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Zu Julian Barnes “Der Lärm der Zeit”


lärm der zeit Julian Barnes beste Romane, zu denen auch “Der Lärm der Zeit” zählt, sind oft eigenwillige Kompositionen. Man merkt ihnen aber an, dass es Barnes dabei nicht um Formexperimente geht, sondern darum eine Geschichte genau auf die Art und Weise zu erzählen, die die wesentlichen Motive und Stimmungen, die hervorgehoben werden sollen, am besten trägt und für die Lesenden greifbar macht.

In “Der Lärm der Zeit” ist diese Form ein Gedankenstrom, ein Monolog, der einen sprunghaften, anknüpfenden und wabernden Erinnerungsprozesses simuliert. Der sich da erinnert, war einer der größten Komponisten des 20. Jahrhunderts: Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch. Von drei Zeitpunkten ausgehend, werden seine Lebens- und Gedankenwelten vor uns ausgebreitet, immer wieder von wiederkehrenden, variierten Motiven durchzogen, wie bei einem Musikstück.

Das erste Mal: 1936 – gerade ist Schostakowitsch beim Regime um Stalin in Ungnade gefallen und rechnet jeden Moment mit seiner Verhaftung, weshalb er mit gepackten Koffern beim Fahrstuhl auf die Beamten wartet, Nacht für Nacht. Es geht um seine erste Oper, die in der größten russischen Zeitung verhöhnt und als westlich-dekadent gebrandmarkt wurde. Er droht dem Wahn der Denunziation und den großen Säuberungen Stalins zum Opfer zu fallen
Das zweite Mal: 1948 – nach dem großen Krieg und seiner Etablierung in der UdSSR kehrt er gerade aus den USA von einer Friedenskonferenz zurück. Er ist wiederum teilweise in Ungnade gefallen, sein Name ist von der Partei und dem Regime nie gänzlich reingewaschen worden. Er fürchtet, dass alles wieder von vorne beginnt, weiß immer noch nicht, wie er sich gegen das Regime wehren soll.
Das dritte Kapitel erstreckt sich dann nicht wie die vorangegangen hauptsächlich rückwärts, sondern von 1960 bis zu seinem Tod.

In allen Kapiteln sind die gewählten Momente und die räumlichen Festlegungen (das erste Kapitel heißt “Auf der Treppe”, das zweite “Im Flugzeug”, das dritte “Im Auto”) nur Ausgangspunkte für die Rückschau auf die vor den Kapiteln liegenden Jahre und die Schilderungen der Verstrickungen und Auseinandersetzungen zwischen Schostakowitsch und dem jeweiligen sowjetischen Regime. Er will vor allem Musik machen, muss sich aber immer vor den jeweiligen Herrschenden verantworten, wird von ihnen gefordert, bedroht, gehätschelt oder getadelt. Ständig lebt er mit dem Rücken zum Abgrund.

Barnes Roman ist das meisterhafte Porträt eines Künstlers in den schwierigen Wassern des 20. Jahrhunderts. Mit Schostakowitsch hat er sich dabei einen Charakter, einen Menschen ausgesucht, der weder ein großer Dissident, noch Anhänger einer Ideologie oder Politik war. Er war auch kein klassischer Mitläufer und kein unbequemer Geist im eigenen Haus. Das Buch zeigt auf, wie die jeweilige politische Macht sein Leben bestimmt und wie er versucht, zumindest seine Liebsten, zumindest seine Integrität und am Ende zumindest seine Musik zu retten. Er wird nicht ermordet, nicht eingesperrt, nie wirklich angegangen. Aber Stück für Stück zermürbt das System auch ihn, begleitet ihn zumindest immer, egal wo er hingeht. Er, der als Mensch gern der Musik gehören würde, seinen eigenen Gefühlen, den Menschen, denen er sich anvertrauen, mit denen er zusammen sein will, gehört doch letztlich immer dem Staat, in dem er lebt.

