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Zu Florian Freistetters “Eine Geschichte des Universums in 100 Sternen”


100 Sterne “Am Anfang wurde das Universum erschaffen – das machte viele Leute sehr wütend und wurde allgemein als Schritt in die falsche Richtung angesehen“, heißt es in Douglas Adams „Per Anhalter durch die Galaxis“. Aber jetzt ist es nun mal da und wir mittendrin. Und auch wenn Douglas Adams opus magnum durchaus noch einige Vorschläge bereithalten würde, wie wir mit diesem Universum umgehen können und sollen, werde ich mich jetzt doch lieber dem Buch von Florian Freistetter zuwenden, das uns in Sachen Universum vor allem zweierlei vermittelt: Staunen und Dimensionen.

Auf der Erde und unter Menschen ist die Idee des Daseins unauflösbar verknüpft mit dem Begriff des Himmels (sowohl in seiner profanen, als auch in allen metaphysischen Bedeutungen), unter dem (noch) alle Menschen ihr Leben beginnen, zum großen Teil führen und (soweit mir bekannt) bisher auch immer beendet haben. Er begrenzt unsere „Welt“ – alles jenseits des Himmels (seit wir wissen, dass es ein jenseits davon gibt) ist das Universum (wobei auch wir eben eigentlich im Universum leben). Dieses Universum haben wir schon immer wahrgenommen, lange Zeit allerdings weniger im Detail, sondern vor allem als Sternenhimmel.

Es liegt also nah, Geschichten über das Universum (und unsere Beziehung zu diesem) am Beispiel von 100 Sternen zu erzählen – nicht nur, weil sie die Himmelskörper sind, die diese Beziehung schon am längsten prägen und begleiten, von frühen Mythen bis zur Quantenphysik, nein, man kann sie durchaus auch als Dreh- und Angelpunkt des Universums, wie wir es bisher sehen und verstehen, bezeichnen. Was meint: in Geschichten und Entdeckungen, die mit Sternen zusammenhängen, kann man auch die meisten anderen Phänomene schildern, die das Universum ausmachen. Und genau das tut Freistetter.

Und er tut es mit einem großen Gespür für Anschaulichkeit und beweist, das will ich unbedingt positiv hervorheben, trotz seines Fokus auf physikalische und astronomische Themen immer wieder ein sehr sensibles Bewusstsein für das Einbringen von kulturellen Kontexten und aktuellen wie historischen Bezügen (darunter auch Ungerechtigkeiten und Fragwürdigkeiten), mal explizit, mal inhärent, wodurch das ganze Buch zu einer sehr angenehmen und auch erfreulich diversen Lektüre wird; dazu gesellt sich noch ein feiner, lockerer, unaufdringlicher Humor, der allerdings nie ins Kraut schießt, stets nur den Stil abrundet. Allerhöchstens die Kapitelenden sind mitunter etwas zu betont versöhnlich, lieblich.

Die 100-Sterne-Geschichten haben zwar nicht alle dieselbe faszinierende Wirkung, alles in allem liefert das Buch aber durchweg spannende und interessante Einblicke in unseren Kosmos und in die Verfahren der Astronomie. Viele Themen wiederholen sich (was dem geschuldet ist, dass Freistetter die Kapitel möglichst autonom gestalten wollte), aber das stört eigentlich nicht, sondern bringt im Gegenteil einen Lerneffekt mit sich – mit jeder Geschichte findet man sich also schon ein bisschen besser in der Materie zurecht.

Die Themenkomplexe in Freistetters Sternengeschichten reichen von theoretischen Überlegungen bis zu praktischen Entdeckungen, von dunkler Materie bis zu schwarzen Löchern, von Methodenbeschreibungen bis zum Erzählen von mythischen Geschichten. Im Zentrum steht immer die Beschaffenheit des jeweiligen Sterns und warum er in einem oder mehreren Kontexten spannend für die Wissenschaft und/oder bedeutend für die Historie ist/war. Manche Sternen tragen Namen, viele nur Katalogbezeichnungen, einige sind bekannte Himmelslichter, einige sind selbst von der Wissenschaft nur auf Umwegen verzeichnet worden.

