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Von Anziehung und Angst und allem dazwischen, das man sucht


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Es gibt eine Folge der Erfolgsserie “How I met your mother”, wo die beiden Figuren Robin und Ted ein Gespräch auf einer Party führen. Im Verlauf dieses Gesprächs sagt Robin: “If you have chemistry, you only need one other thing – timing. But timing is a bitch.” Zu Deutsch etwa: “Wenn Anziehung da ist, braucht es nur noch eine andere Sache: den richtigen Zeitpunkt. Aber es ist reine Glückssache, ob der sich jemals ergibt und ob man ihn dann auch erkennt/nicht versaut.”

An diesen Satz musste ich öfters denken, während ich Sally Rooneys zweiten Roman, der mir vielfach empfohlen wurde, las. Zunächst, auf den ersten Seiten, war ich skeptisch. Die Sprache gefiel mir nicht und die Story schien mir irgendwie vorhersehbar, die Charaktere auch; es hatte etwas von einem leicht gehobenen Jugendbuch. Aber bald schon kippte ich doch hinein, wurde teilweise sogar mitgerissen.

Am Ende bin ich zwar nicht hingerissen, aber doch davon überzeugt, dass “Normale Menschen” den Hype durchaus verdient hat. Nicht etwas, weil es ein literarisch hochbedeutendes Meisterwerk ist, sondern weil es ein Buch ist, das einer Vielzahl von Leser*innen nahe gehen, ihnen etwas geben kann. Es beschreibt nämlich im Kern ein Dilemma, mit dem sich die meisten Menschen, wenn sie jung sind, im Zuge ihrer ersten Liebe, einmal konfrontiert sehen: Was ist romantische Liebe, was muss und kann sie mir bedeuten, wie wichtig ist sie mir im Gegensatz zu allem anderen, was kann sie mir geben, das ich nirgendwo anders finde? Und: inwiefern unterscheidet sich guter Sex von echter Nähe? Wie hängt das zusammen, Anziehung und einander etwas geben können.

Es gibt ein, durch viele Hollywoodfilme und Geschichten geschürtes, Ideal der romantischen Liebe, das in unserer Gesellschaft eine zentrale Rolle spielt. Wobei, schon bei Platon gibt es die Geschichte von den Kugelmenschen, die auseinandergerissen wurden und jetzt über die Erde wandern, um ihr Gegenstück wiederzufinden und sich wieder zu vereinigen. Mittlerweile ist dieses Ideal zwar etwas aufgeweicht, durch neue Beziehungskonzepte auf der einen und wissenschaftsorientiertem Zynismus (es geht ja immer nur um Fortpflanzung, das ist alles nur Hirnchemie) auf der anderen Seite, aber beides dürfte kaum den Gefühlen von Teenager*innen Einhalt gebieten, die sich das erste Mal verlieben, sich das erste Mal heftig und heimlich zu jemandem hingezogen fühlen.

Geschichten über diese erste Liebe, dieses erste Begehren werden also wichtig bleiben und viele Menschen werden etwas von/über sich darin wiederfinden. Rooney kombiniert diesen Aspekt noch auf sehr gelungene Art und Weise mit dem Faktor der Angst. Der Angst vor Verlust, der Angst vor Gewalt, der Angst vor der Zukunft, der Angst vor dem Scheitern. Alles Regungen, die, meist uneingestanden, unsere Entscheidungen immens beeinflussen. Rooney legt die Auseinandersetzung mit diesen Ängsten nicht direkt offen, aber unterfüttert damit klug die ganze Geschichte um Marianne und Connell.

Noch ein Wort zur Form: ich habe oben gemeint, dass Rooneys Buch kein literarisches Meisterwerk ist, möchte hier aber noch mal betonen, dass ich seine Form dennoch als sehr gelungen empfinde. Es ist unterteilt in Kapitel, die jeweils abwechselnd aus der Sicht der beiden Protagonist*innen erzählt werden und jeweils so und so viele Tage, Monate nach dem letzten Kapitel spielen (das ist dann die Kapitelüberschrift). Es ist beeindruckend wie souverän Rooney dabei lose Fäden wieder aufnimmt und neue Entwicklungen durch Verzögerung mit Spannung auflädt.

Mein Kritik oben hat daher auch mehr mit den Motivationen und Handlungen der Figuren zu tun, die zwar nie aus dem Ruder laufen, in manchen Abschnitten aber doch etwas “over the top” sind. Dann erscheint es so, als müsse jetzt noch mal ganz deutlich gemacht werden, wie diese Figur drauf ist, obwohl es eigentlich sonst eine Stärke des Buches ist, dass es subtil vorgeht und viele Dinge eher indirekt verhandelt. Es ist schade, wenn auch nicht gänzlich unverständlich, dass es dann an einigen Stellen zu nicht ganz schlüssigen Ausbrüchen kommen muss.

Alles in allem ist es aber ein Buch, das ich empfehlen kann.

Zu “Junger Mann” von Wolf Haas


junger mann „Junger Mann“, das kann man direkt vorweg sagen, ist eine Wehmutsgeschichte, eine Geschichte über die Jugend, die erste Liebe. Es ist keine schlechte Geschichte, aber wer den wilden Wolf Haas kennt, den Haas von „Das Wetter vor 15 Jahren“ oder „Ausgebremst“ oder „Die Verteidigung der Missionarsstellung“, den Haas der schiefen Komik, dem wird dieses schöne Buch, trotz gewisser Schnörkel und dem ein oder anderen eigenwilligen Witz, doch allzu brav erscheinen.

Aber eins nach dem anderen, zunächst zum Inhalt: Haas junger Mann lebt Anfang der 70er Jahre in der Nähe des Deutschen Ecks in Österreich und jobbt bereits mit zwölf Jahren an einer Tankstelle. Oft frequentiert wird diese Tankstelle von Tscho, einem Lastwagenfahrer, der oft die Strecke bis hinunter nach Griechenland fährt und in seiner Freizeit an Autos herumschraubt, Totalschäden wieder auf Vordermann bringt. Tscho ignoriert den jungen Mann, den viele wegen seiner blonden Locken und seiner fülligen Figur nur „junges Fräulein“ nennen. Als der junge Mann aber zum ersten Mal Tschos neue Freundin Elsa erblickt, ist es um ihn geschehen – er will abnehmen und er will vor allem: Elsa …

Der in vielen anderen Büchern so originelle Haas gibt sich kaum Mühe, diesem schon oft gestrickten Plot einen eigenen Stempel aufzudrücken. All die üblichen Zutaten finden sich: leicht skurrile Figuren, Scham und Neugier des jungen Mannes, Anekdoten und Anekdötchen, schließlich eine Heldenreise, auf der sich das Erwachsenwerden einzustellen beginnt, ein dunkles Geheimnis, viel Hoffnung, viel Jugend.

