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Leidenschaft der Klugheit, Klugheit der Leidenschaft


Schon Lukas Bärfuss erster Essayband „Stil und Moral“ hatte mich überzeugt und so war ich gespannt auf den zweiten, mit dem vielversprechenden, aber auch gefährlichen Titel „Krieg und Liebe“. Und, was soll ich sagen: ich bin verblüfft, berückt, aufgewühlt, beseelt.

Wenn es um Begeisterung geht, furiose zumal, ist immer die Frage, wie man die vernünftig zu Papier bringt. Und in diesem Fall könnte sie auch ausufern, denn nicht nur sind die Texte von Bärfuss in sich gut, sie schneiden zudem unglaublich viele Themen an, über die lange nachzudenken nicht schwerfallen dürfte, auch über die Ansätze und Ideen von Bärfuss hinaus.

Da ich hier nicht auf alle Texte eingehen kann, will ich nur 1-2 als Beispiele kurz herausgreifen. Als erstes gleich den Einstiegstext, der zunächst unaufgeregt, geradezu bewusst neutral wirkt, wie ein kurzer Abriss, eine eher uninspirierte Rezensionsnotiz zu einem japanischen Kriegsbericht.

Und dann geschieht das Wunder: mit einer kurzen Beobachtung, die er gegen Ende hin zuspitzt, schafft Bärfuss es, dass den Leser*innen aus dem glatten Text eine fulminante Erkenntnis entgegenspringt: Er verquickt die Leidenschaft, mit der sich die Soldaten für ihr Land, ihren Kaiser oder dergleichen opfern, mit der Leidenschaft der Liebe. Und formt aus dieser unheiligen Verbindung die Frage: kann es sie geben, eine Welt ohne Krieg, in der aber noch (leidenschaftlich) geliebt wird? Wie lässt sich die Leidenschaft für das eine von der Leidenschaft für das andere trennen?

Sie haben immer ein bisschen etwas Abwegiges an sich, diese Essays, und stoßen dann mit einem Mal oder auch ganz subtil ins Zentrum der Überzeugungen vor. Nicht anders in einem Text, in dem es um Nietzsche „und die Populisten“ geht. Gähn, hab ich da gedacht. Und erstmal wirkte der Text auch recht gewöhnlich, gutgeschrieben durchaus, aber eher lammfromm, überschaubar.

Doch schon bald war da eine besorgniserregende Umwälzung zu beobachten und nach der Lektüre musste ich mir eingestehen: ich hatte noch nie einen so guten Text über Nietzsche oder über Populismus gelesen; ich begriff jetzt wesentliche Aspekte von beiden, wo ich bisher meinte, dass eine vage Vorstellung, eine vorgefasste Meinung genügen würde.

Nicht alle Texte in dem Buch sind so umwerfend wie diese beiden oder auch die grandiose Dresdener Rede „Am Ende der Sprache“, die ich nun schon mehrmals gelesen habe und die so trostspendend und gleichsam kämpferisch ist wie nur Weniges, das ich in letzter Zeit gelesen habe. Aber immer sind sie interessant, hinterfragen, zeigen auf, schaffen Perspektiven, wo es vorher nur festgelegte Linien zu geben schien.

Es ist ein Buch für jene, die sich gern wirklich mit Texten beschäftigen, nicht nur denken gefällt mir (nicht), nicht nur Unterhaltung suchen, sondern auf der Suche nach Auseinandersetzung, Denkimpulsen, Erschütterung und Belebung sind. Kurzum: es ist wirklich nur ein Buch für leidenschaftliche Leser*innen. Aber die werden es zu ihren Schätzen zählen, da bin ich mir sicher.

Zu der Dreiergeschichte “Luftschlösser” von Almudena Grandes


Luftschlösser “Als wir zu dritt waren, war die Welt so riesig, dass wir sie mit unseren sechs Händen nicht fassen konnten. Als ich nur noch zwei Hände hatte, war sie so klein, so bedeutungslos wie eine Brotkrume zwischen meinen Fingern, ohne dass ich den Grund für diesen Schwund hätte benennen können.”

Drei in einem Bett, in einer Liebe: Umgangssprachlich der flotte Dreier, dramatisch die Dreiecksbeziehung, pornographisch der threeway, gehoben die menagé à trois (wobei manches davon gemeinsame sexuelle Akte impliziert, manches nicht). Die Vorstellung, dass man nicht nur eine Person lieben (geschweige denn mit einer Person sexuell zufriedengestellt sein) kann, ist natürlich längst kein Tabuthema mehr, weder emotional noch sexuell (wobei: emotional vielleicht schon noch ein bisschen).

