„Aber wenn man aus dem Mund einer fest liierten Frau nach der anderen hört, sie sei in sexueller Hinsicht ungewöhnlich – weil sie mehr Sex möchte, als sie sollte, weil sie den Drang, die Versuchung zum Fremdgehen verspürt –, dann wird man das Gefühl nicht los, in Sachen weiblicher Lust, Sexualität und insbesondere Monogamie sei das »Ungewöhnliche« das »Normale« und das »Normale« bedürfe dringend einer Neudefinition.“
Untreue, Fremdgehen – das sind nach wie vor, auch in unseren liberalen, aufgeklärten und in Teilen sexpositiven Gesellschaften, zwei mächtige Begriffe. Worte sind schließlich nicht nur Namen für etwas, sondern oft auch Chiffren, die im kulturellen/sozialen Kontext etwas darstellen/abbilden, im Fall dieser beiden Worte eine Erschütterung, zumindest eine Verunsicherung, eine Krise (und natürlich, medial angewandt, blinkt das Wort Skandal bei ihnen mit).
Das ist ein Narrativ, Geschichten, die das Wort scheinbar erzählt/erzählen muss, sobald es auftaucht. Dieses Narrativ hat natürlich eine ideologische Komponente, mit vielen Ausläufern. Diesem ideologischen Faktor geht Wednesday Martin in „Untrue“ nach, beschreibt ihr Selbstverständnis des Buches wie folgt:
„Wir haben es hier also mit einem Werk der interdisziplinären Kulturkritik zu tun. Es filtert und verdichtet eine ganze Bandbreite gelehrter Forschungsergebnisse zur weiblichen Untreue und verwebt sie mit meinen ganz persönlichen Ansichten, meinen Interpretationen von Artikeln in wissenschaftlichen Fachzeitschriften, sozialwissenschaftlichen Studien, aber auch von Songs und Filmen der Popkultur.“
Das Buch ist allerdings, bei aller Gelehrtheit und Struktur, eine ziemlich wilde Mischung aus Erfahrungsberichten, wissenschaftlich-theoretischen Ausführungen und anekdotischen Abschweifungen. Es kommt immer wieder zum Punkt, verzettelt sich aber auch hier und da in faszinierenden bis abenteuerlichen Ideen, die in manchen Fällen ein ganzes eigenes Buch zur Ausarbeitung bräuchten.
So entsteht allerdings ein spannender Überblick mit vielen Anregungen, nicht nur was weibliche Sexualität, sondern vor allem was das Selbstverständnis unserer westlichen Kulturen betrifft. Martin weißt immer wieder darauf hin, dass auch sie sich möglicherweise noch auf zu eingefahrenen Bahnen bewegt, wenn es darum geht, dieses Selbstverständnis zu hinterfragen.
„Und was soll »weibliche Untreue« überhaupt bedeuten in einem Kontext, in dem sich immer mehr Millennials als Postgender bezeichnen – also die säuberliche Trennung in zwei gegensätzliche Kategorien ablehnen, die bisher unser Leben definiert und Bedeutungen wie Heterosexualität und Homosexualität, männlich und weiblich, treu und untreu gestiftet haben?“
Über Fragen der Beziehungsgestaltung und historische und ethnologische Betrachtungen bis zur Psychologie von Sexualität spannt Martin einen teilweise schlingernden Bogen, der letztlich zwar kein konsistentes Gedankengebäude mit zwingenden Schlussfolgerungen tragen kann, aber dennoch in Staunen versetzt und (again) allerhand Anregungen bereithält (ebenso ihre umfangreichen Quellenangaben).
Die Mammutaufgabe, die weibliche Sexualität aus den bequemen Vorstellungen und lange zementierten Grundsätzen patriarchaler Bestimmungen herauszusprengen, geht sie mit viel Verve und Fakten an, viel Enthusiasmus und kämpferischen Ansagen, viel Feuer, aber auch mit unterschiedlichsten Ansätzen. Manche Darstellungen und Annahmen sind etwas zu einseitig und sollten im Hinblick auf Ideen einer individuell und nicht nur kulturell bedingten Sexualität überdacht werden. Aber es stimmt schon, unsere Sexualkultur bedarf einer rigorosen Überarbeitung und dieses Buch leistet hier einen wichtigen Anstoß.
„Es ist frustrierende, wenn man in Endlosschleife zu hören bekommt, Männer hätten eine stärkere Libido als Frauen, als wäre das eine schlichte Tatsache.“