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Zu “50 Klassiker Römische Antike”, einem gelungenen Who is Who des antiken Rom


“Sogar in der Tagespolitik spielt das antike Rom noch immer eine Rolle. So wird häufig die Frage diskutiert, ob die Weltmacht USA eine ähnliche Entwicklung durchläuft wie seinerseits das römische Imperiums: Ist damit zu rechnen, dass auch das amerikanische Weltreich mit einer demokratischen Staatsform nicht dauerhaft und effizient zu regieren ist, und wird sich aus der amerikanischen Demokratie möglicherweise, wie damals in Rom, allmählich eine Aristokratie, also die Herrschaft nur weniger Dynastien und Familien, oder gar eine Monarchie entwickeln?”

ACHTUNG: SPOILER!

Hätten Sie gewusst, dass Aeneas nur die zweite Wahl beim Herkunftsmythos der Römer war? Dass Ovids Flirtratgeber “ars amatoria” auch heute noch eine verlockende Lektüre ist? Dass der erste Film von Terence Hill und Bud Spencer “Hannibal” hieß? Dass viele der uns bekannten Komödien, die Shakespeare, Moliere und Kleist schrieben, auf Werke des Stückeschreibers Plautus zurückgehen? Dass wir dem literarischen Erfindungsgeist des Cicero Worte wie “moralisch” oder “Qualität” verdanken? Dass eines der frühsten Gedichte von Vergil eine Schnacke besingt, die einen Hirten sticht, um ihn vor einer Schlange zu warnen, der dann aber reflexartig die Schnacke erschlägt, sodass sie ihm später in der Nacht erscheint und ihn tadelt?

Als ich mich in meiner Schulzeit für Geschichte begeisterte (vor allem für die Geschichte der Antike), lieferten die meisten Schulbücher bald nicht mehr genug Stoff – vor allem, weil die faszinierenden Randfiguren des Geschehens oft mit ein paar Sätzen abgekanzelt wurden; außer Caesar, Marcus Antonius und Augustus war da nicht viel. Aber auch die populären Buchreihen wie “Was ist Was” oder die vielen historischen Zeitschriften kauten meist nur dieselben Informationen wieder oder verloren sich in uninteressanten Details. Dementsprechend war ich sehr skeptisch, ob sich dieses Trauma meiner Jugend mit “50 Klassiker Römische Antike” nicht wiederholen würde.

Aber: ganz im Gegenteil. Das Buch ist nicht nur durchweg unterhaltsam und hält eine Fülle an anschaulichen Darstellungen und Informationen bereit, es betrachtet auch jeden der angeführten Charaktere unter eigenen Gesichtspunkten, weist die Verknüpfungen untereinander aus, berichtet im Rahmen seiner Möglichkeiten genauestens von den besonderen Ausprägungen, die gerade diese Person so wichtig für die römische Geschichte machen.

Architekten, Feldherren, Philosophen, Dichter, Kaisergattinen, Kaiser, Senatoren, Redner, Propheten, sie alle werden auf 3-4 Seiten essayistisch vorgestellt, dann folgt noch ein biographischer Abriss und eine Werkbeschreibung oder eine Trivia + Tipps für zusätzliche Lektüren und andere Informationsquellen zu der betreffenden Person. Sollte in keinem Bücherschrank fehlen; so kompakt und gut wird man Rom und seine Sternstunden wohl nirgends erleben können.

Der Hannibal-Essay von Robert Garland


  Ein guter Essay kann eine ganze, langatmige Biographie ersetzen, wenn er den Kern trifft, einen Modus findet, in dem die Quintessenz eines Lebens, seine ganze Dynamik, eingefangen werden kann; sodass man eine Vorstellung von der Person bekommt, die ihrem Wesen ungleich näher kommt als es die Aufzählung seiner Taten, seiner einzelnen, von Laune und Umstand bedingten Entscheidungen, je vermöchte. Die Summe des Lebens erweist sich am großen Bild, in dem, was darin überhandnimmt oder immer wieder vorkommt und nicht in der Summierung und Auswertung sämtlicher Detailstriche. Es gibt wichtiges und unwichtiges in jedem Leben.

Robert Garlands Essay über Hannibal ist das, was man eine gewissenhafte Arbeit nennt: Mit einer klaren Struktur, vielen Belegen, vielen Abwägungen und einer Art, die immer möglichst viel Einblick in das Material bietet, das zur Verfügung stand. Und wegen dieser Tugenden, wegen Umsicht und Vorsicht, ist es dem Autor gelungen, einen Text vorzulegen, der so ziemlich die Summe dessen darstellt, was wir über Hannibal wissen – dabei bleibt auch der Mythos nie ausgespart, aber Garland fokussiert auch in diesen Ausflügen die Schnipsel, anhand derer wir etwas über die reale Person erfahren können.

Hannibal als eine tragische oder heroische Figur zu sehen, mag zunächst verlockend sein, diese Darstellung wird ihm aber nicht gerecht (auch wenn eine andere Darstellung kaum möglich ist). Das erkennt man auf diesen Seiten, in den Quellen, die Garland, wohldosiert und kommentiert, nach und nach offen legt und dabei um sie herum die Erzählung von Hannibals Leben aufbaut. Diese Erzählung erscheint, trotz ihrer spärlichen Grundlagen und ihres klaren Ausgangs, spannend. Man lernt nicht nur, Hannibal nicht zu überhöhen, sondern man gerät gleichzeitig in den Bann der Faszination, die ihn dennoch umgibt, selbst wenn die Idee von ihm auf ein Bild aus wenigen Quellen heruntergebrochen wird.

Garlands Essay kann keine Wunder vollbringen: Das Material über Hannibal ist rar und ideologisch eingefärbt, es wurde verzerrt durch die Jahrhunderte, in Mythenwasser getränkt und über dem Spiegelbecken der Renaissance und später der Popkultur ausgewrungen. Dass Garland trotzdem eine gute Darstellung gelingt, ist bemerkenswert und erfreulich und macht aus einem eher unergiebigen Thema eine erlesene Spurensuche, zu der ich noch öfters greifen werde. Denn aus ihr ergibt sich für mich eine Ahnung in Bezug auf die Faszination des Historischen an sich.