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Zu “Hellblazer – Original Sins/Erbsünde 2”


Hellblazer - Erbsünde 2 In den ersten vier Heften von Hellblazer (zusammengefasst in “Erbsünde 1” mehr dazu hier) lernte John Constantine (den Haupt-Charakter stelle ich ebenfalls unter dem Link zu Erbsünde 1 vor) Zed kennen, eine junge Frau mit unklarer Vergangenheit, die aber mehr zu wissen schien, als sie zugeben wollte. Hat sie etwas mit den Erlösungskriegern zu tun, die überall auf der Welt neue Gläubige um sich scharen? Auf was bereitet sich diese ominöse Glaubensrichtung vor?

Zunächst treffen wir Constantine in #5 (engl. Titel: “When Johnny comes marching home”, ein altes Lied aus der Sezessionskriegszeit) aber nicht in England, sondern in den Staaten an, wo er etwas für das Swamp Thing erledigt hat. Irgendwo in Iowa hört er von Erweckungskriegern, die mit Gebeten eine Kampf-Einheit zurück nach Hause holen wollen, deren Mitglieder vor 19 Jahren in Vietnam fielen. Nur einer hat überlebt und ist seitdem geplagt mit Angstzuständen und Wahnvorstellungen, heimgesucht von Erinnerungen. Bald verzahnen sich nicht nur in seinem Kopf, sondern auch in der Wirklichkeit die Zeitebenen und im Dorf bricht die Hölle los wie einst in Südostasien … Delanos kurzer Shot zum Trauma der amerikanischen Geschichte ist zwar mitunter etwas sprunghaft, deckt aber trotzdem viele Dimensionen ab. Constantine ist fast nur Zuschauer in diesem Stück, fassungslos ob der menschlichen Abgründe und schicksalhaften Wendungen.

In #6 und #7 (“Extreme Prejudice” und “Ghosts in the machine”) versucht Constantine Zed vor den zwei Mächten, die um sie ringen, in Sicherheit und gleichzeitig mehr über diese Mächte in Erfahrung zu bringen: die Damnation Army, die der Dämon Nergal um sich schart und die Erlösungskrieger, für die Zed nicht nur eine wichtige Rolle zu spielen scheint, sondern denen sie anscheindend einst entflohen ist.
Nach einem Angriff auf sie durch die Dam. Army bringt Constantine Zed bei seinem alten Freund Ray unter und versucht mit Hilfe seines Bekannten Ritchie mehr über die Erlösungskrieger herauszufinden, speziell einen besonderen Zweig: die Feuerzungen. Doch Zed ist bei Ray leider nicht sicher und Ritchie begibt sich bei seiner Magie-Erkundung der digitalen Zugänge der Feuerzungen etwas zu tief in den Kaninchenbau … Neben der eigentlichen Story versteht es Delano geschickt (unterstützt von den wuchtigen, dann wieder ruhigen Zeichnungen von John Ridgway) sowohl Komik als auch Ernst einfließen zu lassen. Immer wieder nimmt sich Delano außerdem Zeit und Raum für Seitenhiebe und unterschwellige progressive Stellungnahmen: Aids ist kurz ein Thema, Hooligans und englischer Fußball auch.

In den letzten beiden Issues (#8 und #9, “Intensive Care” und “Shot to Hell”) vor dem Finale der großen Hellblazer-Geschichte (das findet erst in #10 statt) begegnet Constantine dem Dämonen Nergal, der die Damnation Army leitet, persönlich. Der heilt ihn von einigen Verletzungen, im Gegenzug soll Constantine Zed finden und töten, denn mit ihrer Hilfe könnten die Erlösungskrieger das Jüngste Gericht einläuten und den Kampf zwischen Himmel und Hölle entscheiden. Constantine sagt widerwillig zu, als Nergal Unschuldige mit hineinzuziehen droht, entzieht sich dann aber, flüchtet. In #9 treffen wir ihn als gebrochenen Mann, verfolgt von allen möglichen Erinnerungen und (handfesten) Geistern. Aus einer unerwarteten Richtung erhält er schließlich eine Standpauke … Die Auflösung der Geschichte um Zed und die Erlösungskrieger, in #9 bereits größtenteils vorweggenommen, ist fast schon unspektakulär, sodass man sich fast ein wenig betrogen fühlt – aber doch so schlitzohrig, dass man es Delano eigentlich schon wieder verzeiht. Mit den Heften #5-9 prägte der Autor die fatalistische Note, die Constantine seither immer ein bisschen zu eigen war. Er erscheint als der gebrochene Mann, der diese Gebrochenheit nur dann hinter sich lassen kann, wenn er ein paar Gefühle zulässt und viele anderen abschaltet; wenn er alle Menschen hinter sich lässt – retten kann er eh niemanden, allerhöchstens die Welt.

