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Zu “Periode ist politisch” von Franka Frei


Periode ist politisch „Weltweit menstruieren rund 300 bis 800 Millionen Menschen. Alleine in diesem Moment. Sie tun dies heimlich, oft mit Selbstzweifeln und Angst, und zu großen Teilen ohne wirklich zu wissen, was dies genau bedeutet, weil sie gelernt haben, sich dafür zu schämen. […] Viele gehen nicht in die Arbeit oder Schule, was Auswirkungen auf ihr Leben und das ihrer Mitmenschen hat. Sie haben Schmerzen, die sie womöglich mit Pillen abstellen, ohne zu wissen, was diese eigentlich mit ihrem Körper machen. […] Am Ende geht es weniger um Bluten oder Nichtbluten als um die globale geschlechterspezifische Ungleichheit, die sich auch im Thema Periode spiegelt. Das ganze klingt kompliziert, und das ist es auch. Doch dieses Buch soll nicht als weiteres unverständliches wissenschaftliches oder langweiliges Kauderwelsch vergessen werden. Es soll Teil einer Bewegung sein, die Veränderung bewirkt. Und es soll unterhalten.“

Menstruation – ein ziemlich unterrepräsentiertes Thema, sei es im medialen Tagesgeschäft, in Filmen, Romanen oder in Gesprächen. Jahrhundertelang als eine „Frauensache“ abgestempelt (was hunderte von Philosophen, Autoren, Ärzten und sonstigen Männern nicht davon abhielt, obskure und in vielerlei Hinsicht misogyne Abhandlungen darüber zu verfassen, von Aristoteles bis Paracelsus and so on), ist es auch heute noch ein Themenkomplex, der mehr von Mythen, Ressentiments und Schweigen als von Fakten und Verständnis geprägt ist.

Mit diesem Missstand will das Buch von Franka Frei gründlich aufräumen. Die Menstruationsaktivistin geht dabei, wie versprochen, unterhaltsam und ungezwungen vor, ohne allerdings zu verhehlen, wie ernst die Lage in vielen Bereichen rund um das Thema immer noch ist. Ein großer Teil der jungen Frauen auf der Welt ist bei Auftreten ihrer ersten Periode noch immer nicht ausreichend informiert (und wird es auch oft danach nicht) und nach wie vor ist die Menstruation für viele Frauen mit Scham verbunden. Hinzu kommen auch große ökonomische und ökologische Faktoren.

„Die Kosten, die für Frauen* durch bis zu insgesamt 500 Monatszyklen im Leben anfallen, liegen im vierstelligen Bereich. (Berechnungen der Seite bloodyluxurytax.de zufolge beläuft sich der Durchschnittswert sogar auf 8600 €) […] Btw an alle, die es noch nicht wussten: Die Menstruationstasse kostet einmalig zwischen 10 und 30 €, hält über viele Jahre und spart Tausende Tonnen Müll von nur geringfügig ökologisch abbaubaren Produkten wie Tampons und Binden.“

Der ökonomische Faktor war erst kürzlich in Deutschland wieder Thema, als der Bundestag die Abschaffung des Luxusmehrwertsteuersatzes auf Menstruationsartikel beschloss (also eine Senkung von 19% auf 7%). Leider scheint es so, als würden die Herstellerfirmen diese Errungenschaft durch einen Preiserhöhung nivellieren (und die Differenz als Gewinn einstreichen) wollen, wogegen einige Händler wie dm oder Kaufland erfreulicherweise bereits protestiert haben, da sie diese Erhöhung nicht nachvollziehen können und deshalb auch nicht akzeptieren wollen. In anderen Teilen der Welt ist der ökonomische Faktor noch heftiger, denn hier kann man manchmal sogar von „Periodenarmut“ sprechen, wenn einkommensschwache Familien einen nicht geringen Teil des Geldes für Menstruationsprodukte aufwenden müssen.