Das Großartige an diesem Buch ist, dass es den Menschen Schostakowitsch nicht nur darstellt, nicht nur seine Biographie einfühlsam wiedergibt. Sondern dass es eines dieser Bücher ist, denen es gelingt, den Lärm der Zeit, die profanen Kräfte der Politik und des Weltgeschehens spürbar zu machen, aber währenddessen vor allem über das menschliche Wesen, das menschliche Glück, die menschliche Würde zu sprechen, davon Zeugnis abzulegen. Barnes Schostakowitsch ist keine historische Figur, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut und bleibt es von der ersten bis zur letzten Seite; er wird nicht als tragisches Beispiel inszeniert – Barnes verleiht seinem Leben wirklich eine Stimme, eine unverwechselbare. Diese große Leistung, die man leicht als etwas Selbstverständliches hinnehmen könnte, macht das Buch zu etwas Besonderem.

Zu “Aleppo literarisch”, herausgegeben von Mamoun Fansa


Aleppo literarisch “Aleppo blickt auf 5000 Jahre Kulturgeschichte zurück. Die Stadt zählt zu den ältesten durchgehend besiedelten Städten der Welt. […] Was davon in den vergangenen Jahren des Krieges zerstört wurde, wird uns immer wieder vor Augen geführt.
Die nicht minder tiefgreifende Zerstörung immaterieller Kultur bleibt dabei häufig ‘unsichtbar’. Diese möchte das kleine, aber umso liebevoller gemachte Buch in den Blickwinkel des Lesers rücken.”

Und dabei ist der Titelzusatz “literarisch” noch zu kurz gegriffen. Es geht nicht nur um Geschichten und Gedichte aus und über Aleppo, sondern auch um Musik, Sprichworte, Kinderspiele – um nur einige Beispiel zu nennen.

Von James Joyce ‚Ulysses‘ sagt man, dass die ganze Stadt Dublin, würde sie zerstört, mit seiner Hilfe wieder aufgebaut werden könnte. Nun schwebte Dublin die letzten Jahrhunderte nie in die Gefahr, zerstört zu werden (ironischer Weise tragen allerdings die EU-Übereinkommen für Migration den Namen dieser Stadt).

Ganz anders ist es klarerweise bei Aleppo. Und obgleich dieses Büchlein sicher nicht einen Großteil der immateriellen Seele von Aleppos Kultur fasst, ist doch allein schon der Versuch ein beeindruckendes Zeichen und das Buch eine gelungene Umsetzung dieses Zeichens.

Es kommen hauptsächlich Exilanten und Außenstehende zu Wort, allerdings sind sie alle vertraut mit der Geschichte und oft auch mit dem Angesicht Aleppos; die Texte sind in jeder Hinsicht Liebeserklärungen, Spezialitäten, keine wissenschaftlich-neutralen Beiträge, die nach Auftragsarbeit klingen. Der Band ist wunderbar bebildert, ein echter Schatz. Neben Gedichten, Streifzügen, gibt es auch Beiträge zur Geschichte Aleppos, die spannend sind.

Fazit: ein wunderbares Buch, um Aleppo ein klein wenig kennenzulernen.

Zu Julian Barnes Essays in “Am Fenster”


Am Fenster „Romane erzählen uns die reinste Wahrheit über das Leben: was es ist, wie wir es leben, wozu es da sein könnte, wie wir es genießen und was es uns wert ist, wie es misslingt und wie wir es verlieren. […] Was es bedeutet, ein Individuum zu sein, was es heißt, Teil einer Gesellschaft zu sein. Was es heißt, allein zu sein. […]
Wir sind, im tiefsten Inneren, erzählende Wesen und immer auf der Suche nach Antworten.“

Noch einer dieser Romanfetischisten? Nach der Lektüre des Vorwortes war ich fast schon geneigt, Julian Barnes Essays neben denen von Milan Kundera, Virigina Woolf und Mario Vargas Llosa einzureihen, deren unermüdliche Gedanken zum Wesen, der Schönheit und den Möglichkeiten des Romans gleich mehrere Bücher füllen – und es sind nicht die schlechtesten Essays, die dort versammelt sind. Doch Julian Barnes hat, wie sich im Verlauf der Lektüre von „Am Fenster“ zeigte, mehr zu bieten, als Loblieder und Eruierungen zum Roman; obgleich der Roman ein Genre ist, auf das er immer wieder zurückkommt.