Auch bei der zweiten Erbsünde Ausgabe von Schreiber & Leser sind die Farbwahl und die Druckqualität leider mangelhaft; nicht ganz so schlimm wie im ersten Band, aber schlimm genug (auch hier: teilweise sind dunkle Konturen des Originals schlicht schwarz, als wären die entsprechenden Bereiche zensiert). Wer auch auf Englisch lesen kann und mag, dem würde ich Vol. 1 der Hellblazer-Sammlung empfehlen (deren Mängel habe ich im Text zu Erbsünde 1 bereits erläutert).

John Constantines erste große Liebe, die erste Beinahe-Schlacht zwischen Himmel und Hölle, das alles halten die Nummern #5-9 bereit. In vielerlei Hinsicht steht die Serie noch wacklig dar, hat manchmal etwas wenig Profil. Constantine kämpft vor allem gegen Fanatiker, weniger gegen Dämonen. Aber in seiner Welt wird es immer so aussehen: das Böse immer an beiden Seiten und in der Mitte steht er, weder gut noch böse, beraubt von beiden Seiten, gezeichnet, ein Magier und Trickser, ein einfacher Gambler im großen Spiel der höheren und tieferen Sphären.

original sins

Fazit:

Wichtigkeit im Hellblazer-Universum:
🌟 🌟 🌟 🌟
Grafik:
🌟 🌟 🌟 🌟
Story:
🌟 🌟 🌟 🌟
Aufmachung:
🌟 🌟 (schlechter Druck und im Buchformat problematisch wegen der Doppelseitennutzung der Originale. Ein Stern mehr für die englische Vol. 1 Ausgabe)

Zu “Hellblazer – Original Sins/Erbsünde 1”


hellblazer - erbsünde Hellbrauner Trenchcoat, Krawatte, eine Zigarette im Mundwinkel oder in der Hand, blondes Haar, dazu eine leicht ignorante Lebenseinstellung, eine Mischung aus C’est la vie und Carpe diem, aus Scheiß-drauf und Muss-halt-sein.

Soweit die Markenzeichen von John Constantine, britischer Magier und Meister des Okkulten, der genau 300 Hefte lang seine eigene Serie Hellblazer bei Vertigo Comics hatte. Kreiert wurde die Figur ursprünglich (anscheinend war das Erscheinungsbild des Musikers Sting eine wichtige Inspirationsquelle) von Graphic-Novel-Legende Alan Moore (u.a. Autor von Watchmen) für the Swamp Thing, wo er in den Ausgaben #37-77 vorkommt (wer einen der wichtigsten ST-Auftritt von Constantine besitzen will, der auch in den ersten Comicnummern von Hellblazer eine Rolle spielt, der sollte sich Vol. 1 der Hellblazer-Sammlung besorgen, wo neben den Ausgaben #1-9 auch zwei Nummern von Swamp Thing enthalten sind, nämlich die Nummern #76-77. Das Cover der Vol. 1 ist unten abgebildet, ISBN 978-1401230067. Mehr zu Constantines ST-Auftritten findet man hier).

Jamie Delano, der erste Autor der Hellblazer-Serie, übernahm Moores Charakterprägung, ging aber eigene Wege bei der Story-Gestaltung und Entwicklung von J. C. In seinen Swamp Thing-Auftritten ist Constantine eine Figur mit viel Persönlichkeit, aber eher wenig Hintergrund. Delano hingegen macht aus ihm schon in der ersten Geschichte (bestehend aus #1-2) einen Person mit Vergangenheit – und schubst uns direkt in seine Welt.

