Tag Archives: Filme

Zu “Königinnen” von Daniela Sannwald/Christina Tilmann


Königinnen Daniela Sannwalds und Christian Tilmanns Buch ist vor allem ein Buch über den Mythos, der sich um die zehn in diesem Buch behandelten Herrscherinnen gebildet hat. Keiner der Texte ist eine stringente Biographie, es sind stets Auslotungen der Präsenz, der Gestalt, die die Frauen im kulturellen Gedächtnis hinterlassen haben, gespiegelt in den Adaptionen ihrer (vermeintlichen) Lebensläufe und -motive (vor allem durch den Film), nebst Spekulationen zu Liebe und Charakter.

Wer also Kurz-Biographien erwartet, der wird enttäuscht werden. Interessant wird es für diejenigen, die sich gerne mit der Macht der Populärkultur auseinandersetzen wollen und wie sie von Personen der Macht angezogen wird, sie einspinnt und permanent neu erfindend, bis von der Wahrheit nur noch Versatzstücke übrig sind. Das Buch zeigt – wie gesagt: vor allem anhand von Verfilmungen – wie die Leben der Königinnen mal so mal so ausgelegt werden und wie unterschiedliche die Gewichtungen sind. Das ist vor allem spannend, weil es sich meist um mächtige Frauen handelt; eine Kombination, die anscheinend die Inszenierung herausfordert und wenig Raum für Ambivalenzen lässt (man denke an die Sissi-Filme).

In Verfilmungen werden Frauencharaktere oft in Rollenbilder hineingezwängt, sie müssen oft einen bestimmten Archetyp bedienen; oftmals sind es längst überlebte wie die gefallen Frau, die keusche Frau, die lüsterne Frau, die missgünstige Frau, etc.
Ich hätte mir gewünscht, dass die Autorinnen des Buches ein bisschen diese übergreifenden Tendenzen miteinbringen. Ansonsten ist das Buch aber zu empfehlen, als Reflexionsgrundlage und nicht zuletzt als Film- und Serientippsammlung.

Zu “Cinemaps” von Andrew DeGraff und A. D. Jameson


Cinemaps„Dieses Buch und seine Bilder sind eine Hommage an all die talentierten Menschen hinter den Kulissen meiner Lieblingsfilme. Bevor ich wusste, was ich einmal werden würde, wusste ich, dass ich so sein wollte wie sie.“
(Aus dem Vorwort)

Andrew DeGraff zeichnet schon seit einigen Jahren großartige Illustrationen und Landkarten für verschiedene Magazine und mit verschiedenen Stilen – es lohnt sich, einmal seine Arbeiten online zu begutachten.

Und es lohnt sich auch, dieses Buch anzuschaffen. Hier hat DeGraff eine spezielle Sparte seiner Kunst (und seiner Leidenschaft) in den Fokus gerückt: Cinemaps. Das sind Landkarten, auf denen alle Orte aus einem Film (oder einer Film-Trilogie) aufgezeichnet sind, verknüpft und verbunden durch Linien, die die Bewegungen der einzelnen Protagonist*innen (jeweils einer Farbe zugeordnet) darstellen. (Einige Regisseure, u.a. J. J. Abrams, haben bereits Drucke von Karten zu ihren eigenen Filmen gekauft.)

Für dieses Buch hat er fünfunddreißig Karten ausgewählt (aus etwa zweihundert; u.a. mit dabei sind Star Wars, Herr der Ringe, aber auch Filme wie Metropolis, Rushmore von Wes Anderson, Guardians of the Galaxy und Der unsichtbare Dritte von Alfred Hitchcock) und außerdem den Essayisten A. D. Jameson gebeten, zu jedem der Filme eine kurzen Text zu schreiben.