Ich schätze Julian Barnes schon seit langem als Romancier – vor allem für „Eine Geschichte der Welt in 10 ½ Kapiteln“, ein Romankaleidoskop, das zwischen dem beschaulich-schönen (Wahn-)Witz eines Douglas Adams, dem enzyklopädischen Schimmer eines Jorge Luis Borges und dem Geschick eines arrivierten Prosa-Komponisten (wie Faulkner oder Kundera) hin und her pendelt und sich dabei selbst nie zu ernst nimmt (aber keineswegs nur Spaß versteht); ein Buch, das mit seinem Hauptmotiv, der Arche Noah, auf genau die richtige Art und Weise spielt, es transzendiert und dann wieder profaniert.

Aber auch als Verfasser von anderen Büchern habe ich Barnes schätzen gelernt. „Nichts, was man fürchten müsste“ ist nach wie vor das beste Nichtroman-Buch über den (eigenen) Tod, das ich bisher gelesen habe.
Alles in allem: mir gefällt die Wandelbarkeit seines Oeuvres, aber auch die Kontinuität darin.

Ein Thema, zum dem Barnes eines natürliche Affinität zu haben scheint, ist Frankreich, was sich auch in seinen Essays niederschlägt. So finden sich in diesem Buch nicht nur zwei Texte über Rudyard Kipling und das Land von Paris, Provence und Côte d‘Azur (namentlich „Kiplings Frankreich“ und „Frankreichs Kipling“), die trotz ihrem Mix aus Tiefgang und anekdotischer Leichtigkeit wohl nicht jedermanns Interesse wecken werden, sondern (u.a,) ein Text über die verschiedenen englischsprachigen Übersetzungen von Madame Bovary (mit besonderem Augenmerk auf die neuste von Lydia Davis) und ein großartiger Michel Houellebecq-Halbverriss, der die Stärken und Schwächen des von der Grässlichkeit aller Dinge überzeugten Autors auseinanderdividiert und klar benennt.

Auch ansonsten ist das Buch eine Fundgrube, mit spezielleren und offensichtlicheren Schätzen. Das Buch steigert sich kontinuierlich – obgleich es mit einer gelungenen Würdigung von Penelope Fitzgerald, einer viel zu unbekannten Autorin, beginnt – und wo am Anfang vor allem Texte mit einem fast schon zu engen Fokus stehen, die auch hier und da etwas diffus wirken, sind es am Ende die Texte über John Updike, die großartige Short Story-Autorin Lorrie Moore und Barnes eigene bibliophile Neigung, die mir in Erinnerung bleiben werden. Auch der Text über die autobiographischen Bücher von Joyce Carol Oates und Joan Didion (die jeweils vom Verlust eines geliebten Menschen handeln) ist ein meisterhaftes Beispiel für einen Essay, der auf wunderbare Weise Distanzen überbrücken und sie doch mitunter auch einhalten kann – wenn das nötig ist und dem Text besser dient. Und manchmal, das kann bei Julian Barnes lernen und schauen, dient der Abstand zum Objekt einem Text sehr gut. Solange man ihn auch überwinden kann.

Die einzelne Kurzgeschichte – im Prinzip der Versuch, die Schönheit und Stärke eines Werkes, das hinter dem Bild einer Figur zu verschwinden droht, herauszuarbeiten – ist eine schöne Lektion in Sachen Scheitern.

Bleibt mir nur noch, den letzten Satz des Vorwortes, den ich im Anfangszitat unterschlug, hier ans Ende zu setzen und jedem zu empfehlen, Julian Barnes zu lesen. „Flauberts Papagei“ vielleicht. Oder das Buch mit dem Pinguin drauf, ganz egal. Oder dies hier.