Natürlich hat jeder Autor (und jede Autorin) das Recht auch so ein Buch zu schreiben, ein leichtes, aber nicht allzu leichtes Buch, einen harmlosen, aber berührenden Entwicklungsroman light. Weder wird die Fettleibigkeit des jungen Mannes über Gebühr thematisiert, noch gibt es sonst irgendwelche größeren Konflikte. Wäre mit diesem Wort nicht auch Verachtung verbunden, die dieses Buch nicht verdient hätte, könnte man es ganz einfach mit einem Adjektiv beschreiben: seicht.

Seicht nicht im Sinne von belanglos. Aber schon in dem Sinne: ohne Beißen und Stechen, ohne eine Spur wirklicher Tragik. Es ist eine heile Welt, die Haas da serviert, so sehr sie auch von kleinen Erschütterungen durchzogen ist. Diese Erschütterungen halten zwar den Plot in Bewegung, dringen aber nicht bis zu den Lesenden vor, die sich einfach in der schönen Spannung der Liebesgeschichte und der Abenteuergeschichte sonnen können. Warmherzig hat jemand darüber geschrieben – ja, das stimmt. Wem danach ist, wer ein solches Buch lesen will: Voila.

Zu Julio Cortázars Erzählung “Die Katzen”


Die Katzen Wer ihn noch nicht kennt, dem/r rate ich, das schleunigst zu ändern. Vor allem, wenn man für jene besondere Art von Faszination anfällig und empfänglich ist, die phantastische, irreale und dennoch fesselnde Elemente erzeugen, die als bedrohliche, unheimliche und irritierende Momente innerhalb einer Erzählung eingesetzt werden und die Realität gleichsam umdeuten und hinterfragen.

Julio Cortázar hat eine Handvoll Erzählungen geschrieben, die ich wirklich liebe, die mich immer wieder begeistern (nicht zu vergessen: jenen irren Roman „Rayuela“, der gleich Joyce „Ulysses“ eine lange (möglicherweise nie endende) Vorlaufzeit braucht, bevor man ihn wirklich in Angriff nimmt, außerdem “Der Verfolger” eine der schönsten Novellen über Musik, die ich kenne). Die meisten davon sind in dem ersten Band der gesammelten Erzählungen bei Suhrkamp, „Die Nacht auf dem Rücken“, zu finden.

Viele dieser Texte arbeiten mit zwei Arten von erzählerischer Technik. Zum einen mit einer atmosphärischen Beschreibungskunst, die einem das Geschilderte nah an die Haut heranträgt. Cortázar ist kein Erzähler, der sich nur an seinen Ideen erfreut und dem es genügt, sie zu präsentieren, auszuwalzen – er will, dass die Lesenden die emotionale Komponente seiner Texte abbekommen, ja, sie ist oft die wahre Kraft, die in dem Text wirkt und die zweite Komponente als Vehikel benutzt.

Diese zweite Komponente sind die geschickt eingeflochtenen, immer tiefer verwobenen Irritationen, die aus der scheinbaren Wirklichkeit (in der man den Text zunächst verortet glaubt) eine Anderswelt machen, eine alternative Wirklichkeit, die sich bei Cortázar aber nicht als fremd entpuppt, sondern nur einen unscheinbaren Hauch entfernt ist und oft in einem kleinen Schritt, mit einer Bemerkung, in den Text eintritt und alle Spielregeln ändert. Diese Verschiebung ist immer wieder großartig zu beobachten und vollzieht sich auf so unterschiedliche Arten und Weisen, dass sich die Überraschung und Bewunderung angesichts dieses Kniffs nicht abnutzt; die Gewänder und Pointen, Ausgangspunkte und Verläufe sind vielfältig, geistreich, teilweise würde ich nicht zögern sie als genial zu bezeichnen.

Die aus dem Quasi-Nachlass stammende Erzählung „Die Katzen“ (in dieser Edition übersetzt von Henriette Terpe und Frank Henseleit, allerdings zweisprachig abgedruckt) ist ein Text aus dem Jahr 1948, kurze Zeit bevor die ersten wichtigen Erzählungen publiziert wurden. In ihr wird man keinen Tropfen jener erzählerischen Magie nach Art der zweiten Komponente finden – es gibt keine phantastischen Elemente in dieser Erzählung. Dafür tritt der erste Aspekt noch stärker hervor und die typische Aufgeladenheit einer Cortázar-Erzählung wird hier allein über den Aspekt des Emotionalen erreicht (die ja in ihren Extremen auch etwas Phantastisches, Transzendentes hat).

Schauplatz ist das Haus einer argentinischen Familie in den 40er Jahren. Carlos María wächst zusammen mit seiner Cousine im Haus seiner Eltern auf; ihre Eltern sind tot, wobei die Geschichte ihrer Herkunft nicht ganz klar ist. Die beiden Kinder spielen Verstecken, Fangen und Cowboy und Indianer – letzteres ein Spiel, das Carlos María bevorzugt, weil er seine Cousine dabei an den Marterpfahl binden kann, wo sie ihm ausgeliefert ist.
Schon zu Anfang wird klar, dass „Die Katzen“ die Geschichte einer Obsession werden wird, eine starke Anziehung zwischen den Heranwachsenden im Mittelpunkt steht. Im weiteren Verlauf wird zunächst das Widerstreben behandelt, das die beiden in Bezug auf ihre Zuneigung zueinander an den Tag legen. Die Mutter hält sie, kaum sind sie dabei in die Pubertät einzutreten, möglichst fern voneinander – und bald gesellt sich auch ein neuer Verehrer der Cousine dazu …

