besprochen beim Signaturen-Magazin
Tag Archives: Licht
Zu Philippe Jaccottets “Gedanken unter den Wolken”
besprochen beim Signaturen-Magazin
Zu dem komisch-kosmisch-lehrreichen Werk “Warum landen Asteroiden immer in Kratern?”
Wie soll man aus dem Universum noch schlau werden! Es ist nicht nur mega-unübersichtlich (im wahrsten Sinne des Wortes, wenn man gerade kein Hubble-Teleskop zur Hand, bzw. zum Auge hat), diese Unübersichtlichkeit wird durch Betrachtungsweisen, Gerüchte, Mythen, Fakes, Widerrufe, Missverständnisse, Definitionen etc. dermaßen gemehrt, dass es an ein Wunder grenzt (wenn man denn an Wunder glaubt – und wie groß sind eigentlich Wunder? Kann etwas an sie grenzen?) wenn man als Laie überhaupt noch etwas Gesichertes darüber verlautbaren kann, wenn es um komplexere Zusammenhänge als Schwerkraft, den Urknall und Katzen, denen man ein Marmeladenbrot auf den Rücken bindet, geht.
Die österreichischen Science-Busters Puntigam, Freistetter und Jungwirth hat sich dazu entschieden, dem ganzen Chaos auch noch Humor beizumengen, wohl in der Hoffnung, dass er eine klärende, katalysatorhafte Wirkung hat. Eine berechtigte Hoffnung! Zwar entfernt sich das Team ein ums andere Mal von ihren skurril auftrumpfenden Kapitelüberschriften, um doch etwas bodenständigere Wissenschaft zu betreiben, aber diese Lehrstunden sind nicht nur in sich oft verblüffend, sondern mit vielen Unterhaltungseinlagen garniert, vom Slapstick bis zum subtil-philosophischen Haken, den manche Aussage dann doch, sprachlich oder sachlich, an sich hat. Wenn es beispielsweise um die Frage: “Wie lang ist ein Meter geht”, heißt es einleitend:
“Wenn sie einmal in Ihren Spamordner schauen, werden Sie feststellen, dass es vielen Menschen nicht egal ist, wie lang etwas ist.”
Und egal ob es um Mythen über Mücken (Pardon: Gelsen!) und Licht geht, darum wie der Mars sich vielleicht noch ein bisschen gemütlicher machen lässt, wenn man ihn nur ein bisschen mit Asteroiden umschmeichelt, oder um das, was Viren so beim Wirt besprechen: man wird prächtig informiert und unterhalten, auch über neuste wissenschaftliche Errungenschaften und Erkenntnisse. Auch die Ehre des Weizenklebstoffes wird ein bisschen wieder hergestellt, damit am Ende gesagt werden kann: es hat sich doch noch alles zum Gluten gewendet!
P.S.: Es muss doch nicht immer auf die alternative Medizin eingedroschen werden, oder? Wie sagte der Barde: Es gibt mehr Ding im Himmel und auf Erden als die Schulbuchweisheit (und sei sie auch witzig) sich träumen lässt.
Zu Rolf Jacobsen: “Nachtoffen”
Besprechung von Rolf Jacobsens “Nachtoffen” (erschienen in der großartigen Edition Rugerup) beim Signaturen-Magazin.de
Zu “Apfel und Amsel” von Jürgen Nendza – So werden wir von Stille als Natur durchleuchtet…
“Wir betreten Regen,
öffnen sein Hemd, die Luft dahinter liegt
wie nackte Haut auf den Zweigen.”
“Moderne Gedichte sind”, klagte einst ein nicht unbedeutender Kritiker, “wie ein Segel ohne Schiff.” Man könnte diese Metapher weiterspinnen: Ist es überhaupt möglich ein solches Segel zu setzten? Und wenn das Gedicht es dennoch schafft – wäre das nicht gleichsam ein Wunder, das die inhärente Magie manches Gedichts sehr gut illustrieren würde? Diese schiere Unmöglichkeit einer Darstellung, die sprachlich dennoch gelingt, ein Umweg als die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten
“Eine verirrte Stille, die ist
wie ein Mensch und kreist um die Liebe.”