„Die beste Literatur liefert nur selten Antworten, aber sie formuliert die Fragen ganz ausgezeichnet.“

Zu Hannah Arendts Vortrag über Revolution, Privilegien und die “Freiheit, frei zu sein”


Die Freiheit frei zu sein „Wie jeder andere Begriff unseres politischen Wortschatzes lässt sich auch der der Revolution in generischem Sinne verwenden, ohne dass man dabei die Herkunft des Wortes oder den zeitlichen Moment berücksichtigt, an dem der Terminus erstmals auf ein bestimmtes politisches Phänomen Anwendung fand.“

Die erste (als solche bezeichnete) Revolution (auch in Abgrenzung zu einer Revolte/einem Putsch (z.B.: des Militärs, des Heeres) oder eines Aufstand (regional und/oder zunftbezogen)) war tatsächlich eine konservative, eine Restauration sozusagen, und führte 1660 in England die Monarchie wieder ein. Aber dies nur als bedenklicher Fun-Fact am Rande.

In Hannah Arendts 1967 gehaltener Rede, die im Umfeld ihres Buches „On Revolution/Über die Revolution“ entstand, geht es nämlich um weitaus mehr, als um eine bloße Auseinandersetzung mit dem Begriff der Revolution – vielmehr um eine Auseinandersetzung mit den Begriffen, die das erklärte Ziel der meisten (wenn nicht aller) Revolutionen sind: das Ende von Unterdrückung, also Befreiung, und das Schaffen besserer, uneingeschränkterer Möglichkeiten der Lebensführung, also Freiheit.

„Kompliziert wird es dann, wenn es der Revolution um Befreiung und Freiheit geht, und da Befreiung ja tatsächlich eine Bedingung für Freiheit ist – wenngleich Freiheit keineswegs zwangsläufig das Ergebnis von Befreiung ist –, ist es schwer, zu entscheiden, wo der Wunsch nach Befreiung, also frei zu sein von Unterdrückung, endet und der Wunsch nach Freiheit, also ein politisches Leben zu führen, beginnt.“

Dass zwischen dem Wunsch nach Befreiung und der Forderung nach Freiheit kein Unterschied besteht, ist ein oft unterschätztes Missverständnis. Dass der Akt der Befreiung oft vorschnell mit einem Akt zur Schaffung der Freiheit gleichgesetzt wird, ist spätestens seit der russischen Revolution ein trauriges Faktum (und, was bereits aus der frz. Revolution zu lernen gewesen wäre, sich aber auch in der russischen Revolution wieder zeigte: das große Autoritäts- und Machtvakuum, welches Revolutionen hinterlassen, wird oft von neuen, nicht minder starken Autoritäts- und Machtstrukturen besetzt; das Dilemma: am Ende werden nur die Privilegien verschoben, vielleicht etwas breiter verteilt, aber selten aufgeweicht oder gar abgeschafft.)

Ein anderer wichtiger Punkt, den Arendt hervorhebt: Revolutionen gelingen nicht in Staaten und Systemen, in denen das Autoritätsgefüge noch intakt und stark ist (einer der Gründe, könnte man spekulieren, warum im Dritten Reich oder im sowjetischen Russland keine Revolution stattfand). Eine große Unzufriedenheit, nicht nur des „Volkes“, sondern auch der privilegierten Gesellschaftsschichten, ist notwendig; eine klar aufscheinende Differenz zwischen der eingenommenen Machtposition und der tatsächlichen Macht der Herrschenden.

„Revolutionen sind keine notwendige, sondern eine mögliche Antwort auf den Niedergang eines Regimes, sie sind nicht Ursache, sondern Folge des Verfalls politischer Autorität.“

Natürlich gibt es einige Revolution, die Arendt nicht erlebte – nicht nur den arabischen Frühling, auf den das Problem des Machtvakuums sicher zutrifft, sondern z.B. auch die friedliche iranische Revolution. Vielleich hätten diese ihren Blick auf einige Aspekte des Phänomens, die bis hierhin angesprochen wurden, geändert.

