besprochen beim Signaturen-Magazin
Tag Archives: Flüchtlinge
Zu “Sechs Stücke” von Dea Loher
Seit beinahe zwanzig Jahren gilt Dea Loher (neben Felicia Zeller, Kerstin Specht, Nino Haratischwili, der Altmeisterin Elfriede Jelinek u.a.) als eine der wichtigsten Theaterautorinnen des deutschsprachigen Raums; 2017 bekam sie den hochdotierten Joseph-Breitbach-Preis.
Der Wallstein Verlag, bei dem die Romane und Erzählungen von Loher erscheinen, hat nun einen Sammelband mit ihren Stücken herausgebracht. Namentlich vereint dieser die Stücke „Adams Geist“, „Blaubart – Hoffnung der Frauen“, „Unschuld“, „Das Leben auf der Praca Roosevelt“, „Das letzte Feuer“ und „Diebe“. Nicht vertreten sind also die ganz frühen Stücke, die aber in einem Band beim Verlag der Autoren verfügbar sind („Olgas Raum / Tätowierung / Leviathan“) und die Aktuellsten, was ebenfalls verständlich ist.
Theaterstücke sind leider selten eine gern genommene Lektüre, was vielerlei Ursachen hat. Zum einen sicherlich die landläufige Meinung, der Text sei zum Aufführen und nicht zum Lesen geschrieben worden; auch die Erinnerungen aus der Schulzeit werden vielen im Weg stehen und sie daran hindern, freiwillig zu dieser Form von Literatur zu greifen.
Dabei haben Theatertexte oft so viel zu bieten. Die sprachliche Gewandtheit, Komplexität und Tiefe eines William Shakespeare erreicht kaum eine Lyrik, so amüsant und gleichsam hintersinnig wie Dürrenmatts Dramen sind wenige Gesellschaftsromane, beim Abklopfen des Zeitgeistes mit Sprache haben Jelineks Stücke dem Feuilleton oft einiges voraus. Um zu Dea Loher zu kommen: Ihre Stücke wiederum schildern das zerbrechliche Dasein in manchen Momenten besser als eine oscarreife Darbietung im Film.
Es ist ein bisschen schade, dass das Vorwort nicht darlegt, warum genau diese Stückauswahl getroffen wurde. Die Palette beeindruckt und besticht jedoch trotzdem. Loher arbeitet gut mit dem chorischen Aspekt der dramatischen Gattung, ihre Sprache ist dabei ungeheuer wandelbar, zerfasert im einen Moment und rafft im anderen. Behände betreibt sie immer wieder den Einbruch der Wirklichkeit in die Traumlandschaften des Theaters. Als Figuren hat sie gern Außenseiter*innen, geprellte und verhärmte Existenzen. Sie verleiht ihnen eine Stimme, hebt sie aber auch nicht auf ein zu hohes Podest, sondern hält sie dort, wo sie wirklich über sich und ihre Lage sprechen können. Die Konflikte und Schicksale ihrer Figuren wirken absehbar und doch wird ihre Schilderung zum eindrücklich-stimmigen Erlebnis. Impression und Expression verschmelzen in ihren Texten (wie in vielen guten Theatertext), fließen ineinander.
Man müsste jedes Stück einzeln unter die Lupe nehmen, um noch mehr zu sagen. Wer auf der Suche nach zeitgenössischen, teilweise gekonnt, aber nicht militant progressiven Theatertexten ist, der sollte einen Blick auf Dea Loher werfen.
Zu “Reibungsverluste” von Mascha Dabic
besprochen auf fixpoetry
Warum wir am Abgrund stehen – eine weitere Erwähnung zu Philipp Bloms Buch “Was auf dem Spiel steht”
Jeder sollte dieses Buch lesen! Mir ist bewusst, dass das ein sehr utopischer Satz ist, aber bei diesem Buch wird er nicht aufgrund von Begeisterung intoniert, sondern aus purer Verzweiflung. Hier steht geschrieben, knapp und doch prägnant, warum die westlichen Gesellschaften dabei sind, alles zu veräußern, was man ohne falschen Pathos als Errungenschaften der Menschheit bezeichnen kann: Toleranz, soziale Systeme, individuelle Freiheiten und nicht zuletzt unsere Lebensumgebung, unser Habitat, die Erde. Und das nur, um eine Machtbalance und ein marktwirtschaftliches System, einen Status Quo aufrechterhalten, der längst nicht mehr den realen Ressourcen unseres Planeten entspricht und der Nebenwirkungen und Folgen hat und haben wird, die so klar und unausweichlich vor uns stehen, dass es einem Akt der Psychose gleicht, sie noch zu leugnen.
