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Zum Film “The red pill”


The red pill Nur selten geschieht es in Zeiten, die ihren Fokus und ihre Dynamiken so sehr auf Extreme verlagert haben wie unsere – zusätzlich forciert von Faktoren wie Sensation und Unterhaltung –, dass man eine wirklich differenzierte Studie zu sehen/zu lesen bekommt. Kontroversen sind heute meist ein Euphemismus für den Austausch von Beleidigungen; im besten Fall sind es Gefechte, in denen die Fronten so klar gezogen sind, dass man sich auch klar positionieren muss, ansonsten nimmt man nicht teil. Kontroversen, die Weltsichten tatsächlich infrage stellen und nicht dazu führen, sie zu verhärten, gibt es kaum noch; Kontroversen, die Erschütterungen sind, Anregungen; die Gebiete sind, in denen man sich nicht sofort positionieren kann oder sich in vielen Positionen wiederfindet.

Der Film der amerikanischen Filmemacherin Cassie Jaye enthält genügend Stoff für eine solche produktive Form der Kontroverse.

Worum geht es in „The red pill“?
Die zuvor vor allem in feministischen Kreisen tätige Filmregisseurin Jaye stößt im Zuge einer Recherche auf die Website von men‘s-right-Aktivist*innen. Fasziniert von dieser, ihrem feministischen Weltbild scheinbar diametral gegenüberstehenden Bewegung, will sich ein genaueres Bild machen: wie ticken diese Menschen, die davon überzeugt sind, dass Männerrechte nicht genug gewürdigt werden. Sie besucht einige Aktivist*innen, führt Gespräche mit ihnen, hört sich an, was sie bewegt und wie sie dazu kamen, Männerrechtsbewegungen zu gründen – und dokumentiert alles mit der Kamera, schneidet zusätzlich Live-Berichterstattungen, Bilder, Atmosphärisches mit ein. Sie besucht auch Feminist*innen, Genderaktivist*innen und -forscher*innen und hört sich ihre Meinungen zu den Motivationen und Aussagen der Männerrechtsbewegung an. Bald beginnt sie zwischen all den Motivationen und Kritikpunkten die Orientierung zu verlieren – und stellt sich selbst ungewohnte Fragen: inwiefern kann Feminismus als Ideologie gesehen werden? Was lässt man außen vor, wenn man die Männerrechtsbewegung und ihre Themen ignoriert? Zwischen diesen Fragen und ihren eigenen Überzeugungen werfen sich Grauzonen auf …

Direkt vorweg: man darf sich die Aktivist*innen der men‘s-right-Bewegungen nicht wie Al Bundys „No Ma’am“-Männer-Haufen, eine Gruppe Stammtisch-Misogyniker oder eine Horde Machotypen, Verherrlicher von männlichen Tugenden vorstellen. Sie proklamieren (in der Mehrzahl) nicht, dass Männer ihre Männlichkeit wiederfinden/darauf stolz sein sollen oder etwas in der Richtung, noch sind sie eine schlichte Kontrabewegung, deren Ziel die Aufweichung von feministischen Aussagen und Ideen ist. Es sind Aktivist*innen, denen es darum geht, die andere Seite sichtbar zu machen. Es sind Menschen aus allen Gesellschaftsschichten, die sich in Feldern bewegen, in denen Männerrechte nach wie vor vernachlässigt werden und die, von ihrer Warte aus, mit einer Gesellschaft ringen, in der zu wenig Räume für eine differenzierte Betrachtung von Männern als Opfer, als Leidtragende, als des Mitgefühls für wert erachtete Individuen existieren.

Mir ist bewusst, dass das alles erstmal empörend klingt. Warum beschweren sich diese Menschen – von denen man weiß (oder annimmt?), dass sie auf Grund ihres Geschlechts zu den Privilegierten zu zählen sind – über irgendetwas, das sie betrifft, während sie sich für die Rechte von Menschen einsetzen könnten, die über Jahrhunderte unterdrückt wurden und nicht die Rechte und Privilegien besaßen, die Männer aufgrund ihres Geschlechts seit jeher hatten (teilweise wohlgemerkt nur, wenn sie in die richtigen Verhältnisse hineingeboren wurden)? Im Großen und Ganzen ist diese Empörung natürlich berechtigt. Aber wie sieht es auf der Mikroebene aus? Wie, wenn man den Blick auf einen bestimmten Aspekt wirft?

Männer, die dasselbe Verbrechen begangen haben, bekommen bis zu 60% längere Gefängnisstrafen als Frauen (in den vereinigten Staaten, in Europa gibt es keine Studien zu dem Thema, zumindest habe ich keine gefunden). In Sachen Vaterschaftsrecht und Mutterschaftsrecht gibt es gravierende Diskrepanzen (was, wiederum, teilweise auf patriarchale Denkweisen zurückzuführen ist). Männer verrichten nach wie vor einen Großteil der schweren Arbeiten und 97% der Arbeitstodesfälle in den Vereinigten Staaten entfallen auf Männer (in der EU entfallen 66% der nichttödlichen Arbeitsunfälle auf Männer) (auch hier ist natürlich die hohe Zahl teilweise auf die männliche Vormachtstellung in diesen Berufen zurückzuführen; aber würde sich, wenn sich das ändern würde, wirklich eine große Anzahl Frauen dazu entscheiden in Bergwerken zu arbeiten, auf dem Bau oder auf Ölplattform? Zurecht haben die feministischen Bewegungen früh für einen Zugang zu höherer Bildung, höheren Posten in Unternehmen und gleiche Gehälter gekämpft, eine Forderung, der man sich nur anschließen kann und die unbestritten umgesetzt werden muss. Aber wie steht es mit der Beteiligung an den gefährlichen Arbeiten? Gehören sie gewürdigt, gehört auch hier die Gleichberechtigung, zugunsten der Männer, umgesetzt?)