„Die Katzen“ ist vordergründig eine Geschichte vom Erwachsenwerden, mit einen leichten Hauch von Tabu versehen, der dann und wann hervorblitzt. Vielmehr als um die verbotene Liebe zwischen den gemeinsam aufgewachsenen Kindern, geht es um die, als prekärem Einschnitt empfundene, allgemeine Aufwallung des Begehrens; jenen Wunsch sich mit jemandem zu balgen, spielerisch wie einst als Kind, aber mit einem unterschwellig-heftigen Drang, der auf irgendeine Art und Weise „weiter“ gehen will. Keusche Verehrung und rasender Nähe- und Besitzwunsch prallen aufeinander, zusätzlich verstrickt in die sozialen Konventionen und die sich täglich wandelnden Verhältnisse, sowie die unklaren Dimensionen, als die sich die Gefühle der anderen Menschen darbieten und die man nicht aufdecken kann, nur schwerfällig ausdeuten.

Diese emotionale Achterbahnfahrt, mit all ihren kleinen Momenten, Wendepunkten, Erschütterungen, fährt Cortázar in seiner Erzählung ab, zeichnet jede neue Facette gekonnt und unreißerisch nach. Man kann den beiden Übersetzer*innen und Nachwortschreibenden nur danken, dass sie diesen Text ausgewählt haben (sowie dem Lilienfeld Verlag, dass sie ihn publiziert haben), denn in ihm wird eine weitere Qualitätsfacette von Cortázars Werk greifbar. An alle daher die Empfehlung – lesen!

Zu Vladimir Nabokovs Debüt “Maschenka”


Maschenka

Und über diese Straßen, die jetzt so breit sind wie glänzende schwarze Meere, zu dieser späten Stunde, da die letzte Kneipe längst zugemacht hat, läuft ein Mann aus Russland, bar der Fesseln des Schlafs, in hellseherischer Versunkenheit umher; zu dieser späten Stunde über diese breiten Straßen Welten, die einander vollkommen fremd waren; kein Passant, sondern jeder eine völlig abgeschlossene Welt, jeder eine Ganzheit aus Wundersamem und Bösem. […] In Augenblicken wie diesen geschieht es, dass alles mythenhaft und unauslotbar tiefgründig wird und das Leben schrecklich und der Tod noch viel schrecklicher erscheint. Und dann, während man schnellen Schrittes durch die nächtliche Stadt dahineilt, durch Tränen nach den Lichtern blickt und in ihnen eine herrliche, blendende Erinnerung an vergangenes Glück sucht – etwas, das nach vielen Jahren öden Vergessenseins wieder emportaucht –, wird man plötzlich in seinem wilden Voranjagen höflich von einem Fußgänger angehalten und gefragt, wie er wohl in die und die Straße gelangen könne, gefragt in einem ganz alltäglichen Ton, aber in einem Ton, den man niemals wieder hören wird.

Debüts sind zumeist entweder sehr unbeschwert/einfach oder sehr ambitioniert (oft sind die Autor*innen des ambitionierten Debüts gezwungen, danach immer und immer wieder gegen dieses Debüt anzutreten, sie versuchen sich davon abzugrenzen, versuchen daran anzuknüpfen, führen die Grundmotive endlos fort, etc., während die Autor*innen der unbeschwerten Debüts meist mehr Entfaltungsspielraum haben und eine deutliche Entwicklung durchlaufen.) Autoren wie Virginia Woolf, Albert Camus oder Kazuo Ishiguro starteten ihre Karriere mit eher unbeschwerten Büchern – so auch Vladimir Nabokov, mit seinem Emigranten- und Jugendlieberoman „Maschenka“.

Inhaltlich dreht sich der Roman um zweierlei: er wirft zum einen Schlaglichter auf die Schicksale einiger Menschen, die gemeinsam in einer deutschen Pension in Berlin wohnen; ein großer Teil von ihnen russische Emigranten, die vor den Revolutionswirren geflohen sind. Darunter ein alter Dichter, der hofft nach Paris weiterreisen zu können, was sich wegen seiner Passsituation als schwierig erweist, zwei Tänzer und ein schwatzender Wichtigtuer, der sehnsüchtig auf seine Frau wartet, die ihm demnächst folgen soll.

Gleichzeitig schildert das Buch in Rückblenden Episoden aus dem Leben des Protagonisten Ganin, der ebenfalls in der Pension wohnt. Durch einen Zufall wird er mit einem Bild seiner ersten Liebe Maschenka konfrontiert und mit ihr kehrt nicht nur die Erinnerung an seine Heimat Russland, sondern auch der ganze Mythos einer Reihe von Tagen in seiner späten Jugend, eine Zeit voller erster Reize und Entdeckungen, Umbrüche und Hoffnungen, zurück. Der derzeit in Berlin gestrandete, unschlüssige und perspektivlose Ganin verliert sich in diesen Erinnerungen, die von Zeiten künden, in denen zumindest die Jagd nach Gewissheiten, nach der Erfüllung von Sehnsüchten, ihn immer begleitete, noch in ihm brannte. Das alles ist mit Maschenka verbunden, sie steht wie eine Ikone im Zentrum dieser Zeit.

Sie benutzte ein billiges, süßliches Parfum, das «Tagore» hieß. Diesen Duft, vermischt mit den frischen Gerüchen des herbstlichen Parks, versuchte Ganin jetzt noch einmal einzufangen; aber wir wissen ja, unser Gedächtnis kann fast alles wiedererstehen lassen, nur Gerüche nicht, obwohl die Vergangenheit durch nichts so vollkommen wieder auflebt wie durch einen Geruch, der einst mit ihr verbunden war.

Von allen Romanen Vladimir Nabokovs war mir „Maschenka“ am wenigsten und zugleich am ahnungsvollsten im Gedächtnis geblieben; vielleicht weil er einen recht simplen Topos hat. Jetzt, beim Wiederlesen, überraschte es mich, wie sehr mich die Intensität der ersten Lektüre wieder einholte und für wie gelungen ich diesen Roman mehr denn je halte. Natürlich hält er einem Vergleich mit den ambitionierteren Werken Nabokovs insofern nicht stand, als spätere Romane vielfach existenzielle Dilemmata und Situationen verhandeln, während es in „Maschenka“ hauptsächlich um relativ unspektakuläre Emigrantenschicksale und einige Gefühlswelten geht.

