besprochen beim Signaturen-Magazin
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“Ich weiß, das Leben/ ist ein ständiges Lebewohl.” Zu späten Gedichten von Jaroslav Seifert
“Noch heute – und das ist viele Jahre her -,
wenn ich die Augen schließe
und gegen die dünne Dunkelheit meiner Lider blicke,
erscheinen mir die lächelnden Gesichter
derer, die ich einst geliebt.
Sie sind jedoch schon blaß
wie das Licht der Sterne an einem Winternachmittag,
wenn die Dämmerung anbricht.”
Trotz einer langen literarischen Tradition hat die tschechische Poesie bisher nur einen Nobelpreisträger hervorgebracht, der auch gleichzeitig der einzige tschechische Nobelpreisträger für Literatur überhaupt ist: Den Dichter Jaroslav Seifert, letzter einer großen Dichtergeneration, die sich in den Jahren zwischen den Kriegen mit neuen poetischen Vorstellungen hervortat, geboren 1901, gestorben 1986. Sein Werk lässt sich in viele, sich teilweise sehr voneinander abhebende Perioden aufteilen, wobei die Bandbreite von experimenteller bis zu – wie in diesem Band präsentierter – sehr schlichter Lyrik reicht.
“Auf die Stadt fielen Rußflocken
und in den Straßen zog der Rauch,
dem Herbstnebel ähnlich,
doch bis an die Zähne bewaffnet.”
Krieg und Gedichte und die Liebe – drei Themen die Seifert gegen Ende seines Lebens (dieser Band hier ist die Übertragung eines Originalbandes der 1983 herauskam) sehr beschäftigten, natürlich weil sie ihn alle auch sehr geprägt hatten. Der Krieg ist in den paar Gedichten, in denen er seine eigenen Erlebnisse beschreibt eher unterschwellig anwesend, als eine Drohung, als ein Widerstand. Die Liebe dagegen ist eine stets sehr zärtlich angespielte Melodie, die Seifert zurückhaltend und schön zu variieren weiß.
“Wie oft habe ich die Hände ausgebreitet,
um wenigstens die Luft zu umarmen,
durch die sie soeben gegangen war,
als sie ihr süßes Lächeln
ins Nebenzimmer trug.”
“Die allergeheimsten Träume,
die den Schlafenden in der Dunkelheit umfangen,
hatten die Farbe deiner Augen.
Sie waren blau.”
Das letzte große Thema, das Dichten und die Herkunft der Dichtung, nimmt eine ganz besondere Rolle in dieser Sammlunge in. 3 der besten Texte handeln von dem Moment, in dem der Dichter von der Eingebung getroffen wird, in dem das Unwillkürliche plötzlich zu Worten sich masert. Schön ist, dass Seifert keine zu hohen Sphären betritt, sondern glasklar und leicht einnehmend, aber auch schlicht und wehmütig von diesen Erinnerungen berichtet. Einmal beschreibt er, wie ihm auf einer Bank einige zauberhafte, großartige Verse einfielen. Er rannte nach Hause. Doch dort kamen sie ihm dann nicht mehr in den Sinn. Und das Gedicht schließt mit den Worten:
“Und die Verse jenes zauberhaften Morgens
suche ich bis heute.”
Erinnerungen. Am Ende eines Lebens geht es viel darum, was noch geblieben ist, was man nicht ausradieren kann, vielleicht sogar um manches, das mit den Jahren immer klarer oder in seinen Konturen immer glatter geworden ist. So ist dieser Band rückwärtsgerichtet. Prag und die Jugend, der Krieg und das Dasein im Jahrhundert, werden alle durch das Schilfrohr der letzten Lebensjahre, als ein geradezu namhaftes und doch verschwiegenes Abenteuer betrachtet, eine Zeit, so lang und so groß, und doch so klein.
“Meine leichtsinnigen Schritte in den Gassen,
meine rosigen Abenteuer
und Liebschaften und alles andere
sind bestreut mit leichter Asche,
wenn die Zeit verbrennt.”
“Aus unserem sorglosen Leben
flogen die Nächte davon
wie verwelkte Rosenblätter
und fielen in die dunklen Pforten der Vergangenheit
von wo sie zurückkehrten
als durchsichtige Erinnerungen.”
Jaroslav Seifert ist ein wundervoller Dichter, ein unproblematischer und völlig klarer Erzähler, der seine ruhige Sprache perfekt mit einem Klang umgeben kann. Wenig in diesen Versen wirkt herausragend, aber auf diese Weise gelingt dem ganzen Gedicht der Sprung in die Vorstellung des Lesers, als Handreichung des Dichters selbst, als Aufzeichnung einer einhelligen Empfindung. Wer die Lyrik als eine unwillkürliche Kunst schätzt, die eine Aufnahme des Lebens in dich tragen, der sollte Jaroslav Seifert unbedingt lesen.
“Schon jahrelang schlägt mir an der Wand
eine alte Uhr
und blickt zurück auf die Zeit
meines Lebens,
die so schwindelerregend dahineilt.”
Zu Benjamin Leberts “Der Flug der Pelikane”
Wo findet man das noch: ein Buch, einen Autor, bei dem man sich richtig wohl fühlen kann und der durch seinen Stil auch genau das hervorruft – eine tiefe, lebensnahe und unarrangierte Emotion und Geborgenheit.
