Tag Archives: Kritiker

Zu “Das Duell” von Volker Weidermann


Das Duell Die Geschichte vieler Autor*innenbiographien der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist mit seinem Namen verwoben, manchmal nur in ein-zwei Fädchen, manchmal elementar: Marcel Reich-Ranicki, Kritikerpapst, Chef des literarischen Quartetts, selbsternannter Kanon-Verwalter, Urteilssprecher über die deutsche Literatur von einst bis in die Gegenwart. Mit einem Autor hat er sich ganz besonders gebalgt, hat viele seiner Bücher verrissen und doch unermüdlich den Glauben an sein Talent beteuert: Günter Grass.

Ich war sehr erpicht darauf, dieses Buch von Volker Weidermann zu lesen: gab es da noch unerzählte pikante Details, konnte die Beziehung zwischen den beiden denn sonst überhaupt genug Material für ein ganzes Buch liefern? Meine Hoffnung auf Enthüllungen wurde jedoch größtenteils enttäuscht, denn das Buch ist, was die Beziehung Grass-Reich-Ranicki betrifft, mehr ein Revue-passieren-Lassen der bekanntesten Geschichten und Zerwürfnisse, ergänzt um die Kenntnis und Erkenntnisse aus Briefverkehr und Aufzeichnungen aller Art, die jedoch zumeist nichts Spektakuläres an sich haben.

Dass das Buch dennoch sehr lesenswert ist liegt zum einen daran, dass es gut geschrieben ist, mit dem gerade richtigen, noch nicht überzogenen Gespür für Spannung und Dramatik, die Weidermann an den richtigen Stellen einstreut, als hätte noch niemand vor ihm diese Geschichte erzählt. Zum anderen ist das Buch gelungen, weil letztlich tatsächlich niemand die Geschichte der beiden Größen in der deutschen Nachkriegsliteratur so erzählt hat, wie Weidermann es tut.

Statt sich nämlich nur und von Anfang an auf die konkreten Überschneidungen und Berührungspunkte zu konzentrieren, ist das Buch eine Doppelbiographie vor dem Panorama einer Zeit, eines Jahrhunderts, das beide Protagonisten prägte (und das sie prägten, sowie sich gegenseitig). Die ersten hundertdreißig Seiten werden ihre Lebenswege getrennt voneinander und in unterschiedlichen Kapiteln geschildert: Grass Jugend in Danzig, Kriegszeit, Soldatenzeit, dann Anfänge als Schriftsteller – Reich-Ranickis Jugend in Polen und Berlin, dann Krieg, Warschauer Ghetto, Flucht und Überleben in einem Keller, Intermezzo beim polnischen Geheimdienst und später Rückkehr nach Deutschland, Anfänge als Kritiker.

Erst mit dem ersten Zusammentreffen führt Weidermann die Stränge zusammen und erzählt von da an ihre jeweiligen Lebensgeschichten nebeneinander, immer auch vor dem Hintergrund ihres Verhältnisses zueinander. Natürlich ist das eine kluge Entscheidung, denn in beiden Fällen ist die biographische Vorgeschichte wichtig für das Verständnis der Persönlichkeit, ihres Schaffens und ihrer jeweiligen wunden Punkte, liefert das Dekor für den Raum, in dem sich viele zentrale Szenen abspielen werden.

Der Titel allerdings erscheint dadurch zunächst etwas reißerisch und klingt auch am Ende noch etwas überzogen (in meinen Ohren – obgleich ich verstehe, warum er seine Berechtigung hat). Meiner Ansicht nach beschreibt der Untertitel des Buches viel besser, worum es vor allem geht: nicht um das Freund-Feind-Verhältnis und die Frage nach dem Sieger des Duells, beides sorgt lediglich dann und wann für die Ausschläge auf dem Spannungsbarometer, sondern um die beiden Persönlichkeiten.

Zu kurz kommt ihre affaire compliquée, ihre nicht zu scheidende Ehe dennoch nicht. Jedoch sollte jedem/r potenziellen Lesenden klar sein, dass es sich bei diesem Buch nicht vorrangig um einen Bericht über literarischen Klatsch handelt (auch wenn er durchaus vorkommt) , auch nicht um einen bestechenden literaturhistorischen Essay, der Werke und Meinungen unmittelbar ins Visier nimmt und/oder ausführlich kommentiert (vielmehr bezieht Weidermann sehr dezent, dafür umso souveräner, Stellung zu einzelnen Ereignissen, Disputen). Sondern eine Doppelbiographie, die sich im zweiten Teil auf eine besondere Verflechtung konzentriert.

Wer ein gut lesbares Stück deutscher Literaturgeschichte erwartet, mit Fokus auf die Biographie der beiden Figuren, wird nicht enttäuscht werden. „Das Duell“ ist gut geschrieben, mitunter hat es etwas Mitreißendes, geschickt abgeschöpft, Längen hat es eher nicht.

