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Zu “Tagebuch eines frischvermählten Dichters” von Juan Ramón Jiménez


Tagebuch eines frischvermählten Dichters besprochen beim Signaturen-Magazin.de

Zu “Apfel und Amsel” von Jürgen Nendza – So werden wir von Stille als Natur durchleuchtet…


“Wir betreten Regen,
öffnen sein Hemd, die Luft dahinter liegt
wie nackte Haut auf den Zweigen.”

“Moderne Gedichte sind”, klagte einst ein nicht unbedeutender Kritiker, “wie ein Segel ohne Schiff.” Man könnte diese Metapher weiterspinnen: Ist es überhaupt möglich ein solches Segel zu setzten? Und wenn das Gedicht es dennoch schafft – wäre das nicht gleichsam ein Wunder, das die inhärente Magie manches Gedichts sehr gut illustrieren würde? Diese schiere Unmöglichkeit einer Darstellung, die sprachlich dennoch gelingt, ein Umweg als die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten

“Eine verirrte Stille, die ist
wie ein Mensch und kreist um die Liebe.”

Ich möchte mich nicht als Experte in Sachen Poesie aufschwingen, auch weil Ich glaube, dass es auf diesem Gebiet keine Experten geben kann. Das ist auch der Grund, warum ich glaube, dass beinahe jede Lyrik (wohlgemerkt jede, die zur Veröffentlichung gelangt oder bei der dies geschehen sollte) wertvoll ist und dass sie zu einem viel häufiger zur Hand genommenen Beispiel einer bewusstseinserweiternden Substanz werden sollte. Wie Joseph Brodsky sagte: “Das Lesen von Lyrik ist ein höchst ökonomische Form geistiger Beschleunigung.” Und ein hoher Anteil der Lyrik auf dem Markt ist nicht einmal wirklich kompliziert, sondern legt die Gewichtung nur viel stärker in die Worte selbst; wie der Raum, der die Zeit krümmt, soll Sprache hier die Vorstellung krümmen – und solange sie dabei nicht völlig egozentrischen Diktionen folgt, ist sie nicht nur lesbar, sondern auch erfahrbar. Man nehme z.B. die Gedichte von Jürgen Nendza.

“Das Licht
bedeutet wir sind wach. Wir stehen auf: Die Zeit ist

unerreichbar zwischen Atemzügen. Und dieses Tasten
nach der Hand, wenn die Sätze sich verlaufen.”

Das Licht, das gleichsam den Morgen, den Anbruch der Wärme ankündigt und doch auch auf alles kalte, leblose, allgemein auf alle Pfeiler der sinnlichen und physischen Welt fällt, ist der Katalysator und Erzähler in fast allen Gedichten von “Apfel und Amsel”. Es schleichen die Sommertage und das unverfänglich Freie von Momenten in lebensfreundlicher Natur darin herum, während im Vordergrund vor allem der ständig wechselnd Eindruck des lyrischen Ichs dominiert, das seine unbewegten Schatten auch auf Erinnertes und Assoziiertes zurückwirft (und trotzdem nie zu einer wirklich persönlichen Lyrik wird, sondern eher eine sehr grundideenhafte Komponente behält). Natürlich geschieht das nicht so profan, wie ich es hier schildere. Wenn man eins sagen kann, dann dass Jürgen Nendza für die oben beschriebene Spielweise genau den richtigen Wortschatz ausgetüftelt hat, der teilweise von der geradezu tautologischen Verwendung einiger weniger Stichworte wie “Stille” (und ihren sprachlichen Verwerfungen und ihrer Kombinatorik), “Licht”, “Luft”, “Reh” u.a. und teilweise von sehr filigranen, fast märchenhaften Bildern lebt, wie z.B.:

“Du kommst herein,
die Hände voller Seen, auf denen Blätter treiben.”

“Dein Lächeln, eine handvoll Reis.”

aber auch Bildentsprechungen, die wir alle kennen, von Waldspaziergängen und Momenten der plötzlichen Gewissheit einer Übereinstimmung mit den stillsten und gleichsam aus sich selbst seienden Teilen der Natur:

“ein Moorloch, in dem
das Sterben glänzt bei schönem Wetter.”

Diese Textauszüge sind hier natürlich dergestalt aus dem Zusammenhang gerissen, das Nendza sie oft als Gegengewicht, als ein quasi dem Gedicht innewohnendes Lächeln oder Zwinkern, Blinzeln etc. verwendet, das seine ansonsten sehr vagen und zirkulierenden, beinahe durchsichtigen Beobachtungen um eine physischere Note ergänzt. Poetisch ist aus diesem Zusammenspiel auf jeden Fall eine große Vielfalt assoziativen Potentials erwachsen, das Nendza fast schon zu oft bestätigt; eine unkognitive, aber sehr zärtliche Ungewissheit, die das Leben wie ein Xylophon mit kindlich geschulter Hand bespielt. Das Summa sumarum dieses Spiels, die lichtintensive Erfahrung einer Ich-Natur, die gleichsam dem Ich und der Natur (also das, was dem durch das Ich gefilterter Beobachtung entspricht, aber eben nicht nur das ist) angehört, ist sehr beeindruckend, wenn auch nicht sehr kontemplativ, sondern illuminativ und begrenzt.

“Wir sind Passanten
im Wort und du beklagst, dass Zeit
in deine Seele eindringt.”

Wenn man von Schönheit in der Poesie redet, dann scheint es meist unumgänglich, dass man beinahe jeder Zärtlichkeit in einem lyrischen Text eine gewisse Schönheit zugesteht. Doch Lyrik gewinnt ihre Schönheit auch elementar aus ihrer eigenen, nicht von 0 auf 100 zu erreichenden Art und Weise, mit Sprache Schritt für Schritt etwas zu erzeugen, wozu die Prosa auch auf tausenden von Seiten nicht in der Lage wäre. Robert Frosts Satz: “Happines makes up in height for what it lacks in length”, kann ebenso gut auf Poesie übertragen werden.

In diesem Sinne sind Jürgen Nendzas Gedichte fabelhafte Lyrik. Seine Gedichte beweisen Schönheit in subtilen Fresken und Augenblicken; sie festzuhalten, gleicht dem Versuch, das Licht reisen zu sehen, nachdem man es angestellt hat oder es versiegen zu sehen, wenn man es ausschaltet – wobei trotzdem noch ein paar der oben genannten Zitate bleiben. Schließlich müssen sich die Augen nach der Lektüre solcher Gedichte erstmal wieder an die Wirklichkeit gewöhnen; aber man bleibt ein wenig erleuchtet.

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