Die ökologischen Probleme liegen teilweise auf der Hand, aber auch hier ist es wichtig, sich einmal mit der Wucht der Zahlen zu konfrontieren. Außerdem gibt es Faktoren, die, so glaube ich, noch eher unbekannt sind – bspw. das viele Zusatzstoffe in Binden und Tampons gesundheitliche Folgen haben können oder was es mit der Periode während der Einnahme der Pille auf sich hat.

Frei beschreibt sowohl die Lage in einzelnen Ländern (in Nordafrika, Indien und anderen, in die sie reist und wo sie vor Ort mit Aktivist*innen spricht und arbeitet) als auch übergreifende Zusammenhänge und Probleme. Manchmal hat man den Eindruck, dass sie in manchen Kapiteln etwas zu viel unter einen Hut zu bringen versucht, aber da sie meist sehr direkt und handfest zu Werke geht, sind selbst diese Kapitel in ihrer dynamischen Art informativ und anregend (zumal Frei nie den Fehler macht, ihre eigene Warte nicht zu hinterfragen).

Für Unterhaltung sorgen – neben jede Menge klugen Vergleichen und dem Vorsatz, kein Blatt vor dem Mund zu nehmen – Negativ-Preise (an die schon erwähnten Aristoteles & Co und jeden, der mal zur Menstruation etwas Obskures hingekleckst hat) und ein cooles Kapitel, in dem die Absurdität der Vergleiche von Menstruationsblut mit Sperma, Rotz oder Scheiße herausgearbeitet wird.

Ich kann dieses Buch nur jedem/r empfehlen. Nicht nur, aber gerade Männer sollten es lesen. Die Periode ist eine gesunde körperliche Funktion und sollte als solche wahrgenommen werden, in jeglichen Zusammenhängen. Zugleich können Periodenschmerzen so stark sein wie ein Herzinfarkt, also ist auf der anderen Seite auch Verständnis wichtig. Das Tabu die Verteufelung der Menstruation ziehen einen riesigen Rattenschwanz an Folgeschäden nach sich, die man in Franka Freis Buch begutachten kann. Nein: sollte.

 

Zu “Ich und Earl und das (sterbende) Mädchen”


Ich und Earl und das Mädchen Jesse Andrews Jugend-/Krebsbuch kommt in einer netten, farbenfrohen Verpackung, der Name (im Englischen heißt das Buch “Me and Earl and the dying girl”, im Deutschen wurde das “sterbende” aus dem Titel des Films und der dazugehörigen Buchversion entfernt) und der Klappentext versprechen scheinbar mainstreamig-anrührendes (und doch bestimmt coming-of-age-Herzkammerflimmern!) und es gibt sogar einen Film. Diese Aspekte könnten viele Leser*innen dazu verleiten, ein anrührendes und lebensbejahendes, emotionales und tiefgründiges Buch zu erwarten. Ein Buch mit nahegehender Botschaft, mit atemloser und eindringlicher Kraft, der dünnen Haut der Jugend.

Doch gleich zu Beginn schlägt das Buch einen ganz anderen Weg ein (ob deswegen die Wirkung eine komplett andere ist, dazu später mehr). Der erste Satz (“Ich habe keine Ahnung wie ich dieses bescheuerte Buch schreiben soll”) ist schon in vielen Rezensionen zitiert worden und er kann durchaus als Ansage verstanden werden. Viele Rezensionen unterstellen ihm zusätzlich, dass er eine vorweggenommene Entschuldigung sein soll. Diesen Strick kann man drehen. Ich glaube aber, dass er die Lesenden vorbereiten und sie nicht vertrösten oder den Autor gegen Angriffe abschirmen soll. Das Buch sagt direkt: ich bin nicht so, wie du vielleicht erwartest. Denn die Dinge sind eigentlich nie so, wie man sie erwartet, wie sie kommen sollen, auch wenn Hollywood das Glauben macht.