Constantine kommt gerade aus Südamerika zurück und im verregneten London an. Wir wissen schon ein bisschen mehr als er, den auf den ersten Seiten haben wir einem Mann dabei zugesehen, wie er, von einem mehr als animalischen Hunger getrieben, immer mehr Essen in sich hineinstopft und schließlich in einem Restaurant zuerst die Gäste anfällt, dann zusammenbricht und kurz darauf als verhungerte, ausgedörrte Leiche endet.

Constantine wird zunächst von seiner Haushälterin damit konfrontiert, dass ein alter Freund ihn oben in der Wohnung erwartet. Der “Freund” stellt sich als der Junkie Garry Lester heraus, der in Nordafrika einen Dämon gebannt hat, ihm aber dann nicht gewachsen war, mit dem Behältnis nach London kam und es, als er Constantine – von dem er sich Hilfe erhofft hatte – nicht antraf, kurzerhand an eine Freundin in die USA verschickte.

Constantine muss nun also nach Nordafrika (um zu erfahren mit was für einem Dämon er es genau zu tun hat) und schließlich mit Lester in die Staaten, wo bereits einige weitere Menschen verhungert sind, kurz nachdem sie sich Massen von ihren Lieblingsgütern einverleibt haben…

Delano wirft uns in Constantines Leben und in eine Welt, in der rituelle Magie (egal ob für Schamanen oder für New Yorker bzw. Londonder-Autodidakten) etwas Greifbares ist und die Grenze zwischen irdischen und anderen (vor allem infernalischen) Sphären dünn und brüchig sind. Er (und John Ridgway) stellen gekonnt die Schrecken dar, die Besessenheit der Opfer, aber auch an einigen Stellen die Wesenheiten der Dämonen, in manchen Passagen erinnern diese Darstellungen gar an die Werke von H. P. Lovecraft (das Erscheinungsbild von Mnemoth, dem ersten größeren Dämon in Hellblazer, wäre ohne Lovecrafts Werk wohl generell undenkbar).

Hunger und A feast for friends sind Klassiker und wichtige Hellblazer-Figuren wie Papa Midnite und Constantines Freund Chas haben hier gleich ihre ersten Auftritte. Constantine geht auch sofort seiner bekanntesten Tätigkeit nach, auf die auch in der nicht ganz überzeugenden, aber auch nicht völlig misslungen Verfilmung von 2005 der Hauptfokus gelegt wurde: er schickt Dämonen, die in die reale Welt eingebrochen sind, ins Jenseits zurück – mit Risiko, Cleverness und Fatalismus.

Geschickt ist auch (ich habe es bereits erwähnt), wie Delano Constantine gleich in dieser ersten Geschichte als gezeichneten Menschen mit reichhaltiger Vergangenheit darstellt. Nicht nur mit Lester und Midnite verbindet ihn eine Vorgeschichte, die Leser*innen werden zusätzlich mit einigen anderen Geistern aus seiner Vergangenheit konfrontiert und es wird angedeutet, dass viele dieser Freund*innen bei Ereignissen umkamen, die mit Magie zu tun hatten und die Constantine knapp überlebte; das Newcastle-Ereignis hängt wie ein Damokles-Schwert über den ersten Constantine-Erzählungen. Schon diese ersten Geschichten zeigen ihn als Antihelden, der im hohen Maße Rauschmitteln wie Zigaretten und Alkohol zuspricht und der von seiner Tätigkeit elektrisiert ist, darin aufgeht, aber eigentlich durch sie ein Getriebener ist.

#3, Going for it, stellt ein kurzes Einzelstück dar, das vor allem noch einmal verdeutlicht, dass sich in der Welt von Hellblazer oft Dämonen auf der Erde tummeln und dort in vielen Gestalten und Gewändern auftreten und Einfluss nehmen. In diesem Kabinettstück lebte Delano außerdem seine Absicht aus, kritisch über England und das London der damaligen Gegenwart (1988) zu schreiben. So stehen im Zentrum der Geschichte Dämonen, die sich als reiche Yuppies ausgeben und mit den Seelen von Menschen handeln, das alles vor der Kulisse der Oberhaus-Wahlen von 1987. Alan Moore hätte diese scharfzüngig-bittere Satire wohl nicht besser hingekriegt.

