„Im vorliegenden Buch soll gezeigt werden, dass der Einfluss des Klimas auf die römische Geschichte abwechselnd kaum merkbar und dann wiederum riesengroß war, manchmal positiv und andere Male zerstörerisch. Der Klimawandel war jedoch immer ein exogener Faktor, ein echter Joker, der alle übrigen Spielregeln außer Kraft setzte. […] Aus guten Gründen verehrte man in der Antike die furchterregende Göttin Fortuna: Die Menschen ahnten, dass die Mächte, die diese Welt regierten, letztlich unberechenbar waren.“
Fatum, Schicksal. Kyle Harper ist nicht unter den Ersten, die den Niedergang der römischen Zivilisation mit diesem Wort versehen haben. So unterschiedlich die Interpretationen des Untergangs der pax romana auch sind, in einer Sache sind sich die meisten Historiker*innen einig: er war unvermeidlich.
Einige Analysen dazu haben sich eingebürgert: vom ganz allgemeinen „Imperien steigen auf und fallen, brechen unter ihrer eigenen Last/ihren eigenen Ambitionen zusammen“ bis zu Analysen der spätrömischen Dekadenz, die das Reich träge und unflexibel werden ließ – außerdem auf der Liste der üblichen Verdächtigen: das Christentum, die Reichsteilung und nicht zuletzt die Völkerwanderung.
„Alle diese Antworten mögen gleichzeitig richtig sein. Das auf diesen Seiten vorgetragene Argument jedoch ist das folgende: Um den langen Zeitraum zu erfassen, den wir als Untergang des Römischen Reichs bezeichnen, müssen wir einen genaueren Blick auf die gewaltige Selbsttäuschung inmitten der triumphalen Zeremonien des Imperiums werfen – den trügerischen Glauben, der sich im blutigen Ritual der inszenierten Schaukämpfe gegen Tiere ausdrückte, dass nämlich die Römer die Kräfte der wilden Natur gebändigt hätten. Während die Römer selbst den Untergang ihres Reiches nicht verstehen und ihn sich kaum vorstellen konnten, bedeutete er letztlich den Sieg der Natur über menschliche Ambitionen. […] In diesem Buch soll dargestellt werden, wie die Angehörigen einer der bedeutendsten Zivilisationen der Geschichte erfahren mussten, dass sie die Natur längst nicht so beherrschten, wie sie gedacht hatten. […]Wir wollen deutlich machen, dass die Blüte Roms auf einem prekären und vorübergehenden Zusammentreffen günstiger klimatischer Bedingungen beruhte. Und noch bedeutsamer war, dass die Strukturen des Reich die ökologischen Bedingungen für das Aufkommen einer neuen Infektionskrankheit begünstigten, die mit bis dahin nicht gekannter Wucht zuschlug.“
Laut Harper hatten die Römer bei ihrem Aufstieg nicht nur ihre Tatkraft und ihr Bundesgenossensystem, nebst Aneignung verschiedener Technologien, Gesellschaftssysteme und Traditionen, auf ihrer Seite, sondern auch das Klima. Neuste Erkenntnisse, so Harper, legen nah, dass in den ersten Jahrhunderten vor und nach Christi ein sehr beständiges und mildes Klima im Mittelmeerraum herrschte (Ägypten bspw. war damals, nicht nur wegen der Nilfluten, eine Art Kornkammer des Reichs), sodass die Expansion der pax romana und die damit einhergehende Befriedung und Prosperität, die zu einem großen Bevölkerungswachstum führten, nicht Hungersnöte und Aufstände, sondern eine allgemeine Blüte zur Folge hatten, die der Stabilität und der Vorherrschaft des Reichs zugutekam.
Um etwa 250 n.Chr. änderte sich aber dann das Klima, wurde unbeständiger, bis es schließlich etwa um 550 n.Chr. zu einer kleinen Eiszeit (ohne große Eisflächen und massive Kälteeinbrüche, aber mit ungünstigeren Temperaturen für die Landwirtschaft) kam. Außerdem erwiesen sich die Lebensart der Römer und ihr weitläufiges Handelsnetz als optimaler Nährboden für Infektionskrankheiten, die sich einige Male (zum ersten Mal in der Geschichtsschreibung) zu Pandemien ausweiteten.
Aus offensichtlichen Gründen ist Harpers Buch, trotz seines eigentlich historischen Themas, brandaktuell: Die Römer wähnten sich auf dem Höhepunkt ihrer Macht, als sich bereits Symptome zeigten, die den Keim ihres Untergangs in sich trugen; nicht anders könnte es uns ergehen, wenn wir die Zeichen unserer Zeit nicht in all ihrer Konsequenz deuten und begreifen. Die Hybris, die das Buch beschreibt, ist zeitlos, weil menschlich.
Dennoch muss man sagen, dass, trotz der Brisanz des Themas, das Buch einen nicht wirklich hineinzieht. Das liegt zum größten Teil daran, dass es einfach nicht gut strukturiert und teilweise auch umständlich verfasst ist; Geschichten und wissenschaftliche Fakten werden bspw. ineinander gemischt, sodass keins von beidem seine volle Faszination/Wucht entfalten kann; es gibt etliche Wiederholungen, von denen man einige noch als Erinnerungsanregung begreifen kann, die meisten aber sind schlicht enervierend.
Hier hat in meinen Augen das Lektorat ein bisschen versagt, das dem Autor hätte raten müssen, bestimmte Dinge nicht andauernd wieder aufzugreifen, sondern lieber ruhen zu lassen und später zu Ende zu führen – und vor allem: sich darauf zu verlassen, dass ein*e interessierte*r Leser*in sich noch erinnert, welche größeren Zusammenhänge bereits 20 Seiten vorher angesprochen wurden.
Natürlich verstehe ich, dass Harper gewissenhaft vorgehen und seine Darstellung nicht missverstanden sehen und keinesfalls andere Thesen in Abrede stellen wollte Aber wie sagte bereits F. C. Delius: „Missverstanden wird man sowieso, meist mit Absicht“. Und das heißt umgekehrt: Man muss sich auch ein bisschen darauf verlassen, dass die Leser*innen nicht alles gleich in den falschen Hals bekommen, sondern mitdenken und keineswegs darauf aus sind, Harpers Thesen infrage zu stellen oder zu vergleichen, zumindest nicht sofort. Eine Betrachtung, vor allem eine historische, braucht einen Fokus und den verliert Harper immer wieder bei dem Versuch, sich der Berechtigung dieses Fokus zu versichern.
Abgesehen von diesen formellen Schnitzern und auch mit ihnen, bleibt Harpers Buch ein wichtiger Beitrag, nicht nur zur Kulturgeschichte, sondern vor allem zu Themen der Gegenwart. Ähnlich wie Philipp Bloms „Die Welt aus den Angeln“ (das ich wärmstens(!) empfehlen kann), liefert es Aspekte, die zu einer neuen Betrachtung von Geschichte und Gegenwart anregen, ja sogar verleiten sollten. Auf das unser Fatum noch nicht besiegelt sei …