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Zu den Reden von Michael Köhlmeier


erwarten sie nicht

Es war eines der wenigen Ereignisse, die mir in den letzten Jahren wirklich Mut gemacht haben: Michael Köhlmeiers Rede in der Wiener Hofburg am 04. Mai 2018. Da sprach ein Schriftsteller – kein/e politische/r Kabarettist/in im Gewand der Ironie, kein/e NGO-Vertreter/in aus der Opposition, sondern ein Künstler aus der Mitte der Gesellschaft – offen gegen die Verhältnisse, gegen die politische – und indirekt auch gegen deren Verlängerungen in der gesellschaftlichen – Kultur. Und fast noch wichtiger als das Thema seiner Rede (die Geschichtsvergessenheit der aktuellen österreichischen Regierung, ihre fragwürdigen Verlautbarungen und jüngsten Maßnahmen) war ein Satz, der nun dieser Sammlung mit neun Reden als Titel dient.

„Erwarten Sie nicht, dass ich mich dumm stelle“, sagt Köhlmeier in der Rede. Dieser Satz war an die Regierenden gerichtet, aber er ist deswegen so schneidend, weil er sich darüber hinaus auch an die Regierten richten konnte. Dummstellen (auch als Synonym für Wegschauen) hat in unserem Informationszeitalter und in unseren Wohlstandsgesellschaften Hochkonjunktur – oft ist der Grund Ignoranz, manchmal auch Überforderung, Kapitulation. Wer sich dumm gibt, seine Dummheit schützt und pflegt, der kommt mit bestimmten Debatten nicht in Berührung und kann glauben, er hätte mit vielen Dingen nichts zu tun. Kenntnis zieht die Frage des Verhaltens, der Position nach sich, keiner kann sich dieser Konsequenz entziehen (und es wird oft versucht, meist durch Leugnung oder Verdrehung der Kenntnis).

Köhlmeier ergriff die Gelegenheit zu zeigen, wie das ist, wenn man sich in der Öffentlichkeit, bei einem offiziellen Anlass, nicht dumm stellt, sich nicht servil gibt. Es war Stefan Zweig, der einmal gesagt hat: „Jede Widerstandsgeste, die kein Risiko in sich birgt und keine Wirkung hat, ist nichts als geltungssüchtig.“ Ob er damit nun recht hatte oder nicht, Köhlmeiers Rede entsprang eben nicht der Geltungssucht, sondern der Gelegenheit. Er nutzte sie und mahnte.

„Zum großen Bösen kamen die Menschen nie mit einem großen Schritt, sondern mit vielen kleinen, von denen jeder zu klein schien für eine große Empörung.“

Seine Rede war dennoch keine Kampfansage und auch die übrigen Reden sind es nicht. Es sind Lektionen in Aufmerksamkeit, Menschlichkeit, Lehrstücke gegen das Vergessen, Elegien der Dialektik – und natürlich ein Stück weit das, was gute Literatur immer ist: Mittel gegen die Scheuklappen und die Ausreden der Ignoranz, gegen die Einseitigkeit.

Zum Beispiel jene Rede, die er 2014 bei der Verleihung des Humanismus-Preis hielt. Eine eher kurze Rede, in der er nach der Grundlage für humanistisches Verhalten fragt und auf den letzten Gesang der Ilias von Homer zu sprechen kommt. Dort schleicht sich Priamos, der König von Troja, in das Lager der Griechen, ins Zelt des Achilles, um ihn um den Leichnam seines Sohnes Hector zu bitten, den Achilles vor kurzem erschlagen hat. Der trauert noch um seinen Freund Patroklos, der wiederum von Hector erschlagen wurde. Als sie sich begegnen, erkennen sie, dass gerade sie den Schmerz des jeweils anderen am besten verstehen können.

„Sich des anderen zu erbarmen heißt, das gemeinsame Los aller Sterblichen an sich selbst zu erfahren“

Auch als Redner hält Köhlmeier an den Werten und der Aufgabe des Schriftstellers, des Erzählers fest. Was u.a. heißt: nicht nur den Spiegel vorhalten, sondern auch in ihn hineinschauen; den Spiegel nicht aus Eitelkeit ergreifen, sondern weil er etwas birgt, was wir normalerweise nicht zu Gesicht bekommen, mit dem wir selten konfrontiert werden. In einigen Reden spricht Köhlmeier über das Erbe des 20. Jahrhunderts, darüber wie sich Apathie und Schrecken angenähert haben, verschmolzen sind – so fest mittlerweile, dass sie kaum noch zu trennen sind.

„Wir sind begriffslos, seit wir das Böse nicht mehr von dem unterscheiden können, das uns ansieht, wenn wir in den Spiegel schauen.“

Köhlmeier erzählt von seiner Mutter und von dem Gegensatzpaar Leben und Historie. Er spricht über Toleranz und Individualität, über Empathie und Verdrängung. Er redet über Verbrechen und er redet über die Schönheit. Und alle seine Reden weisen uns, unter der Hand, an, uns nicht nur unserer Feinde zu vergewissern, sondern vor allem dem, was wir bewahren und bewirken wollen. Thomas de Quincey schrieb: „Feinde glauben, einander zu kennen. Es besteht die Gefahr, dass sie diesen Kenntnissen irgendwann mehr Bedeutung beimessen als den eigenen Erfahrungen.“ Sich nicht dummstellen will gelernt sein, aber ebenso, zu erkennen, dass die Wirklichkeit komplexer ist als der eigene Einblick in den Verlauf der Dinge.

