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Unterhaltsam, voller Anstöße


9783442178742

Die vom Frauennetzwerk „Sorority“ herausgegebene Anthologie „Die hat sich doch hochgeschlafen“ bietet, dies vorweggeschickt, eine intelligente und dabei höchst unterhaltsame Lektüreerfahrung. Trotzdem lässt der Titel einige Vorstellungen aufkommen, die das Buch nicht erfüllen kann.

So muss klargestellt werden, dass das Buch kein Nachschlagewerk für kurze, schlagfertige Retourkutschen und Argumente gegen Sexismus ist. Es ist mehr eine Ansammlung von Pamphleten, die natürlich nicht nur auf Verve, sondern auch auf Fakten aufgebaut sind, aber nichtsdestotrotz einen Tick zu oft die emotionalen Aspekte der Debatten forcieren, um noch als schlichte Anleitungen durchzugehen. Es sind Kampfansagen

Das ist in meinen Augen kein Fehler, sondern ein Feature, denn es zeigt, was bei diesen Debatten auf dem Spiel steht und wie wichtig es ist, Vorurteilen und Scheinargumenten entgegenzuwirken und die Systeme dahinter, und letztlich das ganze Patriarchat, abzuschaffen.

Und dafür hat man sich mit Lady Bitch Ray und Stefanie Sargnagel und Laura Wiesböck u.a. einige bekannte und tolle Autor*innen geholt. Man merkt auch sofort in deren Beiträgen, dass sie nicht nur ziemlich viel zu ihren jeweiligen Themen zu sagen haben, sondern dass diese Kenntnisse auch ein ganzes Buch, zumindest einen längeren Beitrag fühlen könnten.

Das ist das zweite Problem, dass es in vielen Texten bei Ansätzen und Aufrufen bleibt. An sich überhaupt schön, wenn man heute noch ein Buch mit vielen klugen Anstößen in die Hände bekommt, aber ein ums andere Mal vermisst man dennoch schmerzlich eine ausformulierte und breiter aufgestellte Argumentation/Darstellung.

Trotzdem ist da Buch sicherlich kein Fehlkauf und gerade wer in feministischen Themen nicht besonders up-to-date ist, kann sich hier ziemlich schnell auf den neusten Stand bringen.

Zu Tim Parks Essayband “Worüber wir sprechen, wenn wir über Bücher sprechen”


Worüber wir sprechen, wenn wir von Büchern sprechen Tim Parks erklärtes Ziel, wie es sich in den verschiedenen Themen dieser Essaysammlung manifestiert, ist es, alle zu selbstverständlichen und dar ob wunden Punkte in unserem heutigen Verständnis von Literatur und Büchern zu finden und an ihnen zu rühren, sie auszustellen und umzukrempeln.

In „Worüber wir sprechen, wenn wir über Bücher sprechen“ geht es nicht primär, wie sonst oft, um die heilsamen Wirkungen, faszinierenden Erlebnisse und relevanten Funktionen der Literatur, sondern um ihre (starren) Glaubenskonzepte, ihre Schwächen und Abhängigkeiten. Und auch wenn Parks als Romanautor, Essayist, Creative-Wrtiting-Lehrer und Übersetzer (auch hier lehrend) sich natürlich nie ganz von den Ideen der Literatur distanziert, hier stellt er sie doch einmal gnadenlos auf den Prüfstand.

Schon die Eingangssequenz fragt „Brauchen wir Geschichten?“ und führt uns alle so hochgerühmten Ideen der Literatur als Schemen und Hörensagen vor, konfrontiert uns mit den Hohlräumen und Leerstellen in ihrem so klar und richtig erscheinenden Selbstverständnis.