Es mangelt auch nicht an Geschichten darüber: Michael Cunningham hat mit “Ein Zuhause am Ende der Welt” eine großartige Mann-Mann-Frau-Geschichte verfasst, Phoebe Ann Miller mit ihrem “Auf die andere Art” ebenfalls und in den Werken von John Irving sind Dreiecksbeziehungen schon fast eine Gewohnheit. Viele Hollywoodfilme arbeiten (mal mehr, oft weniger subtil) mit dieser Art von Verhältnis. Ein Beispiel für eine Frau-Frau-Mann Geschichte findet sich in dem meiner Meinung nach eher misslungenen Buch Das Licht und die Geräusche von Jan Schomburg.

Bei Almudena Grandes ist die Geschichte im Übergang von der Jugend- zur Erwachsenenzeit angesiedelt: José (eigentlich José Maria, aber sie benutzt als Alleinstellungsmerkmal nur ihren Männernamen) studiert im vierten Jahr Kunst in Madrid, als sie die ungleichen Freunde Jaime und Marcos kennenlernt – der eine spaßig, galant und gewitzt, der andere bildschön und eher verschlossen. Die beiden studieren ebenfalls Malerei und zu dritt bilden sie bald ein enges Dreiergespann. Eines Abends landen sie zusammen im Bett…

Was folgt ist eine vor allem von Emotionen vorangetriebene Geschichte. Es wird immer aus Josès Perspektive erzählt und es ist spannend und geschickt, wie Grandes ihren Blick und ihre Vermutungen bzgl. der Gefühle ihrer beiden Liebhaber einfließen lässt; ihm die Schwere einer absoluten Gewissheit gibt, obgleich man als Leser/in schnell merkt, dass die Dinge nicht so einfach liegen, sondern dass vielmehr die Ferne der mit Sehnsucht aufgeladenen Episode (erzählt wird mit einem Abstand von 20 Jahren) eine Unabänderlichkeit in die Vorgänge legt, die zu dem Zeitpunkt ihres Stattfindens nicht unbedingt vorhanden war – damals hing viel von jeder einzelnen Entscheidung, jedem Detail ab, was Grandes sehr klug in den Zwischentönen anklingen lässt.

Ihre Sprache ist oft leidenschaftlich, aus dem Innenleben ihrer Figur hervorbrechend, aber nicht zu sinnlich, wodurch sie nicht ins Kielwasser allzu glatter, eher an Schundhefte erinnernder Prosa gerät. Die Erotik liegt mehr in der Dramatik, in der schwierigen und zugleich berauschenden Balance der Beziehung zwischen den jeweiligen Personen. Explizite sexuelle Darstellung gibt es nicht, dafür expliziten Seelenstriptease. Beeindruckend gelingt es Grandes, die Verschiebung in der Wahrnehmung nachzuzeichnen, wie sie über Wochen, über Monate und Jahre vonstattengeht.

Alles in allem ist Luftschlösser ein Buch, das seinem Titel mehr als gerecht wird. Denn genau darum geht es: um Träume, die man lebt und am Leben zu halten versucht, auch wenn die Gefühle bereits andere Wege gehen, die einzelnen und komplizierten Stränge unseres Denkens und Fühlens sich nicht unter dem Hut einer schönen, freien Sache zusammendrängen lassen. Es ist bestürzend und doch sehr gut nachvollziehbar, wie die drei Liebenden im Taumel leben und zunächst so viel Tempo draufhaben in ihrem neuentdeckten Lebensstil, dass sie alle gegenteiligen Anzeichen überfliegen und links liegen lassen – nur um dann zu merken, dass es nichts hilft, irgendetwas zu ignorieren. Es ist da und es wird seinen Verlauf nehmen. Und das wird einen zwangsläufig tangieren.

Über die Launigkeit der Liebe, den Rausch, die Freiheit der Kunst und des Glücks und das Talent oder das Fehlen des selbigen wird hier viel geschrieben. Dazwischen finden sich in “Luftschlösser” aber auch immer wieder ganz andere bestechende Momente, kleine Erkenntnisse, neue Züge. Kurzum: eine lesenswerte Novelle, sehnsuchtsbetont und emotionsgeladen, aber von einem Kern mit klarem Wirklichkeitsanspruch zusammengehalten. Eine Geschichte über die Tragik der Liebe und des Schaffens, mit dem Kopf in den Wolken, auf stabile Füße gestellt.

Zu Margaret Atwoods Essays & Vorträgen in “Aus Neugier und Leidenschaft”


Aus Neugier und Leidenschaft Ich freue mich außerordentlich, dass sie für die Hagey Lectures dieses Jahr eine Quotenfrau eingeladen haben. Sie hätten sich zwar eine seriösere als mich suchen können, aber der Vorrat ist natürlich begrenzt, das ist mir bewusst.