Diese Essays sind ein großer Gewinn, denn Jameson gelingt es, einem die Kunstfertigkeit der Filme vor Augen zu führen, wie sie gearbeitet sind, und gleichzeitig ihre Schönheit und ihren besonderen Zauber zu unterstreichen (auch der Übersetzer Berni Mayer hat hier allem Anschein nach sehr gute Arbeit geleistet); sie sind halb deskriptiv, halb hymnisch. Zusammen mit dem sympathischen Vorwort von DeGraff bieten sie ein wunderbares Geleit zu den großartigen Karten, die vom Zeichner auch in einigen Details erläutert werden.

Es ist eines dieser Liebhaber*innenbücher, etwas für Geeks und Nerds, für Freund*innen des Kunstdrucks und der Cineastic; einziger Wermutstropfen ist der Superlativ im Titel, der wirklich nicht hätte sein müssen. Es sind tolle Filme, aber nicht die 35 besten, das behaupten nicht mal die Autoren. Abgesehen davon kann ich nur sagen: es lohnt sich. Es ist ein Buch, das man immer wieder aus dem Regal ziehen wird, weil man diese Filme auch immer wieder sehen wird. Alle weitere Überzeugungsarbeit überlasse ich dem Autor:

„Mittlerweile könnten Sie zu der Meinung gelangt sein, dass ich ein ziemlich nostalgischer Typ bin, und ich möchte Ihnen da gar nicht widersprechen. Vielleicht ist dieses ganze Unterfangen auch einfach der eigennützige Versuch, die wunderbaren Erfahrungen meiner Kindheit noch einmal zu erleben. Betrachten Sie es als eine Art Einladung. Oder, ohne die Metapher überstrapazieren zu wollen: eine Eintrittskarte für unsere kollektiven Kindheitserinnerungen, egal, welcher Altersgruppe wir angehören. […] Es ist ein popkulturelles Familienalbum. Also nehmen Sie Platz, und erinnern Sie sich – nicht nur an die fiktiven Welten der Filme, sondern auch an Ihre ganz reale Welt, als Sie sie zum ersten Mal sahen. Den klebrigen Fußboden im Kino, den fleckigen Wohnzimmerteppich, den alten Fernsehsessel mit der Tagesdecke. […] Ich hoffe, dass diese Karten und Essays es ermöglichen, zu diesen Momenten zurückzukehren. Und dass sie unsere Liebe zu jenen Filmen vielleicht noch vertiefen, indem sie uns vor Augen führen, warum sie so gut sind.“
(Aus dem Vorwort)

Star Wars Cinemaps

Zu “Ich und Earl und das (sterbende) Mädchen”


Ich und Earl und das Mädchen Jesse Andrews Jugend-/Krebsbuch kommt in einer netten, farbenfrohen Verpackung, der Name (im Englischen heißt das Buch “Me and Earl and the dying girl”, im Deutschen wurde das “sterbende” aus dem Titel des Films und der dazugehörigen Buchversion entfernt) und der Klappentext versprechen scheinbar mainstreamig-anrührendes (und doch bestimmt coming-of-age-Herzkammerflimmern!) und es gibt sogar einen Film. Diese Aspekte könnten viele Leser*innen dazu verleiten, ein anrührendes und lebensbejahendes, emotionales und tiefgründiges Buch zu erwarten. Ein Buch mit nahegehender Botschaft, mit atemloser und eindringlicher Kraft, der dünnen Haut der Jugend.

Doch gleich zu Beginn schlägt das Buch einen ganz anderen Weg ein (ob deswegen die Wirkung eine komplett andere ist, dazu später mehr). Der erste Satz (“Ich habe keine Ahnung wie ich dieses bescheuerte Buch schreiben soll”) ist schon in vielen Rezensionen zitiert worden und er kann durchaus als Ansage verstanden werden. Viele Rezensionen unterstellen ihm zusätzlich, dass er eine vorweggenommene Entschuldigung sein soll. Diesen Strick kann man drehen. Ich glaube aber, dass er die Lesenden vorbereiten und sie nicht vertrösten oder den Autor gegen Angriffe abschirmen soll. Das Buch sagt direkt: ich bin nicht so, wie du vielleicht erwartest. Denn die Dinge sind eigentlich nie so, wie man sie erwartet, wie sie kommen sollen, auch wenn Hollywood das Glauben macht.