Man lernt eine Menge über den Kosmos und die Menschen und Instituten und Maschinen, die ihn untersuchen und erforschen, und mir kam es nie mühsam vor, dieses Wissen zu begreifen oder zumindest aufzunehmen. „Eine Geschichte des Universums in 100 Sternen“ gehört zu jenen wunderbaren Büchern, die irgendwo zwischen Populärwissenschaft und Fachlektüre stehen, und einen zwar in fremde Welten entführen, aber dabei auch eine Vorstellung von realen Gegebenheiten und jede Menge Informationen vermitteln. Auch sehr schön: hinten im Buch befindet sich ein ganzes Verzeichnis mit weiteren Büchern, also Möglichkeiten, die Lektüre zu vertiefen! Fazit: ein tolles, tolles Buch!

Zu “Hellblazer – Original Sins/Erbsünde 1”


hellblazer - erbsünde Hellbrauner Trenchcoat, Krawatte, eine Zigarette im Mundwinkel oder in der Hand, blondes Haar, dazu eine leicht ignorante Lebenseinstellung, eine Mischung aus C’est la vie und Carpe diem, aus Scheiß-drauf und Muss-halt-sein.

Soweit die Markenzeichen von John Constantine, britischer Magier und Meister des Okkulten, der genau 300 Hefte lang seine eigene Serie Hellblazer bei Vertigo Comics hatte. Kreiert wurde die Figur ursprünglich (anscheinend war das Erscheinungsbild des Musikers Sting eine wichtige Inspirationsquelle) von Graphic-Novel-Legende Alan Moore (u.a. Autor von Watchmen) für the Swamp Thing, wo er in den Ausgaben #37-77 vorkommt (wer einen der wichtigsten ST-Auftritt von Constantine besitzen will, der auch in den ersten Comicnummern von Hellblazer eine Rolle spielt, der sollte sich Vol. 1 der Hellblazer-Sammlung besorgen, wo neben den Ausgaben #1-9 auch zwei Nummern von Swamp Thing enthalten sind, nämlich die Nummern #76-77. Das Cover der Vol. 1 ist unten abgebildet, ISBN 978-1401230067. Mehr zu Constantines ST-Auftritten findet man hier).

Jamie Delano, der erste Autor der Hellblazer-Serie, übernahm Moores Charakterprägung, ging aber eigene Wege bei der Story-Gestaltung und Entwicklung von J. C. In seinen Swamp Thing-Auftritten ist Constantine eine Figur mit viel Persönlichkeit, aber eher wenig Hintergrund. Delano hingegen macht aus ihm schon in der ersten Geschichte (bestehend aus #1-2) einen Person mit Vergangenheit – und schubst uns direkt in seine Welt.

Constantine kommt gerade aus Südamerika zurück und im verregneten London an. Wir wissen schon ein bisschen mehr als er, den auf den ersten Seiten haben wir einem Mann dabei zugesehen, wie er, von einem mehr als animalischen Hunger getrieben, immer mehr Essen in sich hineinstopft und schließlich in einem Restaurant zuerst die Gäste anfällt, dann zusammenbricht und kurz darauf als verhungerte, ausgedörrte Leiche endet.

Constantine wird zunächst von seiner Haushälterin damit konfrontiert, dass ein alter Freund ihn oben in der Wohnung erwartet. Der “Freund” stellt sich als der Junkie Garry Lester heraus, der in Nordafrika einen Dämon gebannt hat, ihm aber dann nicht gewachsen war, mit dem Behältnis nach London kam und es, als er Constantine – von dem er sich Hilfe erhofft hatte – nicht antraf, kurzerhand an eine Freundin in die USA verschickte.

