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Zu Richard Brautigans “Forellenfischen in Amerika”


Im Sommer 1942.
Der alte Säufer hat mir vom Forellenfischen erzählt. Wenn er imstande war zu reden, dann beschrieb er Forellen so, als seien sie eine Art kluges, vernunftbegabtes Edelmetall.
Silbrig ist kein gutes Adjektiv, wenn ich beschreiben sollte, was ich in mir spürte, als er mir vom Forellenfischen erzählte.
Ich möchte es ganz genau ausdrücken.
Vielleicht Forellenstahl. Stahl, der aus Forellen gewonnen wird. Und der klare Fluß mit seinem Schmelzwasser dient als Gießerei und Schmelzofen.
Denken sie an Pittsburgh.”

Ich bin ein großer Fan des amerikanischen Autors Richard Brautigan; ich mag die Unbekümmertheit seiner kurzen Kapitel und der legeren Handlungsführung, gleichzeitig die feine Tragik, die er in allem ausstreut, was in das helle Licht seiner Prosa getaucht wird. Seine Narrative beinhalten sehr viel Glück und sehr viel Trauer, ohne hohe Töne anzuschlagen, sie sprudeln ganz still aus seinen Geschichten hervor. Das, was erzählt wird, schwirrt herum, sprunghaft, aber in all dieser Ungenauigkeiten werden ein paar Gewissheiten und Zweifel sorgsam, fast unmerklich bearbeitet. Und immer wieder sind die Texte auf wunderbare Weise komisch:

“Der Abwasch kann warten”, sagte er zu mir. Betrand Russell hätte es nicht besser sagen können.

und unerhört poetisch, mit ungewöhnlichen, geradezu funkensprühenden Bildern, Schilderungen, Vergleichen:

und wir fuhren wieder aus der Schafherde hinaus, so wie ein Flugzeugt aus den Wolken fliegt.

Forellenfischen in Amerika ist so etwas wie eine lose Chronik. In zahlreichen kurzen Kapiteln umkreist der Erzähler die Erinnerungen, die irgendwie mit Forellen oder Forellenfischen zu tun haben. Es gibt ein-zwei stärkere Stränge, die sich irgendwann herauskristallisieren und immer wieder Bezüge, aber keinen festgelegten Plot.

In den Erlebnissen und Figuren wird immer wieder das Streben nach paradiesischen Umständen thematisiert; der Versuch einfach die Schönheit und Glückseligkeit aufzugreifen, die in den Dingen liegt und in jedem Schicksal zu finden sein müsste. In Brautigans Büchern fühlt man sich dann und wann in eine profanen, liebenswerte Herrlichkeit versetzt, wird an die Großartigkeit des Daseins, wie es sich einfach vor uns auftut, erinnert – und doch: der Boden ist sehr dünn. Brautigan weiß um die Hässlichkeit und Monstrosität, die hinter den menschlichen Horizonten, den menschlichen Momenten liegt und sehr viel größer ist als alles, was wir einander reichen können. Einmal heißt es:

und er machte sich auf nach Amerika, das oft ein Ort ist, der nur im Kopf existiert.

Amerika als Imagination, als Fata Morgana der unbegrenzten Freiheit, ein weiteres Thema des Buches.

Es lohnt sich Brautigan zu lesen, allein schon wegen der Poesie, die in seinen Romanen liegt und dem Witz, dem Kult. “Forellenfischen in Amerika” ist ein guter Start, aber sehr empfehlen kann ich auch den “Tokio-Montana-Express” und die wunderbare, parabelhafte Erzählung “In Wassermelonen Zucker”.

Zu dem ersten Band der gesammelten Erzählungen von W. Somerset Maugham


Als Lawson ins Hotel zurückging, fühlte er sich auf seltsame Art glücklich. Das wirre Durcheinander, in dem diese Menschen lebten, rührte ihn. In der lächelnden Gutmütigkeit von Mrs. Brevald, dem phantastischen Lebenslauf des kleinen Norwegers und den glänzenden, geheimnisvollen Augen der greisen Großmutter sah er etwas Außergewöhnliches und Fesselndes. Ihr Leben war natürlicher als alles, was ihm je begegnet war, es stand der freundlichen und fruchtbaren Erde näher.