Ich glaube nicht, dass diese Themen in irgendeiner Weise mehr oder dringendere Beschäftigung verdienen als andere. Sie sind nicht komplett aus der Luft gegriffen, das ist alles. Und ich glaube, dass es wichtig ist, auf sie einzugehen, denn wenn wir über neue Formen von reflektierter Männlichkeit diskutieren und ihnen den Weg bereiten wollen, dann werden diese Aspekte eine Rolle spielen. Wenn Männer als Opfer nicht wahrgenommen werden, wenn ihnen dieser Status kategorisch abgesprochen wird oder als zweitrangig gewertet wird, dann wird das den Prozess eines solchen Diskurses, eines Neudenkens hemmen. Ich will gar nicht leugnen, dass es trotzdem schwerfällt, den Gedanken der Unverhältnismäßigkeit im Hinblick auf diese Vergleiche und Forderungen, auf die ganze Idee von Männerrechtsbewegungen, auszublenden. Ich glaube, er sollte auch nicht ausgeblendet werden, denn er ist berechtigt; aber er berechtigt nicht dazu, diese Bewegungen wiederum als unberechtigt oder nicht erwähnenswert zu betrachten.

Viele werden jetzt sagen: da hab ich eh nichts dagegen und der Feminismus hat sicher auch nichts dagegen. Das stimmt. Es gibt Überschneidungspunkte zwischen den Männerrechtsbewegungen und den Frauenrechtsbewegungen – beide wollen Gleichberechtigung und haben natürlicherweise jeweils jene Themen, bei denen dies für ihre Seite noch nicht erreicht ist, mehr auf dem Zettel als jene, bei denen sie in der privilegierten Position sind. Wer das Privileg innehat, kann sich leisten zu leugnen, dass es ein solches gibt, um Carolin Emcke zu paraphrasieren. Der Film zeigt auf, wo die blinden Flecken in einer ansonsten richtigen Denkweise liegen könnten; diese Flecken, einmal entdeckt, entstellen die Denkweise nicht; aber sie entstellen sie möglicherweise, wenn man sie nicht entdeckt.

Ja, der Film spielt in Amerika und ist auf europäische Verhältnisse nur bedingt anwendbar; überhaupt ist er vermutlich gar nicht auf irgendwelche Verhältnisse anwendbar. Er stürzt keine gesellschaftlichen Paradigmen, bringt keine revolutionäre Ideen an den Mann/die Frau, auch wenn manche Redner*innen dies implizieren. Aber er verschafft eine breitere Perspektive, beleuchtet Ränder, erweitert ohne Frage das Spektrum.

Letztlich war ich am Ende, nach viel Widerstand und viel Unbehagen, noch mehr von meiner feministischen Perspektive überzeugt – aber ebenso davon, dass sie modifiziert gehört. 90% der Morde in der Welt werden von Männern begangen – es gibt ganz klar einen engeren Zusammenhang zwischen tödlicher Gewalt und dem männlichen Geschlecht. 1 von 3 Frauen erfährt in intimen Beziehungen regelmäßig Gewalt, man(n) kann es nicht oft genug sagen. Aber ich hätte vor diesem Film nicht gewusst, dass 1 von 4 Männern ebenfalls in intimen Beziehungen Gewalt erfährt. Gewalt ist kein rein männliches Phänomen und sollte nicht als ein solches bezeichnet und besetzt werden, auch wenn seine offensichtlichsten Auswüchse meist männlich geprägt sind und zu dieser Sicht verleiten (diese Auswüchse sollen auch nicht kaschiert werden). Und ja, es gibt viele Männer in Machtposition, die ihre Macht zu Unterdrückung von Frauen missbrauchen; trotzdem berechtigt das nicht zu allgemeinen Aussagen über Männer, was Macht und Gewalt angeht. Eine männliche Geste, die einem missfällt, sollte, auch wenn wir uns in patriarchalen Strukturen befinden, nicht automatisch als Machtgeste gedeutet werden. Wir alle sind Ausdruck der Strukturen, in denen wir uns bewegen – aber genauso Ausdruck unser selbst. Diese Unterscheidung zu vergessen oder gar aufzuheben wäre fatal.

„The red pill“ ist von einigen Stellen als Propaganda-Film bezeichnet und ihm ist vieles vorgeworfen worden, einiges davon zu Unrecht (und wohl ohne die genaue Kenntnis des Inhalts), so wie manches, das in Teilen durchaus greift (bspw. ist ein Teil des Einstiegs durchaus heftig und sehr problematisch und viel zu lang, bis fast zum Schluss, bleibt der Hintergrund unaufgelöst). Es liegt mir auch fern, die darin geäußerten Meinungen allesamt als gut zu bezeichnen oder ihnen zuzustimmen (es gibt auch hier Meinungen, die einfach an jeglichem vernünftigen Diskurs vorbeigehen, Argumente, die einfach nicht ins Gewicht fallen, Themen wie rape-culture, die zwar angeschnitten, aber nicht integriert werden). Aber in der Art wie dieser Film Menschen unterschiedlichster Hintergründe und Motivationen zu Wort kommen lässt und sich nicht auf die polemischen, sondern die produktiven Aussagen und Ideen konzentriert und sie verfolgt, in seiner Art, die Dinge und Stimmen einfach zu zeigen, leistet er etwas, das ich schon lange nicht mehr erlebt habe: er diktiert keine Sicht, er wirft die Zuschauer*innen ultimativ auf sich selbst zurück. Und zwingt sie dazu, sich mit den eigenen Ansichten – die vielleicht teilweise im Gehirn nur noch reproduziert, aber nicht mehr mit Umsicht zusammengesetzt werden – auseinanderzusetzen. Diese Auseinandersetzung mag letztlich wiederum dazu führen, dass man viele der im Film geäußerten Meinungen als verfehlt betrachtet, Positionen findet und definieren kann, von denen aus sie angreifbar sind. Aber die Auseinandersetzungen mit den eigenen Überzeugungen schaden nie – und dazu lädt dieser Film auf vielschichtige Weise ein. Und allein deshalb ist er sehenswert. Weil er hadert, weil er sich vielem aussetzt. Wie schrieb eine kanadische Autorin unlängst: „Wir müssen aufhören, Kunstwerke nur danach zu bewerten, ob man ihnen zustimmen kann oder nicht. Wenn es je einen Holzweg gab, dann ist es dieser. Die Frage ist nicht, wie wir sie bewerten, was also wir mit ihnen machen. Sondern wie sie auf uns wirken.“