Auf der anderen Seite tritt in der Ausformung dieser Gefühlswelten und in der Schilderung einiger Szenen bereits jene Kunst Nabokovs zutage, die in meiner Ansicht nach von vielen anderen Autor*innen unterscheidet: die Kunst, die emotionalen Auswüchse, die gefühlsbedingten Tendenzen, und die damit einhergehenden Gedanken und Empfindungsräume seiner Figuren malerisch und gleichsam prägnant und nachvollziehbar darzustellen. Diese Verdichtungen, die Sensibilität mit Anschaulichkeit verbinden, werden mich immer zu Nabokovs Werken hinziehen, ebenso wie die Bravour mit der Figuren entwirft, die zumeist nur wenig illustriert werden, aber gerade deswegen authentisch wirken, weil Emotionen und Handlungen, und die Art wie andere auf sie reagieren und sie sehen, ihre Gestalt vor dem Leser entstehen lassen.

Obgleich es vielerlei verhandelt, ist „Maschenka“ ein unscheinbares Werk. Mancher Nebenfigur mangelt es trotz geschickter Pinselführung an wirklicher Tiefe, hier und da wirkt manches Plot-Element etwas forciert, aber das alles tritt zurück hinter ein paar innige und unnachahmlich präzise Schilderungen, in denen Nabokov die Andeutung und Auslotung komplexer und langwidriger Gefühlszustände gelingt. Allein für diese Passagen lohnt es sich, „Maschenka“ zu lesen. Und sei es nur, um wie Ganin eine Reise in die Ferne (und Nähe) der ersten Liebe, der eigenen Biographie anzutreten.

Zu Charles Simmons wunderbarem Roman “Salzwasser”


Geschichten lesen, Romane lesen, gibt es da einen Unterschied? Ich behaupte ja, denn für mich ist ein Roman mehr als eine Geschichte: um sein Erzählen windet sich mit der Zeit eine immer dichter werdende Ahnung der Verwerfungen, die Figuren und Menschsein, Taten und Gefühle, Leben und Denken durchziehen. Der Roman ist das Gegenteil einer Parabel, einer Geschichte mit Moral, oder vielmehr deren Zerrspiegel. Es gibt innerhalb des Romans keine übergreifende moralische Gewissheit. Es gibt Stellen an denen man eine Moral ansetzen könnte, es gibt ein moralisches Pendel, das mal hierhin, mal dorthin ausschwingt, aber festmachen lässt es sich nicht, es bleibt in Schwingung.

Diese Unbestimmtheit macht den Roman aus und setzt ihn sehr nah an die Wirklichkeit. Wo die Moral herrscht ist die Botschaft schon beschlossen, die Geschichte ein Vollzug, eine Übung in Anschaulichkeit, gleich der schlichten malerischen Metapher. Im Roman bleibt die Botschaft eine komplexe widersprüchliche Wesenheit, geädert und durchdrungen von Bewusstsein, Ungewissheit, Emotionen, Konstrukten. Der Roman ist deutlich bei dem was er dir an die Hand gibt, aber er es gibt keinen magnetischen Mittelpunkt, zu dem es seine Themen hinzieht; stattdessen gibt es viele magnetische Strömungen, die jeden Roman durchziehen.

In diesem Sinne muss man bei Charles Simmons Buch Salzwasser wahrhaftig von einem Roman sprechen, auch wenn er, in Form, Ton und Setting wie eine Novelle daherkommt. Er bleibt begrenzt auf einen kurzen Zeitraum und eine ebenso überschaubare Umgebung, es gibt einige wenige zentrale Entwicklungen, Anfang und Ende schließen einen Bogen.

“Im Sommer 1963 verliebte ich mich, und mein Vater ertrank.”

Schon im ersten, kühnen Satz, lässt sich erahnen, was dieses Buch zu einer besonderen Leseerfahrung machen wird. Hier klingt vieles an, was das Geschehen von Seite zu Seite durchziehen wird: Spannung, Ambivalenz, Zusammenhänge, gleichsam angedeutet und doch voller Gefälle, dazu Knappheit und Eindrücklichkeit in einem heruntergeschraubten, vollen Stil ineinandergeglegt. Diese feine, undurchsichtige Offenheit liegt in dem Buch und schickt einen mehr als einmal mit ihrer Nähe und szenischen Wucht in die Seile. Beim ersten Mal habe ich Salzwasser in einem Zug gelesen und ich kann mir nicht vorstellen, dass es anders konsumierbar ist, so sehr packt es einen, obwohl es nichts Reißerisches hat und die Spannungsbögen mehr wie Linien auf einem Herzschlagmonitor, dann und wann ausschlagen, dann wieder wie unmerklich werden (wobei der nächste Ausschlag trotzdem erwartet wird.)

Für mich wird es ewig eine Kunst bleiben über die erste Liebe zu schreiben. Nicht, weil ich die Liebe generell, mit irgendeiner Theorie untermauert, über alles stellen möchte oder sie verherrlicht sehen will, sondern weil die erste Liebe eine der elementarsten Erfahrung des Menschseins ist. Es lassen sich ungewöhnliche Umstände für diese Erfahrung finden, doch ich bin immer wieder verblüfft, wen ich wieder mal eine vermeintlich “gewöhnliche” Geschichte über die erste Liebe lese und feststelle, dass ich sie ungeheuer außergewöhnlich finde, sowohl in der Art wie sie geschildert wird, aber auch in ihrem Setting. Nicht jede Geschichte über erste Liebe ist gut, aber es gibt einige wirklich grandiose, von Madalyn über Das also ist mein Leben bis zu Schilderungen in Romanen von Philp Roth, John Irving oder Angelika Klüssendorf, Thomas Mann oder Carmen Laforet.