Der Protagonist Greg ist siebzehn, sein bester Freund heißt Earl und gemeinsam machen sie Filme, inspiriert u.a. von Werner Herzog und Jean-Luc Godard, ambitioniert, aber letztendlich sind es minimalistisch-dilettantische Home-Videos, was die beiden bei aller Begeisterung auch wissen.
Gregs Familie ist ein Ausbund an Schrullen und Gewöhnlichkeiten (ein übliches coming-of-age-Rezept). An der Highschool fährt Greg eine eigene Taktik: er stellt sich mit allen gut, aber mit niemandem zu gut, was sich tatsächlich als clevere Variante erweist, diesen Hort der Cliquen und Ressentiments unbeschadet zu überstehen. So lebt er wenig besonderes, geradezu unspezifisches, auf wenige Dinge fixiertes Leben, bis dann seine Mutter eine völlig fremde Katastrophe in sein Leben trägt: die Krebskrankheit seiner Kindheitsfreundin Rachel…

Über Krebs bei Kindern/Jugendlichen gibt es schon viele Bücher & Filme. Ich behaupte dennoch, dass dieses Buch auf besondere Art und Weise damit umgeht. Von Anfang an schildert das Buch keine Geschichte von Liebe (wie John Greens “The fault in our stars”) oder die Geschichte eines Kampfes gegen die Krankheit. Überhaupt muss man sich am Ende die Frage stellen, was für eine Geschichte man da überhaupt gelesen hat, denn weder steht Rachel besonders im Mittelpunkt, noch steht es Gregs Entwicklung, noch Earls problematische Familiensituation, etc. – eine Unentschlossenheit beherrscht das Buch und seine Figuren, die natürlich frustrierend sein kann und wer mit dem etwas unorgansierten Erzählverlauf, der die Gewichtung der Themen immer wieder verschiebt, nicht klarkommt, den wird das Buch vermutlich eher aufregen als berühren.

Mich hat das Buch jedoch berührt. Vermutlich weil es nie vorgibt etwas anderes zu sein als die Geschichte eines durchschnittlichen Jungen, ohne Verlagerung auf Highschool-Kitsch, protzige Love-und-Sex-Aufputschungen, ohne Erhebung/Heldwerdung des Protagonisten, ohne fight gegen das Schicksal. Greg und Earl gewinnen (ebenso wie Rachel) schnell menschliche Dimensionen, gerade weil sie unspektakulär sind und ihre Geschichte an der Oberfläche unspektakulär verläuft. Berührend und im gewissen Sinne spektakulär werden dadurch nicht die Aufmachung, nicht der große Bogen, sondern die kleinen Momente, die erst richtig zur Geltung kommen und aus dem kleinen Raum der plötzlichen Erkenntnisse, der peinlichen Ereignisse, der scheinbar unausweichlichen Gewohnheiten entspringen.

“Ich und Earl und das (sterbende) Mädchen” ist nicht immer ein Lesevergnügen. Es hat seine Albernheiten, seine annoying Eigenheiten, stilistisch wie konzeptuell, und es wirkt irgendwie unfertig. Aber genauso ist das Leben, sind unsere Gefühle, unsere Vorstellungen oft, zumindest mit siebzehn: unfertig, fragil. Dieses Unfertige würde ich in diesem Fall nicht als Fehler, sondern als feature bezeichnen. Wir kommen nun mal oft nicht über das hinaus, was wir sind, das ist eine traurige, aber oft zu beobachtende Tatsache. Aber wir versuchen es und es ist der Verdienst von Andrews Buch, dass es, bei all seinen Mängeln, genau dieses Versuchen so gut darstellt. Nicht immer ist es das Widrigste, was wir überwinden müssen, es ist sogar selten das Widrigste. Meist ist es schlicht die Gewohnheit oder unsere eigene Komfortzone, unsere liebgewonnene Vermeidungstaktik, das gepflegte Nichteinmischen/-einsehen, etc.