#4, Waiting for the man, ist dann der Auftakt zu ersten längeren Storyline von Hellblazer, fortgeführt in den Nummern #5-9. Constantine lernt Zed kennen, eine junge Frau mit einer Frisur wie Cruella Deville, mit der anzubändeln beginnt. Kurz darauf wird seine Nichte entführt. Im Zuge dieser Entführung sieht er sich sowohl mit einer dämonischen als auch einer göttlichen Armee konfrontiert. Es scheint etwas Größeres im Gang zu sein und auch Zed, ebenfalls magisch und vielseitig begabt, sagt nicht alles, was sie weiß…

Der deutsche Verlag Schreiber & Leser hat einige Constantine-Nummern auf Deutsch herausgebracht. Davon wichtig, weil auf Deutsch sonst nicht zu bekommen, sind die ersten neun Hefte (in diesem und dem zweiten Erbsünde-Band zusammengefasst) und ein paar Hefte aus dem Run von Brian Azzarello, der in der Chronologie sehr viel später einzuordnen ist.

Leider sind Farbwahl und Druckqualität der deutschen Ausgabe sehr mangelhaft (teilweise sind dunkle Konturen komplett schwarz gehalten, als wären die entsprechenden Bereiche zensiert) und wer auch auf Englisch lesen kann und mag, dem würde ich die bereits erwähnte und unten abgebildete Vol. 1 empfehlen. John Ridgway ist eigentlich kein schlechter Zeichner, liefert zwar keinen Hochglanz, dafür aber jede Menge kleiner, wilder Innovationen und Ideen.

Leider hat auch die Vol. 1-Ausgabe einen Makel mit der deutschen Version gemeinsam: oft waren die Panels bei den Hellblazer-Originalausgaben so angelegt, dass sie quer über die ganze Doppelseite liefen. In den Buchausgaben wurde dem nur unzureichend Rechnung getragen, man muss die Bände förmlich platt drücken, wenn man das ganze graphische Erlebnis haben will.

Dennoch: Es war ein guter Einstand für John Constantine. Von Anfang an hat zumindest er als Hauptfigur eine Tiefe und Coolnes, die einen dranbleiben lässt.

original sins

Fazit:

Wichtigkeit im Hellblazer-Universum:
🌟 🌟 🌟 🌟 🌟
Grafik:
🌟 🌟 🌟 🌟
Story:
🌟 🌟 🌟 🌟
Aufmachung:
🌟 🌟 (schlechter Druck und im Buchformat problematisch wegen der Doppelseitennutzung der Originale. Ein Stern mehr für die englische Vol. 1 Ausgabe)

Zwei neue Besprechungen


Auf signaturen-magazin.de und fixpoetry zu:

John Burnside: Anweisungen für eine Himmelsbestattung

Und der 7. Ausgabe der Literaturzeitschrift Sachen mit Wörtern

Für John Green und sein wahnsinnig berührendes Buch “Das Schicksal ist ein mieser Verräter”


“Eigentlich ist fast alles eine Nebenwirkung des Sterbens.”

Ich bin bereits seit Eine wie Alaska ein großer Fan des amerikanischen Autors John Green und seiner Jugendromane, die oft die Feinheiten dieses Genres mit einzigartigen Thematiken verknüpfen. Ich weiß nicht, was es genau ist, das seine Bücher so ehrlich und doch so gut erzählt erscheinen lässt, aber in seinen Büchern fühle ich wohl, wie es mir sonst nur bei Autoren wie John Irving, Jorge Luis Borges oder in den Gedichten Rilkes passiert. Was ihn jetzt nicht mit einer dieser Autoren konkret in Verbindung setzten soll, aber es ist da eine unkomplizierte, echte, berührende Präsens in seinen Geschichten, Personen, seiner ganzen Sprache, die der Erfahrung des Lesens ein wenig das glasscheibenartige, das Hindernis, was manchmal zwischen Leser und Lektüre steht, nimmt.