Zu “Ich und Earl und das (sterbende) Mädchen”


Ich und Earl und das Mädchen Jesse Andrews Jugend-/Krebsbuch kommt in einer netten, farbenfrohen Verpackung, der Name (im Englischen heißt das Buch “Me and Earl and the dying girl”, im Deutschen wurde das “sterbende” aus dem Titel des Films und der dazugehörigen Buchversion entfernt) und der Klappentext versprechen scheinbar mainstreamig-anrührendes (und doch bestimmt coming-of-age-Herzkammerflimmern!) und es gibt sogar einen Film. Diese Aspekte könnten viele Leser*innen dazu verleiten, ein anrührendes und lebensbejahendes, emotionales und tiefgründiges Buch zu erwarten. Ein Buch mit nahegehender Botschaft, mit atemloser und eindringlicher Kraft, der dünnen Haut der Jugend.

Doch gleich zu Beginn schlägt das Buch einen ganz anderen Weg ein (ob deswegen die Wirkung eine komplett andere ist, dazu später mehr). Der erste Satz (“Ich habe keine Ahnung wie ich dieses bescheuerte Buch schreiben soll”) ist schon in vielen Rezensionen zitiert worden und er kann durchaus als Ansage verstanden werden. Viele Rezensionen unterstellen ihm zusätzlich, dass er eine vorweggenommene Entschuldigung sein soll. Diesen Strick kann man drehen. Ich glaube aber, dass er die Lesenden vorbereiten und sie nicht vertrösten oder den Autor gegen Angriffe abschirmen soll. Das Buch sagt direkt: ich bin nicht so, wie du vielleicht erwartest. Denn die Dinge sind eigentlich nie so, wie man sie erwartet, wie sie kommen sollen, auch wenn Hollywood das Glauben macht.

Der Protagonist Greg ist siebzehn, sein bester Freund heißt Earl und gemeinsam machen sie Filme, inspiriert u.a. von Werner Herzog und Jean-Luc Godard, ambitioniert, aber letztendlich sind es minimalistisch-dilettantische Home-Videos, was die beiden bei aller Begeisterung auch wissen.
Gregs Familie ist ein Ausbund an Schrullen und Gewöhnlichkeiten (ein übliches coming-of-age-Rezept). An der Highschool fährt Greg eine eigene Taktik: er stellt sich mit allen gut, aber mit niemandem zu gut, was sich tatsächlich als clevere Variante erweist, diesen Hort der Cliquen und Ressentiments unbeschadet zu überstehen. So lebt er wenig besonderes, geradezu unspezifisches, auf wenige Dinge fixiertes Leben, bis dann seine Mutter eine völlig fremde Katastrophe in sein Leben trägt: die Krebskrankheit seiner Kindheitsfreundin Rachel…

Über Krebs bei Kindern/Jugendlichen gibt es schon viele Bücher & Filme. Ich behaupte dennoch, dass dieses Buch auf besondere Art und Weise damit umgeht. Von Anfang an schildert das Buch keine Geschichte von Liebe (wie John Greens “The fault in our stars”) oder die Geschichte eines Kampfes gegen die Krankheit. Überhaupt muss man sich am Ende die Frage stellen, was für eine Geschichte man da überhaupt gelesen hat, denn weder steht Rachel besonders im Mittelpunkt, noch steht es Gregs Entwicklung, noch Earls problematische Familiensituation, etc. – eine Unentschlossenheit beherrscht das Buch und seine Figuren, die natürlich frustrierend sein kann und wer mit dem etwas unorgansierten Erzählverlauf, der die Gewichtung der Themen immer wieder verschiebt, nicht klarkommt, den wird das Buch vermutlich eher aufregen als berühren.

Mich hat das Buch jedoch berührt. Vermutlich weil es nie vorgibt etwas anderes zu sein als die Geschichte eines durchschnittlichen Jungen, ohne Verlagerung auf Highschool-Kitsch, protzige Love-und-Sex-Aufputschungen, ohne Erhebung/Heldwerdung des Protagonisten, ohne fight gegen das Schicksal. Greg und Earl gewinnen (ebenso wie Rachel) schnell menschliche Dimensionen, gerade weil sie unspektakulär sind und ihre Geschichte an der Oberfläche unspektakulär verläuft. Berührend und im gewissen Sinne spektakulär werden dadurch nicht die Aufmachung, nicht der große Bogen, sondern die kleinen Momente, die erst richtig zur Geltung kommen und aus dem kleinen Raum der plötzlichen Erkenntnisse, der peinlichen Ereignisse, der scheinbar unausweichlichen Gewohnheiten entspringen.

“Ich und Earl und das (sterbende) Mädchen” ist nicht immer ein Lesevergnügen. Es hat seine Albernheiten, seine annoying Eigenheiten, stilistisch wie konzeptuell, und es wirkt irgendwie unfertig. Aber genauso ist das Leben, sind unsere Gefühle, unsere Vorstellungen oft, zumindest mit siebzehn: unfertig, fragil. Dieses Unfertige würde ich in diesem Fall nicht als Fehler, sondern als feature bezeichnen. Wir kommen nun mal oft nicht über das hinaus, was wir sind, das ist eine traurige, aber oft zu beobachtende Tatsache. Aber wir versuchen es und es ist der Verdienst von Andrews Buch, dass es, bei all seinen Mängeln, genau dieses Versuchen so gut darstellt. Nicht immer ist es das Widrigste, was wir überwinden müssen, es ist sogar selten das Widrigste. Meist ist es schlicht die Gewohnheit oder unsere eigene Komfortzone, unsere liebgewonnene Vermeidungstaktik, das gepflegte Nichteinmischen/-einsehen, etc.