Constantine muss nun also nach Nordafrika (um zu erfahren mit was für einem Dämon er es genau zu tun hat) und schließlich mit Lester in die Staaten, wo bereits einige weitere Menschen verhungert sind, kurz nachdem sie sich Massen von ihren Lieblingsgütern einverleibt haben…

Delano wirft uns in Constantines Leben und in eine Welt, in der rituelle Magie (egal ob für Schamanen oder für New Yorker bzw. Londonder-Autodidakten) etwas Greifbares ist und die Grenze zwischen irdischen und anderen (vor allem infernalischen) Sphären dünn und brüchig sind. Er (und John Ridgway) stellen gekonnt die Schrecken dar, die Besessenheit der Opfer, aber auch an einigen Stellen die Wesenheiten der Dämonen, in manchen Passagen erinnern diese Darstellungen gar an die Werke von H. P. Lovecraft (das Erscheinungsbild von Mnemoth, dem ersten größeren Dämon in Hellblazer, wäre ohne Lovecrafts Werk wohl generell undenkbar).

Hunger und A feast for friends sind Klassiker und wichtige Hellblazer-Figuren wie Papa Midnite und Constantines Freund Chas haben hier gleich ihre ersten Auftritte. Constantine geht auch sofort seiner bekanntesten Tätigkeit nach, auf die auch in der nicht ganz überzeugenden, aber auch nicht völlig misslungen Verfilmung von 2005 der Hauptfokus gelegt wurde: er schickt Dämonen, die in die reale Welt eingebrochen sind, ins Jenseits zurück – mit Risiko, Cleverness und Fatalismus.

Geschickt ist auch (ich habe es bereits erwähnt), wie Delano Constantine gleich in dieser ersten Geschichte als gezeichneten Menschen mit reichhaltiger Vergangenheit darstellt. Nicht nur mit Lester und Midnite verbindet ihn eine Vorgeschichte, die Leser*innen werden zusätzlich mit einigen anderen Geistern aus seiner Vergangenheit konfrontiert und es wird angedeutet, dass viele dieser Freund*innen bei Ereignissen umkamen, die mit Magie zu tun hatten und die Constantine knapp überlebte; das Newcastle-Ereignis hängt wie ein Damokles-Schwert über den ersten Constantine-Erzählungen. Schon diese ersten Geschichten zeigen ihn als Antihelden, der im hohen Maße Rauschmitteln wie Zigaretten und Alkohol zuspricht und der von seiner Tätigkeit elektrisiert ist, darin aufgeht, aber eigentlich durch sie ein Getriebener ist.

#3, Going for it, stellt ein kurzes Einzelstück dar, das vor allem noch einmal verdeutlicht, dass sich in der Welt von Hellblazer oft Dämonen auf der Erde tummeln und dort in vielen Gestalten und Gewändern auftreten und Einfluss nehmen. In diesem Kabinettstück lebte Delano außerdem seine Absicht aus, kritisch über England und das London der damaligen Gegenwart (1988) zu schreiben. So stehen im Zentrum der Geschichte Dämonen, die sich als reiche Yuppies ausgeben und mit den Seelen von Menschen handeln, das alles vor der Kulisse der Oberhaus-Wahlen von 1987. Alan Moore hätte diese scharfzüngig-bittere Satire wohl nicht besser hingekriegt.

#4, Waiting for the man, ist dann der Auftakt zu ersten längeren Storyline von Hellblazer, fortgeführt in den Nummern #5-9. Constantine lernt Zed kennen, eine junge Frau mit einer Frisur wie Cruella Deville, mit der anzubändeln beginnt. Kurz darauf wird seine Nichte entführt. Im Zuge dieser Entführung sieht er sich sowohl mit einer dämonischen als auch einer göttlichen Armee konfrontiert. Es scheint etwas Größeres im Gang zu sein und auch Zed, ebenfalls magisch und vielseitig begabt, sagt nicht alles, was sie weiß…

Der deutsche Verlag Schreiber & Leser hat einige Constantine-Nummern auf Deutsch herausgebracht. Davon wichtig, weil auf Deutsch sonst nicht zu bekommen, sind die ersten neun Hefte (in diesem und dem zweiten Erbsünde-Band zusammengefasst) und ein paar Hefte aus dem Run von Brian Azzarello, der in der Chronologie sehr viel später einzuordnen ist.