Wenig bis gar nicht verändert hätten diese Ereignisse wohl ihre Betrachtungen und Erkenntnisse, auf die sie im Folgenden zu sprechen kommt und die um die Problematik von der Vorstellung des Revolutionären kreisen, aber auch um die ganz konkrete Frage: was will eine Revolution denn eigentlich? Was kann sie erreichen, inwiefern ist sie wünschenswert? Und inwiefern kann mit ihr die Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse angestrebt werden? (Werden nur die Karten neu gemischt oder werden sie auch fairer verteilt?)

„Eine der wichtigsten Konsequenzen der Revolution in Frankreich war es, dass sie zum ersten Mal in der Geschichte le peuple [das Volk] auf die Straßen brachte und sichtbar machte. Als das geschah, stellte sich heraus, dass nicht nur die Freiheit, sondern auch die Freiheit, frei zu sein, stets nur das Privileg einiger weniger gewesen war.“

Albert Camus schrieb einmal in seinen Cahiers, dass die gesamte dokumentierte Menschheitsgeschichte, seit der Gründung der ersten Staaten mit größeren Gesellschaften, letztlich nichts anderes als eine Geschichte des Kampfes um Privilegien sei. Denn Privilegien sind letztlich alles: sie entscheiden über die Möglichkeiten, die uns offenstehen, über unseren Zugriff auf natürliche Ressourcen und fremde Dienstleistungen, über unseren Zugang zu Räumen, in denen wir uns entfalten können.

Da wir auf einer Welt mit begrenzten Ressourcen leben, sind zwei Möglichkeiten denkbar, diese Privilegien zu verteilen: 1. Es wird allen der gleiche Lebensstandard ermöglicht, der dem entspricht, was der Planet an Belastung verträgt und wir an Ressourcen zur Verfügung haben. Das ist eine theoretische, sehr utopische (und von vielen nur als scheinbar-gerecht bezeichnete) Idee, bei der viele Möglichkeiten ausgeklammert bleiben.
Die 2. Möglichkeit (die natürlich sehr unterschiedlich angelegt und ausgeführt werden kann) ist die vom Menschen praktizierte: Hierarchische Systeme, in denen die Anzahl der Privilegien theoretisch mit der Schwere der Pflichten, der Verantwortung, der Arbeit und der Bedeutung dieser Arbeit steigen, während dafür gesorgt wird, dass alle Menschen ein Mindestmaß an Sicherheit, die aber in den meisten Fällen noch nichts mit Freiheit zu tun hat, genießen (das letzte Wort ist durchaus euphemistisch zu verstehen).

Ganz abgesehen davon, dass sich Privilegien (und mit ihnen die Machtverhältnisse) in diesen Systemen schnell zementieren & in den seltensten Fällen flexibel gehandhabt werden und allgemein Korruption und andere Phänomene die Idee des Ganzen sabotieren, ist die genaue Ausformung dieser hierarchischen Modelle schon seit den Tagen der Athener Demokratie Gegenstand von kritischen Auseinandersetzungen. Revolutionen wurden spätestens im 18. Jahrhundert zu der Tat, die einem allzu deutlichen Missstand innerhalb der hierarchischen Verhältnissen folgen sollte/konnte (auch wenn die Akzeptanz des Modells an sich zwar oft infrage gestellt, aber nie wirklich verworfen wurde und wird).

„Ein Vergleich der ersten beiden Revolutionen [amerikanische und französische], deren Anfänge so ähnlich und deren Enden so ungeheuer unterschiedlich waren, zeigt, so glaube ich, in aller Deutlichkeit nicht nur, dass die Überwindung der Armut eine Voraussetzung für die Begründung der Freiheit ist, sondern auch, dass die Befreiung von der Armut etwas anderes ist als die Befreiung von politischer Unterdrückung.“

Solange jemand herrscht und sei es auch eine gewählte Regierung, wird es das Problem des Privilegs geben – warum wohl ist Fremdenfeindlichkeit ein so großes Problem, warum senken Staaten den Spitzensteuersatz, warum ist den Emanzipationsbewegungen von unterdrückten Bevölkerungsgruppen und gesellschaftlichen Minderheiten oft ein so steiniger Weg beschieden? Weil die Menschen, die viele Privilegien haben, sehr gut wissen, dass sie diese in einer freieren und gerechteren Welt teilweise abgeben müssten.