Ich möchte mich nicht als Experte in Sachen Poesie aufschwingen, auch weil Ich glaube, dass es auf diesem Gebiet keine Experten geben kann. Das ist auch der Grund, warum ich glaube, dass beinahe jede Lyrik (wohlgemerkt jede, die zur Veröffentlichung gelangt oder bei der dies geschehen sollte) wertvoll ist und dass sie zu einem viel häufiger zur Hand genommenen Beispiel einer bewusstseinserweiternden Substanz werden sollte. Wie Joseph Brodsky sagte: “Das Lesen von Lyrik ist ein höchst ökonomische Form geistiger Beschleunigung.” Und ein hoher Anteil der Lyrik auf dem Markt ist nicht einmal wirklich kompliziert, sondern legt die Gewichtung nur viel stärker in die Worte selbst; wie der Raum, der die Zeit krümmt, soll Sprache hier die Vorstellung krümmen – und solange sie dabei nicht völlig egozentrischen Diktionen folgt, ist sie nicht nur lesbar, sondern auch erfahrbar. Man nehme z.B. die Gedichte von Jürgen Nendza.
“Das Licht
bedeutet wir sind wach. Wir stehen auf: Die Zeit ist
unerreichbar zwischen Atemzügen. Und dieses Tasten
nach der Hand, wenn die Sätze sich verlaufen.”
Das Licht, das gleichsam den Morgen, den Anbruch der Wärme ankündigt und doch auch auf alles kalte, leblose, allgemein auf alle Pfeiler der sinnlichen und physischen Welt fällt, ist der Katalysator und Erzähler in fast allen Gedichten von “Apfel und Amsel”. Es schleichen die Sommertage und das unverfänglich Freie von Momenten in lebensfreundlicher Natur darin herum, während im Vordergrund vor allem der ständig wechselnd Eindruck des lyrischen Ichs dominiert, das seine unbewegten Schatten auch auf Erinnertes und Assoziiertes zurückwirft (und trotzdem nie zu einer wirklich persönlichen Lyrik wird, sondern eher eine sehr grundideenhafte Komponente behält). Natürlich geschieht das nicht so profan, wie ich es hier schildere. Wenn man eins sagen kann, dann dass Jürgen Nendza für die oben beschriebene Spielweise genau den richtigen Wortschatz ausgetüftelt hat, der teilweise von der geradezu tautologischen Verwendung einiger weniger Stichworte wie “Stille” (und ihren sprachlichen Verwerfungen und ihrer Kombinatorik), “Licht”, “Luft”, “Reh” u.a. und teilweise von sehr filigranen, fast märchenhaften Bildern lebt, wie z.B.:
“Du kommst herein,
die Hände voller Seen, auf denen Blätter treiben.”
“Dein Lächeln, eine handvoll Reis.”
aber auch Bildentsprechungen, die wir alle kennen, von Waldspaziergängen und Momenten der plötzlichen Gewissheit einer Übereinstimmung mit den stillsten und gleichsam aus sich selbst seienden Teilen der Natur:
“ein Moorloch, in dem
das Sterben glänzt bei schönem Wetter.”
Diese Textauszüge sind hier natürlich dergestalt aus dem Zusammenhang gerissen, das Nendza sie oft als Gegengewicht, als ein quasi dem Gedicht innewohnendes Lächeln oder Zwinkern, Blinzeln etc. verwendet, das seine ansonsten sehr vagen und zirkulierenden, beinahe durchsichtigen Beobachtungen um eine physischere Note ergänzt. Poetisch ist aus diesem Zusammenspiel auf jeden Fall eine große Vielfalt assoziativen Potentials erwachsen, das Nendza fast schon zu oft bestätigt; eine unkognitive, aber sehr zärtliche Ungewissheit, die das Leben wie ein Xylophon mit kindlich geschulter Hand bespielt. Das Summa sumarum dieses Spiels, die lichtintensive Erfahrung einer Ich-Natur, die gleichsam dem Ich und der Natur (also das, was dem durch das Ich gefilterter Beobachtung entspricht, aber eben nicht nur das ist) angehört, ist sehr beeindruckend, wenn auch nicht sehr kontemplativ, sondern illuminativ und begrenzt.
“Wir sind Passanten
im Wort und du beklagst, dass Zeit
in deine Seele eindringt.”
Wenn man von Schönheit in der Poesie redet, dann scheint es meist unumgänglich, dass man beinahe jeder Zärtlichkeit in einem lyrischen Text eine gewisse Schönheit zugesteht. Doch Lyrik gewinnt ihre Schönheit auch elementar aus ihrer eigenen, nicht von 0 auf 100 zu erreichenden Art und Weise, mit Sprache Schritt für Schritt etwas zu erzeugen, wozu die Prosa auch auf tausenden von Seiten nicht in der Lage wäre. Robert Frosts Satz: “Happines makes up in height for what it lacks in length”, kann ebenso gut auf Poesie übertragen werden.