Zu der George Lucas Biographie von Brian Jay Jones


Das war 1975. Und niemand, auch nicht Lucas, war klar, dass er mit den Sequel- und Merchandising-Rechten gerade eine Milliarden-Dollar-Klausel ausgehandelt hatte.

Das war am Anfang. Also nicht ganz am Anfang. Ganz am Anfang steht in jeder Biografie die Geburt, das Aufwachsen, die Begegnung mit den Faszinationen, die später, tranformiert, das Werk prägen werden.
Es ist eine schwierige Gratwanderung, eine George Lucas-Biographie zu schreiben. Denn sein Name ist so sehr Synonym für Star Wars (oder vielleicht Indiana Jones oder meinetwegen auch visionäre Sound- und Animationstechnik), dass ein Biograph einerseits Gefahr laufen könnte, zu viel Gewicht auf die Geschichte dieser Werke zu verwenden, in Ausmaßen, die mit Lucas Leben und Schaffen nicht mehr direkt etwas zu tun haben oder es überschatten und andererseits besteht das Risiko, dass eine George Lucas-Biographie die Fans enttäuscht, wenn sie den mit seinem Namen fest verknüpften Werken zu wenig Platz einräumt.

Bedenkt man diese Voraussetzungen, so erkennt man schnell, dass Brian Jay Jones eine gute Balance geglückt ist: Das Buch ist eine Biographie der Persönlichkeit von Lucas und keine Biographie von Krieg der Sterne oder einem anderen Projekt. Auch wer ein Buch sucht, in dem das Verhältnis zwischen Lucas und der Inspiration zu seinen Filmen komplexer beleuchtet wird, wird hier nur bedingt fündig werden (und ich würde ihn oder sie eher an “Star Wars, Magie und Mythos” oder direkt an eine von Lucas Inspirationsquellen “Der Heros in tausend Gestalten” verweisen).
Zwar nennt Jones gewissenhaft die frühen und späten Inspirationsquellen und gibt immer wieder Abrisse über Hintergründe, Lektüren, frühere Stadien, aber derlei wird eher kurz am Wegrand aufgetürmt und selten vertieft.

Überhaupt legt Jones Biographie zumeist ein straffes Tempo vor, schafft es so allerdings, das Hin und Her von Lucas jahrzehntelangem Kampf für ein eigenes, unabhängiges Studiogelände, seine Vision von Kino, die Perfektionierung seiner Werke zu verkörpern. Auf diesem Wege gelingt dem Buch auch das Einfangen von Lucas zurückhaltendem, teilweise sehr eigenbrötlerischem Charakter.
Etwas überstrapaziert wird die Einbindung von Wortmeldungen von Weggefährt*innen, Freund*innen und sonstigen Beteiligten (über das ganze Buch verteilt gibt es über 1500 Quellenhinweiszeichen, die zu einem umfangreichen Register gehören und fast alle auf wörtliche Aussagen in Interviews, Dokumenten, Biographien, etc. verweisen). Natürlich ist das Zusammentragen einer so umfangreichen Meinungssammlung verdienstvoll und in den vielen Zitaten spiegelt sich das Bild von George Lucas in all der Vielschichtigkeit wieder, die eine Biographie bei einem Menschen herausarbeiten sollte. An einigen Stellen ist die Redundanzdichte aber wirklich zu hoch.

Der Biographie geht es auch weniger um Lucas Faszination, mehr um die enormen Widerstände, technischen Hindernisse, zwischenmenschlichen Probleme und Schwächen, die in Lucas Person und Werkgeschichte eine zentrale Rolle spielen; sie werden geradezu minuziös ausgebreitet. Mitunter hat man das Gefühl, Jones hat an sich selbst den Anspruch gestellt, eine dezidiert kritische Arbeit vorzulegen. Auch wenn er Lucas Verdienste und Erfolge betont und illuminiert, lässt er keine Gelegenheit aus, um auf Niederlagen, Fehler oder die Schrulligkeit des Portraitierten einzugehen.