Es ist natürlich nicht nur eine Liebesgeschichte und sie mit dieser fixierten Erwartung zu lesen, nimmt ihr eigentlich die Wucht, die im Puls ihres Mikroskosmes steckt. Oder, um es anders zu sagen: Salzwasser zählt in seiner Schlichtheit zu den ganz und gar unter die Haut gehenden Romanen. Schilderung, Arrangement, Perspektive, Erzählfluss, alles in diesem Buch legt sich ganz nah an die Lesewahrnehmung, exzerpiert sich nicht selbst, glänzt kaum, liegt vor einem wie ein Strand, an dem die Wellen brechen, auslaufen, zurückgezogen werden und für kurze Zeit Flächen auf dem Sand einfärben; über allem die Sonne, so heiß, die Flächen trocknend, oder dunkle Wolken, mit ihrem Regen selbst alles färbend.

Köhlmanns Roman: “Madalyn”


“Ihre Hand spürte in seiner ihre eigene Wärme”.

Die erste Liebe türmt sich wie ein Koloss vor uns auf, wie etwas Unerklimm- und später wie etwas Unabsteigbares, wie etwas Riesengroßes, Mächtig-Schauderns und genauso Schönes. Zum ersten Mal haben wir ein bewusstes, unprofanes Bedürfnis nach Zukunft, nach dem nächsten Kuss, dem nächsten Treffen und gleichsam scheint diese erste Liebe auch der Ursprung unserer ersten bewussten Angst vor uns selbst zu sein. Hadern und Hoffen, untrennbar ineinander verwoben – selbst Jahre oder ein Leben später kann man sich noch, einer Ahnung gleich, daran erinnern.

Wer bei diesem Rückblick dennoch Hilfe bräuchte, für den wäre Madalyn von Michael Köhlmeier genau das richtige Buch. In diesem kurzen Roman geht es nämlich genau darum: Um eine erste Liebe, um Glück und Verhängnis dieser magischen Zeit und um die Veränderungen, Erfahrungen und Probleme, die das alles mit sich bringt. Einzigartig ist dabei die auf den ersten Blick etwas bemühte, aber dennoch auf eine seltsame Weise natürliche und authentische Struktur des Buches. Köhlmeier hat hier viel riskiert, indem er zwei Personen erzählen und ihre Sicht und Gefühle mit einfließen lässt, wobei es sich aber nicht (wie üblich) um die beiden Liebenden handelt, sondern einerseits um das Mädchen, das die erste Liebe erfährt und auf der anderen Seite um einen älteren Schriftsteller, zu dem das Mädchen seit einem Fahrradunfall in ihrem 5 Lebensjahr eine besondere Vertrauensbeziehung hat. Ihm erzählt Madalyn ihre Geschichte und zieht ihn damit natürlich auch in die Geschichte hinein; der Mann der immer nur Beobachter war und nur ein wenig Vertrauter sein wollte, ist auf einmal Madalyns wichtigster Ansprechpartner…

“Sie war zufrieden mit sich selbst. Schöne Sachen waren ihre eingefallen, die sich angehört hatten wie aus einem Traum, wo man manchmal ja auch nicht weiß, was das jetzt mit einem selbst zu tun hat, weil man sich selbst so etwas Schönes kaum zugetraut hätte.”

So geht es Madalyn, nachdem sie zum ersten Mal mit Moritz gesprochen hat. Moritz, der ihren Namen einzigartig findet, Moritz, Moritz, Moritz. Moritz und das Gefühl “noch nie so gern gelebt zu haben” – beides plötzlich untrennbar verbunden. Doch kein Mensch und auch keine zwei Menschen zusammen, sind eine Insel. Da sind ihre Eltern, mit denen alles nicht so leicht ist. Da ist das Alter, Moritz ist schon sechzehn und eben: ein Junge…. Da ist die Schwierigkeit dieses Gefühlschaos auch nur ansatzweise zu überblicken und jedes Wort und jede Geste des anderen fühlen sich wie etwas Endgültiges an, das so gut tut oder so sehr schmerzt.

Wie es ein guter kurzer Roman nun einmal tut, streift Köhlmeiers Werk vieles und konzentriert sich auf weniges, nämlich auf das, was bei seinen Protagonisten je nach Situation im Mittelpunkt steht. Madalyn ist einer dieser Romane, den man in jeder Sekunde der Lektüre immer wieder neu erfährt, die sich mit jedem Kapitel stark entwickeln. Mit einer erzählerisch ganz nah am Geschehen bleibenden Sprache erschafft Köhlmeier ohne übergeordneten Erzähler eine sehr authentische Schilderung beinahe jedes Zustandes, durch den seine Figuren gehen – und dennoch bleibt man, aufgrund der Tiefe, die die Figuren dabei in ihren Stimmungen erreichen, ein klarer Beobachter.

Ein gutes Gespür für sein Thema – das kann man dem Buch auf jeden Fall zusprechen, auch wenn da noch mehr ist, was Köhlmeier am Rande anreißt oder als Teilstück in den Roman einbaut. Als Autor eine Geschichte so anzulegen, das ihr Raum mal weit, mal eng, ihr Tempo mal schnell, mal langsam, ihr Ausblick mal lang, mal knapp ist, verlangt eine guten Stil, den Köhlmeier eindeutig besitzt; weshalb man ihm auch das eine oder andere zu lang gewordene Gefühlsstaccato verzeiht.

Zusammengefasst würde ich “Madalyn” als eine sehr gut Schilderung von erster Liebe und ihren Aktionen und Reaktionen bezeichnen, sehr intensiv und nicht unbedingt in eine große Erzählung gekleidet, sondern direkt und ohne viele Nebensächlichkeiten. Wem bei einem Roman vor allem wichtig ist, dass er seine Thematik sehr gut nachzuempfinden kann, wer einen Roman durch die Figuren “spüren” will, ist hier an der richtigen Stelle. Mir persönlich ist der Roman während der Lektüre sehr nah gekommen, jetzt am Ende ist er plötzlich wieder sehr weit weg. Aber es ist keine Ferne des Bedauerns, eher eine Ferne der Sehnsucht, zu der ja immer etwas Bedauern gehört…

Link zum Buch

*diese Rezension ist in Teilen schon auf Amazon.de erschienen.

“Nick & Norah” – eine Reise durch Nacht und Musik


“We all start as strangers.”