Gleich vorweg: “Das Schicksal ist ein mieser Verräter” ist ein wirklich tolles Buch. Es ist vollkommen unprätentiös und ein wunderbar unüberladenes Erlebnis, es wirkt auf den Leser, es hat einen ganz besonderen Platz im Bücherregal verdient. Es erreicht uns im Kleinen und es erreicht uns im Großen, ist eines dieser Bücher, an dem wir nicht vorübergehen können, sondern kurz innehalten, vielleicht nicht einmal genau wissen warum wir innehalten, aber eins ist klar: das Innehalten genügt als Grund, die Rührung genügt als Schleife auf dem Moment, das Buch, gelesen, in der Hand, genügt als vollendeter Ruf an das Leben in uns allen.

“-und sofort bekam ich Angst, dass die Leute über mich, wenn ich starb, auch nichts anderes zu sagen hätten, außer das ich tapfer gekämpft hätte, als wäre das einzige, was ich je getan hatte, Krebs zu haben.”

Und ums Leben geht es in diesem Buch, viel mehr, als in vielen anderen Büchern, in denen die Menschen tatsächlich die ganze Zeit einfach nur leben.
Hazel Grace ist 16 und kann nur noch durch zugeführten Sauerstoff aus einer Flasche überleben, die sie mit sich herumtragen muss; Krebs in der Schilddrüse, Metastasen in der Lunge – unheilbar, nur noch aufhaltbar. Gelegentlich geht sie einmal in der Woche zu einer Art Gruppentherapie in einer Kirche für krebskranke Kinder. Dort trifft sie eines Tages einen Jungen, der selber mal an Krebs erkrankt war, jetzt aber gesund ist. Und es scheint, dass er sich auffällig für Hazel interessiert…

Es ist natürlich letztlich unbeschreiblich, wie nah einem ein Buch nach der Lektüre steht. Also nicht nur, wie nah es einem geht, sondern wie sehr man darin, abseits vom Thema, Spuren einer lebendigen Wirklichkeit und Wesenhaftigkeit spürt – oder, altmodisch gesagt: Dass es ist, als wären die Romanfiguren Teilnehmer an einem Spiel, das auch wir spielen, wenn wir das Buch wieder geschlossen haben. Solche Bücher erreichen uns mit ihrem Thema stärker als andere, nicht weil sie Illusionen fabrizieren oder unterstützen, sondern weil sie offenbaren, was gültig ist in allem, egal ob Realität oder Fiktion. Eins davon ist sicherlich die Liebe und dieser Roman zeigt sie in einer ihrer schönsten, traurigsten Ausprägungen.

“Jedenfalls sind die wahren Helden nicht die Leute, die Sachen tun; die wahren Helden sind die, die Dinge BEMERKEN, die AUFMERKSAM sind.”

Im Grunde ist die Geschichte eine Liebesgeschichte – und dass sie viel, viel mehr ist, lässt diesen letzten Punkt trotzdem nicht in Vergessenheit geraten. Von den Szenen, durch die diese Buch sich bewegt, haben mich viele berührt, viele habe ich mit Spannung und Aufmerksamkeit verfolgt, viele sind mir als sehr gut geschilderte Gesten im Gedächtnis geblieben, die Kleinigkeiten eines Buches eben, die seine Lektüre zu einem riesengroßen Raum machen, den man nach der Lektüre nicht sofort verlassen kann, weil man ihn noch eine ganze Weile durchwandern muss.

Übergreifend (Hier: Achtung, kleiner SPOILER) hat mich aber letztendlich die Szene berührt, in der das Motto, die Essenz dieses Buches in aller Deutlichkeit hervortritt (wie sonst nur in einem ebenfalls sehr besonderen Film (Das Leben ist schön)). Die Szene in der Gus zu ihr sagt und man weiß, dass es das ganze Buch einfängt und letztendlich in diesem Satz der Punkt hinter die Aussage gesetzt wird, wodurch sie vollkommen ist:

“Das Leben ist schön, Hazel Grace.”

Ein Moment zum Heulen. Aber auch ein Moment um John Green zu danken. Weil er ein großartiges Buch geschrieben hat. Ein Buch, das vielleicht nicht künstlerisch wertvoll ist, dass keine große Psychologie betreibt – aber ein Buch, das menschlich so viel mehr erreicht, als es viele andere Bücher können. Das eine Erkenntnis bereithält, die so einfach ist und für die es doch manchmal solche Bücher braucht, um sie uns wieder ins Gedächtnis zu bringen: „Das Leben ist ungeheuer wertvoll. Und noch wertvoller sind die Menschen, die uns am Herzen liegen. Zwischen diesen beiden Dingen liegt viel Herzzereißendes – aber auch eine Chance auf das Glück.