Zu “Träume von Babylon”, einer Detektiv- und Träumerfarce von Richard Brautigan


Träume von Babylon
Eigentlich läuft alles gut für C. Card – zumindest wenn er in seiner Fantasiewelt abdriftet, nach Babylon, wo er berühmt ist, General oder Bandleader und natürlich stets ein Frauenheld; leider versäumt er dank Babylon oft die richtigen Haltestellen und andere Dinge. Abseits von Babylon läuft eigentlich nichts wirklich gut. Card ist überall verschuldet: bei Geschäften, bei Freunden (sogar bei seiner Mutter hat er horrende Schulden) und ist trotzdem mit seiner Miete im Rückstand. Auch mit Klienten ist seit fast einem Jahr Essig; keine Spesen, keine Sekretärin, kein Büro, selbst Kugeln für die Waffe kann er sich nicht mehr leisten. Gerade jetzt braucht er aber welche, wo es wieder bergauf gehen könnte – ein Klient hat Interesse an seinen Diensten. Und Card, der dank seiner Babylon-Aussetzer eine Polizei- und eine Baseballkarriere in den Sand gesetzt hat, hofft auf einen Zipfel von besseren Zeiten. Doch was soll er überhaupt für den mysteriösen Klienten tun …

Brautigans wie immer nah an der banalen Einlage gebaute und gleichsam mit eigenwilliger Tragik und Komik gewürzte Farce ist mitnichten ein Detektivroman, vielmehr ein gekonntes, mitunter elegant-albernes Spiel mit Gangster-, Detektiv-, Antiheld-, Screwball- und Slapstikelementen, die wie Motive auftreten, sich aber letztlich als Masken entpuppen, als unterhaltsame Auftritte und Tricks. Denn der Roman führt wie vieles, was Brautigam schrieb, nirgendwohin – was die existenziell-krude Misere seiner skurrilen Charaktere nur noch verdeutlicht. Die Absurdität ihres Daseins und ihre eigene Schrulligkeit wirken zunächst wie glatte Comedy, aber letztlich sind es anschauliche Geschichten über die Ratlosigkeit, die Unsicherheit und Fragwürdigkeit des Lebens und Strebens.

Das Leben könnte so einfach sein: was zu essen, was zu reden, jemanden zum vögeln und die ausgebreitete Welt mit all ihren Wundern und Möglichkeiten vor dem Fenster. Aber Beziehungen sind brüchig, Geld regiert die Welt und jeder Mensch spielt sein eigenes Spiel, in dem anderen Regeln gelten.

Träume von Babylon macht Spaß; besonders die Schnoddrigkeit und die Genre-Anspielungen. Brautigans unauffällige, beiläufige Poesie macht Spaß. Aber es bleibt dabei: es ist eine Farce, eine schöne, einzigartige, aber eine Farce, die man wegliest, freudig und frei. Tiefer sinkt nur die verhaltene Tragik, die in dem Protagonisten und seinen Träumereien von Babylon steckt.

Zu der George Lucas Biographie von Brian Jay Jones


Das war 1975. Und niemand, auch nicht Lucas, war klar, dass er mit den Sequel- und Merchandising-Rechten gerade eine Milliarden-Dollar-Klausel ausgehandelt hatte.

Das war am Anfang. Also nicht ganz am Anfang. Ganz am Anfang steht in jeder Biografie die Geburt, das Aufwachsen, die Begegnung mit den Faszinationen, die später, tranformiert, das Werk prägen werden.
Es ist eine schwierige Gratwanderung, eine George Lucas-Biographie zu schreiben. Denn sein Name ist so sehr Synonym für Star Wars (oder vielleicht Indiana Jones oder meinetwegen auch visionäre Sound- und Animationstechnik), dass ein Biograph einerseits Gefahr laufen könnte, zu viel Gewicht auf die Geschichte dieser Werke zu verwenden, in Ausmaßen, die mit Lucas Leben und Schaffen nicht mehr direkt etwas zu tun haben oder es überschatten und andererseits besteht das Risiko, dass eine George Lucas-Biographie die Fans enttäuscht, wenn sie den mit seinem Namen fest verknüpften Werken zu wenig Platz einräumt.

Bedenkt man diese Voraussetzungen, so erkennt man schnell, dass Brian Jay Jones eine gute Balance geglückt ist: Das Buch ist eine Biographie der Persönlichkeit von Lucas und keine Biographie von Krieg der Sterne oder einem anderen Projekt. Auch wer ein Buch sucht, in dem das Verhältnis zwischen Lucas und der Inspiration zu seinen Filmen komplexer beleuchtet wird, wird hier nur bedingt fündig werden (und ich würde ihn oder sie eher an “Star Wars, Magie und Mythos” oder direkt an eine von Lucas Inspirationsquellen “Der Heros in tausend Gestalten” verweisen).
Zwar nennt Jones gewissenhaft die frühen und späten Inspirationsquellen und gibt immer wieder Abrisse über Hintergründe, Lektüren, frühere Stadien, aber derlei wird eher kurz am Wegrand aufgetürmt und selten vertieft.