Zum Inhalt: Wie immer geht es bei Lebert eigentlich nicht um eine “Handlung”, sondern um das Erzählen an sich – Erzählen wie es nur das Leben kann – nicht ganz perfekt und nie vollendet, lässt es uns mit vielen Eindrücken und Fragen zurück und zeigt und gibt uns hier und da Leidenschaft, Liebe, Wunder, Verzweiflung, Sehnsucht, Leere und erzählt, erzählt, erzählt…
In diesem Buch hat sich Lebert (so finde ich) auch horizontmäßig weiterentwickelt: Während Anton, der Protagonist durch New York streift, wo er in der kleinen Imbissstube seines Onkels Jimmy jobt und die unterschiedlichsten Menschen kennenlernt, erfahren wir in Zwischensequenzen allerhand über das Leben im Hochsicherheitsgefängnis “Alcatraz”. Das Bindeglied zwischen diesen beiden Geschichten ist Jimmy, dessen Steckenpferd die Beschäftigung mit dem sensationellen Ausbruch dreier Männer im Jahre 1962 ist.
Ob gewollt oder nicht: Lebert erzählt nicht alles und lässt einige Stränge ein wenig ins Leere laufen. Das ist sicherlich für einige Leute gewöhnungsbedürftig; mich hat es jedoch kein bisschen gestört, denn ich empfinde dieses wunderbare Buch als eine wirklich attraktive Abwechslung zu vielen Romanen der heutigen Zeit, in deren Sprache man sich nicht wohl fühlt und die immer den Eindruck von Kolossalität auf kleinster Ebene erwecken wollen.
In Leberts Buch fand ich eine kurze, interessante Geschichte zum lesen, die eingestreuten warmen Gedanken und Bilder (die ich auch sehr liebe, seit ich von ihm “Der Vogel ist ein Rabe” gelesen habe) hielten mich in ihr warm und vor allem ging von den Seiten eine Art der Ruhe aus, die zu sagen schien: “Setzt dich hin, ließ, tauch ein – alles andere passiert sowieso.”
Kleine Empfehlung zum ersten Buch von Robert Walser
“Fritz Kochers Aufsätze”, so heißt die Prosa, die Robert Walser 1904 herausgibt. Sie ist springend, singend, voller Lebensfreude, Ironie und Geist und trotzdem naiv und sinnlich.
Es sind kleine Prosaminiaturen, zu fast jedem Thema: Natur, Freundschaft, Armut, eine Feuersbrunst, Beruf & Weihnacht. Sie zeichnen sich durch eine wahrlich beeindruckende Kindlichkeit und Unschuld aus – Erinnerungen und Gefühle mischen sich mit dem Charakter der Abhandlung.
Es sind also wahrlich ‘schöne’ Texte, ein Lese- und Abschweifvergnügen, das uns Bilder und Momente schenkt, das zaubert und kaum etwas diktiert.
Am Schluss finden sich noch zwei umfangreichere Texte:
Mit “Ein Maler” geht er dem Wesen des Künstler auf seine eigene naiv-verspielte Weise auf den Grund und lässt allerhand geistreiches zum Schaffen und zum Künstler selbst verlauten, wobei ihm als Ich-Erzähler ein fröhlicher Maler (einem unverkennbar ‘leichten’ Walsercharakter, ein Abbild fröhlicher Gesinnung, und leicht weltferner Traurigkeit, der sich durch sein ganzes Werk zieht) dient, der auf einem Schloss bei einer Gräfin in den Bergen wohnt. Ein wunderbar tiefes Portrait mit einer Fülle von geschwungenen Betrachtungen.
Mit “Der Wald” hat Walser dann etwas geschaffen, was man jedem Hobbyautoren zur Lektüre geben sollte. Es ist ein wunderbares Kreisen und Blicken (wie ich es sonst nur in Gedichtform bei Rilke kenne) um das Wesen des Waldes, seine Anmut, seine Größe, seine Ruhe, seine Kraft. Es wie ein Bilderrausch und eine fesselnde Geschichte zugleich – es ist ein Erleben, dass uns bekannt vorkommt wie das Leben in uns selbst:
“Am Abend, o wie wundervoll sind da die Wälder! Wenn über dem Dunkelgrün der Bäume und Waldwiesen hochrote und tiefrote Wolken schweben und das Blau des Himmels von so eigentümlicher Tiefe ist! Alsdann ist Träumen für den Schauenden und Ankommenden eine längst vorbestimmte Sache. Alsdann findet der Mensch nichts mehr schön, weil es viel zu schön ist für seine Sinne. Er lässt sich dann, ohnmächtig und ergriffen, wie er ist, mehr von dem Tiefschönen anblicken, als das er es selbst anschaut. Schauen ist dann eine umkehrte, vertauschte Rolle.”
Romantische Ästehtik, vermischt mit träumerischem Glanz und hier und da einer visuellen Verdichtung, die fast schon wieder wie reine Erfahrungswiedergabe wirkt.
Walser sollte man einmal lesen. Und mit diesem seinen ersten Werk lässt sich auch gut beginnen.