“-Was es ist-             von Erich Fried

Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe”

Link zum Buch

*diese Rezension ist teilweise schon auf Amazon.de erschienen

“Can’t think (write) straight” – Irvings verquere Lebensgeschichte eines Menschen zwischen den sexuellen Stühlen


“Dein Gedächtnis ist ein Monstrum; du vergisst – es vergisst nicht. Es packt Erinnerungen einfach weg; es bewahrt Erinnerungen für dich auf, oder es verbirgt sie vor dir. Dein Gedächtnis erweckt nach eigenem Ermessen Erinnerungen wieder zum Leben. Du bist der Ansicht, du hättest ein Gedächtnis, doch dein Gedächtnis hat dich.”

Wenn es etwas gibt, wofür der amerikanische Autor John Irving unterbewusst bekannt ist, dann sind es die Eigenheiten und vielen unaufgeblasenen, aber betonten, Kleinigkeiten, die er in seinen Büchern oft als Ausschmückungen und kontinuierliche Facetten einbaut und die seine Figuren oftmals sehr menschlich machen.

Es ist dies, was ich an seinen Romanen besonders schätzte, dass sie nicht attitüdenartig sind, sondern stets nah am Leben – mit all den Klischees, dem Offensichtlichen und Hintergründigen, Sukzessiven, den Wiederholungen, Überraschungen und Unwägbarkeiten, die es ausmachen. Seinen Figuren widerfährt nicht die Form des Romans oder eine fixe Handlung – sie leben tatsächlich, so scheint es, ihr Leben und der Roman fängt es auf/ein.

“In einer Person” wirkt wie die Rohfassung eines sehr viel größeren, nur ausschnittsweise verfassten Romans – und gerade deswegen hat es sehr viel von einer Lebensschilderung. Ebenfalls sehr auffällig sind viele Abschweifungen und abseitige Szenen, die nicht wirklich die Handlung vorantreiben, sondern den Leser mehr darin zurückwerfen. Und ich glaube, dass ist eine der Sachen um die es bei diesem Buch, nicht nur erzähltechnisch, geht: um die Inszenierung von Rückschau, Erinnerung und ein sich dabei gleichzeitig manifestierendes Bekenntnis, dem Niederschreiben der Memoiren ähnlich, was sich beides auf sehr komplexe Weise miteinander vermischt.

Zugegeben: Irving hat ein sehr zwistiges Thema für diesen Roman gewählt: Homo-, Trans- und Bisexualität; alles drei auf einmal und nicht zu knapp. Was dann oft ein bisschen so wirkt, als gäbe es wenig bis gar keine heterosexuellen Menschen und nichts über Heterosexualität zu schreiben; er tritt mit diesem (wichtigen) Randthema dann doch etwas zu breiträumig auf, was der Intensität manchmal schadet, weil es fast schon wieder zu einer oberflächlichen Normalität ausgewalzt wird; ob das letztendlich etwas mit der Intention Irvings zu tun hat, sei dahingestellt. Die klare Konsequenz mit der sich Irving des Themas annimmt (ohne Aggressivität, aber auch ohne Pardon) ist des Weiteren sicherlich auch nicht jedermanns Sache.