Überhaupt legt Jones Biographie zumeist ein straffes Tempo vor, schafft es so allerdings, das Hin und Her von Lucas jahrzehntelangem Kampf für ein eigenes, unabhängiges Studiogelände, seine Vision von Kino, die Perfektionierung seiner Werke zu verkörpern. Auf diesem Wege gelingt dem Buch auch das Einfangen von Lucas zurückhaltendem, teilweise sehr eigenbrötlerischem Charakter.
Etwas überstrapaziert wird die Einbindung von Wortmeldungen von Weggefährt*innen, Freund*innen und sonstigen Beteiligten (über das ganze Buch verteilt gibt es über 1500 Quellenhinweiszeichen, die zu einem umfangreichen Register gehören und fast alle auf wörtliche Aussagen in Interviews, Dokumenten, Biographien, etc. verweisen). Natürlich ist das Zusammentragen einer so umfangreichen Meinungssammlung verdienstvoll und in den vielen Zitaten spiegelt sich das Bild von George Lucas in all der Vielschichtigkeit wieder, die eine Biographie bei einem Menschen herausarbeiten sollte. An einigen Stellen ist die Redundanzdichte aber wirklich zu hoch.

Der Biographie geht es auch weniger um Lucas Faszination, mehr um die enormen Widerstände, technischen Hindernisse, zwischenmenschlichen Probleme und Schwächen, die in Lucas Person und Werkgeschichte eine zentrale Rolle spielen; sie werden geradezu minuziös ausgebreitet. Mitunter hat man das Gefühl, Jones hat an sich selbst den Anspruch gestellt, eine dezidiert kritische Arbeit vorzulegen. Auch wenn er Lucas Verdienste und Erfolge betont und illuminiert, lässt er keine Gelegenheit aus, um auf Niederlagen, Fehler oder die Schrulligkeit des Portraitierten einzugehen.

Das ist vielleicht auch der Tatsache geschuldet, das Lucas, obwohl er der Schöpfer von Star Wars und Indiana Jones ist, kein wirklich aufregendes Leben hatte und die Dramatik aus dem geschaffen werden muss, was da ist. In relativem Wohlstand geboren und nie vor wirklich existenzbedrohende Entscheidungen gestellt (auch wenn er manchmal enorme Risiken einging, von sich aus), nie auf der Suche nach allzu großen Abenteuern, ist Lucas Leben die Geschichte eines mutigen, aber doch nicht tollkühnen, Visionärs, der durch Glück und Hartnäckigkeit zum Schaffer einiger popkulturell sehr bedeutsamer Ideen und Figuren wurde.

Alles in allem ist die Biographie ein schöner Schmöker. Ich hatte mir schon erhofft, gerade im letzten Kapitel ein wenig über Lucas Treatments für die neueren Filme zu erfahren (auf die Disney ja dann nicht zurückgriff) oder über seine Einstellung zum EU und dem Star Wars Franchise. Doch gerade in den letzten Kapiteln geht es vor allem um die Skywalker-Ranch und die Formalitäten beim Verkauf an Disney und Lucas neuste Projekte, seine derzeitige Lebenssituation.

Doch, und das ist schon wichtig zu betonen: Jones ist hier ein sehr authentisches Porträt gelungen – was man schon daran sieht, dass es eben nicht in jedem Moment vor Spannung sprüht. Gewissenhaft geht er vor, im richtigen Moment mit Witz, Anekdoten oder Differenzierungen punktend. Alles in allem also: der geballte George Lucas, unverstellt, ein ungeschönter Gesamteindruck.

Eine verpasste Chance, aber ein guter Film: Star Wars Episode VII


Ich kann mich immer noch nicht so ganz damit abfinden, dass Disney sie alle zu Legenden erklärt hat: Kyle Katarn, Grand Admiral Thrawn, Mara Jade, Wedge Antilles (in sehr stark erweitertem Gewand), Jaina und Jacen Solo, Ysanne Isard undundund. Als großer Fan der erweiterten Star Wars Buch- und Comicwelt hätte ich mir sehr gewünscht, dass einige dieser Figuren in die neue Star Wars Trilogie Einzug halten und zumindest einige herausragende Plots oder Entwicklungen für eine Anleihe in Erwägung gezogen werden (letzteres ist in sehr kleinen Teilen geschehen, vielleicht ja sogar noch ein bisschen mehr, wir werden sehen, remember they’re comming soon: Episode VIII & IX).

Aber, es sollte anders kommen: Disney wollte zurück zu den Anfängen und alles auf Anfang setzen. Gleichzeitig fanden bei dem neuen Film aber Elemente wie Nostalgie, Schemata und Selbstironie fast schon im Übermaß Verwendung.
Es war klar, dass vielen Leuten nicht gefallen konnte, nicht zuletzt George Lucas, der dem “Retrofilm” quasi seinen Segen entzog. Zu wenig Innovation oder zu viel Innovation (zu viel Unvertrautes/Unlogisches), beides Dinge, die man dem Film vorwerfen kann und vorgeworfen hat.
Es gibt ja auch schwer zu entkräftende Mängel, die auch noch aus einer Ecke kommen, in der ich mich selbst zu Hause fühle, nämlich der Ecke eben jener Leute, die all die verpassten Chancen sehen, die einem dieser Film geradezu ins Gesicht reibt, an jeder Stelle, wo man sich denkt: man!!!!! da hättet ihr es doch so machen können! Und das ist ja wohl sowas von glatt, unlogisch, schlampig, bequem – man!!!

Ich bin ein großer Fan der Originaltrilogie und habe mittlerweile Episode IV schon an die 9-10x gesehen. Was immer wieder aufkommt, wenn ich den Film anderen Leuten, die ihn noch nicht kennen (ja, solche Leute gibt es!), vorführe, ist eine tiefe Unbehaglichkeit, sobald mich Leute auf Lücken in der Handlung, auf die Dialoge, die Accessoires, den Pathos und viele andere Kleinigkeiten hinweisen. Früher dachte ich mir: ich will das nicht hören! Aber jetzt bin ich mittlerweile an einem Punkt angelangt, an dem ich freudig bemerkt habe: es macht mir nichts aus, es bleibt ein geiler, großartiger Film, egal was daran bekrittelt wird.

