Tag Archives: Griechenland

Zu “Wenn die Chinesen Rügen kaufen, dann denkt an mich”


Wenn die Chinesen Rügen kaufen „Zur Wirklichkeit vordringen, schon das ist nicht beliebt. Zur Wirklichkeit vordringen heißt: zur Wirtschaft vordringen. Das ist noch weniger beliebt.“

Friedrich Christian Delius ist Mitte 70 und kann auf eine sehr vielfältige und umtriebige Karriere zurückblicken. Eines war er aber immer: ein Chronist mit einem Gespür für Ignoranz und Dünkel, dem feinen Stil eines Feuilletonisten und einer besonders unbestechlichen dialektischen Begabung. Nicht selten trat er in seinen Büchern als unbequemer Kritiker auf, so schon in seiner meisterhaften Festreden-Satire „Unsere Siemens-Welt“ (1972), so auch in seiner monologischen Abrechnung mit der Geschichte der katholischen Kirche in „Die linke Hand des Papstes“ (2013) und so wiederum in diesem Roman mit dem schönen Titel „Wenn die Chinesen Rügen kaufen, dann denkt an mich.“

Protagonist ist hier ein aufs Abstellgleis geschobener Mitarbeiter einen größeren deutschen Tageszeitung. Zu unbequem wurde er den Chefs, zu kritisch wollte er dieses und jenes Thema hinterfragen, schließlich wird ihm ein Witz in der Kantine zum Verhängnis. Also: Frührente. Um nicht aus Trotz zur Meinungsmaschinerie des Internets beizutragen, schreibt er seine Überlegungen zum Weltgeschehen in einem Tagebuch nieder, dass er vielleicht einmal an seine aufgeweckte Nichte weitergeben oder vererben will – diese Aufzeichnungen bilden den Inhalt des Buches. Seine Entscheidung gegen einen Blog oder Social-Media-Kanäle begründet er damit, dass dort kein Dialog herrsche, sondern lediglich eine „Konjunktur der Hysterien“ und Meinungsblasen, in denen sich diese Hysterien immer weiter hochschaukeln würden.

„Deshalb bin ich ja zur Zeitung gegangen, weil ich gerade die Leute informieren und überzeugen wollte, die nicht meiner Meinung sind oder sich erst eine bilden wollen, eine sachlich begründete Meinung. […] Vorteil des Tagebuchs: die eigenen Dummheiten von denen der übrigen Welt trennen. Im Blog, bei Twitter, Facebook u.s.w.: die eigenen Dummheiten mit denen der restlichen Welt vermanschen. […]„Es schießen zu viele Meinungen durch die Welt, das permanente Gerangel um Aufmerksamkeit entfernt die Leute voneinander und macht sie kirre, selbst einen alten Hasen von 63. […] Es gebe eine ‚Deregulierung des Meinungs- und Diskussionsmarktes‘ (Pörksen), gut gesagt.“

Social-Media-Kanäle sind aber nur eines der Themengebiete, die in den Aufzeichnungen mit spitzer Feder filetiert und analysiert werden. Neben den Erfolgen der AfD, für die Delius Redakteur nur herrlich fein herausgearbeiteten Spott übrig hat, kreisen sie vor allem um zweierlei: die aufkommenden Investition der chinesischen Märkte (und oft: des chinesischen Staates) in Europa (aber auch Afrika, Naher Osten, Südamerika) und die möglichen Folgen, sowie die Griechenland-/Eurokrise.

Gerade was letztere angeht ist das Buch eine bestechende und erschreckende Aufarbeitung, und die daraus resultierende Darstellung ist so schlüssig, dass man sich ob seines bisherigen ignoranten Halbwissens sehr schnell zu schämen beginnt – und kaum umhinkommt in die Beschimpfungen einzufallen, die Delius der Kanzlerin M., besonders aber ihrem Wirtschaftsminister Sch. an den Kopf wirft; für ihr Versagen, das kein wirkliches Versagen, vielmehr ein bewusstes Falschmachen war/ist. Bei Sch. könnte man schon von verbrecherischer Politik sprechen.