Angeblich konnte William Somerset Maugham eine Kurzgeschichte in kürzester Zeit skizzieren und vollenden und ebenso in Windeseile Figuren erdenken und entwickeln. Im Angesicht der zehn Bände mit Kurzgeschichten, die er hinterlassen hat (zusätzlich zu seinen Romanen, Theaterstücken und allerhand Abenteuern und Lebenserfahrungen als Agent, Lebemann und Reisender), scheint dieses Gerücht nicht so weit hergeholt.

In jedem Fall war er ein filigraner, sorgfältiger Erzähler; die “Macht der Umstände” und die Tiefe und Unausweichlichkeit der Charakterzüge waren seine großen Themen; und damit die Tragik der menschlichen Existenz und der Versuch, sie zu überwinden, sich nicht unausweichlich in diese Tragik hinein zu manövrieren. Ähnlich wie bei den Figuren von Graham Greene sind seine Protagonist*innen meist Menschen mit begrenztem Horizont und auf der Suche nach dem Ausweg aus dem Dilemma ihres Daseins – ganz gleich, ob es derzeit auf einem Schiff vor Hawaii oder in der Beschaulichkeit einer Hütte auf einer karibischen Insel stattfindet. Auffällig ist dabei (zumindest in der deutschen Übersetzung), die getragene Feingliedrigkeit der Feststellungen und das minuziöse Abbilden der Gedankenbewegungen.

und der Gedanke beunruhigte ihn, er habe vielleicht in einer Sache, die sein eigenes Interesse berührte, eben dieses eigene Interesse über seine Donquichotterie den Sieg davontragen lassen.

Obwohl in ihrem Inhalt, Schauplatz und Verlauf sehr unterschiedlich, weisen seine Texte bei genauerer Ansicht oft einen geradezu klassischen Aufbau auf. Am Anfang die Einführung, dann das langsam zur Schau tretende Dilemma/Problem, die Zuspitzung der Lage/des Konflikts; in all dem geraten seine Figuren an Erkenntnisse (was immer der wichtigste Moment in einer Maugham-Erzählung ist, elektrisierend und oft sehr gekonnt in Szene gesetzt) und das Ende ist oft abrupt, jäh.

Warum sollte man Maugham lesen? Vor allem wegen seiner Beobachtungsgabe, seiner Fähigkeit, eine Atmosphäre zu schaffen, in der man sich inmitten der Gedanken der Figur bewegt, quasi umringt von ihrer Lebenswirklichkeit. Diese Lebenswirklichkeit macht seine Geschichten aus, bedingt eine Menge an luziden und starken Momenten, die zwar oft sehr deutlich auf einen Erkenntnismoment, eine klare Einstellung, hinarbeiten, aber darin doch eindrücklich sind, bestechend und auch auf furchtbare und faszinierende Weise unvermeidlich.

Ich hielt den Atem an, denn für mich gibt es nichts Ehrfurchtgebietenderes, als wenn mir jemand die Nacktheit seiner Seele offenbart. Denn keiner ist, wie man dann sieht, so trivial oder heruntergekommen, als dass nicht doch noch ein Funken von dem in ihm wäre, das unser Mitgefühl erregt.

Liebe 160 – “Mein Herz morst deinen Namen”. Ein SMS-Lyrikbuch über die Liebe


“Mein Handy funktioniert mit
Herzschlag-Energie;
seit ich dich kenne, versagt es nie!”
(Monika, 15)

Vorweg ist zu sagen, dass dieses Buch (wie andere Rezensenten bereits richtig feststellten) kein reines Sammelsurium netter SMS-Texte ist, die man an Freunde/Freundinnen versenden kann, wenn man ihnen einen kleine Liebesbotschaft zukommen lassen will (auch wenn durchaus ein paar sehr süße, nette Texte dieser Art enthalten sind). Das Buch geht “über” Liebe und Freundschaft und nicht “an” und das schließt sowohl die Kehrseite der erfüllten Liebe, als auch verschiedene modus operandi ein, von der Lautsprache bis zum schwülstigen, himmelherzschreienden Vers.