Womit das zusammenhängen mag, mögen andere darlegen; vielleicht gibt es dafür eine Erklärung, aber auch die würde mich, genauso wie die Logiklöcher in Star Wars IV, V und VI, nicht sonderlich interessieren. Ich bin ein großer Fan des Gefühls, das Star Wars transportiert, das Epische, das es andeutet und anfüllt, teilweise märchenhaft, dann wieder menschlich und wie unkontrolliert dazwischen hin und her pendelnd. Diese Filme haben ihre Macken – aber es sind keine Fehler, es sind Features. Und eingedenk dieser Tradition, kann ich auch nur den neuen Star Wars Film beurteilen, wie ich seine Vorgänger beurteilt habe: mit den Augen für das Furiose, Magische, Fetzig-Heroische, Komische und teilweise leicht mit Absurdität gewürzte und dann wieder bewegende. Space Opera halt.

Damit will ich nicht negieren, was es an diesem Film alles auszusetzen gibt. Darunter fallen für mich (hier wird es etwas SPOILERIG!):

– Kylo Ren. Ich habe diesen Charakter zwar auch schon verteidigt und bin der Meinung, wir sollten abwarten, was wir noch über seine Hintergrundgeschichte erfahren, aber wirklich überzeugt hat er mich nicht. Disney wollte wohl eine “etwas andere” Sith-Figur konstruieren – glaubhaft sind Motivation und Charakterbild bisher aber nicht vermittelt worden, es bleibt ein diffuses Zerrbild, in dem alle Anspielungen, sowie seine Handlung und Aussagen, hängenbleiben und sich nicht ganz fügen.
– Lichtschwertkämpfe. Sind realistischer geworden, weniger wie eine Choreographie, was eine nicht zu verachtende Idee ist. Dennoch wird hier viel Star Wars Feeling verschenkt.
– Anführer Snoke. Find ich ehrlich gesagt ziemlich schlimm, fast schon eine Witzfigur. Hoffentlich kommt da noch was, um das zu ändern.
– Hux. Nicht ganz so schlimm wie Snoke, aber nah dran. Kein Wunder, bei dem Namen. Wo sind Bösewichte, die das Bekämpfen lohnen? Wie ein anderer Rezensent schon anmerkte: bei der ersten Ordnung geht es teilweise etwas zu sehr zu wie im Kindergarten. Aber abseits seiner Kabeleien mit Kylo finde ich, dass Hux mit seiner Manie durchaus eine Chance zum labilen Bösewicht hat. Seufz. Wir müssen uns wohl damit abfinden, dass die erste Ordnung nicht mehr so wunderbar abgründig, stoisch, bedrohlich und klinisch glatt ist, wie das Imperium und seine Anführer, sondern dem völlig unverständlichen Trend zum Opfer fällt, dem Diabolischen etwas Groteskes und Absurdes beizumischen, um weitere Komik zu erzeugen, was in Star Wars auf der dunklen Seite der Macht nur in kleinen Dosen funktionieren kann, behaupte ich jetzt mal.
– Einige Fragen sitzen einem wirklich auf der Leber: Was ist aus Leas Machtanlagen geworden? Wieso hat die Republik nie etwas gegen die erste Ordnung unternommen? Woher zum Teufel kommt der oberste Anführer?
Bisher ist das Auslassen dieser Fragen nur verschenktes Potential, aber es könnte, wenn es ignoriert und nicht mehr angesprochen wird, zu einem Makel werden, der ewig einen Schatten auf die Verbindung zwischen Episode VI und VII wirft, sie quasi negiert und damit die Gesamtheit der Star Wars Filme zersplittert, was sehr schade wäre, denn wenn Disney eine Aufgabe hat, die sie erfüllen müssen, dann ist es diese!!

Gegen andere Sachen kann man sich sträuben, muss man aber nicht und sie sind nicht wirklich unlogisch (siehe dazu auch die beiden Links am Ende des Textes), sondern lediglich sehr schwer zu verdauen oder eben: Space Opera. Dass der Millennium-Falcon aus dem Hyperraum durch einen Planetenschild springt ist natürlich kaum zu glauben, selbst wenn man es exakt berechnen würde. Aber hier sollte man das tun, was Filme doch so wichtig und gut macht: Sich zurückfallen lassen und es genießen. Die Wirklichkeit schreibt uns oft genug vor, was unmöglich ist und es gibt sehr viele unmöglich-unlogische Dinge, die nicht halb so ergötzlich sind wie Han Solos “aber es würde dir nicht gefallen”. Hier hat J.J. Abrams sich halt mal eben schnell über alle Logik hinweggesetzt und war innovativ. Und war George Lucas das nicht auch als er die Lichtschwerter erfand, obgleich wahrscheinlich viel gegen ihre Machbarkeit spricht? Zugegeben, Lichtschwerter sind eine weitaus größere, genialere Erfindung. Aber dennoch.
Und in Sachen Todesstern (SPOILER!): Ehrlich gesagt ist es ziemlich glaubwürdig, dass Nachfolger des Imperiums noch mal einen Todesstern bauen. Was denn sonst? Sie wollen nach wie vor die Galaxis beherrschen. Und außerdem hat es sich doch bewährt, hat immerhin die Republik vernichtet, scheint also keine so dumme Idee gewesen zu sein. Und gut geschützt war dieser Todesstern auch. Lediglich Hans und Chewies Idee konnte von innen ein Loch in die Verteidigung brechen. Von innen! Ist bis dato bei keinem Todesstern so gewesen.

Vieles an dem Film hat mir sehr gefallen, hat mich mitgerissen, ich bin beglückt aus dem Kino gekommen und das kommt nicht mehr so häufig vor. Eine lose Liste von tollen Dingen.