Musik und Liebe haben etwas gemeinsam: man kann nur sehr schwer Worte finden, um sie lang und ausführlich zu beschreiben. Oft steckt die Wahrhaftigkeit dieser beiden Phänomene in einem kurzen Satz, einem Wort und noch häufiger einfach in ihnen selbst, als eine Wahrheit, die sie mittragen, ohne sie dir auszuhändigen; sie verbleibt dort, unauslotbar, eine Erscheinung der Wirklichkeit, die zwar wirkt, aber nicht bleibt – dem Kopf nicht zu vermitteln.

Jeder neue Liebesroman ist auch ein neuer Versuch, jene ganz spezielle Wahrheit einer Liebegeschichte zu beschreiben; jede Zeile, die man über Musik jeglicher Art schreibt, ist ein neuer Tanz auf dünnem Eis, fast genauso, als würde man versuchen, Musik zu genießen, in dem man sie kognitiv während des Hörens aufbricht, zu erschließen und in die richtigen Kanäle zu leiten versucht.

Aber nur fast… denn in der Sprache kann es noch gelingen, das man mit einem Mal, für einen Lese-Schritt, für eine Zeile, wirklich weiß, was der Autor meint – diese eine Zeile reißt einen dann mit, über weitere 10, 20, 30 weitere Sätze. Und man liest sich selbst die eignen Sehnsüchte, Gedanken und Erinnerungen von der Seele – und erschließt sich dabei ein Stück von den Weisheiten des Lebens. Auf denen mag stehen: Vorsicht – flüchtig. Aber selbst das was flüchtig ist, kann einem der Moment, in dem man liest und liest und erkennt, nicht nehmen.

“Die Seele hat ihr eigenes Ohr und manchmal ist die Erinnerung der gnadenloseste DJ aller Zeiten”

Alle meine Rezensionen zu Büchern sind nicht nur Empfehlungen und Besprechungen, sondern auch Meditationen zu den Themen, dem Tempo, der Sprache, der Botschaft eines Werkes. Als solche können die oberen beiden Abschnitte gelesen werden. Nun eine etwas sachlichere Ergänzung.

Wegen seiner unkonventionelle Erzählungen einer Liebesgeschichte in Das Wörterbuch der Liebenden, die mir sehr gut gefallen hat, war mir David Levithan schon ein Begriff – zusätzlich noch, weil er ja auch ein Buch zusammen mit John Green geschrieben hat, dessen Werke ich ebenfalls sehr schätze. Ich lese immer mal wieder gerne Jugendbücher – warum, diese Frage habe ich in meiner Rezension zu Die erste Liebe nach 19 vergeblichen Versuchen auf Amazon.de beantwortet; trotzdem sei hier erneut gesagt, dass ich glaube, dass Jugendbücher Erfahrungen bereithalten, die wir über unser ganzes Leben nicht vergessen sollten.

“und da hab ich mich nur noch wie eine Feuerwerksrakete gefühlt.”

In zwanzig Kapiteln (die ungeraden gehören Nick, in den geraden erzählt Norah, immer abwechselnd) begleiten wir die zwei durch die Nacht und die Clubs von New York City. Worum es geht, ist von Anfang an klar: es geht um die Liebe und um die Musik – und darum, dass man sich in beiden verlieren, aber auch finden kann. Beides leichter gesagt als getan, unentwegt passiert das eine wie das andere, scheinbar ohne, dass wir etwas daran tun können; schließlich sind wir, wer wir sind, die Musik ist, was sie ist. Das Leben ist, was es ist.

Manches kann man teilen, das andere nicht. Manches ist kompliziert, manches einfach – und manches, manches ist schöner als man glauben kann und manches gelingt nie, obwohl es anderen gelingt.

Und darum geht es doch, in der Musik und in der Liebe: um das, was den Glauben übersteigt. Es geht nicht darum “Wissen” zu werden oder “Gewissheit”. Eher darum etwas zu befühlen und zu erfahren, wie es sich anfühlt.

Auf dem Weg zu ein paar kleinen Erkenntnissen, reisen Norah und Nick durch die Nacht. Sie kommen sich näher, entfremden sich, lachen und reden, hören Musik, erleben und spüren, denken und erzählen. Der Rest: den muss man Lesen. Denn soviel sei gesagt: Auch sprachlich hat dieser kleine Roman den einen oder anderen genialen Riff drauf.

“Ich schaue nach oben, versuche, hinter dem Wolkenkratzer ein Stück vom Nachthimmel und am Nachthimmel einen schimmernden Stern zu entdecken, und als mir das nicht gelingt, schließe ich die Augen und versuche, mir auf meine Augenlider selbst einen Stern zu zaubern, und ich bin froh, dass Norah in diesem Moment Augenblick nicht meine Gedanken lesen kann, denn ich bin mir nicht sicher, ob ich will, dass irgendjemand von mir solche Sachen weiß.”

Warum wir lesen? Ich glaube, ich werde diese Frage nie beantworten können, während ich vor diesem Bildschirm sitze, oder während ich mit anderen irgendwo zusammensitze – und wenn, dann nur unzureichend. Ich könnte es immer nur sagen, wenn ich gerade vor einem richtig tollen Buch sitze. Doch dort bin ich mit mir allein und das ist gut so. Denn im Lesen geschieht mehr, als die Sprache wieder herausklauben könnte. Andeuten, ja das kann man und ich hoffe, dass die Andeutung ankommt, wenn ich abschließend sage, dass ich Nick & Norah für einen lesenswerten Jugendroman halte – kein Meisterwerk, aber eine kurzweilige Fuge in meinen Leseerfahrungen, die ich nicht missen möchte. “Atemlos”, nannte ein anderer Rezensent das Buch. Dem kann man zustimmen, auch wenn nicht das ganze Buch dieser Idee folgt. Es gibt auch sehr ruhige Stellen und ein paar die wiederum zum Schießen sind. Es gibt Stellen, wo alles Musik ist und dann wieder welche, wo alles fast süßlich ist, dann wieder kommt die Melancholie, dann die Zurückgezogenheit, dann der Überschwang, dann gehen die beiden Protagonisten wieder in einen filmreifen Schlagabtausch. Und das ist letztlich die Besonderheit des Buches, dass es einen die Intensität von Gefühlen in der Nacht nachempfinden lässt, auch von Enttäuschung oder Liebeswunsch oder simpler Freude am Gespräch – dass es seinen Ton, seine Windungen, sein Tempo sehr gut nach der Erzählung richtet, nach der Stimmung, die die Geschichte gerade betritt – einen wirklich durch diese Nacht, mit allen Höhen und Tiefen trägt. Diese eine Nacht. Was will man mehr?

