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Zu “Wir sagen uns Dunkles” über Paul Celan & Ingeborg Bachmann


Ingeborg Bachmann und Paul Celan: schon um ihre einzelnen Existenzen und Werke ranken sich Legenden, Geheimnisse und allerhand literaturwissenschaftliches Beiwerk ist zu diesem Kosmos aufgehäuft worden. Aus der Geschichte der Nachkriegslyrik sind sie, jeder für sich und aus unterschiedlichen Gründen, nicht wegzudenken. Doch die Launen des Schicksals (oder eine geheimnisvolle Zwangsläufigkeit) bescherten der deutschen Literatur darüber hinaus eine kleine Liebesgeschichte poetischen Ausmaßes, mit Wendungen, vieldeutigen Bezügen und vielzitierten Anekdoten. Diese Geschichte ist eng mit dem Briefwechsel verbunden, der 2008 unter dem Titel „Herzzeit“ publiziert wurde.

Doch in welchen Kontexten die Briefe standen und was sich an Hintergründen und Verflechtungen zusammentragen lässt, ein Buch dazu stand noch aus. Helmut Böttiger, ein renommierter Autor, hat nun mit „Wir sagen und Dunkles“ einen Versuch gewagt.

Der Titel (ein Zitat aus Celans Gedicht Corona) ist in zweierlei Hinsicht trefflich: zum einen klingt darin viel von dem Nimbus an, welcher die Beziehung bist heute umgibt und auch das Wesen dieser Beziehung, ihre Grundlagen und ihre Art der Kommunikation, deutet sich in der Zartheit und Untiefe dieses Satzes an. Zum anderen ist darin aber auch ein Faktum festgestellt, dass einen leichten Schatten auf das Buch wirft: einiges wird für immer im Dunkeln bleiben. Denn trotz des Briefwechsels und verschiedener Aussagen von Freund*innen, Weggefährt*innen und anderen Zeitzeug*innen, gibt es Lücken und weiße Flecken, die auch Böttiger nur mit Spekulationen füllen kann – gut abgewogenen Spekulationen, die genug Licht werfen, nichtsdestotrotz bleibt es eine nicht ganz zu Ende erzählte Geschichte. Das Buch weist allerdings auch über diese Geschichte hinaus.

Die Geschichte zweier dichterischer Existenzen ist nahezu zwangsläufig die Geschichte einiger Sehnsüchte, einiger Lebensthemen, die in der Begegnung aufeinanderprallen, aufgefangen werden, sich aneinander reiben, sich spiegeln, sich irritieren. Aus diesem guten Grund hat Böttiger nicht einfach nur die wenigen Zeiträume in Licht gerückt, in denen sich konkret etwas zwischen Bachmann und Celan entwickelte, sondern beleuchtet im Stile einer Doppelbiographie mal den einen, mal den anderen Lebensweg, und lediglich das besondere Augenmerkt liegt auf den Überschneidungen und gemeinsamen biographischen Höhepunkten.

Es ist bemerkenswert wie Böttiger sich auf die Einzelpersonen einlässt – bei beiden gelingt ihm eine sehr organische Darstellung der Persönlichkeiten, mit allen Widersprüchen und Mythen. Ich würde sogar so weit gehen und behaupten, dass der wahre Verdienst dieses Buches die Darstellung der Einzelexistenzen ist: in ihrer ganzen Vielschichtigkeit werden die beiden Dichter*innen entschleiert, ohne dadurch entzaubert zu werden. Und auch wie sie sich in ihrer Zeit bewegen, ist vielfach ein Thema. Geschickt kreist das Buch um alle profanen und gesellschaftlichen Probleme, aber auch um alle seelischen und existenziellen Nöte, Entscheidungen und Ereignisse.

Um letztere zu umreißen unternimmt Böttiger einige, geradezu leidenschaftliche, Tauchgänge in die Privatmythologien der beiden Dichter*innen und analysiert die subtile, unterschwellige Korrespondenz, die über Jahre hinweg in ihren Schriften stattfindet; ihr unterschiedlich gewichtetes, aber hier und da mit einem Widerschein des anderen versehenes Ausformen. Passagen, die die Lebensentwürfe und -stationen der beiden im Fokus haben, wechseln sich ab mit anderen, in denen feine Analysen der jeweiligen Gedichte. Briefe oder Aussagen erbracht werden.

Kurzum: der Versuch ist geglückt. Nach diesem Buch sieht man die Geschichte von Paul Celan und Ingeborg Bachmann noch einmal ganz anders und an vielen Stellen klarer. Das verdankt sich nicht zuletzt der guten Strukturierung und der anschaulichen, nicht nur an der Oberfläche bleibenden Darstellung, die auch Hintergründe, die das Gesamtbild der beiden Charaktere komplettieren, aber nicht direkt etwas mit ihrer gemeinsamen Karriere zu tun haben, einbringt. Ein faszinierendes und über weite Strecken sehr gelungenes Doppelporträt, das an vielen Stellen über sich hinauswächst.

Mit Ingeborg Bachmann in Bildern reden – Die Sämtlichen Gedichte


“Ich bin ein Strom,
mit Wellen, die Ufer suchen.
[…]
Ich bin satt von der Zeit
und hungere nach ihr.
[…]
Tief im Grund verlang ich immer
alles restlos zu erzählen,
in Akkorden auszuwählen,
was an Klängen mich umspielt.
[…]
Ich weiß die Welt näher und still.”