“zum mond und zurück
ist ein ganz schönes stück,
doch mess ich mein glück,
kannst du das rechnen lassen,
denn jeder Astronaut
würde beim Anblick
der Zahl erblassen.”
(Sophie, 19)

“Als ich noch klein wahr, sagte meine Mutter:
Eines Tages, wenn du groß bist,
wirst du erfahren, was wahre Liebe ist.
Leider vergaß sie mir zu sagen, wie weh es tut”
(Krasniqi, 19)

Dabei geht es zugegebenermaßen regelmäßig auch sehr schlicht zu und es wäre sicherlich übertrieben, wenn man dem Buch eine vollendet adäquate Highness in Sachen Ästhetik und Ausdruck zuschreiben würde. Aber um solche Elitärrereien geht es ja gar nicht. Die Liebe ist, selbst wenn man ihr nicht die allerhöchsten Bedeutungen von Erlösung und Vervollkommnung zugesteht, doch immer noch ein Gefühl, das faszinierenderweise fast auf jeder Ebene der sprachlichen Qualität zu erreichen ist. Ihr Ausdruck ist wandelbarer als viele andere Gefühle, die eine spezielle Art der Herangehensweise erfordern, wenn wir sie durch das Gedicht erfassen wollen. Die Liebe jedoch, sie kennt auch schlichte, wahre Zeilen:

“ein leben ohne lachen ist leer,
ein leben ohne liebe ist schwer,
aber ein leben ohne dich
ist kein leben mehr”
(Michael, 19)

“Nicht zu wissen, was man denken soll,
ist nicht so schlimm, wie nicht zu wissen,
was der andere denkt,
an den man ständig denkt”
(Frit, 21)

Zum anderen waren die Botschaften über Liebe in diesem Band ja beschränkt, auf 160 Zeilen und in diesem Rahmen mussten die Dichter (zumeist jugendliche oder knapp über 20jährige) operieren. Dafür ist so manches Ergebnis dann schon beeindruckend.

“emotion (uralt/unendlich)
himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt,
such einsame Herzen
zwecks zusammenführung.
risikobereitschaft erforderlich,
wird evtl. belohnt.”
(Simone, 20)

und manchmal geradezu weise:

“hand in hand gehen wir einen weg
und entscheiden uns an jeder kreuzung
füreinander –
wo haben wir begonnen, wo werden wir enden?”
(Karin, 21)

10 Jahre ist das Buch jetzt alt und die SMS hat immer noch ihre eigene Kultur, SMS-Sprüche sind weiterhin “inn”. Jedoch ist gerade wenn es um Liebe geht, natürlich auch die emotionale Komponente der SMS interessant. Viele dieser Nachrichten mögen einfache Dichtungen sein oder große Worte, kleines Gebet – aber ihnen allen ist vermutlich jene Geschichte gemein: sie wurde eines Nachts, um 2.00 Uhr morgens zum Beispiel, nach einem wunderschönen oder niederschmetternden Abend versandt und in dem Moment konnte sie, mit ihrer simplen, blinkenden, aus kleinen Vierecken zusammengesetzten Buchstaben-Botschaft die ganze eigene Gefühlswelt umfassen, mit Zittern und Hoffen, als gäbe es nichts darüber hinaus. Auch so muss man sie lesen.

“Wenn das Meer die Tinte wäre
und der Himmel das Papier,
würde es nicht ausreichen,
um aufzuschreiben,
welche Gefühle ich für Dich habe.”

Mir hat das Buch, im Großen und Ganzen, trotz einiger Plattitüden und schwitzerdeutscher Unverständlichkeiten, gut gefallen. Besonders schön waren auch die letzten beiden Kapitel, in denen neben den Einsendungen zu dem Wettbewerb, durch den das Buch entstanden ist, auch einige Netz-Klassiker und einige kurze Gedichte von klassischen Autoren versammelt wurden. Z.B. Theodor Fontane:

“Erst unter Kuss und Spiel und Scherzen
Erkennst du ganz, was Leben heißt;
O lerne denken mit dem Herzen,
Und lerne fühlen mit dem Geist.”

