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Geht so


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„Über dir hängt Schwermut an der Wand

wie eine sehr alte Girlande,

mit einem Meer aus Elefanten

und Betonluftballons dran,

die geformt sind wie Monster.

[…]

Ich wollte immer wie die anderen sein .

Nur dass das absolut nichts bringt

und dass das absolut nicht geht,

weil es die anderen ja schon gibt.“

Lange habe ich mich dem Hype um Julia Engelmann entzogen. Poetry-Slams waren noch nie mein Fall, vor allem poetische Poetry-Slams nicht, und auch als Engelmanns Texte anfingen als Bücher zu erscheinen, hielt ich noch Abstand. Zu groß schien mir die Gefahr, dass mir, als passioniertem Lyrikleser, ihre Texte wie dilettantische Verse vorkommen würden, nicht auf der Höhe der Zeit.

Nachdem mir aber wieder und wieder einige Leute erzählten, wie schön die Autorin schreiben würde und wie wichtig diese Texte wären, habe ich diesen Best-of-Band zum Anlass genommen, mir Engelmanns Gedichte einmal anzuschauen.

„Ich würde so vieles sagen, aber bleibe meistens still

weil – wenn ich das alles sagen würde,

wäre das viel zu viel.“

Leider muss ich sagen, dass meine Befürchtungen größtenteils eingetroffen sind und in Summe kann ich mit den Texten wenig anfangen. Das liegt vor allem an zwei Aspekten.

Zum einen ist es offensichtlich, dass Engelmann wenig bis gar keine zeitgenössische Lyrik gelesen hat. Das ist keinesfalls ein Muss für das Schreiben von Gedichten hier und heute (oder eine Garantie für deren Qualität), aber es ärgert mich. Denn es gibt viel gute Lyrik da draußen und Engelmann könnte einiges von ihr lernen (bspw. manches über Ökonomie).

Zum anderen, und das ist der wichtigere, zentrale Punkt: Mir geht die „Sorge dich nicht, lebe“-Atmosphäre des Buches auf die Nerven. Ich bin gewiss kein Befürworter von ungebremsten Zynismus, in der Kunst oder sonstwo, verschmähe keine Happy Ends und lasse mich gern mal von Positivem mitreißen. Aber bei vielen Gedichten in diesem Band habe ich mich dann schon gefragt: ist das noch Poesie oder schon Seelenpetting, Syntax oder Self-Care, Ambivalenz oder doch nur ami volare?

Ich will nicht den Gate-Keeper spielen und entscheiden was Lyrik ist und was nicht, aber müsste ich das Buch labeln, würde ich es eher unter Selbsthilferatgeber einsortieren und nicht bei den Gedichten. Dafür spielt es auch viel zu selten wirklich eine Rolle, dass der Text ein Gedicht ist, es hat selten etwas mit dem zu tun, was er vermitteln soll.

„Keine Ahnung, ob das Liebe ist,

vielleicht werde ich das nie wissen.

Aber immer, wenn du bei mir bist,

hör ich auf, dich zu vermissen.“

„Du machst mich espressowach,

bin lange nicht mehr weggeschlummert,

weil in meiner Brust der Bass

so laut gegen die Decke wummert.

Hörst du nicht? Die Nachtigall

singt vierundzwanzigsieben.

Wärst du mit mir zum Abiball

gegangen, wär ich geblieben.“

Die einzige Kategorie in der es noch Lichtblicke gibt sind die Liebes-/Beziehungsgedichte. Hier gibt es ein paar ausgefallene Bilder, ein paar Ambivalenzen, ein bisschen weitläufigere Ansätze. Trotzdem bin ich unter dem Strich einfach nicht so angetan wie viele von Frau Engelmanns Texten. Das wird der Begeisterung, die ihr entgegenbrandet, keinen Abbruch tun und soll es auch nicht.

„mein Herz ist das Berghain

und du kommst nicht rein“

Gedichtband “Ab hier nur Schriften”


ab hier nur schriften

Anfang Februar erscheint mein zweiter Gedichtband “Ab hier nur Schriften” beim Berliner Aphaia Verlag. Auf der Verlagswebsite kann man jetzt bereits einen kleinen Eindruck bekommen.

