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Eine kleine Hommage an Thomas Manns vollkommene Erzählung “Tonio Kröger”


“Siehe sie an, die guten Schüler und die von solider Mittelmäßigkeit. Sie finden die Lehrer nicht komisch, sie machen keine Verse und denken nur Dinge, die man eben denkt und die man laut aussprechen kann. Wie ordentlich und einverstanden mit allem und jedermann sie sich fühlen müssen! Das muss gut sein… Was aber ist mit mir, und wie wird dies alles ablaufen?”

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Tonio Kröger spürt schon in frühster Jugend, dass er anders ist. Während andere Reiten, liest er den Don Carlos; während das Mädchen, dass er bewundert und liebt, ihn nicht einmal bemerkt, beachtet ihn nur ein scheues Mauerblümchen. Er will eine Berufung und spürt seinen Willen zur Kunst, doch sehnt er sich mehr und immer danach, dass all das von ihm abfallen möge. Die Sehnsucht, dass er nicht erkalte mit seinem Blick an der Betrachtung, sondern sich wärmen könne mit seinem Körper am Leben.

“Wie würdevoll und unberührbar Herrn Knaaks Augen blickten! Sie sahen nicht in die Dinge hinein, bis dorthin, wo sie kompliziert und traurig werden; sie wussten nichts, als das sie braun und schön seien.”

Es gibt eine Anekdote, nach der einst ein junger Mann nach der Lesung zu Thomas Mann kam und sagte: “Das Wesentliche, was sie geschrieben haben, ist der Tonio Kröger – wissen sie das?!” Und Thomas Mann soll nur genickt haben.

Der Tonio Kröger gehört für mich zu den wunderbarsten Erzählungen, die je geschrieben wurden. So einfach, erzählend schön und stimmig wurde selten über das Wesen des Künstlers und über das seelische Verlangen des Menschen geschrieben – und den Zwiespalt, der wir alle sind. Es finden sich so viele wahre Sätze in diesem kleinen Buch (“Die Kunst ist kein Beruf, sondern ein Fluch”), so viele schöne Stellen, so viele einfache, plastische Atmosphären. Das kleine Stück, das ich Tonio Kröger schon einige Male begleitet hab, ist mir immer wieder neu und doch stets unvergessen.


Denn spätestens wenn Tonio bemerkt, “dass die Kenntnis der Seele allein unfehlbar trübsinnig machen würde, wenn nicht die Vergnügungen des Ausdrucks uns wach und munter hielten”, muss jeder wahre Künstler doch eigentlich anfangen, mit Tränen in den Augen oder lächelnden Lippen zu nicken.
Und wenn er wunderbar offen preisgiebt: “Ich liebe das Leben […] das Leben, wie es als ewiger Gegensatz dem Geiste und der Kunst gegenübersteht”, kann man lange darüber nachsinnen.

Der ewige Zwist zwischen Künstlertum, und der Liebe zum Leben und dem, was man nicht erklären kann, weil es einfach da ist, ein Teil vom Leben an sich – nie ist dies so schön und fein dargestellt worden, wie in dieser Novelle, die mit einem der wunderbarsten Schlusstakte der deutschen Literatur endet.
Dies Buch ist wundervoll. “Sehnsucht ist darin und schwermütiger Neid und ein klein wenig Verachtung und eine ganz keusche Seligkeit.”

Link zum Buch

*diese Rezension ist in Teilen schon auf Amazon.de erschienen