Leider sind Farbwahl und Druckqualität der deutschen Ausgabe sehr mangelhaft (teilweise sind dunkle Konturen komplett schwarz gehalten, als wären die entsprechenden Bereiche zensiert) und wer auch auf Englisch lesen kann und mag, dem würde ich die bereits erwähnte und unten abgebildete Vol. 1 empfehlen. John Ridgway ist eigentlich kein schlechter Zeichner, liefert zwar keinen Hochglanz, dafür aber jede Menge kleiner, wilder Innovationen und Ideen.

Leider hat auch die Vol. 1-Ausgabe einen Makel mit der deutschen Version gemeinsam: oft waren die Panels bei den Hellblazer-Originalausgaben so angelegt, dass sie quer über die ganze Doppelseite liefen. In den Buchausgaben wurde dem nur unzureichend Rechnung getragen, man muss die Bände förmlich platt drücken, wenn man das ganze graphische Erlebnis haben will.

Dennoch: Es war ein guter Einstand für John Constantine. Von Anfang an hat zumindest er als Hauptfigur eine Tiefe und Coolnes, die einen dranbleiben lässt.

original sins

Fazit:

Wichtigkeit im Hellblazer-Universum:
🌟 🌟 🌟 🌟 🌟
Grafik:
🌟 🌟 🌟 🌟
Story:
🌟 🌟 🌟 🌟
Aufmachung:
🌟 🌟 (schlechter Druck und im Buchformat problematisch wegen der Doppelseitennutzung der Originale. Ein Stern mehr für die englische Vol. 1 Ausgabe)

Zu den Gedichten in “unter einem himmel” von Stephan Eibel Erzberg


“Das ist das Erste, was mich an Eibel Erzbergs Gedichten verblüfft: sie sind von einer eleganten Selbstverständlichkeit. Sie hängen nicht am Tropf des Bildungskanons und sie sind auch nicht von den Privatschwierigkeiten jener Art von Autoren gezeichnet, deren Texten man anmerkt, dass sie aus der tapferen Überwindung einer Einfallslosigkeit entstanden sind.”

Wenn der durchaus elaborierte Essayist und Intellektuelle Franz Schuh so etwas in ein Nachwort schreibt, dann gleicht das quasi einem Ritterschlag – und es macht außerdem Erwartungen auf, zu große natürlich, die von den schlichten, spaßig-sporadischen Gedichten nicht eingelöst werden können.

“and that’s the point
du ziehst am joint
hast eine zündende idee:

das all hat einen knall
ur”

Dabei kann ich verstehen, worauf Schuh mit seinen Ausführungen abzielt, aber er hätte sie halt nicht so generös und groß aufblasen sollen, bis aus Vorzügen strahlende Qualitäten werden. Ja, diese Gedichte hängen an keinem Bildungskanon und die tapfere Überwindung der Einfallslosigkeit kann man ihnen auch nicht vorwerfen. Letzteres aber nur, weil man ihnen generell eher selten eine besondere Mühe ansehen kann. Diese Gedichte sind poetische Eintagsfliegen, die es sich leicht machen, die sich die meiste Zeit von einem Wortspiel zum nächsten, vom Alltagsschnippchen zur Polemik hangeln und das alles in Verse setzen. Hier und da geschieht das mit einem gewissen Formwillen, manchmal aber auch dermaßen salopp und bar jeder Eleganz, dass ich die Haare sträuben. Wenn ein Gedicht schon so beginnt:

“heut gibt’s kein zwingen
kein muss zum gelingen”

muss ich zugeben, schalte ich ab. Dabei ist die Idee hinter diesen Gedichten eine alte und nicht unbedingt schlechte: die der Gebrauchslyrik. Der Verse, die einfach das Profane des Lebens einfangen und, durch ihre Form und ihre Dynamik, um eine transzendente Ebene ergänzen. In manchen Gedichten von Eibel Erzberg geschieht das auf gelungene, sogar sensible Weise. Zum Beispiel in einem Gedicht, wo es um das Lachen geht und wo es heißt:

“meine mutter sagte: schau
und schon lachten meine schwester und ich
[…]
und heute geht das lachen ohne schau
ohne schau genau

nur viel seltener”

Der Wunsch nach dem Kindheitslachen, der hier zum Ausdruck gebracht wird, ist durchaus ein würdiges Sujet für ein Gedicht. Und auch manche schnoddrige oder hintersinnige Replik oder kritische Wortmeldung gelingt dem Autor vorzüglich, so ein Gedicht zum Thema “Normalität”:

“wars nicht vorgestern
oder erst gestern?

noch normal?”

Aber all diese Möglichkeiten schöpft der Band eben nicht immer voll aus und nicht immer formt er sie aus. Oft gefallen sich die Gedichte in einer Gefläztheit, die dann auch etwas Gestelztes mit sich bringt. Die Selbstverständlichkeit, von der Schuh spricht, kann halt schnell zur bequemlichen Basis werden, zur Entschuldigung für wenig Form, für wenig Ästhetik und wenig Gewinn für die Lesenden.

Ich mag die Richtung, in die sich die Leichtigkeit mancher Verse wendet, aber man muss sich hier schon die Rosinen aus dem Kuchen picken. Das nervt mitunter, und bei einer kleineren Auswahl mit etwas weniger plumpen Schnellschüssen, wäre dieser Eindruck zu verhindern gewesen.

Dichter mit der Virtuosität des Himmels – Einblick in Federico Garcia Lorcas Gedichte in drei Kapiteln


I – Dichtung vom Cante Jondo

“In dem gelben
Turm der Kirche
läutet eine Glocke.

Auf dem gelben
Winde öffnen
sich weit die Glockentöne.

In dem gelben
Turm der Kirche
höret auf die Glocke.

Der Wind macht aus dem Staube
verwehnde Silberbüge.”

Federico Garcia Lorca gehörte zu den bedeutendsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Überschattet werden seine beinah universellen Kompetenzen auf den Gebieten des Dramas und der Lyrik (man könnte ihn von ungefähr mit Bertolt Brecht vergleichen, suchte man ein deutsches Äquivalent) jedoch bis heute durch seinen dramatischen Tod (1936, ermordet durch die Guardia Zivil von Franco) und die Fixierung der Nachwelt auf einige wenige Werke – im Drama seine sehr späten sozial-kritischen Stücke, in der Lyrik seine surrealen Exzesse aus Dichter in New York.

Dabei gehört meiner Meinung nach Garcia Lorcas lyrisches Gesamtwerk, von den frühen Romanzen, bis zu den New York-Gedichten, zu den schönsten und innovativsten Poesie-Werken überhaupt. Es ist von magischer Vollkommenheit und verbindet Romantik, Avantgarde und Symbolismus auf ganz eigene, zwischen Melancholie und Erhebung, Glanz und Gloria zerrissene, Weise.

“Die Nacht verdichtet sich wie hundertjähriger Wein. Im Morgengrauen öffnet die große Schlange des Südens ihre Augen, und die Schläfer haben ein unendliches Verlangen…”

“Dichtung von Cante Jondo” gehört zu den frühen Gedichtwerken. Unmittelbarkeit, Minimalismus und manifestierende Metaphern (siehe oben: Hundertjähriger Wein) prägen das ruhige Bild dieser Verse; auch das dieser Rezension vorrangstellte Gedicht wurde von Lorca mit der Anmerkung “im tiefsten Gitarrenbass” versehen.