„Auch für die eigenen Gemeinplätze gilt: alle vier Wochen zum TÜV.“

Bei China geht es ein bisschen weniger konkret zu. Hier hat der Protagonist vor allem Befürchtungen (die aber durchaus gestützt sind durch Fakten, Äußerungen und Beobachtungen), die letztlich in der leicht aberwitzigen Vorstellung gipfeln, eines Tages könnten die Chinesen die Insel Rügen kaufen (wobei, wenn man bedenkt, dass die Chinesen bereits den Hafen von Piräus gekauft haben …)

Delius spielt hier sehr geschickt mit der Kassandrarolle, die sein Protagonist einnimmt (bekanntlich war Kassandra zur Vorsehung verflucht und ein Teil des Fluchs war, dass niemand außer ihr ihren Prophezeiungen je Glauben schenken konnte). Auch der Redakteur selbst ermahnt sich immer wieder zur Vorsicht und führt ein paar Argumente gegen seine Ängste ins Feld. Trotzdem schwebt die Sammlung seiner Überlegungen und Fakten über dem Text und auch über dem letzten Kapitel, das zu einem großen Teil auf Rügen spielt und in dem es eigentlich um ganz andere Fragen geht. Auf kluge Art und Weise zeigt Delius, wie hilflos der/diejenige ist, der/die bemerkt, wie die Menschen nicht voraus- oder sich umschauen, sondern lediglich auf ihre Füße, ihre Standpunkte (oder ihre Smart-Phones).

„Eine Meinung zu haben heißt heutzutage: recht haben wollen.“

Delius neuster Roman ist ein bis in den letzten Wortwitz hellsichtiges Portrait unserer Gegenwart und ihrer Mechanismen, ein Roman der Stunde, der wohl leider von den wenigsten als ein solcher gelesen werden wird (siehe: Kassandra). Formal unterstreicht die Entscheidung für die Tagebuchaufzeichnung diese Aktualitätsstärke, überhaupt wäre das Buch wohl kein besonders gelungener Roman, wäre es nicht auch ein sehr aufmerksames Zeitdokument.

Wer sich politisch bilden mag und einen Abstieg in die teilweise unbequemen, teilweise etwas sprunghaften Gedankenanstöße und Überlegungen von Delius Kassandra nicht scheut, der wird mit „Wenn die Chinesen Rügen kaufen, dann denkt an mich“ einiges erleben und lernen, dass es einige wunde Stellen mehr in unserer Welt gibt, als unsere Weltbilder derzeit hergeben. Auch wenn das Buch als Roman nicht 100% überzeugt, will ich ausdrücklich dazu aufrufen: lest Delius! Ein Autor, der das Politische nicht scheut, ohne größeres Kalkül, jedoch mit klaren Ansagen. Und vor allem: mit vielen klugen Beobachtungen.

Zu der Anthologie “Grand Tour”


Grand Tour

Grand Tour, das ist ein etwas altbackener Titel für eine doch sehr beachtliche Anthologie, die uns mitnimmt auf eine Reise (oder sieben Reisen, denn als solche werden die Kapitel bezeichnet) in 49 europäische Länder und eine Vielzahl Mentalitäten, Sprachen, Stimmen und Lebenswelten, ins Deutsche übertragen von einer Gruppe engagierter Übersetzer*innen (und das Original ist immer neben den Übersetzungen abgedruckt).

Laut dem Verlagstext knüpft die von Jan Wagner und Federico Italiano betreute Sammlung an Projekte wie das „Museum der modernen Poesie“ von Enzensberger und Joachim Sartorius „Atlas der neuen Poesie“ an – vom Museumsstaub über die Reiseplanung zur Grand Tour, sozusagen.

Dezidiert wird die Anthologie im Untertitel als Reise durch die „junge Lyrik Europas“ bezeichnet. Nun ist das Adjektiv „jung“, gerade im Literaturbetrieb, keine klare Zuschreibung und die Bandbreite der als Jungautor*innen bezeichneten Personen erstreckt sich, meiner Erfahrung nach, von Teenagern bis zu Leuten Anfang Vierzig.

Mit jung ist wohl auch eher nicht das Alter der Autor*innen gemeint (es gibt, glaube ich, kein Geburtsdatum nach 1986, die meisten Autor*innen sind in den 70er geboren), sondern der (jüngste erschlossene) Zeitraum (allerdings ist die abgedruckte Lyrik, ganz unabhängig vom Geburtsdatum der Autor*innen, nicht selten erst „jüngst“ entstanden).

