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Zu “Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß” von Maja Präkels


Als ich mit Hitler „»Mimi, nimm’s nich so schwer. Für die kleenen Leute hat sich noch nie wat zum Bessern jewendet. Biste unten, bleibste unten.«
»Was hat das denn mit den Nazis zu tun?«
»Na allet!«“

Ich war sehr gespannt auf Manja Präkels „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“, wurde mir das Buch doch als „der Roman zur Wende, wie sie wirklich war“, angepriesen. In dieser Hinsicht wurde ich auch nicht enttäuscht und es gibt sicher wenige Bücher, die so eindringlich den Bruch in der jüngsten deutschen Geschichte beschreiben und aufzeigen, auf welche Arten und Weisen dieser Bruch nicht einfach nur ein historischer Fixpunkt war, sondern auch ein (Um)Bruch in den Biografien unzähliger Menschen.

Wie Präkels (geb. 1974) ist auch ihre Protagonistin im Teenageralter, als die Mauer fällt und kurze Zeit später die Wiedervereinigung über die Bühne geht, die in ihrer Heimatstadt, genannt die Havelstadt, vor allem zu Arbeits- und Perspektivlosigkeit führt – und in weiterer Folge zu Banden von Schlägern, die durch die Ortschaften ziehen und jagt auf Andersgesinnte und Fremde machen, mit Drogen dealen und bei denen sich schnell die Ideen der Neonazis festsetzen.

Während die Familie der Protagonistin Mimi den um sich greifenden neuen Wahn nicht wahrhaben will, vor allem aber einfach mit den eigenen enttäuschten Hoffnungen klarkommen muss (die Mutter war stolze DDR-Bürgerin, der Vater steht kurz vor dem Organversagen wegen seiner Trinkerei), flüchtet sie sich zunächst in die Gegenkultur der Punks und Außenseiter*innen, später auch nach Berlin und anderswohin.

Doch immer wieder kehrt sie zurück in die Havelstadt, deren Schicksale sie nicht loslassen, obgleich ihr immer wieder das Grauen in die Glieder fährt, wenn sie dort ist – schließlich ist sie hier Zeugin einiger entsetzlicher Verbrechen geworden, hat viele persönliche Abstürze und Rückschläge hinnehmen müssen.

Vor allem kommt sie nicht los von der Angst vor/den Gedanken an den Nachbarsjungen, mit dem sie einst lose befreundet war und der nach der Wende zu einer Art Anführer der Skinheads aufstieg, sogar den Spitznamen „Hitler“ erhielt. In diesem Konflikt, aber auch in der ganzen Geschichte, spiegeln sich letztlich einige zentrale Dilemmata einer ganzen Generation von (jungen) Ostdeutschen wider.

Trotz dieser beeindruckenden Darstellung wirkt das Buch mehr wie eine Autobiographie und nicht wie ein Roman. Viele Figuren bleiben Randerscheinungen, viele Handlungselemente werden nicht zu Ende gebracht, was aber nicht an einer mangelhaften Darstellung liegt, sondern einfach daran, dass die Geschichte wie etwas Nacherzähltes und nicht wie etwas Fiktives aufgeführt wird, was gut ist für die Authentizität ist, aber, wie gesagt, wenig von einem Roman hat.

Das nimmt dem Buch zwar nichts, aber diese falsche Etikettierung hätte man trotzdem vermeiden können. Es ist klar: am besten verkaufen sich die Bücher, wo Roman draufsteht, aber „autobiografische Erzählung“ oder „Schilderungen einer DDR-Jugend“ oder etwas in der Art wäre eine ehrlichere Bezeichnung gewesen. Davon abgesehen gibt es an dem Buch selbst wenig zu bemängeln, es ist sprachlich stark und es wäre gut, wenn viele es läsen, bietet es doch neben einer spannenden Geschichte wichtige Einblicke in die Beschaffenheit der ostdeutschen Realität nach der Wende und damit in die Geschichte einer heimlichen Katastrophe, die bis heute andauert und in den letzten Jahren einige weitere hässliche Erscheinungen, Entdeckungen und Entwicklungen nach sich zog.