für Maria
Was am Anfang bestimmend war, das waren die Viertel von Buenos Aires. Die Dunkelheit, der Mondschein, das schier abhanden kommende Dasein in den Fluchten von Spiegeln und Träumen, den Serpentinen zur Nacht, den engen Gassen. Das Schein und Sein-Spiel, ganz unerheblich, und doch: deine Existenz, noch etwas tiefer geschöpft, weiter vergossen, klarer ins fast schon Zerriebene gestellt.
Der Mond rief unerbittlich auf, in seinem weißen Zink, die Entfernungen der Welten, die Nähe der Sehnsucht und die Knochen, in denen du steckst. Während dein Kopf sich universell fühlt, zu Gedanken gezogen, Phantasien, Ideen und dem Hang sich an den Fasern der Bücher, der Worte, aufzutrennen, viel mehr hereinzulassen, als existieren kann, außen und innen. Die willkürliche Seele verlangt blindlings nach Dauer und nach Inhalt. Und durch die Seiten, die Verse, ist es, als würde es nicht um Menschen gehen – in eine Haut gebannt wie jeder, der von ihnen lesen kann – sondern ein bisschen mehr ist da und wie kommt man dahin, darauf …
Meditationen. Jedes Gedicht ist einem besonders tiefen Moment verpflichtet, verdankt. Das Universum wird mit jeder Zeile als Falte gesehen, die man umschlagen kann; das Universum, jenes Etwas, das sich auf seltsame Art die Zeit einteilt und die Räume, die Erscheinungen, die Träume, die Ereignisse, die Stimmungen, in denen du leben kannst als wären sie deine. Die Dimensionen der Gedanken leuchten in deinen Kopf und finden dann und wann dein Staunen, den Schönheitsreflex.
Swedenborg, Emerson, De Quincey, Chesterton, Shakespeare. Die Lektüre von Jahrhunderten und einem verregneten Abend, der vergessen wurde, wieder auferstand. Die Verse, die Essays, Geschichten, die Fortsetzung der Lektüre mit anderen Mitteln. Die Faszination ist da – gesprengt von den Worten, den Seiten, den Büchern, Einbänden, Namen, dem Satz, den du dir nicht einmal anstreichst, weil er ein Farbton ist, dem du wieder ganz plötzlich begegnen willst, ohne Hinweis, ohne Warnung. Keine Mauer errichten, kein sicheres Lager! Ein Erinnern ist das Lesen und ein Vergessen.
Ein Ausblick so groß wie der Himmel, ein Gedanke, so groß wie eine Wolke, ein Erkennen, so sanft wie ein Regen.
Zeit. Nichts fasziniert mehr als dieses Phänomen, das keines ist, weil es immer nur war und wird. Nur wir sind. Zeit geht und kommt. Wir gehen und kommen mit.
Menschen, Dinge, die uns elektrisierten, die sich uns eingaben wie ein Gott ohne Namen, als Antwort auf ein verloren geglaubtes Gebet. Im Schreiben sich dem nähern, was aus dem Schreiben erst entsteht.
Die Vorstellung: ein Wunder? Oder gekrümmte Realität? Realität: eine zurechtgekrümmte Vorstellung?
Zumindest ein Wunder: Dass es so viel zu lesen gibt. Durch das Geäst der Worte entsteht der Wald der nicht gerodeten Freiheit sich etwas auszudenken, mitzudenken, nachzudenken, vom Denken ins Schreiben zu wechseln.
Auf Wissen um die Navigation muss man verzichten, Literatur. Wir haben kein Ziel, wir fahren hinaus, wir steuern nicht an, wir reisen.
Wissen, dass Dichtung immer ein bisschen ein Abschied ist. Linien ins Nichts, an denen du dann hängst, dich festhältst, liegst wie in einer Hängematte, die solange hält, bis du das Buch zuschlägst; und etwas darüber hinaus. Und wieder hinein.
Alles was Besitz ist, bleibt Besitz des Gestern, der sich bis heute hält. Aber was hält, ist wichtig. Ist schön. Darin findet das Leben schon länger statt, wird erstmal nicht aufhören, darin stattzufinden, vielleicht. Hoffentlich; sicher nicht ewig, denn die Ewigkeit gibt es nur und nicht für dich.
(erschienen zuerst auf dasgedichtblog.de, Link)