Im weiteren Verlauf wird aus dieser grundsätzlichen Hinterfragung ein Netz aus vielfältigen Ansätzen, die meist das Fragwürdige in verschiedenen literarischen Disziplinen und Institutionen, aber auch und vor allem in Entwicklungen, herauskehren. So setzt sich Parks etwa mit der Globalisierung des Buchgeschäfts auseinander (das für ihn als englischsprachigen Autor viel Raum bereithält) und er beschreibt wie viele Romanautor*innen heute zwischen regionalen und weltliterarischen Themen/Ansätzen hin und her geworfen sind, wie die moderne Literatur gefahrläuft omnipräsent, aber dafür gleichförmig und unspezifisch zu werden.

Spannender hingegen als dieses schon etwas geläufigere, durchaus breit rezipierte Problem sind seine unnachgiebige Kritik an Literaturpreisen und seine vielen kleineren Überlegungen zum literarischen Verfahren und der Stellung von Sprache im Verhältnis zur modernen Gesellschaft. So schreibt er an einer Stelle:

„Wir haben es also heutzutage mit dem Hang zu tun, das Handeln durch das Katalogisieren und Dokumentieren zu ersetzen, eine Illusion (oder Simulation) verantwortlichen Handelns zu erzeugen, indem wir die sogenannte Arbeit, die dem verantwortlichen Handeln vorausgeht und – in den seltenen Fällen, in denen ein solches Handeln noch stattfindet – auf es folgt, endlos vermehren.“

Er führt im Anschluss aus, dass Literatur sich lange Zeit als Widerpart der Bürokratie inszeniert/gesehen hat, sprachlich wie auch inhaltlich. Aber ist sie dies noch oder war sie es je? Ist sie nicht stets vom Kampf gegen diese Verkürzung und Festschreibung selbst in die Eitelkeit der Verkürzung und Festschreibung verrutscht (und nur durch die Brechung der Ironie gesehen, steht sie heute noch abseits davon)?

Und führt die Dokumentation des Leids, wie sie ein Großteil der Romanliteratur betreibt, oder die Ironie, die längst von einem Mittel zum Zweck zu einem reinen Zweck verkommen zu sein scheint, irgendwohin? Gäbe es andere Ansätze, denen zu folgen sich lohnen würde?

Parks umkreist diese Fragen, bringt sowohl eigene Überlegungen als auch eine ganze Reihe von Beispielen aus dem angelsächsischen Literaturkosmos mit ein (einige wiederkehrende Autor*innen sind Samuel Beckett, Henry Green, Thomas Hardy und William Faulkner). Seine Haltung ist immer skeptisch, trotzdem merkt man durchaus, dass er selbst sich auch dann nicht von der Literatur lösen könnte, wenn seine polemischen Hiebe tatsächlich Erfolg hätten. Wie Thomas Hettche in „Unsere leeren Herzen“ sucht Parks nicht einfach nur eine originelle Position, nicht nur Schwachstellen, mit deren Entdeckung er sich profilieren kann, sondern auch nach Erkenntnissen hinter diesen Schwachstellen.

„Ist jede »locution« (Beschreibung) zwangsläufig auch »circumlocution« (Umschreibung, Umschweif), wie Beckett glaubte, und wird der Westen sich womöglich langsam und genüsslich selbst die Luft abdrücken und unter einem Haufen von Akten ersticken, während er sich zu Tode unterhalten lässt von einem Berg an Literatur, die diesen skandalösen Vorgang beschreibt und auf bestechende Art und Weise vermittelt?“

Manches Thema wird von Parks etwas zu einseitig betrachtet und seine Ausführungen lassen sich hier und dort leicht abschütteln. Seine Grundsorgen und -überlegungen sind aber oft erstaunlich bestechend. Statt groß zu polemisieren und zu behaupten, zu prophezeien oder glanzvoll zu akzentuieren, nimmt er die derzeitige Buchkultur Stück für Stück auseinander und betrachtet ihr Innenleben. Ihm geht es dabei nicht um die Demontage, sondern um die Frage: wie funktioniert das alles? Funktioniert es wirklich? Könnte es auch anders funktionieren?