Wir haben es also größtenteils mit einer Schau bereits etablierter Poet*innen zu tun, die allerdings wohl zu großen Teilen über ihre Sprach- und Ländergrenzen hinaus noch relativ unbekannt sind. Trotzdem: hier wird ein Zeitalter besichtigt und nicht nach den neusten Strömungen und jüngsten Publikationen und Talenten gesucht, was selbstverständlich kein Makel ist, den ich der Anthologie groß ankreiden will, aber potenzielle Leser*innen sollten sich dessen bewusst sein.

Kaum überraschen wird, dass es einen gewissen Gap zwischen der Anzahl der Gedichte, die pro Land abgedruckt sind, gibt. Manche Länder (bspw. Armenien, Zypern) sind nur mit ein oder zwei Dichter*innen vertreten, bei anderen (bspw. England, Spanien, Deutschland) wird eine ganze Riege von Autor*innen aufgefahren. Auch dies will ich nicht über die Maßen kritisieren, schließlich sollte man vor jedem Tadel die Leistung bedenken, und würde mir denn ein/e armenische/r Lyriker/in einfallen, die/der fehlt? Immerhin sind diese Länder (und auch Sprachen wie das Rätoromanische) enthalten.

Es wird eine ungeheure Arbeit gewesen sein, diese Dichter*innen zu versammeln und diese Leistung will ich, wie gesagt, nicht schmälern. Aber bei der Auswahl für Österreich habe ich doch einige Namen schmerzlich vermisst (gerade, wenn man bedenkt, dass es in Österreich eine vielseitige Lyrik-Szene gibt, mit vielen Literaturzeitschriften, Verlagen, etc. und erst jüngst ist im Limbus Verlag eine von Robert Prosser und Christoph Szalay betreute, gute Anthologie zur jungen österreichischen Gegenwartslyrik erschienen: „wo warn wir? ach ja“) und auch bei Deutschland fehlen, wie ich finde, wichtige Stimmen, obwohl hier natürlich die wichtigsten schon enthalten sind. Soweit die Länder, zu denen ich mich etwas zu sagen traue.

Natürlich kann man einwenden: Anthologien sind immer zugleich repräsentativ und nicht repräsentativ, denn sie sind immer begrenzt, irgendwer ist immer nicht drin, irgendwas wird übersehen oder passt nicht rein; eine Auswahl ist nun mal eine Auswahl. Da ist es schon schön und erfreulich, dass die Anthologie zumindest in Sachen Geschlechtergerechtigkeit punktet: der Anteil an Frauen und Männern dürfte etwa 50/50 sein, mit leichtem Männerüberhang in einigen Ländern, mit Frauenüberhang in anderen.

„Grand Tour“ wirft wie jede große Anthologie viele Fragen nach Auswahl, Bedeutung und Klassifizierung auf. Doch sie vermag es, in vielerlei Hinsicht, auch, zu begeistern. Denn ihr gelingt tatsächlich ein lebendiges Portrait der verschiedenen Wirklichkeiten, die nebeneinander in Europa existieren, nebst der poetischen Positionen und Sujets, die damit einhergehen. Während auf dem Balkan noch einige Texte um die Bürgerkriege, die Staatsgründungen und allgemein die postsowjetische Realitäten kreisen, sind in Skandinavien spielerische Ansätze auf dem Vormarsch, derweil in Spanien eine Art Raum zwischen Tradition und Innovation entsteht, usw. usf.

Wer sich poetisch mit den Mentalitäten Europas auseinandersetzen will, mit den gesellschaftlichen und politischen Themen, den aktuellen und den zeitlosen, dem kann man trotz aller Vorbehalte „Grand Tour“ empfehlen. Wer diesen Sommer nicht weit reisen konnte, der kann es mit diesem Buch noch weit bringen.