Zu dem Band “Suchers Welt – Literatur, 49 leidenschaftliche Empfehlungen”


Suchers Welt, Literatur Ich frage mich, ob es noch andere Leute gibt, die diese Art von Empfehlungsbüchern in großer Anzahl kaufen und lesen; ich jedenfalls habe ein Faible dafür. Vielleicht, weil ich Begeisterung mag, vielleicht, weil man in jedem dieser Bücher mindestens eine Entdeckung macht (sonst taugen sie nichts) oder vielleicht, weil sie einem immer wieder längst bekannte Werke nahelegen; manchmal so überzeugend, dass man sie direkt im Anschluss zur Hand nehmen will.

C. Bernd Suchers neunundvierzig Empfehlungen beherbergen allerhand Bekanntes, viel Erfreuliches und ein paar ungewöhnliche (und mitunter ebenfalls erfreuliche) Spezialitäten. Die Texte zu den einzelnen Büchern füllen 3-4 Seiten und haben leicht unterschiedliche Gewichtungen (auch je nachdem, welches Genre der Text hat), verlaufen dennoch meist auf ähnliche Weise.

Zu Anfang erzählt Sucher in der Regel, wie er mit dem Buch oder dem Autor in Berührung kam, gibt eine kurze Auskunft über den Inhalt und/oder den Verfasser. Im weiteren Verlauf schildert er dann, was er aus dem Buch für Erkenntnisse gewonnen hat, zitiert und verknüpft es nicht selten mit seiner eigenen Entwicklung. Leidenschaftlich sind diese Empfehlungen tatsächlich, dennoch auch behutsam und filigran, manchmal etwas beliebig, aber mit einem Zug zum Wesentlichen.

Ärgerlich ist allerdings eine Bemerkung aus dem Vorwort: „Dass unter den 49 nur zwei Autorinnen sind, beweist keineswegs eine misogyne Haltung. Allein, ich kann mit vielen, vor allem zeitgenössischen Autorinnen nicht allzu viel anfangen. Da ich aber nicht den Ehrgeiz habe, politisch korrekt zu lavieren, sondern wirklich nur jene Bücher nennen möchte, die ich auf jede unbewohnte Insel mitnehmen würde, sind eben nur die zwei geblieben.“

Diese halbseidene Rechtfertigung hätte mir fast das ganze Buch vermiest. Entweder man hinterfragt als Autor(*in) eines solchen Buches seine Lesegewohnheiten und handelt entsprechend oder man lässt es bleiben und setzt sich der rechtmäßigen Kritik an seiner Sammlung aus. Sich aber präventiv dazu zu äußern und so zu tun, als würden sämtliche Vorwürfe von vorneherein nicht zutreffen (weil: eh bemerkt, aber halt Geschmack, etc., da kann man nichts machen), das wirkt etwas armselig.

Auch an anderen Stellen beweist Sucher wenig Taktgefühl, zum Beispiel, wenn er das teilweise erniedrigende Frauenbild in James Joyce‘ „Ulysses“ schlicht zum Bereich der notwendigen Grenzüberschreitungen zählt, es zum Tabubruch stilisiert. „Ulysses“ ist in vielerlei Hinsicht ein tolles, innovatives Werk und Sucher schafft es, viele Vorzüge gut herauszuarbeiten. Aber man sollte auch als begeisterter Freund eines Werkes, nicht blind für dessen Fehler und Zeitgeisterscheinungen sein oder sie retuschieren, wegerklären.

Auf jeden Fall sollte man derlei nicht in Nebenbemerkungen verhandeln, sondern umfassender Stellung zu den Themen beziehen oder es gleich bleiben lassen. Es wirkt sonst, als wäre das ganze Thema für den Autor nur eine Lappalie, was ich nicht glaube. In seinem Text zu „Malina“ setzt sich Sucher jedenfalls sehr viel genauer und sensibler mit dem Stoff auseinander und weist vortrefflich nach, warum „Malina“ auch ein Buch über die Gewalt ist, die Männer an Frauen verüben. Solcherlei versöhnt, macht die anderen Schnitzer aber nicht wett.

Man kann in diesem Buch viele Entdeckungen machen und wer eine breite Palette erwartet, wird nicht enttäuscht werden. Es finden sich zwar keine Werke jüngeren Datums (nach 1970), aber die Spannweite ist ansonsten groß und reicht von Dantes „Die göttliche Komödie“ über Hans Henny Jahnns „Perrudja“ bis zu Pasolinis „Raggazi di vita“.

Überhaupt sei das Buch besonders denen ans Herz gelegt, die sich für Literatur interessieren, die homosexuelle Aspekte und Geschichten beinhaltet und behandelt – hier präsentiert Sucher ein paar wunderbare Beispiele und wagt sich unter anderem an eine Auseinandersetzung mit Shakespeares Sonetten.