Zu “Hä?” von Christian Koch und Axel Krohn


Hä
“Es gibt Wörter, die gibt es gar nicht. Zumindest nicht im Deutschen. Wörter wie das finnische Kalsarikännit, welches die interessante Beschäftigung des Sich-allein-zu-Hause-in-Unterhose-Betrinkens beschreibt. Oder das Wort dissetato, das die Italiener verwenden, wenn sie das Gegenteil von durstig beschreiben möchten. Haben Sie jemals von dem in Lappland verwendeten Längenmaß Poronkusema gehört, welches die Entfernung beschreibt, die ein Rentier zwischen zwei Pinkelpausen zurücklegt?”
(Aus dem Vorwort)

Es ist ein launiges Buch geworden, das die beiden Autoren Christian Koch und Axel Krohn da geschrieben haben und das die Leser*innen rund um die Welt und in viele Sprachen (ent)führt. Tatsächlich ist es erfreulich selten pseudowitzig, sondern kann sowohl mit Schenkelklopfern als auch mit subtilen humoristischen Einlagen aufwarten.

Nebenbei lernt man natürlich auch allerlei „Wissenswertes“, angefangen beim Wort, das im Japanischen für das Testen eines neuen Schwertes an Passanten steht (und hoffentlich wenig Verwendung findet, außer vielleicht in Anime-Serien), über den ältesten Furzwitz und die (wiederum in Japan) sehr gebräuchliche Gepflogenheit bei einem ersten Daten nach der Blutgruppe zu fragen, bis zum Wort für das erste Bier des Jahres im Freien und für die Macht des Aufgießers in Finnlands Saunen.

Aber das Buch setzt nicht nur auf Komik, sondern klärt auch über die Herkunft des Einhorns auf (der Auerochse stand wohl Pate; ich habe da allerdings eine Alternativtheorie, die mit Nashörnern zu tun hat), widmet sich dem Sprachensterben, listet Äquivalente von Sprichwörtern in anderen Sprachen auf und erzählt Geschichte, zum Beispiel über Marienkäfer und warum sie in England Ladybugs heißen. Das alles pointiert, mit vielen Seitenhieben und Esprit. Ein paar Fotos von Übersetzungsunfällen aus aller Welt komplettieren die Orchestrierung.

Kritisch muss angemerkt werden, dass die beiden Herren bei aller Weltgewandtheit anscheinend noch nicht in den Geschlechterdiskursen von heute angekommen sind. Hier wird ein ums andere Mal in die Klischeekiste gegriffen, ironisch vielleicht, aber doch nur allzu bereitwillig; da wäre weniger mehr gewesen.
Auch sehr nervig: es geht auch ein paar Mal um die indigenen Volksgruppen der Polarregionen (die – SPOILER – keine hundert Wörter für Schnee haben …). Korrekt weisen die Herren Autoren daraufhin, dass der Begriff “Inuit” mittlerweile als politisch korrekter Sammelbegriff verwendet wird (wobei die „Inuit“ nur eine Volksgruppe sind) – und schreiben dann, ohne weiteres Daraufeingehen, durchgehend “Eskimo”.
Mir ist bekannt, dass der Begriff “Eskimo” umstritten ist und einige offizielle Vertretungen der Volksgruppen den Namen mittlerweile übernommen haben. Dennoch wirft es einfach kein gutes Bild auf die Autoren, dass sie erst schreiben, dass sie sich der Problematik bewusst sind, dann aber beim Schreiben keine Rücksicht auf dieses Wissen nehmen.

“Hä?” ist aber überwiegend ein sehr unterhaltsames und auch kluges Buch, das auf vielen Gebieten überzeugt und Freude bereitet. Sie können beim nächsten Gespräch (oder in der nächsten Gesprächspause) auf jeden Fall mit der ein oder anderen Erkenntnis aus diesem Buch punkten. Und das wahrscheinlich sogar mit echter Begeisterung.