Und gegen wen wir kämpfen darf nie verdrängen wofür wir kämpfen. Hier hat Köhlmeier in einer Rede eine schöne Anekdote parat:

„Mitten im Krieg gegen Hitler wurde im britischen Unterhaus der Antrag gestellt, das Kulturbudget zu kürzen. Churchill, Premierminister und Verteidigungsminister, empörte sich dagegen: „Wofür kämpfen wir denn?“, soll er ausgerufen haben. Und der Antrag war vom Tisch.“

Zu den Porträts in “Über Geist und Macht” von Wilhelm von Sternburg


QU_Sternburg_U1_Entwurf.indd Dieser schöne Band versammelt biographische Studien, Abrisse und Essays von Wilhelm von Sternburg, die zwischen 1993-2017 in verschiedenen Publikationen (hauptsächlich der Frankfurter Rundschau) erschienen. Unter den Protagonist*innen finden sich ein paar der üblichen Verdächtigen (Schiller, Heinrich Böll, Stefan Zweig, Günter Grass, bei den Politikern Bismarck, Churchill und Willy Brandt), aber auch unbekanntere oder vergessene Namen wie Gustav Freytag, Bruno Frank, Elisabeth Langgässer und wenig thematisierte wie Arnold Zweig, Lion Feuchtwanger, Golo Mann oder Herbert Wehner.

Mit Ausnahme von Lessing und Schiller waren alle Persönlichkeiten des Buches auf die eine oder andere Weise Zeitgenossen und Akteur*innen während der Entwicklungen und Verwerfungen der deutschen Nationalgeschichte zwischen 1848 und den Zeiten der Bonner Republik. Und obgleich Sternburg auch ein feinsinniger literarischer Rezipient ist – die Texte dieses Bandes (wie auch schon der Titel „Über Geist und Macht“ andeutet) richten ihr Hauptaugenmerk auf die zeitgeschichtlichen Aspekte des Werks, den Charakter und die Integrität, die Verwicklungen und Positionen der jeweiligen Geistes- und Machtgrößen.

Bei einigen Namen bleiben die Texte eher so etwas wie ein gut ausbalanciertes summa summarum (wobei es auch dann an interessanten Einblicken nicht fehlt). Zu Schiller beispielsweise gibt es selbstverständlich tiefere, mannigfaltigere Arbeiten (z.B. von Thomas Mann oder Rüdiger Safranski). Bei solchen Namen spürt man, das Sternburg klug gesammelt hat und mehr das bekräftigt, was zu Schiller bereits gesagt wurde und weniger eine eigene Deutung anstrebt (wenn er sie auch, hier und da, einfließen lässt). Auch bei Joseph Roth, dem ein längerer Text gewidmet ist, bewegt sich Sternburg etwas im Kreis, verdeutlicht und untermalt, stößt aber nicht wirklich in eine eigene Schilderung vor.

Sehr verdienstvoll sind hingegen die Beiträge zu den Unbekannteren – und das Highlight sind ein paar mutige Klarstellungen. Sehr fasziniert hat mich der längere Text zu Gustav Freytag, in dem Sternburg nicht nur die Geschichte des damals sehr erfolgreichen Literaten und Feuilletonisten erzählt, sondern auch ein nachvollziehbares Bild des Antisemitismus im Deutschland des 19. Jahrhunderts zeichnet und beides in der Entwicklungsgeschichte des Publizisten Freytag zusammenbringt. Seine Texte zu Bismarck und zu fast allen anderen politischen Personen, die er portraitiert, haben eine Schonungslosigkeit, die sich stets ohne Verdammnis artikuliert – was oft ausgewogen wirkt, nur selten zu friedfertig und versöhnlich. Insgesamt legt er eine beeindruckende Differenziertheit an den Tag und bei den Publizisten und Politikern deckt er deren Schwächungen und Verfehlungen mitunter so konsequent auf, das man sie in in einem neuen, unspektakuläreren Licht sieht.

Nur Lob habe ich auch für seine Texte zu Böll und Grass. Bei Böll macht Sternburg klar, welch engagierten Geist und wichtigen (sicher auch großen, aber vor allem wichtigen) Künstler die Bonner Republik mit dieser Persönlichkeit hatte und wie erschreckend Boulevardpresse, Feuilleton und Regierung diesen Menschen teilweise behandelt haben. Aber er stellt ihn eben nicht als Opfer dar, sondern als den agierenden Humanisten, Vertreter der Entrechteten und eigenwilligen Zeitgenossen, den seine eigenen Schriften auch widerspiegeln. Und ich fühle mich Böll durch Sternburgs Darstellung wieder genauso verbunden, wie zu der Zeit, als ich vieles seiner Romane und Kurzgeschichten las.

Bei Grass wird Sternburg noch entschiedener zum Verteidiger und beklagt offen die verheerende Dimension der Verrisse und den Unbill, den man Grass Werk und dem geistesgegenwärtigen Prinzip darin über Jahrzehnte entgegenbrachte und -bringt. Obwohl schon ein älterer Text, ist er wohl nach wie vor aktuell. Natürlich hat Grass sich mit seinem Gedicht über Israel und seinen schwierigen Memoiren „Beim Häuten der Zwiebel“ weiter in Verruf gebracht, bevor er starb. Aber sein episches Werk ist zu großen Teilen nach wie vor seltsam verpönt, viele Dimensionen darin werden verkannt und falsch oder missgünstig oder nur autobiographisch gedeutet.

Andere Beiträge, bspw. zu Stefan Zweig und Lion Feuchtwanger, sind schön zu lesen, manchmal etwas unordentlich strukturiert, was mir persönlich aber sympathisch ist. So wirkt es, als Reise man kreuz und quer durch den Geist und das Leben der Person. „Über Geist und Macht“ ist letztlich eine tolle Kombination aus Schmöker und Geistesgut – etwas, das man auf dem Feld der Essays leider allzu selten antrifft. Lesenswert!