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Zu Marcel Reich-Ranickis “Der Fall Heine”


Für viele ist er ein Euphemismus, ein überschätzter Kandidat auf den Posten eines großen deutschen Dichters. Die Ignoranz, sie ist schnell bei der Hand, wenn der Name Heinrich Heine in Literatenkreisen fällt. Dann wird gemäkelt: zu geringer Wortschatz, zu parfümiert, zu heiter, zu einfach, zu sehr Sing-Sang und die schrägsten Reime.

Marcel Reich-Ranicki gelingt es bereits in den ersten Sätzen seines Einleitungsessays den wahren Charakter, die wahre Schönheit und Vortrefflichkeit, die Einzigartigkeit und umfassende Pionierleistung von Heine hervorzuheben, was nicht einmal ein Kunststück ist, denn dieser Dichter war ein Unikum, ein widersprüchliches und leuchtendes. Die einzelnen Verdienste und Qualitäten von Heine werden in den vier Aufsätzen dieses Bandes immer wieder erwähnt, betont und veranschaulicht und auch wenn das Büchlein nicht als „Einführung“ in das Werk von Heine taugt, machen sie Lust darauf, die verschiedenen Teile seines Werks zu erforschen.

Gerade die drei letzten Texte werfen aber auch noch ein weiteres Kapitel der Person Heines auf und forschen nach den Wurzeln, den Antrieben seines Wirkens als Weltliterat, Kritiker und erotisch-sinnlicher Dichter. Eine große Rolle spricht Reich-Ranicki hier Heines emanzipiertem Judentum zu, ja macht es sogar zum Dreh- und Angelpunkt seiner geistigen Biographie. Im Zuge dieser Theorie gelingen viele Einblicke in Heines Persönlichkeit und es scheint am Ende gar nicht mehr so verwegen, Heine als Dichter der nie gefundenen Heimat, als ewig Unassimilierten zu sehen, der die Abweisung der Gesellschaft in seinen Liebesgedichten verarbeitet hat.

Um von Heine begeistert zu sein, muss man ihn selbst lesen. Aber um eine Ahnung dieser Begeisterung zu bekommen und auch ein bisschen mehr Background zu haben, lohnt es sich, diese gesammelten Aufsätze von Reich-Ranicki zu lesen.

Erwähnung zu Heine


“Sie saßen und tranken am Teetisch

und sprachen von Liebe viel.
Die Herren waren ästhetisch,
die Damen von zartem Gefühl.

Die Liebe muß sein platonisch,
der dürre Hofrat sprach.
Die Hofrätin lächelt ironisch,
und dennoch seufzet sie: Ach!

Der Domherr öffnet den Mund weit:
Die Liebe sei nicht zu roh,
sie schadet sonst der Gesundheit.
Das Fräulein lispelt: Wie so?

Die Gräfin spricht wehmütig:
Die Liebe ist eine Passion!
und präsentieret gütig
die Tasse dem Herrn Baron.

Am Tische war noch ein Plätzchen;
mein Liebchen, da hast du gefehlt.
Du hättest so hübsch, mein Schätzchen,
von deiner Liebe erzählt.”

Heinrich Heine, Meister der Melodie, gehört zu den präsentesten und, trotz vieler Nörgler, auch zu den bedeutendsten Dichtern und Denkern Deutschlands. Nicht nur ist er, neben Goethe, der meistvertonte Dichter, nein, er gehört auch zu der Art von klassischem Dichter, die man sofort wieder erkennt, in jedem Gedicht.
Was mich persönlich an ihm, immer wieder, freut und ihn mich wiederlesen lässt ist sein sicheres Wandeln in der Balance zwischen Romantik und Polemik, Melancholie und Ironie, Lied und Satire, Leichtigkeit und Ernst.

“Nichts ist vollkommen hier auf dieser Welt.
Der Rose ist der Stachel beigesellt;
Ich glaube gar, die lieben holden Engel
im Himmel droben sind nicht ohne Mängel.
[…]
Du bist, verehrte Frau, du selbst sogar
nicht fehlerfrei, nicht aller Mängel bar.
Du schaust mich an – du fragst mich, was dir fehle?
ein Busen, und im Busen eine Seele.”

Heine schrieb ein paar der schönsten Liebesgedichte…:

“Am leuchtenden Sommermorgen
geh ich im Garten herum.
Es flüstern und sprechen die Blumen,
ich aber, ich wandle stumm.

Es flüstern und sprechen die Blumen,
und schaun mitleidig mich an:
“Sei unserer Schwester nicht böse,
du trauriger, blasser Mann!”

…und doch war er auch ein sehr weiser Dichter:

“Anfangs wollt ich fast verzagen,
und ich glaubt, ich trüg es nie;
und ich hab es doch getragen –
aber fragt mich nur nicht, wie?”

…und wenn er wollte, konnte geradezu genial sein:

“Zu Weimar, dem Musenwitwensitz,
da hört ich viel Klagen erheben,
man weinte und jammerte: Goethe sei tot,
und Eckermann sei noch am Leben!”