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Zu “Klopf an dein Herz” von Amélie Nothomb


Klopf an dein Herz Das Werk Amélie Nothombs enthält einige schwierige Eltern-Kind-Beziehungen, in denen es immer wieder um Projektionen und das Schwanken zwischen Aufopferung und Eigennutz geht; und ganz generell hat die Belgierin ein Händchen für schwierige-faszinierende Beziehungen zwischen Menschen, die meist ihre Protagonist*innen und die Handlung entscheidend prägen.

„Klopf an dein Herz“, ihr neustes Werk, beginnt mal wieder mit einem Mädchen von großer Schönheit – Marie, die ein Leben voll nie endender Abenteuer vor sich sieht, nachdem sie endlich Kindheit und Schulzeit entflohen ist. Mit Vorliebe sonnt sie sich im Neid aller Umstehenden und stürzt sich auch direkt ins Vergnügen. Dann aber wird sie schwanger und ihre neue Freiheit mündet abrupt ins dezente Familienglück. Die in dieser Wendung enthaltene Enttäuschung bekommt vor allem ihr erstes Kind, die Tochter Diane zu spüren – zusätzlich ist die Mutter noch neidisch, weil Diane alle Aufmerksamkeit bekommt. Die mangelnde Liebe der Mutter führt zu einer Lücke, einem tiefen Herzschmerz des Kindes und Diane sucht nach einem eigenen Weg, diesen Schmerz zu heilen …

Alles in allem lässt sich dieses neuste Buch sehr gut mit dem letzten („Happy End“) vergleichen. Genauso wie dieses ist es beschaulich, gut zu lesen und in vielerlei Hinsicht ein nettes Vergnügen, mit einigen kleineren Spannungsmomenten, aber ohne echte Fallstricke. Die maliziösen und problematisierenden Züge, die Nothombs fiktive Werke sehr lang begleitet haben, scheint sie derzeit ein wenig auf Eis gelegt zu haben.

„Klopf an dein Herz“ glänzt dagegen mit kultivierter Psychologie und einer gepflegten Prise Exzentrik. Als Leser*in von westlicher Literatur vermisst man vielleicht ein bisschen die Anwesenheit von Sex & Crime-Elementen – aber zumindest erstere waren ja noch nie Nothombs Sache (was man für prüde halten kann, in manchen Werken aber hat genau diese Auslassung ihre Prosa auch reizvoll gemacht, weil es spannend war, zu beobachten, wie lange sie noch die Intensität ihres Texte wahren kann, ohne expliziter ins Erotische zu gehen. Anders gesagt: Nothombs Fokus liegt stets auf dem Umfeld der Erotik, nicht ihrem Inhalt, was sie zur Autorin von einigen spannenden Texten über Körper gemacht hat).

Fazit: ein ruhiges Buch, das dennoch ein paar elementare menschliche Kränkungen behandelt und darin brilliert.

Zu William Boyd “Eines Menschen Herz”


Eines Menschen Herz Man sollte vorsichtig sein mit Superlativen, aber “Eines Menschen Herz” ist eines der fesselndsten Bücher, die ich je gelesen habe. Dabei bin ich gar kein großer Freund von dicken Wälzern. Aber ähnlich wie in den besten Büchern von John Irving ergibt sich auch in diesem Buch aus dem Mix von Spannung und allmählicher Vertrautheit mit den Figuren ein Sog, ein epischer Bogen, der einen nach einer Weile nicht mehr loslässt und einen letztlich mit den simpelsten Wendungen und Szenen direkt ins Herz treffen kann, weil das Schicksal der Erzählung daran festgewachsen ist.

Auch ich habe mich, wie wohl manche/r, am Anfang mit der Form schwer getan – das fiktive Tagebuch eines Schriftstellers, das klingt schon ziemlich plakativ. Und in manchen Momenten, in denen Boyd seinen Protagonisten mit großen Namen zusammentreffen lässt (Hemingway, Picasso, Herzog von Windsor, Pollock, etc.) ist das Buch auch nah dran, plakativ zu sein.

Aber gerade in diesen Momenten zeigt sich auch Boyds Klasse, den meist wirken das Zusammentreffen und die Umstände ganz natürlich und klugerweise verlagert Boyd nie das Zentrum des Geschehens auf die populären Namen und Ereignisse, sie geben lediglich Gastspiele in dem Leben, das ansonsten hauptsächlich im Umfeld der Freund*innen & Beziehungen stattfindet. Es liegt ein Funken echter Eleganz in der Art, wie Boyd seine Erzählung immer wieder neu strukturiert, justiert und doch bei aller Weltgewandtheit, immer wieder auf das Wesentliche des einzelnen Lebens zurückkommt.

Es gibt ein paar schwächere Episoden in dem Buch, aber keine dauert sehr lange. Mit seinem langen Atem gelingt es Boyd, einem wirklich Tür und Tor zur Seele seines Protagonisten zu öffnen, ein paar geschickte Unterbrechungen und Zwischenspiele, Takt- und Ortswechsel sorgen für die nötige Authentizität und auch für die nötige Dynamik. Am Ende war ich atemlos, bewegt, erschüttert und zu gleichen Teilen entsetzt und beglückt davon, wie ein Leben im Zeitraffer vorbeiziehen kann, wie es sich füllt und doch immer kleiner wird. Für diese Erfahrung in Buchform bin ich William Boyd sehr dankbar.