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Spirituelle Erlebnisreise: “Das Heilige und das Profane” von Mircae Eliade


“Es ist das höchste Ziel des Religionshistorikers, das verhalten des homo religiosus uns sein geistiges Universum zu begreifen und es anderen begreiflich zu machen. Das ist nicht immer leicht. Für die moderne Welt ist die Religion als Lebensform und Weltanschauung kaum zu trennen vom Christentum. Ein westlicher Intellektueller hat im besten Falle die Möglichkeit, sich mit einer gewissen Anstrengung mit der religiösen Schau des klassischen Altertums oder auch bestimmten großen, östlichen Religionen wie Hinduismus oder Konfuzianismus, vertraut zu machen. […] Diese Mythologien sind schon zu sehr geprägt durch die lange Arbeit der Gelehrten […] Doch für den Religionshistoriker, der alle existentiellen Situationen des homo religosus verstehen und verständlich machen will, ist das Problem noch komplexer. Eine ganze Welt noch liegt vor den Ackerbaukulturen, die wirklich primitive Welt […] der Völker auf der Stufe des Sammelns und Jagens.” (Aus dem Vorwort)

Mit seinem Buch “Das Heilige und das Profane” hat Mircea Eliade sich auf ein Themengebiet begeben, dass weitab der heutigen menschlichen Vorstellung liegt; es nicht einmal in Medien oder Filmen oder Romanen besonders präsent. Zwar stößt man ab und zu (in Büchern über die ersten Weißen in Südamerika und in zahllosen Filmen mit Ureinwohnern oder Erzählungen von ihren Göttern und Schamanen etc.) auf eine minimale Dosis archaischer Religionskultur und -mythen, jedoch ist das ehemals globale, elementare Feld dieser spirituellen Lebensart und ihrer Lebens- bzw. Weltenmythen, bis heute, 54 Jahre nach Eliades Buch, immer noch relativ unbekannt.

“Der religiöse Mensch kann nur in einer geheiligten Welt leben, weil nur eine solche Welt am Sein teilhat und somit wirklich existiert.”

In diesem Buch geht es nicht um die monotheistischen und auch nicht um die in Asien etablierten Religionen, sondern um spirituelle Vorstellungen und Beispiele aus Zivilisationen, die vor der Zeit des Ackerbaus lebten. Es wirft ein differenziertes Bild des Spirituellen in diesen Gesellschaften auf und versucht im Ganzen die ehemalige Tragweite, die das mystische Erleben und die spirituellen Rituale in unserer Welt, in unserem Dasein, hatten, zu verdeutlichen.

Nahezu alle frühen Völker glaubten an eine von Gott geschaffene Welt, in der jeder profane Gegenstand und jeder Teil des Lebens, von der Geburt bis zum Tod, ein Symbol der Transzendenz darstellte (Eliade schreibt hierzu : “Und das Symbol spielt eine wichtige Rolle im religiösen Leben der Menschheit; durch die Symbole wird die Welt transparent, fähig Transzendenz zu zeigen”). Das heißt, dass jede Sache, die man tut und der ganze Kosmos um einen herum, nach einer bestimmten göttlichen Ausrichtung geordnet ist. Und nur in diesem Rahmen zu leben, bedeutet demnach wahrhaft zu sein.

“Das Verlangen des religiösen Menschen, ein Leben im Heiligen zu führen, ist das Verlangen, in der objektiven Realität zu leben, nicht in der endlosen Relativität subjektiver Erlebnisse gefangen zu bleiben, in einer wirklichen und wirkungskräftigen – und nicht in einer illusorischen – Welt zu stehen. (das Heilige offenbart die absolute Realität und ermöglicht dadurch eine Orientierung […])”

Dieses Verlangen, ebenso wie der nach göttlicher Ausrichtung fixierte Rahmen, sind immer noch Teil religiöser Ideale, allerdings weniger Teil der religiösen Wirklichkeit. Und gerade dieser Unterschied ist das Interessante zwischen diesen ersten archaischen Welt und der Moderne; ein Unterschied, der nicht allein mit der Religion, sondern mit der Lebenswirklichkeit zu tun hat, was Eliade sehr gut aufzeigt.

Das Buch enthält viele Beispiele aus zahlreichen Erdteilen und Kulturen, mit zahlreichen einzigartigen Facetten und Herangehensweisen; auch auf die Vielfalt der Symbole wird eingegangen: so gibt nicht nur heilige Räume, sondern auch eine heilige, immer wiederkehrende Zeit, bestimmten Riten, um sich von Zuständen zu lösen, Übergänge und Mythen von Tod und Neugeburt.

Wie gesagt: Was sich erstmal anhört wie eine bekannte, spirituell inspirierter Lebensart, ist auf einer bestimmten Ebene für uns heute fast unzugänglich; am Besten sieht man es im Vergleich:

“Für den unreligiösen Menschen sind alle vitalen Erlebnisse – Sexualität, Ernährung, Arbeit uns Spiel – desakralisiert. Das bedeutet vor allem, dass es allen diesen physiologischen Akten an einer geistigen Bedeutung und damit an der wahrhaft menschlichen Dimension fehlt.”

Der Autor beantwortet nicht die Frage, ob der desakralisierende Prozess Übel oder Unausweichlich ist; dies sei, so sagt er, auch vielmehr die Frage der Philosophie und der Psychologie. Doch weißt er uns mit dem Fingerzeig auf die vorzeitlichen Kulturen und Religionen, unbewusst auch einen Weg zu einem zweigeteilten Verständnis der Welt.
Denn obgleich der religiöse Mensch sich sozusagen bindet, um in einem geheiligen Rahmen für sein Leben Erfüllung zu finde, indem er alle Ausrichtungen seines Handelns so nah als möglich ans Göttliche verlegt, so ist doch auch der profane Mensch im Profanen auf der Suche nach einem Rahmen – aus Wissen, Macht oder Besitz – welches gleichsam heilig sein soll; weil es eine unterschwellige Verbindung zur Transzendenz (Unsterblichkeit, Ruhm, Glück, Wissen um die Metaphysik) verbricht.

Sich vorzustellen, dass alles Lebendige auf Erden ein Symbol ist, ist keinem Menschen völlig unverständlich. Auch die kultische Begehung von Sexualität (die Liebe ist eine Art Ritus, die Transzendenz errichtet) und Festlichkeiten, sind niemals ganz verschwunden. Die Sehnsucht ist geblieben und sucht zwar alle Götter zu vernichten, doch es bleibt die Frage nach dem Gott in sich und in allem, in der Welt.

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