“Zwei Körper Aug’ in Auge
sind manchmal zwei Wellen,
und die Nacht ist ein Ozean.
[…]
Und wenn du sie schließt,
überflutet dich innen ein Fluß,
eine sanfte verschwiegen Strömung dringt an und
macht dich dunkel:
die Nacht netzt Ufer in deiner Seele.”
Die Literatur Südamerikas bleibt nach wie vor eine der magischsten Erfahrungen von Lektüre, egal wie bekannt sie mittlerweile geworden ist, wie sehr dieser Kontinent literarisch „erschlossen“ ist. Und in dieser Magie steckt eine Vielschichtigkeit, die sich von Jorges Luis Borges bis zu Mario Vargas Llosa, von Pablo Neruda bis zu Cortazar, von Alejo Carpentier bis zu Gabriel Garcia Marquez erstreckt und eine Strecke, die durchzogen ist von einer bunten und doch perlendunklen Eigenart, wie sie Ausdruck einer nahezu unerreichbaren Welt in (oder außerhalb) der eigentlichen Welt zu sein scheint.
Octavio Paz, Nobelpreisträger 1990 (die Geschichte der südamerikanischen Literatur ist auch die Geschichte vieler verliehener und vieler zu Unrecht nicht zuerkannter Nobelpreise), ist vor allem für das Werk bekannte, in dem er die Identität Lateinamerikas einfangen wollte: Das Labyrinth der Einsamkeit. In Romanen oder Erzählungen hat er sich nie besonders hervorgetan, seine Dichtung und sein Engagement kennzeichnen ihn aber bis heute als einen der großen Geister und Schriftsteller des vergangenen Jahrhunderts.
“Dem Flockengewand, dem Pflaumenbaum
Lebwohl sagen, und dem Vogel dort,
der ein einziger Windhauch ist auf einem Zweig.”
Der Band „Gedichte“, der Texte aus den Jahren von 1935-1974 + einige damals unveröffentlichte Werke enthält, kann neben Suche nach einer Mitte: Die großen Gedichte als beste Auswahl der Lyrik von Paz gelten; diese hier ist etwas vielschichtiger und repräsentativer, während die andere vor allem Kernwerke von Paz, die auch großen Einfluss auf die Lyrik seiner Generation ausübten, enthalten.
“Pause aus Blut zwischen dieser Zeit und einer anderen, ohne
Maß.”
Vom träumerischen zum wahrhaft Transzendenten ist es ein schmaler, aber dennoch meist klarer Schritt. Wer käme schon darauf Celan als träumerisch zu bezeichnen? Bei Octavio Paz ist das Ganze nicht so einfach und ich glaube man könnte ihn sowohl als träumerisch-phantastischen (bisweilen surrealen), als auch als transzendenten, geistlich-forschenden Dichter lesen, bei dem die Übergänge fließend sind. Zum Beispiel diese Zeilen:
“Eine Frau mit den Regungen eines Flusses
Mit durchsichtigen Wassergebärden
Ein Mädchen aus Wasser
Darin zu lesen was vorübergeht und nicht wiederkommt”
Eine Liebeserklärung, eine wörtliche Formung der weiblichen Schönheit, eingefangen in der Metapher eines Flusses, die sie fast völlig umgibt; aber spätestens in der letzten Zeile wird einem auch die Doppelbödigkeit dieser Allegorie bewusst. Immer noch geht es um die Schönheit, aber um eine sehr viel transzendentere Geste ihrerseits, dem Hinweis auf die Vergänglichkeit, die Paz hineinwebt. Diese zusammengeführte Essenz aus poetischer, auch seichter, Schönheit und einem klaren, manchmal offenbarenden Ansatz zur Durchleuchtung viel tieferer Grundsätze der dargebotenen Bilder und Szenen – das ist Octavio Paz im Kern.
Cortazar sprach in einem Essay einmal in Bezug auf Luis Cernuda von “Sinnen in der Welt”. Ich glaube, dass diese leicht abstrakte, aber nichtsdestotrotz gelungene Bezeichnung auch sehr gut das beschreibt, was im Werk von Paz geschieht, das Schreiten der Stimmen, die sich die Sinne in der Welt zu eigen machen, zum Beispiel wenn Paz schreibt: “Weiße Gärten die bersten in der Luft.”
“ich falle von Geburt an ohne Ende,
falle in mich selbst, ohne Grund zu finden,
nimm mich in deine Augen auf, vereine
meinen zerstreuten Staub, versöhne
meine Asche, binde meine zerteilten Knochen,
hauche über mein Sein, in deiner Erde
begrabe mich, dein Schweigen gebe Frieden
dem Denken, das sich selbst zerwütet”
Manchmal gibt es auch leicht religiöse und “gesängliche” Komponenten in Paz Dichtung und auch andere bekannte dichterische Mittel, wie Persönliches, Erlebtes und Analysiertes. Aber bei all dem ist Paz nie ein entrückter Dichter (außer vielleicht in seinem Langgedicht “Sonnenstein”, wobei es sein kann, dass gerade dies im Gegenteil auch als sehr nah und natürlich angesehen wird) und ein Denker, denn der bildliche Verweis auf einen Gedanken und eine Regung mehr interessiert als ein Spiel der abstrakten Begriffe und Gegenbegriffe. “Die ersehnte Wirklichkeit/ sehnt sich” heißt eine Zeile, eine treffliche Beschreibung für die Absicht hinter seinen Zeilen.
“Alles ist Türe
Es genügt der leichte Druck eines Gedankens
[…]
Alles Schlachten haben wir verloren
jeden Tag gewinnen wir ein
Gedicht”
Worte können purer Raumstaub sein, Verbindungen ohne daraus entstehende Symmetrie; doch wenn ein Dichter es schafft, dass eine Kombination ganz bestimmter, auch einfachster Wörter, in uns die Entsprechung eines Vorgangs, einer Idee, einer Erinnerung belebt und ausführt, hat er nicht nur unseren Glauben an die Sprache geschaffen, wie wir ihn tief ins uns sinken lassen bei jeder Lektüre, sondern auch einen Teil unserer Selbst einen kurzen Moment erhellt, hat gezeigt wie groß wir doch sind und wie tief die Welt.
“Mit klaren Zügen schreibt der Dichter
Seine dunklen Wahrheiten
Seine Worte sind kein öffentliches Denkmal
Auch kein Reiseführer des rechten Wegs
Aus dem Schweigen sind sie geboren
Öffnen sich auf Stengeln des Schweigens
Wir betrachten sie im Schweigen
Wahrheit und Irrtum
Eine einzige Wahrheit
Wirklichkeit und Sehnsucht
Eine einzige Substanz
Gelöst im Quellsturz durchsichtiger Klarheit.”