Wir, die Bürger*innen der westlichen Gesellschaften, müssen anfangen uns unbequeme Fragen zu stellen und wir müssen die derzeitigen Ereignisse, die Finanz-, Flüchtlings- und Umweltkrisen, als eine einheitliche Entwicklung begreifen, die sich nicht auf ihre einzelnen Konfliktherde reduzieren lässt. Denn diese Konflikte sind ohne Ausnahme Symptome einer Krise des Systems, in dem wir seit Jahren leben, und das in nahezu jeder Faser ein System der Ausbeutung und der Zerstörung ist.
Das klingt hochgestochen und ich weiß selbst, aus eigener Erfahrung, wie leicht sich das alles derzeit noch ausblenden lässt; der Schein wird subtil gewahrt und wir werden durch Facetten vom Ganzen abgelenkt. Aber wir müssen anfangen uns zu fragen, wie wir leben wollen: für heute oder für morgen? An einem durch Werbung und andere Fassaden aufgezogenen Phantasma oder den realen Gegebenheiten orientiert? Sind die westlichen Gesellschaften bereit etwas abzugeben von dem Reichtum, den sie seit Generationen angehäuft haben? Sind wir bereit zu akzeptieren, dass die Taten der westlichen Kolonialmächte und der westlichen Konzerne in den Ländern Afrika und Südamerikas und Asiens eine derartig hohes Maß an Verbrechen begangen haben, dass wir ihre nur am Profit orientierten, hegemonialen Strukturen nicht mehr dulden können, ganz gleich wie bequem der Lebensstil ist, den sie ermöglichen? Oder entscheiden wir uns für das radikale Gegenteil, schotten uns ab – was eigentlich keine Option ist, denn unser Reichtum basiert auf der Ausbeutung der Regionen, von denen wir uns abschotten wollen.
Philipp Bloms Buch zeigt, wie nah wir am Abgrund stehen. Und es wird uns allesamt hinunterreißen; kein noch hoher Betrag auf dem Konto (imaginierte Werte zerbrechen stets an realen Gegebenheiten) und keine hohe Funktionärsstelle werden die Kollision abfedern, wenn unser System vor die Wand fährt.
Wir könnten eine Welt errichten, in der geteilt wird, was da ist. Sie wäre vielleicht nicht so reichhaltig wie unsere Supermarktregale uns jetzt weismachen wollen, nicht so globalisiert, nicht mit Produkt- und Konsumfülle gesegnet. Aber ist das nicht ein Preis, den wir bereit sein müssen zu zahlen, wenn dafür eine faire Behandlung aller möglich wird (wenn dergleichen auch nie ganz gelingen wird – es geht um die Schaffung von Möglichkeiten, das Beenden von offensichtlichen und strukturellen Diskrepanzen und nicht um Friede, Freude, Eierkuchen). Wer sich mit all dem auseinandersetzen will, der lese Philipp Bloms Buch „Was auf dem Spiel steht“. Eine längere, differenzierte Besprechung, die genau auf die einzelnen Abschnitte und Thesen eingeht, habe ich auch beim Onlinemagazin fixpoetry veröffentlicht.
Zu Durs Grünbeins Gedichtband “Zündkerzen”
besprochen beim Signaturen-Magazin.de.
Backlink (http://www.suhrkamp.de/buecher/zuendkerzen-durs_gruenbein_42753.html).
Zu Robert Prossers Roman “Phantome”
besprochen auf fixpoetry
Veröffentlichung und Interview
Ein neues Interview mit dem österr. Autoren Vladimir Vertlib: Link
Und eine neue Veröffentlichung in Silbende_Kunst 15