Während wir erwachsen werden müssen wir lernen (wir können nur hoffen, dass wir es tun, denn es ist die vielleicht wichtigste Lektion, die wir tief verinnerlichen müssen), dass die Welt nicht Schwarz und Weiß ist, auch wenn sie uns oft so vorkommt (es ist dieser Widerspruch, den wir manchmal vielleicht noch mehr verstehen lernen müssen, als die schlichte Tatsache dahinter). Irving, der vielleicht beste Erzähler Amerikas (nicht der beste Romancier – da haben ihm Franzen und Roth ein paar Dinge voraus), kann gerade dieses Erwachsenwerden oder einfach das “Werden” allgemein, so gut erfassen und zur Romanfigur/-geschichte ausbilden, wie kein anderer sonst. Ich muss zugegeben, und vielleicht stehe ich da allein, dass mir das über viele Schwächen des Romans hinweghilft; Schwächen, welche das Buch eindeutig und unbestritten besitzt, wie zum Beispiel die allzu starke Fixierung auf das Thema, das spätestens im Mittelteil/Ende nicht mal mehr bestimmend, sondern fast schon monopolistisch rüberkommt – oder die allzu dünn gesäten Momente, in denen der Leser (egal welcher sexuellen Konfession er angehört) einmal wirklich in den Text “einsteigen” kann und nicht nur der Schilderung des Lebens von Irvings Hauptfigur auf den bloßen Füßen der erzählenden Frequenz folgt.
Es ist dies sicherlich auch ein Merkmal Irvings, dass er niemals abschweift, es geht ihm immer um seine Figuren, er weicht keine Sekunde von ihrer Seite, geht nicht von ihnen ab.

“in dem Moment, wenn man etwas erlebt, hat man keinen großen Überblick über die Dinge.” Wie viele Sätze in diesem Buch ein tolles und den Roman selbst wieder ein wenig mitdefinierendes Zitat. Doch natürlich machen lauter gute Sätze, ein bisschen mit eingebrachter Shakespeare, ein bisschen Rilke, Ibsen und eine sehr offene Behandlung beinahe sämtlicher sexueller Ausrichtungen, sowie eine Kleinstadt in Vermont, noch keinen großen Roman. Was also macht ihn dann doch letztendlich so lesenswert, dass man sich in Teilen und ihm ganzen nach der Lektüre schwer einem kleinen nostalgischen Urteil entziehen kann und sei es nur: wieder einmal ein echt berührendes Buch

Teilweise habe ich die Frage schon im Text beantwortet, doch es wird wohl nicht reichen, wenn ich am Ende noch sage: Weil es ein Irving ist? Aber ich fürchte genau das ist es. Einen Roman von 700 Seiten zu schreiben ist vielleicht nicht schwer, aber einen Roman zu schreiben, der sich selbst treu bleibt, das ist immer wieder eine große Leistung – und Irving hat es hier zum 13x geschafft. Man kann seine Bücher zur Hand nehmen und sich sofort in der Atmosphäre und Dimension ihrer konzentrierten, vielschichtigen Lebensläufe verlieren. Nicht anderes lesen wir bei Irving: Lebensläufe – und was wir dabei hauptsächlich mitbekommen sind Lorcas berüchtigte “Spuren/vom Sand/der Uhren”, sind die Dinge, die das Leben der Person, die Irving entwirft und erschafft, bestimmen. Was anderes könnte ihnen passieren, als das was ihnen passiert?; was passiert Menschen denn anderes, als ihre Lebensgeschichte, die oft nun mal unter einem bestimmen Stern steht – einen Stern, den Irving jedes Mal neu definiert. Darin ist und bleibt er ein großer Erzähler: Romane sind seine Art das Leben immer wieder aus einem bestimmen Blickwinkel und deren Entwicklung, unter Einbezug von Geschichte, liebgewonnenen Wendungen und üblichen Widerfahrnissen zu durchleuchten und von dieser Erfahrung zu erzählen, sie präsent zu machen in unseren Köpfen.

Nun mögen viele sagen, dass das sicherlich glaubwürdig und gut ist, aber sie werden es trotzdem nicht für lesenswert halten. Das ist eine Frage des Standpunktes und der eigenen Vorlieben, die ich nicht zur Debatte stellen will, weil dort sowohl die Kritik als auch die Befürwortung nur minimale Verschiebungen bewirken können und ich sie dahingehend respektiere. Aber für alle Unentschlossenen bleibt zu sagen: Wer doch einmal das Gefühl haben will von einem ganzen Leben erzählt zu bekommen, dass unter diesem und jenem Aspekt gelebt wurde: das Irving-Universum wartet auf Sie und setzt sich auch in diesem 13, zugegebenermaßen leicht kruden, Teil fort, als ewige Rekapitulation von dem, was Lebensläufe, was Geschichte, was Beziehungen, was Leben bedeutet – währenddessen und im Nachhinein.

Link zum Buch

*diese Rezension ist in Teilen bereits auf Amazon.de erschienen