 

Zu “Junger Mann” von Wolf Haas


junger mann „Junger Mann“, das kann man direkt vorweg sagen, ist eine Wehmutsgeschichte, eine Geschichte über die Jugend, die erste Liebe. Es ist keine schlechte Geschichte, aber wer den wilden Wolf Haas kennt, den Haas von „Das Wetter vor 15 Jahren“ oder „Ausgebremst“ oder „Die Verteidigung der Missionarsstellung“, den Haas der schiefen Komik, dem wird dieses schöne Buch, trotz gewisser Schnörkel und dem ein oder anderen eigenwilligen Witz, doch allzu brav erscheinen.

Aber eins nach dem anderen, zunächst zum Inhalt: Haas junger Mann lebt Anfang der 70er Jahre in der Nähe des Deutschen Ecks in Österreich und jobbt bereits mit zwölf Jahren an einer Tankstelle. Oft frequentiert wird diese Tankstelle von Tscho, einem Lastwagenfahrer, der oft die Strecke bis hinunter nach Griechenland fährt und in seiner Freizeit an Autos herumschraubt, Totalschäden wieder auf Vordermann bringt. Tscho ignoriert den jungen Mann, den viele wegen seiner blonden Locken und seiner fülligen Figur nur „junges Fräulein“ nennen. Als der junge Mann aber zum ersten Mal Tschos neue Freundin Elsa erblickt, ist es um ihn geschehen – er will abnehmen und er will vor allem: Elsa …

Der in vielen anderen Büchern so originelle Haas gibt sich kaum Mühe, diesem schon oft gestrickten Plot einen eigenen Stempel aufzudrücken. All die üblichen Zutaten finden sich: leicht skurrile Figuren, Scham und Neugier des jungen Mannes, Anekdoten und Anekdötchen, schließlich eine Heldenreise, auf der sich das Erwachsenwerden einzustellen beginnt, ein dunkles Geheimnis, viel Hoffnung, viel Jugend.

Natürlich hat jeder Autor (und jede Autorin) das Recht auch so ein Buch zu schreiben, ein leichtes, aber nicht allzu leichtes Buch, einen harmlosen, aber berührenden Entwicklungsroman light. Weder wird die Fettleibigkeit des jungen Mannes über Gebühr thematisiert, noch gibt es sonst irgendwelche größeren Konflikte. Wäre mit diesem Wort nicht auch Verachtung verbunden, die dieses Buch nicht verdient hätte, könnte man es ganz einfach mit einem Adjektiv beschreiben: seicht.

Seicht nicht im Sinne von belanglos. Aber schon in dem Sinne: ohne Beißen und Stechen, ohne eine Spur wirklicher Tragik. Es ist eine heile Welt, die Haas da serviert, so sehr sie auch von kleinen Erschütterungen durchzogen ist. Diese Erschütterungen halten zwar den Plot in Bewegung, dringen aber nicht bis zu den Lesenden vor, die sich einfach in der schönen Spannung der Liebesgeschichte und der Abenteuergeschichte sonnen können. Warmherzig hat jemand darüber geschrieben – ja, das stimmt. Wem danach ist, wer ein solches Buch lesen will: Voila.

Über Auden und die essayistischen Texte im Band “Ein Bewusstsein der Wirklichkeit”


  Gerade bei den Literat*innen, die einem am nächsten sind, deren Werke man liebt und an deren Fähigkeit zur Vision, zur Berührung, zur Größe man glaubt, ist man meist auch ein bisschen vorsichtig, was Erwartungen angeht, und man fürchtet oft enttäuscht zu werden, wenn man ein neues Werk von ihnen aufschlägt.

Ich liebe und schätze Wystan H. Auden, sehr. Es geht nicht einmal darum, dass ich seine Poesie als die vollkommenste bezeichnen würde, die schönste (vielleicht) oder die epischste (ganz gewiss nicht). Aber sie ist die menschlichste und darin zugleich weitreichendste Dichtung, die ich kenne. Es gibt in ihr einen Verschmelzung von Überschwang und Besonnenheit, Zuneigung und Schmerz, Freiheit und Gewissen, die ich als eine Verkörperung der Dimension des Lebens selbst bezeichnen würde – so nah dran ist sie an dem Spiegel, der uns zeigen könnte, was das Leben ist.
Auden wusste, Sehnsucht, das heißt: mit den Ketten, in denen wir liegen, zu rasseln. Auden wusste: We must love each other or die; ein Satz, den er im hohen Alter umänderte in den Satz: We must love each other and die und in dieser Änderung fühle ich mich wieder ertappt in meinem Wesen, in dieser Änderung bin ich enthalten, schwingend zwischen sadness und euphoria.