Das ist vielleicht auch der Tatsache geschuldet, das Lucas, obwohl er der Schöpfer von Star Wars und Indiana Jones ist, kein wirklich aufregendes Leben hatte und die Dramatik aus dem geschaffen werden muss, was da ist. In relativem Wohlstand geboren und nie vor wirklich existenzbedrohende Entscheidungen gestellt (auch wenn er manchmal enorme Risiken einging, von sich aus), nie auf der Suche nach allzu großen Abenteuern, ist Lucas Leben die Geschichte eines mutigen, aber doch nicht tollkühnen, Visionärs, der durch Glück und Hartnäckigkeit zum Schaffer einiger popkulturell sehr bedeutsamer Ideen und Figuren wurde.

Alles in allem ist die Biographie ein schöner Schmöker. Ich hatte mir schon erhofft, gerade im letzten Kapitel ein wenig über Lucas Treatments für die neueren Filme zu erfahren (auf die Disney ja dann nicht zurückgriff) oder über seine Einstellung zum EU und dem Star Wars Franchise. Doch gerade in den letzten Kapiteln geht es vor allem um die Skywalker-Ranch und die Formalitäten beim Verkauf an Disney und Lucas neuste Projekte, seine derzeitige Lebenssituation.

Doch, und das ist schon wichtig zu betonen: Jones ist hier ein sehr authentisches Porträt gelungen – was man schon daran sieht, dass es eben nicht in jedem Moment vor Spannung sprüht. Gewissenhaft geht er vor, im richtigen Moment mit Witz, Anekdoten oder Differenzierungen punktend. Alles in allem also: der geballte George Lucas, unverstellt, ein ungeschönter Gesamteindruck.

Bittersweet Life… Die Depressionen in meinem Kopf… – Über den Film “Prozac Nation”


“Some people, they like to go out dancing
And other peoples, they have to work, Just watch me now!
And there’s even some evil mothers
Well they’re gonna tell you that everything is just dirt
Y’know that, women, never really faint
And that villains always blink their eyes, woo!
And that, y’know, children are the only ones who blush!
And that, life is just to die!
And, everyone who ever had a heart
They wouldn’t turn around and break it
And anyone who ever played a part
Oh wouldn’t turn around and hate it!”
Aus -Sweet Jane- von Lou Reed

Es gibt so Filme, die einen ganz speziell bewegen, weil sie einem die Möglichkeit geben, die eigene Vergangenheit aufzuarbeiten, Dinge zu verstehen und sich, vor allem, verstanden zu fühlen. So mancher Film geht ganz bewusst und bemüht in die Tiefe, versucht sie ganz bewusst visuell oder stimmungsmäßig zu erreichen und manch anderer Film IST auf seine Weise einfach tiefgehend, wenn jemand in der Geschichte seine eigene Tiefe findet. Für mich war Prozac Nation ein Film letzterer Art.

Im deutschen Fernsehen wird der Film ab und zu ausgestrahlt, dann allerdings unter dem Titel “Sex, Pillen und Lou Reed”. Der Kommentar dazu ist dann meistens, dass dieser Titel verwirrend sei und dem Film nicht gerecht werde. Nun, ich denke, dass beide Titel dem Film gleichermaßen gerecht und nicht gerecht werden.
“Prozac Nation – Mein Leben mit der Psychopille” stimmt in sofern, da dies der Titel des Buches ist (geschrieben von Elizabeth Wurtzel), das hier als Vorlage diente; aber er passt auch überhaupt nicht, denn der Inhalt wird damit in keinster Weise richtig angedeutet, da der Film die Geschichte der Krankheit und kaum den Teil der Heilung beschreibt.
“Sex, Pillen und Lou Reed” ist so gesehen der bessere Titel, da er den oberflächlichen Dunst der Geschichte beschreibt, in dem die Protagonistin sich selbst einkettet, aber er ist auch schlecht, weil er falsche Erwartungen weckt, dahingehend, wie der Film gesehen werden sollte.