Zu den Gedichten von Sor Juana Inés de la Cruz in “Nichts Freieres gibt es auf Erden”


Nichts freieres gibt es auf Erden besprochen beim Signaturen-Magazin

Eine CD mit Gedichten von Mascha Kaléko, gesprochen von Katharina Thalbach


Solo für eine Frauenstimme Als ich heute wieder Mahlers „Dritte“ hörte,
Umfingen mich die Schatten alter Zeit,
Und auf den Schwingen der Unendlichkeit
Entfloh ich dieser Stadt und dem Getriebe,
In das Gewoge der Vergangenheit,
In das Vineta unsrer ersten Liebe.

Melancholie und sehnsüchtige Hoffnung und gleichzeitig ein Reden wie einem „die Schnauze (und das Herz) gewachsen ist“: Mascha Kalékos Gedichte sind Kur und Kür für jedes gebrochene Herz, jede Einsamkeit, das Fernweh und die Angst vor dem Verlust. Katharina Thalbach betont als Sprecherin dieser Edition vor allem das Sanfte ihrer Verse, das Langende – worunter Witz und Ironie erstaunlicherweise nicht leiden: sie blühen, natürlich ungleich zarter, weniger scharf, in ihrer Stimme geradezu auf.

Auch die Auswahl der Gedichte ist sehr gut (wobei einiges, wie etwa das wundervolle “An mein Kind” und einige spitzere Epigramme, mir persönlich zwar fehlen, aber das hat mit Vorlieben zu tun), die Essenz von Kalékos Themen, Tönen und Facetten wird durch die Auswahl ohne Frage stimmig repräsentiert. Auch die Dramaturgie, mit den Liebesgedichten am Anfang, gefolgt von des Exilgedichten und abgerundet von den Lebensgedichten, ist gelungen.

Es freut ungemein, diese CD im Schrank und auf dem Rechner zu haben, um dann und wann das ein oder andere Gedicht nicht nur zu lesen, sondern von ihm durch das Lebendige der menschlichen Stimme berührt zu werden.

Ein Gedicht trieb mir geradezu Tränen in die Augen; eines der wenigen von Mascha Kaléko, das keinen durchgängigen Reim verwendet, nichts Spitzes hat, sondern sich auf geradezu haltlose Weise einem Moment des Herzens, einem Moment jenseits des Geregelten verpflichtet; Katharina Thalbach gelingt eine über die Maßen wunderbare Interpretation dieses “Post Scriptum”, von dem das Gedicht erzählt: Das lyrische Ich, das einen Geschäfts-Brief seines Verlegers überfliegt, übersieht dies Post Scriptum fast. Es lautet:

Nun, da mein Leben sich dem Abend zuneigt
und jenes dunklen Engels Flügelschlagen
schon manche Nacht den Herzschlag übertönt,
will ich, Verehrteste, es ein Mal sagen:
Ich habe dreißig Jahre Sie geliebt.

Nun liegt ein Weltmeer zwischen mir und Ihnen.
Und immer warte ich, dass noch ein Brief,
kein Liebesbrief und doch ein Schmetterling,
in mein mit Akten tapeziertes Leben
flattert.

In diesem Sinne: Mascha Kaléko hören und lesen. Für und gegen das Herzweh, für und gegen des Engels Flügelschlag.

“We take love in all its seasons.” Beeindruckende Gedichte um die Liebe von Anne Sexton.


“Bis Gestern war mein Körper nutzlos.
Nun zerrt er an allen Ecken und Enden.
[…]
Einst war ein Boot, ganz aus Holz, ohne Aufgabe,
ohne Salzwasser unter ihm, konnte etwas Farbe brauchen.
Er war nicht mehr als eine Ansammlung von Brettern.
Doch du hast es ausgesetzt, es aufgetakelt.
Es ist auserwählt worden.”

Immer wieder gerne wird Anne Sexton, gebürtige Amerikanerin, geb. 1928, gest. durch Freitod 1974, zu den “confessional poets” gezählt (andere z.B.: John Berryman, Robert Lowell) und noch näher scheint oft der Vergleich mit Sylvia Plath zu liegen, obwohl die beiden nur einige wenige Begegnungen hatten. Allerdings gibt es in der Tat auffällige Parallelen in ihren poetischen Werken; z.B. ihre sehr ambivalente Einstellung zu Liebe, Sex und Institution wie Kinderkriegen, Ehe und Erfüllung und die leicht abseitigen Bilderwelten und Verschlüsselungen, die beide erfunden haben, um diese Dinge in Gedichten zu verarbeiten.

