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Von Anziehung und Angst und allem dazwischen, das man sucht


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Es gibt eine Folge der Erfolgsserie “How I met your mother”, wo die beiden Figuren Robin und Ted ein Gespräch auf einer Party führen. Im Verlauf dieses Gesprächs sagt Robin: “If you have chemistry, you only need one other thing – timing. But timing is a bitch.” Zu Deutsch etwa: “Wenn Anziehung da ist, braucht es nur noch eine andere Sache: den richtigen Zeitpunkt. Aber es ist reine Glückssache, ob der sich jemals ergibt und ob man ihn dann auch erkennt/nicht versaut.”

An diesen Satz musste ich öfters denken, während ich Sally Rooneys zweiten Roman, der mir vielfach empfohlen wurde, las. Zunächst, auf den ersten Seiten, war ich skeptisch. Die Sprache gefiel mir nicht und die Story schien mir irgendwie vorhersehbar, die Charaktere auch; es hatte etwas von einem leicht gehobenen Jugendbuch. Aber bald schon kippte ich doch hinein, wurde teilweise sogar mitgerissen.

Am Ende bin ich zwar nicht hingerissen, aber doch davon überzeugt, dass “Normale Menschen” den Hype durchaus verdient hat. Nicht etwas, weil es ein literarisch hochbedeutendes Meisterwerk ist, sondern weil es ein Buch ist, das einer Vielzahl von Leser*innen nahe gehen, ihnen etwas geben kann. Es beschreibt nämlich im Kern ein Dilemma, mit dem sich die meisten Menschen, wenn sie jung sind, im Zuge ihrer ersten Liebe, einmal konfrontiert sehen: Was ist romantische Liebe, was muss und kann sie mir bedeuten, wie wichtig ist sie mir im Gegensatz zu allem anderen, was kann sie mir geben, das ich nirgendwo anders finde? Und: inwiefern unterscheidet sich guter Sex von echter Nähe? Wie hängt das zusammen, Anziehung und einander etwas geben können.

Es gibt ein, durch viele Hollywoodfilme und Geschichten geschürtes, Ideal der romantischen Liebe, das in unserer Gesellschaft eine zentrale Rolle spielt. Wobei, schon bei Platon gibt es die Geschichte von den Kugelmenschen, die auseinandergerissen wurden und jetzt über die Erde wandern, um ihr Gegenstück wiederzufinden und sich wieder zu vereinigen. Mittlerweile ist dieses Ideal zwar etwas aufgeweicht, durch neue Beziehungskonzepte auf der einen und wissenschaftsorientiertem Zynismus (es geht ja immer nur um Fortpflanzung, das ist alles nur Hirnchemie) auf der anderen Seite, aber beides dürfte kaum den Gefühlen von Teenager*innen Einhalt gebieten, die sich das erste Mal verlieben, sich das erste Mal heftig und heimlich zu jemandem hingezogen fühlen.

Geschichten über diese erste Liebe, dieses erste Begehren werden also wichtig bleiben und viele Menschen werden etwas von/über sich darin wiederfinden. Rooney kombiniert diesen Aspekt noch auf sehr gelungene Art und Weise mit dem Faktor der Angst. Der Angst vor Verlust, der Angst vor Gewalt, der Angst vor der Zukunft, der Angst vor dem Scheitern. Alles Regungen, die, meist uneingestanden, unsere Entscheidungen immens beeinflussen. Rooney legt die Auseinandersetzung mit diesen Ängsten nicht direkt offen, aber unterfüttert damit klug die ganze Geschichte um Marianne und Connell.

Noch ein Wort zur Form: ich habe oben gemeint, dass Rooneys Buch kein literarisches Meisterwerk ist, möchte hier aber noch mal betonen, dass ich seine Form dennoch als sehr gelungen empfinde. Es ist unterteilt in Kapitel, die jeweils abwechselnd aus der Sicht der beiden Protagonist*innen erzählt werden und jeweils so und so viele Tage, Monate nach dem letzten Kapitel spielen (das ist dann die Kapitelüberschrift). Es ist beeindruckend wie souverän Rooney dabei lose Fäden wieder aufnimmt und neue Entwicklungen durch Verzögerung mit Spannung auflädt.

Mein Kritik oben hat daher auch mehr mit den Motivationen und Handlungen der Figuren zu tun, die zwar nie aus dem Ruder laufen, in manchen Abschnitten aber doch etwas “over the top” sind. Dann erscheint es so, als müsse jetzt noch mal ganz deutlich gemacht werden, wie diese Figur drauf ist, obwohl es eigentlich sonst eine Stärke des Buches ist, dass es subtil vorgeht und viele Dinge eher indirekt verhandelt. Es ist schade, wenn auch nicht gänzlich unverständlich, dass es dann an einigen Stellen zu nicht ganz schlüssigen Ausbrüchen kommen muss.