Jeder kennt wohl das philosophische Problem der Absurdität des Lebens, welches wohl kein anderer Denker so treffend formuliert hat wie Albert Camus in seinem Essayband „Der Mythos des Sisyphos“ und welches er in seinen Romanen „Der Fremde“ und „Die Pest“ dargestellt hat. Dies Absurde, das entsteht wenn man im Leben nach Sinn und nach Antrieben sucht: manchen drückt diese Sinnlosigkeit nur ab und zu im Schuh – und manche drückt sie vehement in die Knie und sprengt ihnen den Kopf. Man kann das Depression nennen; oder auch einfach Angst.

Dieser Film beschäftigt sich mit dieser Angst, mit den Schwierigkeiten, die sich ergeben, wenn man seinen Stimmungen ausgeliefert ist – “Wieviel von unserem Glück hängt davon ab, das wir uns einfach glücklich fühlen” hat Tucholsky einmal geschrieben und in der Tat können nur wenige, die es nicht erlebt haben, die Komplexität der Situation nachvollziehen, gleichsam Leben zu wollen und doch außer diesem Willen gar nichts zu haben, was ihn unterstützt, weil alle Gefühle nur so dahinplätschern und sich in den Katakomben der Gedanken und Sehnsüchte verlieren. Also folgt man den haltlosesten Sehnsüchten, um irgendwas zu haben. “I hate it when people tell me to just be happy. So you think i chose to just be depressed?

“Wenn andere Leute sich schneiden, dann machen sie halt ein Pflaster drauf – ich blute weiter. […] Irgendwie muss man doch funktionieren.”
Lizzies Suche nach dem Absoluten im Schreiben, in der Liebe, der Poesie, der Musik – es ist eine Suche, die seit jeher die verschiedensten Menschen angetreten haben. Das Gefühl, dass da mehr in einem und in der Welt sein müsste, das alles immer auf einer Höhe bleiben müsst, der Höchsten – ist das ein Trugschluss, eine Sucht, eine Obsession; ohne Ziel oder Halt? Eine Sucht ist es auf jeden Fall, aber eine, die keine andere Droge kennt als die eigenen Gefühle und Vorstellungen.

Prozac Nation ist die Geschichte einer Frau, die talentiert ist, die wunderbar über Lou Reed und Bruce Springsteen schreiben kann (vor allem über Springsteen) nach Havard kommt und schon mit 19 für den Rolling Stone schreibt und die trotz all dem weder mit sich noch mit ihren Mitmenschen zufrieden ist. Sie verlangt viel von ihnen (- zu viel?). Sie verlangt viel vom Leben und von sich; sie will ein Genie sein – um jeden Preis?
Auf jeden Fall erleidet sie mit ihrem Leben Schiffbruch und betäubt den Schmerzüberschuss mit Obsessionen und radikalen Gefühlswallungen und versucht immer wieder sich mit ganzem Herz in etwas hineinzustürzen, dass sie erfüllen und heilen kann. Dank Christina Ricci ist diese Figur gleichzeitig zerrissen, lebendig und todkrank; eine beeindruckende schauspielerische Leistung. Und ein beeindruckender, gefühlsechter Film, ein Film wie ein Song von Lou Reed, der einem dunkel und hell im Ohr herumflüstert.

Link zum Film: http://www.amazon.de/Prozac-Nation-Mein-Leben-Psychopille/dp/B002ZE4C8K/ref=sr_1_1?s=dvd&ie=UTF8&qid=1378796513&sr=1-1&keywords=Prozac+Nation#

*Diese Rezension ist bereits teilweise auf Amazon.de erschienen.