“I cried and then you held me just as you must
and of course we’re not married, we are a pair of scissors
who come together to cut, without towels saying His. Hers.”

Die Liebesgedichte Sextons liegen zwischen zwei Lagern und da liegen sie genau richtig. Auf der einen Seite ist immer noch Klassisches zu finden, die (Üb-)Erhöhung der Liebesakte, die Vervielfältigung des Träumens und die Sehnsucht, die man dem geliebten Menschen und seiner Berührung und am meisten seiner Abwesenheit angedeihen lässt. Mit diesem Teil geht Sexton sehr sparsam um, was man aber kaum bemerkt, weil sie es manchmal so schmerzvoll und greifbar tut, dass es über dem ganzen restlichen Gedicht hängt wie ein Schatten. Auf der anderen Seite ist da ihre ganz eigene lyrische Stimme: ihr persönliches Verständnis, ihre Erfahrungen und Anschauungen zu Liebe und Beziehung. Die sind manchmal nicht weniger zärtlich oder zerrissen als das Klassische. Aber in Ihnen steckt eine Komponente, die die Facetten der ganzen Sache leuchten lässt, das Klassische zum Persönlichen hin aufbricht.

“Während zwanzig Zentimeter Schnee
herunterkamen wie Sterne
in kleinen Kalkstücken
waren wir in unseren Körpern
(diesem Raum, der uns begraben wird)
und du warst in meinem Körper
(dieser Raum, der uns überdauern wird)”

“So tell me anything but trake me like a climber
for here is the eye, here is the jewel
here ist the excitement the nipple learns.
I am unbalanced – but I am not mad with snow.
[…]
I burn the way money burns.”
Wenn man kann sollte man die Gedichte auf Englisch lesen, denn Sexton hat ein unglaubliches und unkompliziertes Gefühl für Sprache. In einem Gedicht namens “The Ballad of the lonely masturbator” gibt es zum Beispiel diese Strophe:

“Finger to Finger, now she’s mine.
She’s not too far. She’s my encounter.
I beat her like a bell. I recline
in the bower where you used to mount her.
You borrowed me on the flowered spread.
At Night, alone, I marry my bed.”

Also auch darum geht es, um Selbstliebe und Einsamkeit, die einen wesentlichen Bestandteil der Liebe ausmachen. Das letzte große Gedicht in der deutschen Ausgabe der Liebesgedichte, ein Zyklus, beschreibt die 18 Tage die Sexton von einem ihrer Liebhaber getrennt ist. Überhaupt sind Liebhaber die beherrschenden Figuren des Buches.

Unsäglich schön sind manche Gedichte, fast schon wieder traurig, weil selbst das Vergehen, der Verzug der Liebe, in ihrer Erfüllung schon eingeplant ist:

“Seien wir ehrlich, ich war nicht von Dauer.
Ein Luxus. Eine hellrote Schaluppe im Hafen.
Mein Haar stieg wie Rauch aus dem Autofenster.
Junge Venusmuscheln, nicht billig zu haben.”

schreibt sie an einen Mann, der sie verlassen hat und zu seiner Frau zurückgekehrt ist.

“Das Meer trägt eine Glocke am Nabel.
[…]
Die Brandung ist eine Droge und ruft
die ganze Nacht lang
ich bin, ich bin, ich bin.”

“Take my looking glass and my wounds
and undo them. Turn off the light and
then we are all over black paper.”

Die “Liebesgedichte” sind ein fulminantes Werk über die Liebe, das Unfaire und das Gelungene an ihr, das Ertragen und das kurze Besitzen. In seinen vielen unterschiedlichen Ansätzen bringt er es zustande, dass seine vielen Richtung langsam die Form eines Satzes annehmen, eine großartigen Satze, wie man sich ihn auf die inneren Augenlieder schreiben will, in ein kleines Büchlein der Wahrheiten des Lebens: “We take love in all its seasons”. Wer wirklich Gedichte über die Ausmaße der Liebe und ihrer Unterströmungen lesen will, muss zu Anne Sextons Gedichten greifen

Als letztes noch ein Ausschnitt aus den Gedichten “Nacktschwimmen” und “4th December”:

“Water so clear you could
read a book through it.
Water so bouyant you could
float on your elbow.
I lay on it as on a divan.
Water was my strange flower.”

“Als der Bibermond die Erde erhellte,
raschelten Eichenzweige wie Mäuse in einem Karton.”