II – Dichter in New York

“Auf der Terrasse kämpft’ ich mit dem Monde.
Schwärme von Fenstern durchlöcherten einen Schenkel der Nacht.
Aus meinen Augen tranken des Himmels sanft Kühe.
Und an des Broadways Fensterscheiben, grau wie Asche, klopften
die Brisen mit sehr langen Schwingen.”

Viele Facetten hat das Werk „Dichter in New York“ und ich möchte nicht zu weit ausholen, auch wenn es viel zu diesem Werk zu sagen gäbe, da die Verstörung und Begeisterung, die es wie einen Schmetterling, der einen Orkan beschwört, erscheinen lässt, letztlich verraucht, schwer mittelbar ist.

Surreale und paradierende Gänge sind es, die Garcia Lorca, gleich einem rollenden Augenapfel in einem Ungeheuer von Stadt (dem Big apple) niederschreibt, ausufernd und doch immer so nah an einem festen Eindruck, dass surreal schon fast wieder zu einfach gegriffen ist. Es sind Poetisierungen, aber voller Winkel, in denen sich viel wirklicher Schmutz ansammelt und verschmiert.

Der wichtigste Punkt, zu dem Ich hier noch etwas mit einbringen will, ist der der Übersetzung. Wer also gerne inhaltlich beraten werden will, den verweise ich auf die gesetzten Textbeispiele.

“Ich.
Es gibt kein neues Zeitalter, kein neues Licht.
Nur ein azurnes Pferd und einen Morgenanbruch.”

Ich habe “Dichter in New York” in der alten Übertragung von Enrique Becks gelesen (so noch zu finden in der hervorragenden Werkausgabe in drei Bänden und der handlichen Insel-Ausgabe der Gedichte, außerdem natürlich in der Suhrkamp-Bibliothekfassung von Dichter in New York. Da ich des Spanischen nicht mächtig bin, mag meine Stimme wahrscheinlich (zu Recht) kaum Gewicht in dieser Debatte haben, doch möchte ich trotzdem hier einmal leise gegen die Kritik an Becks Übersetzung protestieren.
Schon immer sind Neuübersetzungen großer Werke mit abschätzigen Bemerkungen gegen die alten Übersetzungen einhergegangen. Bei Hemingway, bei Dostojewski, bei Rimbaud, Baudelaire undundnund… vielleicht nicht immer zu Unrecht. Doch man sollte mittlerweile vorsichtig sein, es pauschal zu tun.

“Das Heulen
ist eine lange violette Zunge, welche hinterlässt
Entsetzensameisen und Liliensaft.”

Im Mittelpunkt steht beim Übersetzen/Übertragen immer die gleiche Problematik: Wortgetreu und stil-nah übersetzen oder versuchen Intention und Aussage des Künstlers in die eigene Sprache zu transferieren – was nicht das Gleiche ist, wenn auch manchmal beides geht, ohne eines zu vernachlässigen!

Viele Übersetzer wählen den Mittelweg und fahren gut damit. Wenn der Übersetzer selber ein Dichter ist, wird er zwangsläufig versuchen, die poetische Nuance, das besondere Fluidum des Gedichts zu retten, ganz egal, ob das durch die erste oder zweite Variante geschieht.
Übersetzen ist auch eine eigene Kunstform und fast schon die Schaffung eines neuen Werkes. Deswegen ist es auch bei diesem Genre oft so wichtig zwischen Übertragung und Übersetzung zu unterscheiden. Was Enrique Beck gemacht hat, ist sicherlich eine Übertragung (so steht’s auch in meinem Band), die sich auch noch etwas an seiner Vorstellung von “poetisch” orientiert haben wird, die zugegeben etwas zu sehr an diesem Wort hängen mag und deren heute als zu erhaben angesehene Geste. Aber: zu behaupten die neue Übersetzung sei garantiert mehr im Sinne von Lorca gewesen, dass halte ich für sehr vermessen (die Toten zu rekrutieren ist an sich fragwürdig). Lorca hätte nie auf Deutsch geschrieben, von daher ist es wider dem Sinn, dass irgendeine deutsche Fassung von sich behaupten kann, die einzig getreue Übersetzung zu sein. Übersetzen ist interpretieren. Lyrik ist Spiegel. Zu behaupten in einen Spiegel müsse man so sehen, dass das richtige heraussieht …

