane Diktion und Form, die hinter allem mitläuft. Und Benjamin Lauterbach beweist, dass es das auch nicht braucht. Nicht wenn man einfach ein paar ehrliche Gedichte aus dem Leben heraus schreiben will, so wie man sich etwas von der Seele schreibt: mit Zuschüssen von Ironie und losen Enden.

Wer in dem Meer moderner Lyrik und ihren vielen experimentellen Verästelungen sich leicht verloren vorkommt, dem dürften diese Texte wie eine kleine Offenbarung erscheinen, eine kleine Heimat. Sie sind nicht gereimt, sondern erzählend, im Stile von Bukowski, und ein wenig erinnern sie der Art nach an Gedichte von Nicolas Born, jedoch gibt es in ihnen wenig mehrdimensionale Metaphorik. Stattdessen werden die Dimension des Lebens selbst hervorgehoben und betont.

In einem meist klaren Fluss berichten die Gedichte von Lebensverdruss, Liebe, Schicksalen und Ich-Zuständen. Da sie dabei kaum auf abgewandte Abstraktionen zugreifen, ist sowohl ihre Erscheinung als auch ihr Ton sehr glatt und angenehm. Die ersten Gedichte sind noch etwas zu einfach gehalten, aber schon bald wissen die Texte ihre Aufrichtigkeit und ihre unaufgeregte Gangart filigraner zu gestalten. Dann entstehen sogar Texte, die entfernt an Charles Simic erinnern, wie etwa ein Gedicht mit dem Titel: “Das Leben ist zehn streichende Männer”, “Hier sein”, “Das müsste ich sagen” etc. Das besondere an diesen Gedichten ist, dass sie äußerlich und didaktisch nicht viel herzumachen scheinen, dabei aber sehr aufmerksam sind und trotz des kleines Raums, in dem sie operieren, am Ende immer etwa schmales für den Leser bereithalten, etwas nahezu Handfestes. Etwas, so verschwindend klein, als hätte das Gedicht noch gar nicht begonnen, als hätte nichts begonnen und aufgehört. Aber da ist etwas. Und mit diesem Gefühl liest man diese Auswahl und am Ende fühlt man sich wie nach einer wirklich guten Lektüre.

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