“Liebe – die zarteste Versuchung,
seit es dich gibt.”
(Corinne, 21)

Wenn man bedenkt, dass der Spielraum beschränkt und die Emotion oft auf kurze Distanz, quasi ins Handy hinein, verarbeitet werden muss, ist die Sammlung Liebe 160 ein sehr vielschichtiges und nettes kleines Portrait eines Momentes, in dem Kunst und Berührung zusammenfanden. Vielleicht keine hohe Kunst, aber eine, die von mir zu dir geht, die etwas mehr über das Zwischenmenschliche erzählt, als über das Wesentliche – aber brauchen wir nicht gerade manchmal eine solche Kunst?

“Eines Tages sagte die Liebe zur Freundschaft:
-Wieso existierst du, wenn es mich gibt?-
-Ich bringe ein Lächeln,
wo du eine Träne zurückgelassen hast.-”
(Martin, 18)

Man kann in diesen Versen Virtuosität sehen und einen scheuen Glanz, man muss sich vielleicht nur einiger Dinge bewusst werden, die ich angesprochen habe. So verbleibe ich mit der Hoffnung, dass sich manche doch von diesem Buch für eine halbe Stunde beschäftigen lassen und vielleicht lockt es zumindest das ein oder andere Lächeln hervor – wie z.B. dieses Gedicht über das Magische des -EINEN- Kusses:

“Gestern ging ich nach Hause,
stieg die Tür hinauf,
schloss die Treppe ab, öffnete Licht;
und das alles nur, weil du mir
einen Kuss gegeben hast.”

und das ein oder andere Gedicht findet vielleicht den Weg ins Kuriositätenkabinett der Geschichten, Anekdoten und Sprüche, die wir uns erzählen oder die wir gerne verwenden.

“Eines Tages wirst du mich fragen,
wer mir wichtiger ist, du oder mein Leben.
Ich werde sagen: Mein Leben.
Und du wirst gehen, ohne zu wissen,
dass du mein Leben bist.”

“Wenn du eine Blume in der Wüste wärst,
würde ich immer vor dir knien und weinen,
damit du nicht verdurstest!”

“Liebe ist wie das Licht einer Kerze
in einem dunklen Tunnel.
Es zeigt dir zwar den Weg,
nur es sagt nicht,
was dich am Ende erwartet.”
(Isabelle, 39)

Link zum Buch

Für John Green und sein wahnsinnig berührendes Buch “Das Schicksal ist ein mieser Verräter”


“Eigentlich ist fast alles eine Nebenwirkung des Sterbens.”

Ich bin bereits seit Eine wie Alaska ein großer Fan des amerikanischen Autors John Green und seiner Jugendromane, die oft die Feinheiten dieses Genres mit einzigartigen Thematiken verknüpfen. Ich weiß nicht, was es genau ist, das seine Bücher so ehrlich und doch so gut erzählt erscheinen lässt, aber in seinen Büchern fühle ich wohl, wie es mir sonst nur bei Autoren wie John Irving, Jorge Luis Borges oder in den Gedichten Rilkes passiert. Was ihn jetzt nicht mit einer dieser Autoren konkret in Verbindung setzten soll, aber es ist da eine unkomplizierte, echte, berührende Präsens in seinen Geschichten, Personen, seiner ganzen Sprache, die der Erfahrung des Lesens ein wenig das glasscheibenartige, das Hindernis, was manchmal zwischen Leser und Lektüre steht, nimmt.

Gleich vorweg: “Das Schicksal ist ein mieser Verräter” ist ein wirklich tolles Buch. Es ist vollkommen unprätentiös und ein wunderbar unüberladenes Erlebnis, es wirkt auf den Leser, es hat einen ganz besonderen Platz im Bücherregal verdient. Es erreicht uns im Kleinen und es erreicht uns im Großen, ist eines dieser Bücher, an dem wir nicht vorübergehen können, sondern kurz innehalten, vielleicht nicht einmal genau wissen warum wir innehalten, aber eins ist klar: das Innehalten genügt als Grund, die Rührung genügt als Schleife auf dem Moment, das Buch, gelesen, in der Hand, genügt als vollendeter Ruf an das Leben in uns allen.

“-und sofort bekam ich Angst, dass die Leute über mich, wenn ich starb, auch nichts anderes zu sagen hätten, außer das ich tapfer gekämpft hätte, als wäre das einzige, was ich je getan hatte, Krebs zu haben.”