Jedoch: Natürlich muss die Übersetzung mit der Zeit gehen und neue Übersetzungen will ich daher auch nicht hinter die alten stellen, ganz im Gegenteil. Solange aber Becks Dichtungen mir das Gefühl geben, die Schreie zu bemerken und die Klagen dieses Werkes zu verstehen, kann ich sie nicht als unzureichend oder ungemäß ansehen – und ob die nüchterne, neue Version jetzt so sehr der spanischen Sprachwirksamkeit entgegenkommt, wo die deutsche Sprache eine ganz andere hat, will ich auch noch mal still bezweifeln.

“Gleich sah man, dass der Mond
ein Pferdeschädel und die Luft
ein dunkler Apfel war.”

“Die Nacht hat’ einen Spalt
und ruhige Salamander, elfenbeinern.
Es trugen die amerikanischen Mädchen
Kinder im Bauch und Münzen…”

Soviel zu der Übersetzung. Hiernach kann ich nur noch mal sagen, dass, ganz egal in welcher Übersetzung, dieses Buch eine surreale, kantige, buntblutige Freude ist, die man sich nicht entgehen lassen sollte. Sie ist die Krönung eines großen dichterischen Werkes und als solche schon von unermesslichem Reichtum, aber durch ihre unnachahmliche Kraft und Schönheit, weiß sie das auch jedem einzugeben.

“Ich strauchle schwankend durch die harte, feste Ewigkeit
und Liebe endlich ohne Morgengrauen. Liebe. Sichtbare Liebe!”

“und wer den Tod da fürchtet, trägt ihn auf den Schultern”

III – Diwan des Tamarit

“Niemand hatte je den Duft erfahren
von deines Bauches dunkler Magnolie.
Niemand wusste, dass ein Liebeskolibri
du zwischen deinen Zähnen hast gemartert.”

Die letzten Dichtungen Federico Garcia Lorcas weisen ihn noch einmal als einen großen Sprachmagier und elementaren Dichter aus. Bedrückende Verse, doch voller Schönheit.

Diwan des Tamarit musste postum veröffentlicht werden, ebenso wie die über Jahre nicht vollendeten Sonette der dunklen Liebe, zu denen der Diwan quasi gehört.

“Tausend kleine Perserpferdchen schliefen
auf dem Mondesplatz deiner Stirne.
während ich vier Nächte deine Hüften,
Feindinnen des Schnees, umschlungen habe.”

Unerklärliche Trauer, Lust und nahe Dunkelheit – der Einband in Lila und Schwarz von Suhrkamp wirft es voraus – sind die zentralen Themen dieser Gesänge und Betrachtungen, die scheinbar von Lorca teilweise nach altindischer Form geplant waren; zumindest tragen einige der Werke Titel wie “Gasel von der unvermuteten Liebe” oder “Kasside von der Wehklage”, beides altindische Gedichtformen.

“Ich habe meinen Balkon geschlossen,
weil ich nicht hören will die Klage,
doch hinter dem grauen Gemäuer
hört man nichts anderes als die Klage.”

Lorca lyrisches Gesamtwerk ist beeindruckend, aber wie bei Brecht und seinen Buckower Elegien, ist dies letzte Werk auch bei Lorca, dieser letzte Federstrich, das Anrührenste unter allen, obwohl die Thematik manchmal eher abgründig und abweisend wirken kann. Sprachlich ist dies Werk jedoch so vollkommen, so mündend wie ein Fluss, dass vielleicht der Inhalt sogar letztlich zurückstehen muss, hinter so viel unbedachter Schönheit.

“Ich will, dass das Wasser bleibt ohne Flussbett.
Ich will, dass der Wind bleibt ohne Täler.”