– Klare Nummer 1! Harrisson Ford. Ja, es ist halt nur noch einmal so und blablabla. Hier bin ich einmal unverständnisvoll und muss allen sagen, die finden, dass er schlecht spielt: wenn euch seine pure Spiellaune, mit einem guten, realistischen Ansatz an Alter, nicht umgehauen hat, dann weiß ich nicht, welchen Film ihr gesehen habt.
– Die neuen Charaktere. Da ist noch Luft nach oben, aber sie gefallen auch mir sehr gut. Ein bisschen zu einförmig noch an manchen Stellen, aber das waren Han Solo (raubeiniger, angebender Kerl), Luke Skywalker (Bauerntölpel, der ganz gut Raumschiffe fliegen kann) und Prinzessin Lea (schnippische Amazone mit Anführer-Qualitäten) ja auch, bevor Episode V und schließlich Episode VI ihren Charakter brachen und noch mal neu beleuchteten. Potential ist da.
– Dialoge. Lange nicht mehr so bei einem Film dabei gewesen, um keine Zeile zu verpassen. Nicht immer alles Gold, aber alles glänzt und die Dynamik und das Tempo, die damit einhergehen, das ist wirklich noch mal Star Wars Episode IV!
– Feeling. Es ist da! Star Wars Feeling!
– BB8. Ein cooler, neuer Droide. Dafür ausnahmsweise sogar mal: danke Disney!
– Spannung. Ich verstehe nicht, wie man den Film nicht spannen finden kann. Es ist zwar einiges Retro dran, ohne Frage und dass es mit der Starkillerbasis gut ausgeht wussten wir wohl alle. Aber dennoch nimmt dieser Film ein paar mehr Wendungen als Episode IV und streut hier und da einige Innovationen ein, sodass man verunsichert ist, ob denn wirklich alles glatt gehen wird. Und es gibt so viele Fragen die aufgeworfen werden, dass man sich doch die ganze Zeit fragt, welche noch beantwortet werden und welche nicht!!
– Lose Enden. So viel auf das man gespannt sein darf. Ich brenne darauf, mehr über Ray und Luke und die Republik, ja sogar über die erste Ordnung, Kylo Ren und Snoke zu erfahren. Und noch viel mehr.

Ja, es ist nicht der Film, der es hätte werden sollen. Der liegt irgendwo im Land der platonischen Ideen und vor ihm verblassen alle möglichen Filme zu mageren Abbildungen, Absonderungen. Ich verstehe den Frust. Und das Vermissen. Was ich nicht verstehe, sind die teilweise harschen Urteile. Urteilen ist so leicht. Legitim, aber doch sehr leicht. Und Star Wars war schon immer leicht zu verurteilen, als nerdig und was sonst noch alles. Aber es bleibt, was es immer war, auch, man mag es kaum glauben, in der Disney-Ära: großes Kino!

 

Links:

https://www.facebook.com/notes/matty-granger/at-long-lastmy-star-wars-episode-vii-review-the-force-awakens-the-rise-of-idiot-

/10153163095086277http://www.starwarsringtheory.com/

Kurz zu Dashiell Hammetts Action-Roman “Rote Ernte”


Man könnte es kurz und knapp sagen: Dieser Roman ist kein Roman und auch kein wirklicher Krimi (aber voller bestechender Wendungen). Es ist eine schnoddrig-blutige Ein-Mann-Show, ein Actionfilm als Buch, in dem jeder Spruch sitzt, ein Haufen Klischees geschrammt und mit Vollgas abgehängt werden, Moral und Ambivalenz Luxusfragen sind und das Verlangen nach Tiefgang eine dumme Antwort auf beide, die am Ziel vorbeigeht. Soweit die Kurzfassung, nach der jeder Leser wahrscheinlich schon entscheiden kann, ob er es mit dem Buch probieren will oder nicht.

Dashiell Hammetts Buch hatte einige populäre Verehrer: André Gide (Tagebuch: “mit an Bewunderung grenzender Verblüffung Rote Ernte gelesen” und an anderer Stelle: “seine Dialoge könnten Hemingway als Vorbild dienen”), Somerset Maugham (der in Hammett einen großen Vertreter eines bodenlosen, aber spektakulären, unterhaltsamen Zynismus sah) und William Faulkner, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Sicher: Hammetts rasant-verwegene Inszenierung würde weder heute noch in Zukunft je einen Preis für irgendeine Form von ästhetischer Größe gewinnen. Doch sollte ihr im Gegenzug auch nicht zu schnell Belanglosigkeit vorgeworfen werden oder auch nur Lust an der Brutalität. Es liegt eine ganz spezielle Raffinesse und auch Stilsicherheit in diesem Buch; beides zusammen generiert so viel Tempo und Spannung, dass ein Spin, ein Drive entsteht, der der Leser in dieselbe Unsicherheit wirft, die auch alle Vorkommnisse der Handlung umgibt – man weiß verdammt noch mal nicht, was als nächstes passieren wird und trotzdem kommt es frontal auf einen zu.

Diese potenzierte Spannung wird noch verschärft durch die wirklich hervorragenden Wendungen, die Hammett dem Buch verpasst. Ein ums andere Mal werden wir hinters Licht geführt und schwanken auf der ohnehin undurchsichtigen Bühne der Handlungen im Glauben an dies oder jenes hin und her, bis uns Hammett die logische Wahrheit vor den Latz knallt. Der Knall geht fast sofort wieder unter in der nächsten plötzlichen Entwicklung.

Ich halte auch diese Art der Erzählkunst, die ich in rote Ernte hautnah erleben durfte, für eine gelungene Form literarische Ausdrucks, literarischer Unterhaltung, literarischer Wirkung. Sie ist nicht hochgeistig, dafür aber in vollen Zügen als Fiktion zu genießen, zumindest wenn man nichts gegen Schießeisen, Gangster, Film Noir Stil, hollywoodgegerbte Klischees und jede Menge Zynismus hat.