Der Protagonist Greg ist siebzehn, sein bester Freund heißt Earl und gemeinsam machen sie Filme, inspiriert u.a. von Werner Herzog und Jean-Luc Godard, ambitioniert, aber letztendlich sind es minimalistisch-dilettantische Home-Videos, was die beiden bei aller Begeisterung auch wissen.
Gregs Familie ist ein Ausbund an Schrullen und Gewöhnlichkeiten (ein übliches coming-of-age-Rezept). An der Highschool fährt Greg eine eigene Taktik: er stellt sich mit allen gut, aber mit niemandem zu gut, was sich tatsächlich als clevere Variante erweist, diesen Hort der Cliquen und Ressentiments unbeschadet zu überstehen. So lebt er wenig besonderes, geradezu unspezifisches, auf wenige Dinge fixiertes Leben, bis dann seine Mutter eine völlig fremde Katastrophe in sein Leben trägt: die Krebskrankheit seiner Kindheitsfreundin Rachel…

Über Krebs bei Kindern/Jugendlichen gibt es schon viele Bücher & Filme. Ich behaupte dennoch, dass dieses Buch auf besondere Art und Weise damit umgeht. Von Anfang an schildert das Buch keine Geschichte von Liebe (wie John Greens “The fault in our stars”) oder die Geschichte eines Kampfes gegen die Krankheit. Überhaupt muss man sich am Ende die Frage stellen, was für eine Geschichte man da überhaupt gelesen hat, denn weder steht Rachel besonders im Mittelpunkt, noch steht es Gregs Entwicklung, noch Earls problematische Familiensituation, etc. – eine Unentschlossenheit beherrscht das Buch und seine Figuren, die natürlich frustrierend sein kann und wer mit dem etwas unorgansierten Erzählverlauf, der die Gewichtung der Themen immer wieder verschiebt, nicht klarkommt, den wird das Buch vermutlich eher aufregen als berühren.

Mich hat das Buch jedoch berührt. Vermutlich weil es nie vorgibt etwas anderes zu sein als die Geschichte eines durchschnittlichen Jungen, ohne Verlagerung auf Highschool-Kitsch, protzige Love-und-Sex-Aufputschungen, ohne Erhebung/Heldwerdung des Protagonisten, ohne fight gegen das Schicksal. Greg und Earl gewinnen (ebenso wie Rachel) schnell menschliche Dimensionen, gerade weil sie unspektakulär sind und ihre Geschichte an der Oberfläche unspektakulär verläuft. Berührend und im gewissen Sinne spektakulär werden dadurch nicht die Aufmachung, nicht der große Bogen, sondern die kleinen Momente, die erst richtig zur Geltung kommen und aus dem kleinen Raum der plötzlichen Erkenntnisse, der peinlichen Ereignisse, der scheinbar unausweichlichen Gewohnheiten entspringen.

“Ich und Earl und das (sterbende) Mädchen” ist nicht immer ein Lesevergnügen. Es hat seine Albernheiten, seine annoying Eigenheiten, stilistisch wie konzeptuell, und es wirkt irgendwie unfertig. Aber genauso ist das Leben, sind unsere Gefühle, unsere Vorstellungen oft, zumindest mit siebzehn: unfertig, fragil. Dieses Unfertige würde ich in diesem Fall nicht als Fehler, sondern als feature bezeichnen. Wir kommen nun mal oft nicht über das hinaus, was wir sind, das ist eine traurige, aber oft zu beobachtende Tatsache. Aber wir versuchen es und es ist der Verdienst von Andrews Buch, dass es, bei all seinen Mängeln, genau dieses Versuchen so gut darstellt. Nicht immer ist es das Widrigste, was wir überwinden müssen, es ist sogar selten das Widrigste. Meist ist es schlicht die Gewohnheit oder unsere eigene Komfortzone, unsere liebgewonnene Vermeidungstaktik, das gepflegte Nichteinmischen/-einsehen, etc.