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Zu Karen Köhlers Erzählungen in “Wir haben Raketen geangelt”


Wir haben Raketen geangelt  Wir begegnen den Figuren in Karen Köhlers Erzählungen in Momenten der Krise. Auch der körperlichen, aber vor allem der seelischen. Vor beinahe jeder der Figuren breitet sich die Zukunft nicht als vage Konstellation von Möglichkeiten, als Quell der Erwartungen und Hoffnungen, sondern als sehr begrenztes Feld, als enger Gang aus; gemeint sind nicht Tristesse oder melancholische Stimmungen, sondern Geschichten beyond the point of no return. Von der Warte der Figuren aus gesehen, gibt es hauptsächlich Abgründe.

Beeindruckend sind vor allem die Formen, in denen diese Kurzgeschichten daherkommen. Manchmal bestehen sie nur aus Einträgen (Tagebuch, Notizen, Postkarten, Listen), in denen sich einige Hinweise finden, aber letztlich wird man als lesende Person immer wieder auf das Begrenzte zurückgeworfen; den Rest muss man sich denken. Das ist mitunter frustrierend, aber auch spannend. Und vor allem: es lässt einen nicht kalt.

Denn Köhlers formale Kniffe in den einen Texten und die existenziellen Themen und Narrative in den anderen (in manchen kommt natürlich auch beides zusammen) führen dazu, dass die übliche Beobachtungsposition eines/r Lesenden nicht gewahrt werden kann. Zu sehr ist man mit Körperlichkeit der Figuren konfrontiert, zu sehr ist man bei den Postkarten und Einträgen mitangesprochen (ohne auf sie eingehen oder eingreifen zu können, obgleich die Texte genau das suggerieren.)

Meist ist da nämlich ein Du, nicht selten ein geliebtes, ein partnerschaftliches, ein Gegenüber, das in der Regel auch die Bruchstelle ist, an der das Leben der Figur in zwei Teile zerbrach: die Vergangenheit und die unwirtlichen Reste von Leben danach. Manchmal erfahren wir mehr über dieses Du, manchmal weniger; manchmal ist es anwesend, manchmal abwesend. Aber immer wird es umkreist, subtil oder ganz offen.

Köhlers Geschichten wirken, trotz ihrer Krisenstimmungen, sehr echt, authentisch. Sie erzählen von dem Wunsch fern des eigenen Körpers und seiner Erinnerungen zu sein, auszubrechen und allem zu entfliehen, das einmal war und das noch immer ist, nur wesenlos, entrückt. Obwohl sie mich beeindruckt und teilweise aufgewühlt haben und ich davon überzeugt bin, dass es solche Geschichten braucht, bleibt dann und wann ein leicht fader Nachgeschmack zurück. Vielleicht, weil der Band bei allen Variationen so einheitlich wirkt.

Aber die Autorin hat halt entschieden, die Krise ins Zentrum ihrer Erzählungen zu stellen und ihre Figuren als gebrochene Existenzen zu zeigen. In „Wir haben Raketen geangelt“ geht es nicht ums Wiederaufstehen, sondern um das am-Boden-Liegen und wie es dazu kommen kann; um das, was einen wirklich niederschmettert oder lähmt, bis tief an die Wurzel.