Und ums Leben geht es in diesem Buch, viel mehr, als in vielen anderen Büchern, in denen die Menschen tatsächlich die ganze Zeit einfach nur leben.
Hazel Grace ist 16 und kann nur noch durch zugeführten Sauerstoff aus einer Flasche überleben, die sie mit sich herumtragen muss; Krebs in der Schilddrüse, Metastasen in der Lunge – unheilbar, nur noch aufhaltbar. Gelegentlich geht sie einmal in der Woche zu einer Art Gruppentherapie in einer Kirche für krebskranke Kinder. Dort trifft sie eines Tages einen Jungen, der selber mal an Krebs erkrankt war, jetzt aber gesund ist. Und es scheint, dass er sich auffällig für Hazel interessiert…

Es ist natürlich letztlich unbeschreiblich, wie nah einem ein Buch nach der Lektüre steht. Also nicht nur, wie nah es einem geht, sondern wie sehr man darin, abseits vom Thema, Spuren einer lebendigen Wirklichkeit und Wesenhaftigkeit spürt – oder, altmodisch gesagt: Dass es ist, als wären die Romanfiguren Teilnehmer an einem Spiel, das auch wir spielen, wenn wir das Buch wieder geschlossen haben. Solche Bücher erreichen uns mit ihrem Thema stärker als andere, nicht weil sie Illusionen fabrizieren oder unterstützen, sondern weil sie offenbaren, was gültig ist in allem, egal ob Realität oder Fiktion. Eins davon ist sicherlich die Liebe und dieser Roman zeigt sie in einer ihrer schönsten, traurigsten Ausprägungen.

“Jedenfalls sind die wahren Helden nicht die Leute, die Sachen tun; die wahren Helden sind die, die Dinge BEMERKEN, die AUFMERKSAM sind.”

Im Grunde ist die Geschichte eine Liebesgeschichte – und dass sie viel, viel mehr ist, lässt diesen letzten Punkt trotzdem nicht in Vergessenheit geraten. Von den Szenen, durch die diese Buch sich bewegt, haben mich viele berührt, viele habe ich mit Spannung und Aufmerksamkeit verfolgt, viele sind mir als sehr gut geschilderte Gesten im Gedächtnis geblieben, die Kleinigkeiten eines Buches eben, die seine Lektüre zu einem riesengroßen Raum machen, den man nach der Lektüre nicht sofort verlassen kann, weil man ihn noch eine ganze Weile durchwandern muss.

Übergreifend (Hier: Achtung, kleiner SPOILER) hat mich aber letztendlich die Szene berührt, in der das Motto, die Essenz dieses Buches in aller Deutlichkeit hervortritt (wie sonst nur in einem ebenfalls sehr besonderen Film (Das Leben ist schön)). Die Szene in der Gus zu ihr sagt und man weiß, dass es das ganze Buch einfängt und letztendlich in diesem Satz der Punkt hinter die Aussage gesetzt wird, wodurch sie vollkommen ist:

“Das Leben ist schön, Hazel Grace.”

Ein Moment zum Heulen. Aber auch ein Moment um John Green zu danken. Weil er ein großartiges Buch geschrieben hat. Ein Buch, das vielleicht nicht künstlerisch wertvoll ist, dass keine große Psychologie betreibt – aber ein Buch, das menschlich so viel mehr erreicht, als es viele andere Bücher können. Das eine Erkenntnis bereithält, die so einfach ist und für die es doch manchmal solche Bücher braucht, um sie uns wieder ins Gedächtnis zu bringen: „Das Leben ist ungeheuer wertvoll. Und noch wertvoller sind die Menschen, die uns am Herzen liegen. Zwischen diesen beiden Dingen liegt viel Herzzereißendes – aber auch eine Chance auf das Glück.