Margaret Atwoods Roman-, Prosa- und Lyrikwerk hat sich mit seiner Eigenständigkeit und seiner Verknüpfung von ästhetischem und thematischem Wagnis einen Ehrenplatz in den Buchregalen des 20ten und 21ten Jahrhunderts verdient. Als Essayistin ist sie eines der besten Beispiele für die seltene Verbindung aus scharfem Witz, feiner Empathie und bestechender Leidenschaft; und außerdem hat sich mich im Verlauf dieses Buches, das die Jahre von 1970-2005 abgedeckt, immer wieder überrascht.

Da hält sie zum Beispiel mit einer Mischung aus augenzwinkernder Ironie und gelungener Kontroverse einen Vortrag über die männliche Romanfigur (aus diesem Vortrag stammen das Ein- und das Ausgangszitat), schreibt dann eine sehr begeisterte Rezension zu John Updikes “Die Hexen von Eastwick”, springt hinüber zur Grunge-Musik, schreibt dann wiederum eine bestechende Studie zu der Schwierigkeit, über böse Frauen zu schreiben, bevor eine kurze, liebevolle Erinnerung an die großartige Autorin Angela Carter folgt.

Manches in dem Buch hat den Touch einer Gelegenheitsarbeit – aber selbst das stört nicht, denn Atwoods unangestrengter Esprit lässt das Elaborierte und das Umrissene in genau demselben, eloquenten Licht erscheinen. Neugier, Hinwendung, Kampfgeist und Leidenschaft tragen jeden Vortrag, jedes Essaystück mit einer Leichtigkeit im Gemüt voran, die die Lesenden sofort für sich einnimmt.

Ein wunderbares Buch, voller Ideen, voller Energie, das flink ist, aber auch kein noch so schwieriges Thema scheut; ganz im Gegenteil: nur zu gern legt Atwood den Finger auf das Problematische, das Ausgeklammerte – und verhilft ihm mit unerschütterlicher Klarheit zu Raum und Sprache.

»Wieso fühlen sich Männer von Frauen bedroht«, habe ich unlängst einen Freund von mir gefragt […] »Ich meine, Männer sind doch größer«, sagte ich, »meistens jedenfalls, können schneller laufen, besser würgen, und im Schnitt haben sie auch viel mehr Macht und mehr Geld.« »Sie haben Angst, dass die Frauen sie auslachen«, sagte er. »Ihre Weltsicht belächeln.« Und dann fragte ich in einem improvisierten Lyrikseminar ein paar Studentinnen: »Wieso fühlen sich Frauen von Männern bedroht?« »Sie haben Angst, dass sie umgebracht werden«, hieß es lapidar.

Kurz gesagt zu La Rochefoucault Aphorismen – oder: “Glück und Laune regieren die Welt.”


“Jedermann klagt über sein schlechtes Gedächtnis, aber niemand über seinen schlechten Verstand.”

Man spricht oft von Büchern, die “ihren Reiz nicht verlieren” oder “immer noch aktuell (oder zutreffend) sind.” Nun, bei La Rochefoucaulds Aphorismen ist dies allerdings der Fall; ihnen bleibt ihre 300 Jahre alte Geltung und Wahrheit weiterhin.

“Unser Glück liegt nicht in den Dingen, sondern in deren Bewertung durch uns; und der Besitz dessen, was wir lieben, macht glücklich, nicht dessen, was andere liebenswert finden.”

Obwohl manchmal zynisch und fast schon übertrieben auf der Suche nach Hintergedanken, war La Rochefoucauld sicherlich einer der wichtigsten Moralisten seiner Zeit. Seine feine Polemik, kombiniert mit ironischen und sarkastischen, sowie belebenden und flotten Annoncen, kann uns bis heute noch bezaubern und lehren, was wir im Leben an Offensichtlichem bisher übersehen haben.

Rochefoucauld wusste um seine Grenzen (“Wer seinen Verstand kennt, kennt nicht immer sein Herz”) und gerade Liebe und Leidenschaft, zwei seiner häufigsten Themen, bewahren in seinen Betrachtungen trotz aller Empirik und Satirik einen liebevollen Anklang. Und weise weiß er stets zu sein, obwohl (und weil): “Es ist leichter, für andere weise zu sein als für sich selbst.”

Eine Zitatsammlung, die keine eklatanten Lücken aufweisen will, kommt um La Rochefoucauld nicht herum. Einige seiner trefflichsten Sätze scheinen auf jede Zeit, übergreifend, münzbar zu sein und verlieren und erschöpfen sich nicht, da sie weder pessimistisch, noch überironisch sind – wenn ihnen eine Bezeichnung geben müsste, so wäre es: moralisch.

“Die Wahrheit stiftet nicht so viel Gutes in der Welt wie ihr Schein Böses.”