Die besten Dichter lassen uns ständig auf- und untertauchen. Sie heben uns zur Sonne ihrer größten Gedanken und werfen uns in die Wasser der tiefsten Empfindungen. In den besten Gedichten, so finde ich, wandeln sich Stimmungen in etwas um, das man erzählen kann. Zumindest in den besten Gedichten von Ingeborg Bachmann.

“Die Axt der Nacht fällt in das morsche Licht.”

Ingeborg Bachmann, die früh verstorbene Galionsgestalt der Nachkriegspoesie, gehört mit ihrem recht schmalen Werk zu den größten lyrischen Stimmen des 20. Jahrhunderts. In einem manchmal übermächtigen Sturm aus Anbrechendem und Bildern gefangen, gleichzeitig einschneidend mit jedem ihrer Worte, und oft in eine zusammenfaltende Instanz ablaufend, die alles stillt, hat dieses Werk, zärtlich bis suggestiv, kaum einen Punkt, an dem es nicht ungreifbar und rätselhaft wäre, doch an jedem dieser Punkte kann man ebenso in eine tiefe Pupille geraten, eine weitführende Aussage, gebogen, gleich den Krümmungen in den Aussichten des Ich – oder der Sprache?

“Ich bin mit Gott und seiner Welt zerfallen,
Und habe selbst im Knien nie gefühlt,
dass es den Demutfrieden gibt,
den alle anderen sich so leicht erdienen.”

Woher geschieht die Tragik in diesem Werk, die Tragik, die Bachmann umgibt wie eine Kerze die Finsternis und nicht das Licht. Teils ist sie wohl dem biographischen Meißel zu verdanken, der seine Vertiefungen in das Gestein der Texte geschlagen hat. Mit einer scheinbar als permanent zu begreifenden Schwebe tritt Gedicht um Gedicht auf – aber eigentlich fällt alles hier in eine große Tiefe, dem Fallen fast noch mehr als dem Aufprall überlassen; es ist die Fallhöhe, die Bachmann schmiedet, in fast all ihren Texten.

„Es könnte viel bedeuten: wir vergehen,
wir kommen ungefragt und müssen weichen.
Doch daß wir sprechen und uns nicht verstehen
und keinen Augenblick des andern Hand erreichen,

zerschlägt so viel: wir werden nicht bestehen.
Schon den Versuch bedrohen fremde Zeichen,
und das Verlangen, tief uns anzusehen,
durchtrennt ein Kreuz, uns einsam auszustreichen.“

In einer Bewegung, zwischen Ansage, Beschwörung und dem Schreiben des Umtosenden, entsteht die Fliehkraft, die Bachmanns Werk oft einer genauen Bestimmung entzieht. Aus dieser Tatsache entsteht wiederum eine andere Bestimmung, ja, sogar eine Kraft, jene Bedeutung, die Bachmanns Dichtung immer noch innehat, jene einzigartige Komponente, die in ihr enthalten ist wie eine Essenz. Was sie uns sehen lässt, das findet sich nicht dort, wo es zu sehen ist, sondern nur in einem abgewandten Sinn, von dem die Worte ihre Form erhalten, ihre Sprache, ihr Wesen.

Verzweiflung und Ungewissheit, dominante Themen, aber sie schmälern nicht, dass Bachmann eine der poetischsten Lyrikerinnen überhaupt ist, gerade weil sie es „zwischen die Dinge“ schafft; es ist, als würde sie in ihren eigenen Worten erwildern und doch teilt sie ununterbrochen eine Sprache mit uns, eine Wirklichkeit, wie von der Nadel einer Spritze tropfend, die gerade noch in denen Venen allen Geschehens steckte. Bachmann ist weder abstrakt noch klar, sondern schlicht poetisch; manchmal reimt sie, manchmal nicht; es ist schwierig eine überflüssige Zeile zu finden.

Thematik und Erfolg sind natürlich auch von der Zeit bestimmt. Ihre beiden Gedichtbände erschienen 1953 (Gestundete Zeit) und 1956 (Anrufung des großen Bären), also nicht sehr lange nach dem Krieg, wo diese vage ausholende Dichtung, die Motive aufgriff, ohne sie zu plakatieren, verarbeitete, aber nicht aufbereitete, den Zeitgeist traf. Dennoch läge man völlig falsch, wollte man ihre Lyrik als ausschließlich historisch-relevant einsortieren. Bachmann wurde vielleicht -auch- berühmt, weil sie in ihren Gedichte Zeilen niederschrieb wie:

“Wo Deutschlands Himmel die Erde schwärzt,
sucht ein enthaupteter Engel ein Grab für den Hass
und reicht dir die Schüssel des Herzens.”

aber der größte Teil ihrer Verse ist von einer großen Universalität; der Universalität einer Welt, gespiegelt in der Ungewissheit eines einzelnen Individuum, eines einzelnen Wesens.

“In der Dämonen Gelächter gebrannt,
bodenlos, sind die Schalen
dieses glücklosen Lebens,
das bis zum Rand uns bedenkt.”

Bachmann ist, meiner Meinung nach, keine Dichterin, die man rundum verstehen kann, sondern vielmehr eine, die einen immer wieder versucht.
Lassen wir ihr das letzte Wort und diesen vier Zeilen, in denen sie uns Schicksal des Dichters lesen lässt:

“Vielleicht kann ich mich einmal erkennen,
eine Taube einen rollenden Stein…
Ein Wort nur fehlt! Wie soll ich mich nennen,
ohne in anderer Sprache zu sein.”