Zum Schluss drehen wir die sprachliche Musik dieses Buches noch mal voll auf und lassen sie für sich selbst sprechen:

“Mein Herz schlägt schneller. Ich bin. Hier und jetzt. Ich bin. In der Zukunft. Ich umarme sie. Wir sind. Und wollen, fühlen, begehren, wissen, hoffen, alles wird eins. Wir sind die, die das Ding, das alle Musik nennen, mit dem Ding, das alle Zeit nennen, zusammenbringen. Wir sind das Ticken, wir sind das Pulsieren, wir sind die, die in diesem Augenblick alles vorantreiben. Es gibt nur uns in diesem Augenblick. Für eine Ewigkeit. Kein Publikum. Keine Instrumente. Nur unsere Körper, unsere Gedanken, unser Flüstern, unsere Blicke. Das ist die Musik, die größer ist als alles.”

Link zum Buch

*diese Rezension ist bereits auf Amazon.de erschienen

So unaufdringlich wie das Leben, so unterschwellig intensiv wie die Liebe. Zum Film “Lost & Delirious”


Bei so vielen Meinungen, die zu Filmen durchs Netz geistern- gibt es da überhaupt noch etwas, das noch ungesagt ist? Und was uns bei Kunst und gerade bei Filmen so mitreißt – lässt sich das überhaupt weiterreichen, lässt es sich teilen?
Vielen Kritikpunkten, die aufkommen, könnte widersprochen, viele begeisterte Äußerungen geteilt und bekräftigt werden. Aber weil ich Lost & Delirious für einen wirklich besonderen Film halte und doch für einen sehr eigenen, werde ich hier nur kurz meine Eindrücke schildern und versuchen, aufzuzeigen, was der Film ist und – sich daraus ergebend – was er nicht ist. Es ist, in allen Belangen, ein sehr konsequenter Film und als solcher sollte er gesehen werden.

Erste Liebe ist eine Empfindung, von der Pablo Neruda sagte, dass sie “das letzte Überbleibsel des Paradieses sei”. Jede andere Liebe sei “nur” ein “Gebet” zu jenem Gott, der sich damals offenbarte. Sicherlich eine etwas drastische Ansicht, es steckt aber auch darin ein kleiner Teil der Wahrheit. Immerhin ist die erste Liebe der Anfang. Mit ihr beginnt alles auf diesem Gebiet. Ein wenig bewegt, prägt und bestimmt sie unser ganzes weiters Handeln und unsere Denkstrukturen in Sachen Liebe für immer.

In Lost & Delirious geht es um eine solche erste Liebe – und obwohl es sich um eine lesbische Liebe handelt, ist doch für ihre Wesen sehr viel wichtiger, dass es eine erste Liebe ist, also eine Liebe, die noch kaum bis keine Regeln kennt, nur diesen neuartigen, wunderbaren, alle Gedanken anfachenden Zustand, den man nicht verlassen will, in dem man aufgeht und aufgeht und in dem sich die Angst vor Verlust sehr schnell verbreiten kann.
Für den Verlauf der Geschichte ist es natürlich schon sehr wichtig, dass es um eine gleichgeschlechtliche Liebe geht. Dennoch entsteht die Eindringlichkeit des Films gerade dadurch, das diese zwei Dinge zusammenfließen: Die Unschuld der ersten Liebe und die formenden, gesellschaftlichen Erwartungen – Faktoren, die ein Leben lang unser aller Liebesleben bestimmt und die in dieser Geschichte einen zerrissenen Ausdruck finden, eine wunderbare Darstellung, atmosphärisch, wie inhaltlich, vor allem aber atmosphärisch.

Der Umschwung, der die Geschichte dieser Liebe so mitreißend, aber auch ambivalent und sogar, zugegeben, etwas zwiespältig macht, kommt sehr plötzlich und die beiden Hälften des Films sind tatsächlich ein bisschen wie Tag und Nacht. Aber ich mag solche Filme, Filme, die mich wirklich bewegen, weil sie Unvorhergesehenes und doch Nachzuempfindendes mit sich bringen, weil sie durch ihre ganz eigene Darstellung aufrütteln und bewegen; Filme, die einfach ihre Geschichte so erzählen, wie sie erzählt werden muss – das Unabänderliche einer Geschichte ist nun mal auch das, was uns selbst über unsere Handlungen und Vorstellungen nachdenken lässt, die vielleicht gar nicht so unveränderlich sind. Geschichten sind der beste Weg, das Wesen eines Gegenstands ohne eine Definition zu erreichen.

Atmosphärisch wird die Geschichte, wie gesagt, wunderbar getragen, woran auch die Musik ihren Anteil hat – selten habe ich einen so treffenden und stimulierenden Soundtrack gehört. Und auch die Darsteller sind mehr als überzeugend, vor allem weil sie nicht über ihre Rollen hinausgehen, weder in der Mimik, noch in ihren Handlungen, sondern ganz bei sich bleiben, was ja auch ein Teil jeder menschlichen Tragödie ist: das man ist wer man ist und will was man will. Besonders die Darstellung von Piper Perabo hat mich wirklich und zutiefst beeindruckt, bis ganz zuletzt.

