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Zu “Von Zeit und Fluss” von Thomas Wolfe


Von Zeit und Fluss Zum ersten Mal stieß ich auf Thomas Wolfe in einer Anthologie mit Beiträgen zu hundert Jahren Rowohlt (erschienen 2008 ebendort, ein schönes Buch voller toller Anekdoten und Autor*innentipps); dort ging es vor allem um seine Deutschlandreise 1936, zu der jetzt bei Manesse auch eine Publikation erschienen ist.

Bei Rowohlt war zwischen den Weltkriegen das erste Werk von Wolfe auf Deutsch erschienen: „Schau heimwärts, Engel“, das ich mir in einer alten rororo-Ausgabe zulegte und bald darauf las. Beglückt, aber auch sehr erschöpft von Wolfes Stil, wagte ich mich damals nicht an sein opus magnum „Von Zeit und Fluss“.

Dann sah ich vor kurzem den Film „Genius“, in dem es um die Freundschaft zwischen Wolfe und seinem Verleger Maxwell Perkins geht (seines Zeichens auch „Entdecker“ von Scott Fitzgerald und Ernest Hemingway), u.a. auch um die gemeinsame Arbeit an diesem 1200 Seiten-Werk (das ursprünglich sogar noch viel länger war). Die im Film zitierten Passagen rissen mich derart mit, dass ich beschloss, das Buch schnellstmöglich zu lesen.

Dieser erste Impuls scheint mir nun, nach der Lektüre, Jahre zurückzuliegen. Es ist schwer es anders zu sagen: dies ist ein Buch, das man nicht liest, sondern mit dem man für die Dauer der Lektüre lebt. Wolfes Stil, ungezügelt und voller Adjektive, dabei aber nie zu detailverliebt oder verwässert, sondern immer wie ein kräftiger Pinselstrich auf einem riesigen Gemälde, überschwänglich und in einem Maße pathetisch, welches nur den wenigsten Autor*innen ohne den Anschein von Schemenhaftigkeit und Kitsch gelingt, er durchdringt einen vollkommen.

Worum geht es in Zeit und Fluss? Nun, wenn man es runterbrechen will: ums Fortgehen von zu Hause und doch darum, dass das Zuhause in einem verbleibt; dass, obgleich alle Flüsse beständig fließen, sie irgendwo münden und entspringen. Es gibt nur das Fließen, aber es gibt trotzdem Enden und Anfänge, ewige Kreisläufe. Das schildert Wolfe anhand seiner eigenen Biographie (in Romanform) und zeichnet wie nebenbei noch ein überbordendes Bild des Amerikas seiner Zeit, ein Amerika an einem Wendepunkt zwischen Land und Stadt, Mythos und Moderne.

In diesem Bild tummeln sich viele, viele mannigfaltige Figuren, alle von einem Lebenswillen durchdrungen, um den Wolfes Roman trotz aller sonstigen Feinheiten und Plots und Ideen immer kreist. Gefühle, Regungen, bei Wolfe sind sie riesige Gewichte auf den viel zu kleinen Waagen, die dem menschlichen Verständnis zur Verfügung stehen – und doch ist in ihnen eine eigene Wahrheit immer präsent.

Kurzum und um nicht auszuufern: Wolfes Buch ist, nochmals, ein Buch, das man nicht einfach liest, sondern mit dem man lebt, auf das man zurückblickt wie auf einen Lebensabschnitt, nicht wie auf eine Geschichte. Wer dergleichen erleben will, sollte es wagen, das Abenteuer mit „Von Zeit und Fluss“.

Zu William Boyd “Eines Menschen Herz”


Eines Menschen Herz Man sollte vorsichtig sein mit Superlativen, aber “Eines Menschen Herz” ist eines der fesselndsten Bücher, die ich je gelesen habe. Dabei bin ich gar kein großer Freund von dicken Wälzern. Aber ähnlich wie in den besten Büchern von John Irving ergibt sich auch in diesem Buch aus dem Mix von Spannung und allmählicher Vertrautheit mit den Figuren ein Sog, ein epischer Bogen, der einen nach einer Weile nicht mehr loslässt und einen letztlich mit den simpelsten Wendungen und Szenen direkt ins Herz treffen kann, weil das Schicksal der Erzählung daran festgewachsen ist.

Auch ich habe mich, wie wohl manche/r, am Anfang mit der Form schwer getan – das fiktive Tagebuch eines Schriftstellers, das klingt schon ziemlich plakativ. Und in manchen Momenten, in denen Boyd seinen Protagonisten mit großen Namen zusammentreffen lässt (Hemingway, Picasso, Herzog von Windsor, Pollock, etc.) ist das Buch auch nah dran, plakativ zu sein.

Aber gerade in diesen Momenten zeigt sich auch Boyds Klasse, den meist wirken das Zusammentreffen und die Umstände ganz natürlich und klugerweise verlagert Boyd nie das Zentrum des Geschehens auf die populären Namen und Ereignisse, sie geben lediglich Gastspiele in dem Leben, das ansonsten hauptsächlich im Umfeld der Freund*innen & Beziehungen stattfindet. Es liegt ein Funken echter Eleganz in der Art, wie Boyd seine Erzählung immer wieder neu strukturiert, justiert und doch bei aller Weltgewandtheit, immer wieder auf das Wesentliche des einzelnen Lebens zurückkommt.

Es gibt ein paar schwächere Episoden in dem Buch, aber keine dauert sehr lange. Mit seinem langen Atem gelingt es Boyd, einem wirklich Tür und Tor zur Seele seines Protagonisten zu öffnen, ein paar geschickte Unterbrechungen und Zwischenspiele, Takt- und Ortswechsel sorgen für die nötige Authentizität und auch für die nötige Dynamik. Am Ende war ich atemlos, bewegt, erschüttert und zu gleichen Teilen entsetzt und beglückt davon, wie ein Leben im Zeitraffer vorbeiziehen kann, wie es sich füllt und doch immer kleiner wird. Für diese Erfahrung in Buchform bin ich William Boyd sehr dankbar.