In diesem Sinne sind Jürgen Nendzas Gedichte fabelhafte Lyrik. Seine Gedichte beweisen Schönheit in subtilen Fresken und Augenblicken; sie festzuhalten, gleicht dem Versuch, das Licht reisen zu sehen, nachdem man es angestellt hat oder es versiegen zu sehen, wenn man es ausschaltet – wobei trotzdem noch ein paar der oben genannten Zitate bleiben. Schließlich müssen sich die Augen nach der Lektüre solcher Gedichte erstmal wieder an die Wirklichkeit gewöhnen; aber man bleibt ein wenig erleuchtet.
Link zum Buch
Kurze Bewunderung zu Harry Mulischs “Die Säulen des Herkules”
“Der Zufall steckt nicht nur in allem, was passiert, sondern auch in dem, was nicht passiert.”
In letzter Zeit habe ich mich zum ersten Mal mit den Romanen des Schriftstellers Harry Mulischs beschäftigt und wurde positiv überrascht – was mich aber keineswegs auf das ungeheure und erstaunliche Können und Wissen auf dem Gebiet des Essays vorbereitete, dass er in diesem Werk auf gerade mal 230 Seiten zelebriert.
“Die Säulen des Herkules” fassen essayistische Texte & Reden (oder Essays die später Reden wurden) aus der Zeit zwischen 1982 und 1995 – also überwiegend die Zeit, in der Mulisch intensiv an seinem großen Buch Die Entdeckung des Himmels arbeitete. Die Texte enthalten auch einige Antworten auf das theoretische Fundament dieses großen Werkes oder zumindest auf die spirituellen, philosophischen und wissenschaftlichen Einflüsse, die Mulisch dazu bewegten, ein so radikales und gleichsam einzigartiges Kunstwerk zu erschaffen. Aber sie gehen auch noch weit darüber hinaus, hinein in die phantastischen Dimensionen der universellen Möglichkeiten
Meine schönsten Erfahrungen auf dem Gebiet der essayistischen Literatur gipfelten bislang in zwei Namen: Joseph Brodsky und Jorge Luis Borges, dessen Inquisitionen ich wohl öfter empfohlen habe, als jedes andere Werk. Ich dachte nicht, dass ich diesem Duo noch einen Namen hinzufügen könnte – und doch haben mich Mulischs Ausführungen zur Mathematik, (Quanten-)Physik, Literatur, Mythologie und Historie (gipfelnd in der Synchronisation und Verschmelzung vieler dieser Elemente) so fasziniert, meine Vorstellungen innovativ modifiziert, wie sonst nur Borges es vermochte und dabei so bezaubert, wie nur Brodskys schöne Sprache es sonst immer getan hat.
Wer die Faszination als ein Wesensmerkmal der Literatur und der essayistischen Erläuterung ansieht, wer die komplexe, vielfarbige, scheinbar unbegrenzte Ausführung schätzt und wer gerne in fast jeder Zeile etwas Neues, Spannendes oder Wissenswertes kennenlernen und erfahren will, dem empfehle ich diese Essays uneingeschränkt. Sie sind kleine Tore zu den verschiedensten Ambivalenzen und Bedeutungen. Und wer von Borges schon einmal Essays gelesen hat und wem sie gefallen haben, der wird in Mulisch einen würdigen Nachfolger von jener Kunst finden, die Borges so beeindruckend beherrschte: Die Welt und ihre Wunder in ein wunderbar reiches Licht zu rücken.
“Ich schreibe meine Bücher, weil es sie genauso geben muss, wie es Sperber gibt, oder Löwenzahn: Als Zeichen ihrer selbst. Was andere damit machen ist mir eigentlich völlig gleichgültig. Lob oder Tadel berühren mich natürlich, aber sie reichen nicht in das Gebiet, wo mein Werk seinen Ursprung findet.”
Als letztes wäre zu betonen, dass es in diesem Werk nicht nur und nicht mal überwiegend um Literatur geht. Es geht um Geschichte und Geschichtsverständnis, Weltsicht Wissenschaftlich + Weltsicht Mythisch; es geht um philosophische und physikalische Phänomene, Psychologie und Weltentstehungstheorien und wie man all das interpretieren und möglicherweise auch zusammenfügen kann. Mulisch ist also nicht bloß Problemfinder, sondern er versucht hier auch fundamentale Zusammenhänge zu erschließen und zu erläutern. Das reicht von Anne Frank über Freud bis zur Entstehung des Universums und dem Phänomen des Lichts. Also nichts für zwischendurch und auch nichts rein Bibliophiles. Vielmehr etwas Universelles.