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Zu “Ungestraft unter Palmen” von Hans Christoph Buch
„Sich vom Eurozentrismus zu distanzieren, gehört fast schon zum guten Ton, aber ein Rückblick auf die Agenda des Jahres 2014 zeigt, wie selektiv unser kulturelles Gedächtnis war und ist. Zwar wurde bis zum Überdruss an 1914 erinnert, doch die Schlacht von Dien Bien Puh 1954, die Frankreichs Präsenz in Asien beendete, fiel ebenso unter den Tisch wie die 1884 von Bismarck einberufene Kongo-Konferenz, auf der Europas Großmächte Afrika wie eine Schokoladentorte aufteilten – die Sprach- und Siedlungsräume durchschneidenden Grenzen haben bis heute Bestand.“
Um es von vornherein auf den Punkt zu bringen: dieses Buch ist eine Fundgrube, eine literarisch-essayistische vielfältige Show, die großes Lesevergnügen bietet. Ich mag die feine Selbstverständlichkeit, mit der Buch sich durch die Weltliteratur bewegt, und ganz gleich, ob er bei den Klassikern verweilt oder Entlegenes und Unbekanntes einer Betrachtung, Ausschöpfung und Skizzierung unterzieht – seine beschwingte Begeisterung garantiert lesenswerte, inspirierende Exkursionen.
„Ungestraft unter Palmen“ ist aber auch ein breites Sammelsurium und die einzelnen Texte stammen aus vielen unterschiedlichen Zusammenhängen. Interviews, Biographisches, Rezensionen, Studien, Essays, Mischformen bilden einen gemeinsamen Inhalt, der durch nichts konsequent zusammengehalten wird (wenn auch Ober-Kapitel ein paar lose Einteilungen abstecken).
Dies sollte man dem Buch nicht zum Vorwurf machen: In dieser, ins Thema preschenden, formalen Freiheit, die schnelles Aufziehen und Verknüpfen einschließt, ist Buch schließlich in seinem Element, hier gelingen ihm Illumination und kurzweilige Tiefe. Da seine Begeisterung und sein großes Register an Anekdoten und Verweisen ungeheuer ziehen, vermisst man den Rahmen eher selten.
Nur am Ende, habe zumindest ich ihn vermisst, weil sein Fehlen es schwerer macht, die Lektüre als Gesamtes zu rekapitulieren; der Text strömte beim Lesen vorbei und ergriff mich mit diesen Strömungen, aber ich schwamm selten selbst, wurde mitgezogen, mitgerissen, in Bann geschlagen, aber selten meinen eignen Gedanken überlassen; Buch leiert vieles gut an, weil er es aber nicht unbedingt konsequent selbst verfolgt, bleibt es ein Funke, der in den Lesenden nicht unbedingt zur Flamme reift.
Trotzdem ist „Ungestraft unter Palmen“ sehr lesenswert, vor allem weil es tatsächlich vielerlei Wege in die Welt der Literatur bahnt, Trampelpfade und Alleen, und dabei nicht nur gegen eurozentristische Klischees vorgeht, sondern allgemein eine diverse Perspektive forciert und erschafft – etwas, dass es dringend braucht. Denn, wie Buch Alexander von Humboldt zitiert:
„Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung derer, die die Welt nie angeschaut haben.“
Und nicht differenziert genug angesehen haben. Literatur ist im besten Fall die differenzierte Weltbetrachtungsschule par excellence. Das zeigt Buch wunderbar auf und sein Buch zählt selber zu jenen, die Bewusstseinsgrenzen erweiternden Werken.