Zwei Wunderkinder und zwei Welten. Anhand des biographischen Werks von Alexandra Lavizzari – das weniger eine Liebesgeschichte erzählt, sondern vielmehr eine Odyssee des Scheiterns und Hoffens in den Lebensgeschichten zweier Menschen, die in einer Begegnung miteinander dem am nächsten kommen, was man eine Erfüllung dieser Wünsche nennen könnte – könnte man breite Überlegungen anstellen über die Idee des Genies und die Beschaffenheit literarischer Zirkel. Aber es geht ja um die Geschichte einer Liebe (und eben nicht um eine Liebesgeschichte), um das Wenige, was zwei (nun zufällig berühmt-berüchtigte) Personen miteinander teilten.
Und das war nicht viel, woraus die Autorin (im Gegensatz zum Klappentext) keinen Hehl macht und das Buch, ganz unironisch und unschwärmerisch, „Fast eine Liebe“ nannte. Ein stimmiger Titel, wenn man glaubt und berücksichtigt, dass er nicht heischen, sondern von vorneherein einen klaren Rahmen setzen will. Diese Liebe, wie die Autorin sie darstellt, war etwas sehr Wirkliches und gleichzeitig etwas nicht wirklich Stattfindendes. Man könnte jetzt lange darüber reden was denn „eine Liebe“ ist. Beginnt eine Liebe erst da wo man physischen Kontakt aufnimmt oder auf der geistigen Ebene, bei gegenseitiger, tiefer Sympathie, ein dauernder Austausch stattfindet? Kann man sagen, wann und wo eine Liebe beginnt oder endet? Gerade diese Dimension ist vielleicht die interessanteste im ganzen Buch: Die Art, wie Liebe in unserem Leben immer wieder andere Vorstellungen an sich reißt, aber alte Vorstellungen deswegen nicht verlässt und sich plötzlich zwischen allen Dinge bewegt, aber auch dazwischen verschwindet, Nähebeweis und doch unantastbar.
Klar ist jedenfalls, dass die Liebe in diesem Buch Anlass und Zentrum zugleich ist. Sie ist Anlass, um über die beiden Protagonistinnen zu schreiben, über Annemarie Schwarzenbach und Carson McCullers, ihr Schreiben, ihr Leben, ihr Schicksal. Vor allem ersteres und letzteres, die, zusammen, mittleres zu jeder Zeit bedingt haben. Beiden waren mehr oder minder seit der Kindheit dazu verdammt, sich immer wieder mit existenzdeterminierenden Bedingungen auseinanderzusetzen, seien es bei Annemarie das reiche, konservative Elternhaus und die jungenhafte Erscheinung, oder bei Carson McCullers die nie richtig behandelte Krankheit, die sie frühzeitig kränklich und anfällig machte. Für beide war ein wichtiger Ausweg das Schreiben, aber – und hier kommen wir zum Zentrum – sie waren beide auch auf der Suche nach einer weiteren Möglichkeit von Heimat, einem Gegenüber, einer Art von Verständnis, nach einer Liebe, die eine bessere Form der Existenz verspricht.
Eine Suche, die vielleicht ihr Ende hätte finden können, wenn zwischen ihnen beiden etwas möglich gewesen wäre. Woran es scheitert (wenn man überhaupt von einem Scheitern sprechen kann, wie schrieb Hans-Ulrich Treichel: „Wir sollten es dabei belassen/ ein Hauch ist fast wie ein Kuss./ Sich lieben heißt auch sich verpassen.“) will ich gar nicht vorwegnehmen. Stark ist, wie es der Autorin gelingt, den Leser in die Lebensgeschichten der beiden Autorinnen hineinzuziehen. Es gibt ein paar zu viele Wiederholungen, aber alles in allem gelingt es Alexandra Lavizzari, eine sehr dichte Geschichte aus dem rar gesäten Material zu weben.
Zwei Autorinnen sind dies, die man unbedingt wieder lesen sollte (im Fall von Annemarie Schwarzenbach sogar: überhaupt einmal lesen sollte). Carson McCullers gehört in meinem Empfinden nach wie vor zu den großen Schriftstellerinnen des zwanzigsten Jahrhunderts und wir verdanken ihr einige der sensibelsten zwischenmenschlichen Szenen und Schilderungen überhaupt.
Das letzte Wort lasse ich dennoch Annemarie Schwarzenbach und dem Auszug eines Briefs, den sie an Carson schrieb:
„Carson, erinnere Dich an die Momente, da wir uns verstanden, und daran, wie sehr ich Dich geliebt habe. Vergiss nicht die ungeheure Verpflichtung auf die Arbeit, lass Dich nie verführen, schreibe, und, Liebes, pass auf Dich auf, wie auch ich es tun werde und bitte, vergiss nie, was uns zutiefst berührt hat.“