“-Was es ist-             von Erich Fried

Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe”

Link zum Buch

*diese Rezension ist teilweise schon auf Amazon.de erschienen

Austers “Leviathan”


Der Leviathan ist eigentlich ein Ungeheuer aus der Mythologie des Zweistromslandes, eine riesige Wasserschlange, mit biblischer Zerstörungskraft. Bekannter und für die westliche Geisteswelt von größerer Bedeutung ist jedoch das, nach diesem Ungetüm benannte, Buch aus dem 17. Jahrhundert (Der Leviathan), geschrieben von dem Mathematiker und Philosophen Thomas Hobbes. Es ist ein politik-/staatsphilosophisches Werk, der Form und dem Grundwesen nach ähnelt es dem Buch Der Fürst von Machiavelli oder Rousseaus Gesellschaftsvertrag – genau wie diese ist es weniger eine konkrete Ausarbeitung eines Staatsapparates, als vielmehr eine Abhandlung über der menschlichen Natur und wie der Staat (also die Gemeinschaft der Menschen) dieser Natur in seinen Mechanismen und Aufgaben Rechenschaft zollen muss. Hobbes sah den Menschen als ein sehr düsteres Wesen, das stets nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht und eigentlich nicht für ein Zusammenleben geeignet ist. Deswegen muss der Staat, als allmächtiger Leviathan (in der Mythologie kann kein Mensch die Macht des Leviathan brechen) dafür sorgen, dass seine Instanz die Menschen und ihre Natur stets kontrolliert und sie davon abhält, übereinander herzufallen. Dazu sind dem Staat kaum Beschränkungen auferlegt, solange die Sicherheit gewahrt bleibt und Chaos, Anarchie und Verbrechen vermieden oder zumindest bestraft werden können. Dies wird von Hobbes nicht nur als Notlösung, sondern als höchste ideele Möglichkeit des Staates angesehen.

Es ist interessant wie viele Künstler sich auch danach noch mit dem Leviathan-Motiv beschäftigt/es aufgegriffen haben. Julien Green zum Beispiel (Leviathan) und Joseph Roth. Aber auch Arno Schmidt hat eine seiner wichtigsten Erzählungen nach dieser doppeldeutigen Idee benannt. Dabei ist den Texten von Schmidt und Green eigen (den von Roth kenne ich leider nicht), dass sie nur sehr unkonkret auf das Phänomen, das ihren Werken den Titel gab, eingehen – oder anders gesagt: nur der Titel schafft die Verbindung zwischen der Idee des Leviathans und dem Text, obwohl sie dann ganz offensichtlich oder zumindest naheliegend ist. Überhaupt hat diese Idee, in abgewandelter, libertinärer Form, etwas sehr modernes, in Zeiten des Internets, des organisierten Terrorismus und solchen Gesetzen wie dem Patriot Act, etc.

Paul Auster ist bisher der letzte große Autor, der sich mit diesem Thema beschäftigt hat, obwohl bei ihm der Titel während und nach der Lektüre schon fast als ein Rätsel auftritt, als etwas Nebulöses, schon beinahe unkenntlich gemacht. Das mag enttäuschend sein, aber nur wenn man konkrete Erwartungen hegt. Und das Paul Auster aus so einem Motiv keinen hochgestochenen Verschwörungsthriller, sondern eine zutiefst ambivalente, menschliche Geschichte gemacht hat, ist ihm letztlich sogar hoch anzurechnen. Dadurch wirkt das Buch zwar manchmal auch etwas unentschlossen und nicht gerade zielstrebig, was aber wiederum zu der Geschichte passt.

Trotzdem sei dies schon mal klar in den Raum gestellt: Wer nicht in die Beschaffenheit/Welt eines Buches, mit all seinen Abzweigungen, Änderungen am Grundthema und dem Verschieben der Perspektiven, eintauchen kann, ist mit diesem Werk wahrscheinlich schlecht beraten. Dabei ist es nicht mal ein sonderlich kompliziertes Buch. Aber, und dies hat auch mit den fiktiven Begleitumständen der Niederschrift des Berichtes, aus dem das Buch besteht, zu tun: es ist ein eher unordentliches, nicht gerade lineares Werk – bewahrt sich dadurch allerdings eine stille, dem Leben angeglichene Authentizität.