„Herrschaft bezog ihre größte Legitimation nicht aus Machtstreben, sondern aus dem menschlichen Wunsch, die Menschheit von den Lebensnotwendigkeiten zu emanzipieren; um das zu erreichen, bedurfte es der Gewalt, der Zwangsmittel, damit viele die Last der wenigen trugen, sodass zumindest einige frei sein konnten. Das – und nicht die Anhäufung von Reichtum – war der Kern der Sklaverei, zumindest in der Antike, und es ist lediglich dem Aufkommen moderner Technik und nicht irgendwelchen modernen politischen Vorstellungen, darunter auch revolutionären Ideen, geschuldet, dass sich diese Situation der Menschen zumindest in einigen Teilen der Welt geändert hat.“

Wollen wir und können wir diese Dynamik, diese Systematik ändern? Ist Revolution das Mittel gegen die Hierarchien? Hannah Arendt öffnet in dieser kurzen Rede, in der sie sehr viele kluge, erhellende – und vielleicht ein-zwei vorschnelle – Definitionen und Erklärungen anbringt, ein weites Feld. Und stößt uns, wie es ihre Art ist, gleichsam in unbequeme Wahrheiten und erstaunliche Betrachtungsweisen. Obgleich mittlerweile 50 Jahre alt, ist dieser Text nicht nur lesenswert, sondern fast schon so etwas wie das Musterbeispiel einer Einführung in das Nachdenken über das Phänomen der Revolution, des Revolutionären, jenseits des Westentaschenhistorischen und der Romantisierung – ohne, und das ist besonders bemerkenswert und schön, dass Arendt darin abschließend festlegt, was eine Revolution sein kann und wie, man von ihren Gedanken aus gesehen, weiter damit umgehen sollte.

Das sollte ein Anstoß für unsere Generation sein, darüber nachdenken, ob die Revolution nicht eine Idee ist, die es gerade in unseren Zeiten neu zu erfinden gilt. Die 68er Bewegungen waren teilweise ein erster Schritt in diese Richtung, ein teilweise ungelenker. Fest steht, dass die Mächtigen, die „Herren der Welt“ wie Noam Chomsky sie nennt, wenig Interesse daran haben, den Status Quo zu ändern und die derzeitige Verteilung der Privilegien weltweit, zu überdenken. Vielleicht könnte man sich darauf besinnen, dass sie in der Minderheit sind. Und das Revolution, friedlich und im Bewusstsein von Verantwortung und Gerechtigkeit, nach wie vor eine Option ist – solange man auch aus der Geschichte lernt, was mit diesem Text von Hannah Arendt um einiges leichter sein sollte.

Das letzte Wort erhält Konstantin Wecker:

„Ach pfeifen wir auf alles, was man uns verspricht,
auf den Gehorsam, auf die sogenannte Pflicht,
was wir woll´n ist kein Reförmchen und kein höh´rer Lohn,
was wir woll´n ist eine
REVOLUTION!“

Zu dem komisch-kosmisch-lehrreichen Werk “Warum landen Asteroiden immer in Kratern?”


Warum landen Asteroiden Wie soll man aus dem Universum noch schlau werden! Es ist nicht nur mega-unübersichtlich (im wahrsten Sinne des Wortes, wenn man gerade kein Hubble-Teleskop zur Hand, bzw. zum Auge hat), diese Unübersichtlichkeit wird durch Betrachtungsweisen, Gerüchte, Mythen, Fakes, Widerrufe, Missverständnisse, Definitionen etc. dermaßen gemehrt, dass es an ein Wunder grenzt (wenn man denn an Wunder glaubt – und wie groß sind eigentlich Wunder? Kann etwas an sie grenzen?) wenn man als Laie überhaupt noch etwas Gesichertes darüber verlautbaren kann, wenn es um komplexere Zusammenhänge als Schwerkraft, den Urknall und Katzen, denen man ein Marmeladenbrot auf den Rücken bindet, geht.