Ein leichthändiges Märchen, ein wunderbarer Film: “Grand Budapest Hotel”


Dynamisch und doch erzählerisch-bedächtig – virtuos & bunt und doch wieder schlicht – eigensinnig, aber nie abstrakt. Wes Andersons Filme sind schon allein deswegen jedes Mal ein Erlebnis, weil ihre Art sich nicht ganz erklären oder in Worte fassen lässt. Egal um welch Materie er seine leichtfüßig-tiefgehenden Erzählungen spinnt, immer haftet dem Stoff die Aura des Absonderlichen, des Kuriosen an, aber auf so sanfte und kunstvolle Weise, dass die Erfahrung der Kuriosität auf eine besondere Ebene gehoben wird – eine menschliche Ebene, die Anderson jedem Ambiente, jeder Geschichte entlockt – ohne darauf verzichten zu müssen, seine Zuschauer durch vielerlei Formen von Witz, Wendung und mit einer Vielzahl von Figuren zu unterhalten.

Wenn man zum ersten Mal einen Wes Anderson sieht, sollte man sich bewusst machen, dass die leichte Apathie und Irritation, die in jeder Szene seiner Filme auftauchen kann, ein Stilmittel ist, dass seine Filme begleitet wie eine stilistische Kadenz. Natürlich kann man diese Tatsache als störend empfinden – ebenso wie den Umstand, dass seiner Handlungsführung stets eine schwer zu bändigende Fabulierfreude innewohnt, die zwar nie ausufert, aber auch nie Ruhe gibt. Wer aber gerade diese freie und unbändige Form mag, wer Filme als Orte zwischen Fiktion und Wirklichkeit, voller Möglichkeiten, Ideen und Charakteren, erleben will, die Leinwandwelt als eine den Gesetzen der Realität leicht entzogene Chance zur Schönheit sehen kann, als Möglichkeit über die Wahrheit, die Liebe und viele andere Dingen mit einem gewissen Anstrich von Phantasie zu erzählen, die diese Entitäten nicht verschleiert, sondern sie im Gegenteil manchmal noch besser einzufangen versteht, der wird sich in diesem und wohl auch in jedem anderen Wes Anderson Film sehr wohl fühlen.

“Grand Budapest Hotel” ist in gewissem Sinne ein Krimi, aber auch eine Hommage an die goldenen Jahre Europas, vor und zwischen den Weltkriegen; ein Märchengebäude, gebaut aus lauter echten Kultur- und Historienbruchstücken, Accessoires und Atmosphären. Es ist ein Kino der Optik wie auch der Erzählfreude, unopulent, trotzdem mit einer großen Detailfreude und -fülle, einer Zelebrierung, in der Ernst und Spaß sehr, sehr nah beieinander liegen. Während vordergründig allerhand Charaktere in den Todesfall einer alten Grande Dame verwickelt werden, herrscht in den einzelnen Szenen und Kapiteln jeweils die ein oder andere Idee vor – die ganze Zeit schwebt eine leichte Parodie über allem, nicht maßgeblich und auch nicht die eigentliche Absicht – sie ist nur ein Stilmittel, ein Funke, der die Dynamik des Ganzen in Schwung hält.

Wer meine Meinung nicht teilt, dem mag es albern erscheinen, aber ich finde das wesentliche Element in Andersons Filmen ist (neben der Vergeblichkeit, die Anderson nie auswalzt, nie vertieft, sie nur erscheinen lässt, als schlichtester Zusatz des Daseins) die Schönheit. Die Schönheit die Liebe, die Schönheit der Kindheit, die Schönheit der Exzentrik, die Schönheit der Angst oder, im Fall von Grand Budapest Hotel, die Schönheit der Epoche, der Kultur von damals. Damit will ich nicht sagen, dass Andersons Filme Wohlfühlfilme sind, zuckersüß oder irgendwas in der Art. Denn wenn ich von Schönheit spreche meine ich damit nicht eine der Ausprägungen von Schönheit wie Rührung, Zärtlichkeit, Glanz, Epos oder Künstlichkeit, Anspruch und Glamour. Es wird nichts herausgestellt – es ist einfach die Schönheit der Sache selbst, mit all ihren Fehlern und Farben, ihrem Wesen. Eine Schönheit, die in ihrem Widerschein eine Spur von Wahrhaftigkeit besitzt.

Deswegen sind Andersons Filme, wenn man sie mag, auch immer wieder eine Art vollendetes Erlebnis. Es bleibt kein Zwiespalt zurück. Nicht, weil seine Filme übergroß sind oder er als Regisseur unfehlbar. Aber die schlichte Ehrlichkeit, die unverfängliche Eigenheit, der unaufdringliche Witz, all das, was seine Erzählungen ausmacht, bietet sich dem Zuschauer immer an, als Welt, als Geschichte, stellt aber nie Anforderungen, weder durch große Special-Effects, noch durch reißerische Dilemmas, aufgezwungenes “Vor den Kopf stoßen” oder den erhobenen Zeigefinger. Seine Filme wühlen einen nicht auf – sie sind wie ein gutes, wunderbar geschriebenes Buch: sie bieten einem die Möglichkeit einer einzigartigen Geschichte, in jeder Zeile, mit vielen Auftritten und vielen Feinheiten. Nicht mehr und nicht weniger.

Nachtrag: Das der Film von tollen Schauspielern nur so übersprudelt, dürfte wohl bekannt sein. Am Anfang (und auch noch später) kann man immer wieder, auch noch bei der kleinsten Rolle, in ein bekanntes Gesicht blicken – an die 15-20 große bis kleine Hollywoodstars treten auf, manchmal nur für wenige Sekunden. Hervorheben muss man Ralph Fiennes, der die Hauptrolle so gut spielt, jede Szene wie aus dem Ärmel schüttelt, in keinem Moment zuviel und nie zu wenig in die Rolle legt und den unvergesslichen Charakter ausfüllt wie es wohl sonst keiner gekonnt hätte. Man freut sich einfach, dass diese Rolle und dieser Schauspieler zusammengefunden haben!