Wie nicht selten bei Auster beginnt das Buch mit einer Ausgangslage, die das ganze spätere Werk auf gewisse Weise prägt, weil sie im Kern Form und Rahmen der ganzen Erzählung bereits festlegt. In diesem Fall ist es der Anfang eines Bekenntnisses oder eines Berichts, beginnend mit den Worten: “Vor sechs Tagen hat sich im nördlichen Wisconsin ein Mann am Rande einer Straße in die Luft gesprengt.” Ein Satz wie Dynamit. Und doch auch sehr rätselhaft; schon dieser erste Satz wirft einen Schatten über das ganze Buch. Es folgt, wider erwartend, keine reißerische, bunt gefächerte, sondern die zutiefst menschliche und erstaunlich wendungsreiche Geschichte eines Lebens, das zwischen Glück und Niedergang einen seltsamen Weg beschreitet und in dem das Schicksal einen raubbauhaften Einfluss betreibt. Das Buch und die Geschichte legen sich wenig fest, verändern oft die Prioritäten, haben ein-zwei Längen – und sind doch am Ende fast grandios.

Ein guter Roman baut einen Sog auf, dem man sich nicht mehr ganz entziehen kann – bei der (potentiell und zumeist) längsten literarischen Gattung, die wir kennen, ist das ja auch irgendwie überlebenswichtig. Dennoch ist der Sog unterschiedlich; bei einigen Büchern tritt er sofort zu Tage, bei anderen ist er kaum vorhanden, liegt weniger in der Spannung der Geschichte, dem Sturm der Ereignisse und offenen Fragen, als vielmehr in einer hartnäckigen Neugier, die das Geflecht und die Windungen des Romans bis zum Ende gehen will, die alles Erleben will, was der Roman in seiner inhärenten Beschaffenheit für sie bereithält. Leviathan ist ein Roman von letzterem Kaliber. Man darf das jetzt nicht so verstehen, dass er langweilig ist. Aber seine innere Konsequenz bleibt bis zum Schluss zum Teil im Dunkeln, beinah bis zur letzten Seite ist sie nicht ganz offensichtlich. Darin liegt wiederum der große Reiz des Romans: Man weiß nicht, wo er einen hinführt. Ein Zug, der ihn auf eine beinahe morbide Art lebendig macht.

Es gäbe sicherlich noch viel zu sagen, noch viel was eine Erwähnung wert wäre. Das Ende z.B., das auszudeuten bleibt, aber auch die vielen Grauzonen (Dinge aus zweiter Hand, Widersprüchliches) die unauffällig den Roman immer wieder begleiten (und zuletzt noch Austers ewiges Thema: der Zufall, der auch die Manifestierung des Leviathans sein könnte) – das alles ist nicht ganz festgelegt und lässt das Werk in seinen Dimensionen gleichsam wachsen und verschwinden. Doch was man ihm nicht absprechen kann, dass sind ein Gesamtkonzept, welches alles andere als uninteressant ist und eine unaufdringliche Klasse, die man während des ganzen Buches spüren kann. Wie gesagt, wenn ein wenig Geduld mit ihm hat, kann Auster einen immer wieder überraschen und in seinen Bann schlagen, auch in diesem Werk. Man muss sich darauf einlassen – oder eben nicht.

Link zum Buch

*diese Rezension ist in Teilen bereits auf Amazon.de erschienen

Ein wichtiger Film, ein guter Film – Zu “Silver Linings”


“In the middle of the world, at the edge of nowhere” Thomas Hardy

Vorweg: Ich möchte hier vor allem meine Eindrücke über den Film wiedergeben und habe daher auf eine Nacherzählung der Handlung verzichtet.

Ich habe schon einige intensive und gute Filme über Depressionen und/oder psychische Krankheiten gesehen; zwei waren bisher für mich am wichtigsten oder besser gesagt: stachen heraus: Helen und Prozac Nation. Beide Filme kann ich nur empfehlen, wobei man sie natürlich nicht mit diesem Werk vergleichen kann, da “Helen” ein französischer und “Prozac” ein Independet-Film ist. Diesbezüglich war ich denn auch von Anfang an schon sehr gespannt, wie ein Hollywood-Film diese Dinge aufbereiten würde. Mit It’s Kind of a Funny Story gab es immerhin schon mal einen Versuch, der nicht besonders ernst, aber auch nicht schlecht war.