Alles in allem ist es aber ein Buch, das ich empfehlen kann.

Zu der Anthologie “Grand Tour”


Grand Tour

Grand Tour, das ist ein etwas altbackener Titel für eine doch sehr beachtliche Anthologie, die uns mitnimmt auf eine Reise (oder sieben Reisen, denn als solche werden die Kapitel bezeichnet) in 49 europäische Länder und eine Vielzahl Mentalitäten, Sprachen, Stimmen und Lebenswelten, ins Deutsche übertragen von einer Gruppe engagierter Übersetzer*innen (und das Original ist immer neben den Übersetzungen abgedruckt).

Laut dem Verlagstext knüpft die von Jan Wagner und Federico Italiano betreute Sammlung an Projekte wie das „Museum der modernen Poesie“ von Enzensberger und Joachim Sartorius „Atlas der neuen Poesie“ an – vom Museumsstaub über die Reiseplanung zur Grand Tour, sozusagen.

Dezidiert wird die Anthologie im Untertitel als Reise durch die „junge Lyrik Europas“ bezeichnet. Nun ist das Adjektiv „jung“, gerade im Literaturbetrieb, keine klare Zuschreibung und die Bandbreite der als Jungautor*innen bezeichneten Personen erstreckt sich, meiner Erfahrung nach, von Teenagern bis zu Leuten Anfang Vierzig.

Mit jung ist wohl auch eher nicht das Alter der Autor*innen gemeint (es gibt, glaube ich, kein Geburtsdatum nach 1986, die meisten Autor*innen sind in den 70er geboren), sondern der (jüngste erschlossene) Zeitraum (allerdings ist die abgedruckte Lyrik, ganz unabhängig vom Geburtsdatum der Autor*innen, nicht selten erst „jüngst“ entstanden).

Wir haben es also größtenteils mit einer Schau bereits etablierter Poet*innen zu tun, die allerdings wohl zu großen Teilen über ihre Sprach- und Ländergrenzen hinaus noch relativ unbekannt sind. Trotzdem: hier wird ein Zeitalter besichtigt und nicht nach den neusten Strömungen und jüngsten Publikationen und Talenten gesucht, was selbstverständlich kein Makel ist, den ich der Anthologie groß ankreiden will, aber potenzielle Leser*innen sollten sich dessen bewusst sein.

Kaum überraschen wird, dass es einen gewissen Gap zwischen der Anzahl der Gedichte, die pro Land abgedruckt sind, gibt. Manche Länder (bspw. Armenien, Zypern) sind nur mit ein oder zwei Dichter*innen vertreten, bei anderen (bspw. England, Spanien, Deutschland) wird eine ganze Riege von Autor*innen aufgefahren. Auch dies will ich nicht über die Maßen kritisieren, schließlich sollte man vor jedem Tadel die Leistung bedenken, und würde mir denn ein/e armenische/r Lyriker/in einfallen, die/der fehlt? Immerhin sind diese Länder (und auch Sprachen wie das Rätoromanische) enthalten.

Es wird eine ungeheure Arbeit gewesen sein, diese Dichter*innen zu versammeln und diese Leistung will ich, wie gesagt, nicht schmälern. Aber bei der Auswahl für Österreich habe ich doch einige Namen schmerzlich vermisst (gerade, wenn man bedenkt, dass es in Österreich eine vielseitige Lyrik-Szene gibt, mit vielen Literaturzeitschriften, Verlagen, etc. und erst jüngst ist im Limbus Verlag eine von Robert Prosser und Christoph Szalay betreute, gute Anthologie zur jungen österreichischen Gegenwartslyrik erschienen: „wo warn wir? ach ja“) und auch bei Deutschland fehlen, wie ich finde, wichtige Stimmen, obwohl hier natürlich die wichtigsten schon enthalten sind. Soweit die Länder, zu denen ich mich etwas zu sagen traue.

Natürlich kann man einwenden: Anthologien sind immer zugleich repräsentativ und nicht repräsentativ, denn sie sind immer begrenzt, irgendwer ist immer nicht drin, irgendwas wird übersehen oder passt nicht rein; eine Auswahl ist nun mal eine Auswahl. Da ist es schon schön und erfreulich, dass die Anthologie zumindest in Sachen Geschlechtergerechtigkeit punktet: der Anteil an Frauen und Männern dürfte etwa 50/50 sein, mit leichtem Männerüberhang in einigen Ländern, mit Frauenüberhang in anderen.