Die österreichischen Science-Busters Puntigam, Freistetter und Jungwirth hat sich dazu entschieden, dem ganzen Chaos auch noch Humor beizumengen, wohl in der Hoffnung, dass er eine klärende, katalysatorhafte Wirkung hat. Eine berechtigte Hoffnung! Zwar entfernt sich das Team ein ums andere Mal von ihren skurril auftrumpfenden Kapitelüberschriften, um doch etwas bodenständigere Wissenschaft zu betreiben, aber diese Lehrstunden sind nicht nur in sich oft verblüffend, sondern mit vielen Unterhaltungseinlagen garniert, vom Slapstick bis zum subtil-philosophischen Haken, den manche Aussage dann doch, sprachlich oder sachlich, an sich hat. Wenn es beispielsweise um die Frage: “Wie lang ist ein Meter geht”, heißt es einleitend:

“Wenn sie einmal in Ihren Spamordner schauen, werden Sie feststellen, dass es vielen Menschen nicht egal ist, wie lang etwas ist.”

Und egal ob es um Mythen über Mücken (Pardon: Gelsen!) und Licht geht, darum wie der Mars sich vielleicht noch ein bisschen gemütlicher machen lässt, wenn man ihn nur ein bisschen mit Asteroiden umschmeichelt, oder um das, was Viren so beim Wirt besprechen: man wird prächtig informiert und unterhalten, auch über neuste wissenschaftliche Errungenschaften und Erkenntnisse. Auch die Ehre des Weizenklebstoffes wird ein bisschen wieder hergestellt, damit am Ende gesagt werden kann: es hat sich doch noch alles zum Gluten gewendet!

P.S.: Es muss doch nicht immer auf die alternative Medizin eingedroschen werden, oder? Wie sagte der Barde: Es gibt mehr Ding im Himmel und auf Erden als die Schulbuchweisheit (und sei sie auch witzig) sich träumen lässt.

Zu der George Lucas Biographie von Brian Jay Jones


Das war 1975. Und niemand, auch nicht Lucas, war klar, dass er mit den Sequel- und Merchandising-Rechten gerade eine Milliarden-Dollar-Klausel ausgehandelt hatte.

Das war am Anfang. Also nicht ganz am Anfang. Ganz am Anfang steht in jeder Biografie die Geburt, das Aufwachsen, die Begegnung mit den Faszinationen, die später, tranformiert, das Werk prägen werden.
Es ist eine schwierige Gratwanderung, eine George Lucas-Biographie zu schreiben. Denn sein Name ist so sehr Synonym für Star Wars (oder vielleicht Indiana Jones oder meinetwegen auch visionäre Sound- und Animationstechnik), dass ein Biograph einerseits Gefahr laufen könnte, zu viel Gewicht auf die Geschichte dieser Werke zu verwenden, in Ausmaßen, die mit Lucas Leben und Schaffen nicht mehr direkt etwas zu tun haben oder es überschatten und andererseits besteht das Risiko, dass eine George Lucas-Biographie die Fans enttäuscht, wenn sie den mit seinem Namen fest verknüpften Werken zu wenig Platz einräumt.

Bedenkt man diese Voraussetzungen, so erkennt man schnell, dass Brian Jay Jones eine gute Balance geglückt ist: Das Buch ist eine Biographie der Persönlichkeit von Lucas und keine Biographie von Krieg der Sterne oder einem anderen Projekt. Auch wer ein Buch sucht, in dem das Verhältnis zwischen Lucas und der Inspiration zu seinen Filmen komplexer beleuchtet wird, wird hier nur bedingt fündig werden (und ich würde ihn oder sie eher an “Star Wars, Magie und Mythos” oder direkt an eine von Lucas Inspirationsquellen “Der Heros in tausend Gestalten” verweisen).
Zwar nennt Jones gewissenhaft die frühen und späten Inspirationsquellen und gibt immer wieder Abrisse über Hintergründe, Lektüren, frühere Stadien, aber derlei wird eher kurz am Wegrand aufgetürmt und selten vertieft.