Bei einem Film kommt es ja nicht allein auf die zentrale, ausrichtende Thematik an, sondern auch auf die Herangehensweise. Steht man in dem Film mitten im Thema oder wirft man einen Blick von Außen darauf`? – der Winkel bestimmt die Form und die Wirkung. Ein Film hat den Vorteil, dass er potentiell mehrere Sichten kombinieren kann (einem Buch gelingt das nur umständlich und es wirkt dann oft unkonsequent, weil in einem Buch die Sichtweisen nacheinander abgehandelt werden müsste – im Film geht es, auf gewisse Weise, zur gleichen Zeit). Wenn man Silver Linings allein von der Herangehensweise, von Optik und dem Setting beurteilten sollte, ist der Film eher unspektakulär und sehr Hollywood-like. Doch darum geht es – wie alle, die diesem Film, wie ich, mit immer größerem Genuss, mit Freude und Betroffenheit, gefolgt sind – nicht.

Es geht nicht um artifiziell herausgearbeitete Abgründe; es geht nicht um martialische Tiefe (auch solcherlei ist filmisch beeindruckend, aber man kann einem Film nicht vorwerfen, dass er seinen Weg auf andere Weise sucht). Es geht (wie so oft – und doch niemals oft genug) um das Menschliche, den menschlichen Aspekt. Krankheiten, Neurosen, Fehler, ethnische Unterschiede – sie alle scheinen nur allzu oft über den Menschen zu stehen, die mit ihnen zu leben haben und sie somit scheinbar mehr zu definieren, als ihr eigentliches Selbst es tut; zumindest wenn man als Unbeteiligter von Außen darauf blickt. Ein Verdienst des Kinos ist es auch, diesem Missstand immer wieder entgegenzuwirken und mit Geschichten zu zeigen, dass kein Mensch über seine “Mängel” oder Besonderheiten oder Einschränkungen definiert werden kann. “Mensch sein, das heißt so vieles und doch soll es im Anspruche nur eines heißen” schrieb Jean Paul vor mehr als 200 Jahren und noch immer haben wir Probleme damit, zu begreifen, dass die Taktik des einen Anspruchs nicht funktioniert. Menschen sind sehr unterschiedlich und wir können sie nicht bloß über das Maß definieren, in welchem sie sich von uns unterscheiden.

Dass Mensch sein vieles bedeutet, heißt auch, dass es uns nicht immer direkt betreffen kann, was ein Film sagt. Doch wir können auch lernen, dass ein genaues Betreffen nicht immer wichtig ist. Wichtig ist, dass die Aspekte in uns etwas Nachvollziehen; dass die Stimmungen uns berühren, dass die Geschichte uns ein Thema und seine Aspekte eröffnet, denen zu öffnen uns selbst nicht in den Sinn gekommen wäre. Simpel, diese Idee, wie es die Welle auch ist – und doch schmeißt sie jeden Tag den ganzen Ozean an den Strand und zieht ihn wieder hinaus.

Ein Film muss seinen eigenen Weg gehen, jenseits von Kategorien, und gerade das gelingt Silver Linings, seinen Darstellern und seinen Szenen, sehr gut und mit beeindruckender Leichtigkeit (nicht Seichtheit – Leichtigkeit!) oder anders gesagt: mit Bravour. Neben Jennifer Lawrence, deren Spiel wirklich aus dem Innersten zu kommen scheint und das kaum eine Abstufung erfährt, hat mich auch Robert De Niro wieder mal beeindruckt, was ich nach so vielen Auftritten nicht gedacht hätte. Überhaupt sind alle Darsteller herrlich unverbraucht – auch das trägt zur Atmosphäre bei. Am Ende bin ich mir nicht ganz gewiss darüber geworden, WAS den Film letztlich von der zweiten in die erste Liga hebt. Vielleicht weil der Film, neben Unterhaltung und Witz und Auf und Ab, auch Hoffnung gibt, dass etwas genau zur richtigen Zeit passieren kann, frei nach Art des Zitats “An arrow can only be shot by pulling it backward. So when life is dragging you back with difficulties, it means that it’s going to launch you into something great.” Denn: “Sometimes, the only way to stay sane is to go a little crazy.”

Link zum Film: http://www.amazon.de/Silver-Linings-Jennifer-Lawrence/dp/B00AY9UQN8/ref=cm_cr_pr_pb_t

*Diese Rezension ist bereits teilweise auf Amazon.de erschienen.