„Grand Tour“ wirft wie jede große Anthologie viele Fragen nach Auswahl, Bedeutung und Klassifizierung auf. Doch sie vermag es, in vielerlei Hinsicht, auch, zu begeistern. Denn ihr gelingt tatsächlich ein lebendiges Portrait der verschiedenen Wirklichkeiten, die nebeneinander in Europa existieren, nebst der poetischen Positionen und Sujets, die damit einhergehen. Während auf dem Balkan noch einige Texte um die Bürgerkriege, die Staatsgründungen und allgemein die postsowjetische Realitäten kreisen, sind in Skandinavien spielerische Ansätze auf dem Vormarsch, derweil in Spanien eine Art Raum zwischen Tradition und Innovation entsteht, usw. usf.

Wer sich poetisch mit den Mentalitäten Europas auseinandersetzen will, mit den gesellschaftlichen und politischen Themen, den aktuellen und den zeitlosen, dem kann man trotz aller Vorbehalte „Grand Tour“ empfehlen. Wer diesen Sommer nicht weit reisen konnte, der kann es mit diesem Buch noch weit bringen.

 

Zu Sebastian Barrys “Tage ohne Ende”


Tage ohne Ende “Noch während wir den Pfad entlangreiten, können wir sehen, wie übel Lige dran ist. Ein wunderschöner Bach, der wie ein endlos bereifter Bart verläuft. Feld um Feld besorgt aussehnenden Landes. Hohes geschwärztes Unkraut, und halb geerntete, verfaulende Nutzpflanzen. Dieses vergilbte Land und dann der erschrocken wirkende Himmel, der sich bis zum Himmelreich erstreckt, und überall am Horizont die Stümpfe und Stacheln unbekannter Bäume.”

Mit diesem Roman stand der Ire Sebastian Barry 2017 auf der Longlist für den Man Booker Prize, dem wichtigsten Literaturpreis für britische Prosa. Schon vorher hat er sich mit einem Roman über den ersten Weltkrieg und anderen über die Auseinandersetzungen im Irland des frühen 20. Jahrhunderts hervorgetan. In “Tage ohne Ende” hat er sich einer neuen Region zugewandt: dem nordamerikanischen Kontinent zur Zeit des Wilden Westens und des US-amerikanischen Bürgerkrieges.

Protagonist und Ich-Erzähler ist ein Ire, Thomas McNulty, der als Jugendlicher vor den großen Hungersnöten in die neue Welt geflüchtet ist und dort auf seinen Freund und seine große Liebe John Cole trifft. Mit ihm tanzt er zunächst, als Frauen verkleidet, im Saloon einer Bergarbeiterstadt, bevor sich beide zur Armee verpflichten und nach Westen ziehen, gegen die Indianer und bald in den Krieg…

“Wie ein irischer Simplicissimus stolpert er durch das Grauen der Feldzüge gegen die Indianer und des amerikanischen Bürgerkriegs – davon und von seiner großen Liebe erzählt er mit unerhörter Selbstverständlichkeit und berührender Offenheit.” So heißt es im Klappentext. In der Tat ist der Vergleich mit Grimmelshausens bitterbösbrachialem Roman über den 30jährigen Krieg nicht unangebracht: hier wie dort beherrscht eine rücksichtslose, unabwendbare Rohheit alle Lande, es findet sich kaum ein Schrei nach irgendeiner Form von Zivilisiertem, Überleben und Ertragen sind das tägliche Handwerk, das nicht stilisiert, sondern schlicht vorgeführt wird; die Offenheit ist zwar nicht direkt berührend, aber besticht durchaus.

Das Genre des Wild-West-Romans ist, würde ich behaupten, eng mit Groschenheften verknüpft; Barrys literarischer Ansatz leistet hier Pionierarbeit und sein Buch ist ein bemerkenswerter Versuch, in einem von Klischees und Heroismus, Mythen und Stilisierung beherrschten Themenfeld eine eigene Geschichte zu entwickeln, die realistische Maßstäbe an den Tag legt. Ihm gelingen beeindruckende Darstellungen, sein Timing für kleine Momente abseits der düsteren Grunderzählung ist tadellos.

Ich glaube dennoch nicht, dass dies ein Buch ist, das viele Leser*innen überzeugen wird. Ähnlich wie Kazuo Ishiguros großartiger Sagenroman “Der begrabene Riese” (Ishiguro hat sich sehr anerkennt zu diesem Roman von Barry geäußert), ist „Tage ohne Ende“ in seiner Komposition zu eigenwillig, um ein breites Lesepublikum für sich zu gewinnen. Er hat keine epischen Tendenzen, keine epische Grundstimmung, ist rustikal und direkt, mitunter poetisch – und viele Leser*innen werden diesen Mix für einen Mangel halten, obgleich gerade darin die Kraft seiner Darstellung liegt.

Vielleicht irre ich ja, ich hoffe es. Denn obgleich mich der Roman nicht begeistert hat (über Geschmack lässt sich nicht streiten), ist er große Literatur, eine bestechende Erzählung und ein wichtiges Dokument.