Auden bekannte: If equal affection cannot be/ let the more loving one be me. Und in seinem Gedicht „As I walked out one evening“ gelingt es ihm, den Wahnsinn und die Macht der Zeit abzubilden, am Beispiel der Liebe. Und er wusste noch vieles mehr, ebenso, wie er vieles nicht wusste. In seinen Essays, deren Auswahl in diesem Band ausnahmslos auf Rezensionen, Aufsätze und Vorwörter hinausläuft, haben dieses Bild, das ich von ihm hatte, noch ergänzt: Jetzt bin überzeugt davon, dass W. H. Auden einer der bescheidensten, einfühlsamsten und gleichsam intelligentesten Menschen war, von denen ich gelesen habe.

Wie bereits erwähnt, fasst der Band Texte, die als Vorwörter zu Büchern geschrieben wurden oder als Rezensionen über neue Publikationen. Dass sich gerade in diesen eher einfachen Formen die ganze Vielfalt von Audens Gaben in Bezug auf Beobachtung, Einschätzung, Differenzierung und Definierung zeigt, verblüfft zunächst und diese Verblüffung verliert auch nie ganz ihren Zauber. Denn egal ob Auden über Oscar Wilde, Virginia Woolf, die griechische Literatur oder über Goethe und die italienische Reise (u.v.a.) schreibt: Keine seiner Betrachtungen gerät zur intellektuellen Ausschöpfung oder Profilierung, sondern mündet jedes Mal nach gewissenhafter Facettenschau in die menschliche Dimension, die Auden der Person des Autors, dem Thema oder dem Buch angedeihen lässt, zuspricht.

Keiner der Texte in diesem Buch ist überragend, alle haben streckenweise ein gewisses Mittelmaß – dass sie dann wieder elegant und unverhofft hinter sich lassen, um in allgemeineren Ausführungen kurz und brillant die metaphysische Seite eines Aspektes zu beleuchten und zu verorten, nur um sich dann wieder ganz dem Beschriebenen unterzuordnen, einen Eindruck von dessen Möglichkeiten und Ideen zu vermitteln.

Auden war ein Schriftsteller durch und durch und doch könnte man fast meinen, dass es ihm fast vollständig an Eitelkeit gemangelt hätte. Natürlich stimmt das nicht. Aber woran es ihm nie fehlte, ist das Bewusstsein für die eigene, die fremde, die Eitelkeit an sich. In der Bescheidenheit und Arriviertheit seines Schreibens und Dichtens schwingt immer dieses Bewusstsein mit, das jeden Gegenstand erschließt, aber ihn nicht ergreift und für sich beansprucht, sondern sorgsam innerhalb Perspektive, hinter der die fernen, großen Entitäten stehen, einordnet. Dieses Bewusstsein, sanft und doch bestimmt, erhellend und ohne Zwang zur Größe, ist eine Erfahrung, in deren Bann ich gern ganz lange verweilen und der ich Seltenheitswert zusprechen würde

Würde man nach der Lektüre dieses Bandes fragen: War Auden ein Kommunist? Ein Feminist? Ein religiöser Mensch? Ein Opportunist? Ein Unruhestifter? Ein Konservativer? Ein Intellektueller? – Auf all diese Fragen würde man keine Antwort erhalten, denn obwohl manche Themen und Bücher und Ausführungen Ansätze in die eine oder andere Richtung erkennen lassen: in Audens Texten findet sich keine Agenda, sondern nur der Wunsch, den Dingen gerecht zu werden – und gerade in den Endprodukten dieses Wunsches spiegelt sich wiederum ein umfassendes Bewusstsein von gefährlichen Ideen, fatalen Entwicklungen und gesellschaftlichen Missständen, sowie von Ignoranz, die diese Texte weder ignorieren, noch provozieren. Sie stellen sich in ihren Raum und dieser Raum füllt sich mit Verständnis und Bedeutung; einer Bedeutung, die von innen kommt, nicht von außen gegeben wird.

Man lese Auden. Man lese Auden. Was soll ich sonst noch sagen.