Überhaupt legt Jones Biographie zumeist ein straffes Tempo vor, schafft es so allerdings, das Hin und Her von Lucas jahrzehntelangem Kampf für ein eigenes, unabhängiges Studiogelände, seine Vision von Kino, die Perfektionierung seiner Werke zu verkörpern. Auf diesem Wege gelingt dem Buch auch das Einfangen von Lucas zurückhaltendem, teilweise sehr eigenbrötlerischem Charakter.
Etwas überstrapaziert wird die Einbindung von Wortmeldungen von Weggefährt*innen, Freund*innen und sonstigen Beteiligten (über das ganze Buch verteilt gibt es über 1500 Quellenhinweiszeichen, die zu einem umfangreichen Register gehören und fast alle auf wörtliche Aussagen in Interviews, Dokumenten, Biographien, etc. verweisen). Natürlich ist das Zusammentragen einer so umfangreichen Meinungssammlung verdienstvoll und in den vielen Zitaten spiegelt sich das Bild von George Lucas in all der Vielschichtigkeit wieder, die eine Biographie bei einem Menschen herausarbeiten sollte. An einigen Stellen ist die Redundanzdichte aber wirklich zu hoch.

Der Biographie geht es auch weniger um Lucas Faszination, mehr um die enormen Widerstände, technischen Hindernisse, zwischenmenschlichen Probleme und Schwächen, die in Lucas Person und Werkgeschichte eine zentrale Rolle spielen; sie werden geradezu minuziös ausgebreitet. Mitunter hat man das Gefühl, Jones hat an sich selbst den Anspruch gestellt, eine dezidiert kritische Arbeit vorzulegen. Auch wenn er Lucas Verdienste und Erfolge betont und illuminiert, lässt er keine Gelegenheit aus, um auf Niederlagen, Fehler oder die Schrulligkeit des Portraitierten einzugehen.

Das ist vielleicht auch der Tatsache geschuldet, das Lucas, obwohl er der Schöpfer von Star Wars und Indiana Jones ist, kein wirklich aufregendes Leben hatte und die Dramatik aus dem geschaffen werden muss, was da ist. In relativem Wohlstand geboren und nie vor wirklich existenzbedrohende Entscheidungen gestellt (auch wenn er manchmal enorme Risiken einging, von sich aus), nie auf der Suche nach allzu großen Abenteuern, ist Lucas Leben die Geschichte eines mutigen, aber doch nicht tollkühnen, Visionärs, der durch Glück und Hartnäckigkeit zum Schaffer einiger popkulturell sehr bedeutsamer Ideen und Figuren wurde.

Alles in allem ist die Biographie ein schöner Schmöker. Ich hatte mir schon erhofft, gerade im letzten Kapitel ein wenig über Lucas Treatments für die neueren Filme zu erfahren (auf die Disney ja dann nicht zurückgriff) oder über seine Einstellung zum EU und dem Star Wars Franchise. Doch gerade in den letzten Kapiteln geht es vor allem um die Skywalker-Ranch und die Formalitäten beim Verkauf an Disney und Lucas neuste Projekte, seine derzeitige Lebenssituation.

Doch, und das ist schon wichtig zu betonen: Jones ist hier ein sehr authentisches Porträt gelungen – was man schon daran sieht, dass es eben nicht in jedem Moment vor Spannung sprüht. Gewissenhaft geht er vor, im richtigen Moment mit Witz, Anekdoten oder Differenzierungen punktend. Alles in allem also: der geballte George Lucas, unverstellt, ein ungeschönter Gesamteindruck.