Nun habe ich soviel geschrieben und noch immer mag sich für den Leser keine Vorstellung von dem Film ergeben. Im Prinzip sagt die Überschrift alles, was zu diesem Film kurz und knapp zu sagen wäre und irgendwie ist es ja auch gut, wenn man nicht so viel Konkretes sagen kann, weil das Konkrete, das Faktische, oft das ist, das wenig zum Ausdruck und Eindruck beiträgt und die wirklichen Botschaften und Momente eines Films liegen meist ganz in sich selbst; dennoch ein letzter zusammenfassender Versuch:

Lost & Delirious ist kein heiterer Film, kein leichter Film und obwohl es ein paar wunderbar einzigartige, lebensnahe Szenen gibt, ist der Film doch im Ganzen eher leise und ebenso sparsam in seinen Nebengeschichten und seiner Eigenkommentierung. Im Zentrum steht eine Liebesgeschichte und die Ambivalenz des Versprechens, auf das wir alle ein Anrecht zu haben glauben: das die Liebe nicht aufhört und alle Grenzen überwindet. Die Geschichte, dieses Versprechen – sie sind beide schön und schlimm zugleich. Und am Ende verschmelzen sie zu etwas, das auch ein sehr, sehr gelungenes Beispiel für das Thema Toleranz ist, ein Thema, vor dem wir uns alle nicht verschließen können und sollten. Das ist vielleicht nicht die wichtigste, aber eindringlichste Botschaft dieses Films. “Denn da ist kein Glück, wo einer meinte, er wüsste wie es für alle aussieht.” Willa Cather

Link zum Film: http://www.amazon.de/Lost-Delirious-Piper-Perabo-Jessica/dp/B000069ATW/ref=cm_cr_pr_pb_t

*Diese Rezension ist bereits teilweise auf Amazon.de erschienen

Von der Kunst sich durchzumogeln… oder: Das Leben trifft dich auch gerade dann, wenn du ihm ausweichen willst…


Es gibt noch Filme die zu Herzen gehen und nicht einfach durch sie hindurch. So Filme, die leise anklopfen, zaghaft, statt einfach mit den üblichen Begrüßungsworten einzutreten; Filme wie Garden State oder My Summer of Love, Filme, die die Magie des Lebens selbst einzufangen versuchen.

Heute wird immer behauptet (oder: angenommen), ein bewegender/anspruchsvoller Film müsse Abgründe zeigen, einen in Abgründe führen. Doch viele Filme versinken in diesen Abgründen und viele wenden sich nach einem allzu vorsichtigen Blick oder Straucheln wieder davon ab.

Die Kunst einen Film aber authentisch zu machen (gerade einen über Jugendliche, erste Liebe und Erwachsenwerden) liegt, denke ich, vor allem darin, den Balanceakt zu wagen zwischen Hoffnung und Verlangen, zwischen Verzweiflung und Resignation, den diese Zeit ausmacht – und ein Gefühl dominieren zu lassen, das wir Sehnsucht nennen. Ein Wort, das tief in unserem Innern nach der Jugend seine Bedeutung verlieren kann, vielleicht aus Furcht, der Begriff dieses Gefühls könnte ab dann nicht mehr mit den “verklärenden” Emotionen übereinstimmen und überhaupt sie im Erwachsensein Sehnsucht kein Element mehr, allerhöchstens ein Hindernis.

Von der Kunst, sich durchzumogeln ist ein Film über die erste Liebe, aber es ist auch ein Film über die Schwierigkeit, sich als Erwachsener zu fühlen. Zum Jungsein, sagt man oft, gehört töricht sein, gehört die Sorglosigkeit. Doch was ist diese Sorglosigkeit: Ablenkung oder Lebenssinn/-aspekt? Ist das Glas der Jugend halbvoll oder halbleer.

George, – grandios gespielt von Freddie Highmore – Schüler im letzten Highschooljahr, trauert seiner verlorenen Kindheit hinterher und gleichzeitig sieht er keine Perspektiven für eine Zukunft. Sein Leben scheint ihm eine Einbahnstraße zu sein, über die schon tausende Generationen von Menschen gefahren sind, die die Bahn befahrbar gemacht und doch zugleich abgenutzt haben; das Leben, eine Strecke, so schnell und leicht zu bereisen und doch so trostlos. (Zitat, mit dem der Film beginnt.” Seit Beginn der Geschichtsschreibung erblickten rund 110 Mrd Menschen das Licht dieser Welt. Und nicht ein einziger hat überlebt.)

Die Tiefe, die fehlt, kann man natürlich nicht mit Hausaufgaben füllen und deswegen sollte man sie auch nicht machen. Lieber kritzelt George unentwegt in seine Zeichenbücher seine kleinen Grotesken; seines Talents ist er sich durchaus bewusst, aber er ist der festen Meinung, dass seine Zeit und vor allem er selbst nichts mehr zu sagen haben.

Dann tritt Sally in sein Leben, ein recht unbeschwertes und unverplantes Mädchen, das nicht auf den Kopf gefallen ist, aber doch sehr lebensfroh. Schnell entwickelt sich zwischen ihnen eine Art von Freundschaft, sie sitzen am gleichen Tisch in der Schulcaféteria, sie führt ihn bei Freunden und Partys ein. Die gegenseitige, unschuldige Sympathie spitzt sich bald auf die Frage zu, die Sally eines Tages plötzlich am Restauranttisch stellt: “Hast du schon mal dran gedacht, mit mir? Willst du mit mir schlafen?”

Dieser Film hat mich auf einer gleichsam traurigen und bereichernden Ebene berührt und ich glaube, dass seine mit vielen authentischen Szenen und Darstellungen gestaltete Idee das Potenzial hat jeden Menschen in seinen Bann zu ziehen. Die größte Kunst, die ein Film meistern kann, ist ein Loch in die Pappschachtel des Lebens zu schneiden und uns hineinsehen zu lassen: in vergangene Epochen, ins Innenleben von Menschen, in bestimmten Situationen und in einzelne Episoden des Lebens an sich, wie bei diesem Film der Fall – vielerlei kann einem dieser Einblick näher bringen, in diesem Fall auch die Einsicht, dass wir alle etwas zu sagen haben, spätestens, wenn wir das erste Mal verliebt sind. Und das Filme immer noch die Möglichkeit haben, unser Wissen über unsere eigenen Gefühle, auch nachträglich, zu erweitern.

Wie ein anderer Rezensent ganz richtig sagte: Ein Geniestreich, ein leiser, starker. Und ein anderer sagte: Es gibt sie noch, die guten Indipendent-Filme! Ja – und das hier ist einer davon, auf eine klare, unverblümte Weise, ohne dabei aus reiner Provokation über die Maßen anzuecken.

Link zum Film: http://www.amazon.de/Kunst-sich-durchzumogeln-Freddie-Highmore/dp/B0066IJAMO/ref=cm_rdp_product

*Diese Rezension ist bereits teilweise auf Amazon.de erschienen.