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Zu “Die Sextinische Kapelle” von Hervé Le Tellier


die sextinische kapelle Hervé Le Telliers Buch ist ein illustrer Reigen: Es besteht durchgängig aus Beschreibungen von erotischen Begegnungen, die jeweils auf einer Seite kurz und geradeheraus beschrieben werden und denen zusätzlich ein kursiv gesetzten Nachsatz folgt.

In diesem Nachsatz werden meist Gedanken von einer der beiden Personen geschildert oder die Folgen des Techtelmechtels; oft sind sie komisch bis zynisch angehaucht, halbe Pointen, manchmal aber auch philosophisch, manchmal rücken sie das Geschehen in ein ganz anderes Licht.

Zwei Beispiele:

Wendy ringt sich dazu durch, ihm zu helfen. Für Tölpel ist beim Sex die Klitoris so etwas wie Rubiks Zauberwürfel: Sie fummeln stundenlang daran herum und kommen doch nicht weiter.

Hätte sie Mark Twain gelesen, könnte Mina von sich behaupten, dass sie, wie Eva, mit dem erstbesten schläft.

Die Paarungen sind ausschließlich heterosexuell und wie in Schnitzlers Reigen ist jede/r Beteiligte zweimal hintereinander dran, in zwei verschiedenen Paarung (nach dem Muster: Eva-John/John-Marie/Marie-Ronald/Ronald-Katja u.s.w.).

“Die Sextinische Kapelle” erschien im Original bereits 2004 und nun 2018 in der Reihe “Oulipo & Co” bei Diaphanes. Das Werk ist insofern oulipolistisch, als dem Ganzen eine mathematische Formel zugrunde liegt, auf die allerdings nur unzureichend eingegangen wird (im Anhang befinden sich nur zwei Graphiken und der Klappentext verweist auf Harry Matthews’ “Die Lust an sich” und den Rhythmus der Sextine.)

Für ein leichtes, frivol-hintergründiges Vergnügen ist dieser Band bestens geeignet. Der Ton ist oftmals resignativ, dann leuchtet hier und da wieder die unwillkürliche Schönheit der sexuellen Spontanität durch. Tellier verschweigt weder den Frust noch den Kummer, weder die Langeweile noch die unterschiedlichsten Nebenwirkungen. Aber er vermag hier und da die Heiterkeit des Geschlechtslebens ebenso gut einzufangen.

“1089 oder das Wunder der Zahlen” von David Acheson


“Die Mathematik als Fachgebiet ist so ernst, dass man keine Gelegenheit versäumen sollte, dieses Fachgebiet unterhaltsamer zu gestalten.”
Blaise Pascal

Mathematik und Physik spielerisch nahezubringen ist ein ehrenwertes und wichtiges Unterfangen und welch großartiges und (phantastisches) Potential noch in den Geheimnissen dieser Disziplinen schlummert, ist wohl spätestens ein großes Thema, seitdem immer mehr TV-Serien, Filme und Bücher auf deren Möglichkeiten und Anomalien basieren (und dabei hat sich wiederum verstärkt der philosophische Aspekt des Themas herauskristallisiert – so schön kanns laufen!)
Jedoch: Was Enzensberger mit seinem Zahlenteufel virtuos, klar und gewitzt zu tun verstand, es wird beim Akademiker David Acheson zu einer zweischneidigen Angelegenheit.

Oder anders gesagt: Wer ein unterhaltsames Buch sucht, dass die faszinierenden Möglichkeiten der Mathematik darstellt und aufzeigt, ist hier schon richtig, wer aber ein spielerisch-leichtes Buch sucht, dass diese Phänomene in gänzlicher Klarheit und (vor allem) Schlichtheit offenbart, eher nicht. Dafür werden dann hier und da doch zu viele Rechnungen verkürzt und hier und da auch mal gerne ein oder zwei komplexere Bereiche angetastet; auch geht es nicht nur um Mathematik, sondern auch oft um Physik, Mechanik und sogar um neuste Ansätze, wie die Chaostheorie. Und auch wenn Achesons Sprache angenehm und ohne große Fremdwörterquote daherkommt, vergisst sein Erklärungsfluss hier und da den direkten Blickkontakt zwischen Leser und Thema zu halten; seine Begeisterung, die einem oft die Türen zum Thema öffnet, verleitet ihn manchmal auch dazu, sein Publikum hintenan zu stellen und den Ball nicht ganz so flach zu halten, wie man es gern hätte

“In der Mathematik gibt es keine Autoritäten. Das einzige Argument für die Wahrheit ist der Beweis.”
K. Urbanik

Was man ihm jedoch anrechnen muss, er kehrt auch immer wieder zum Grundtakt zurück und lustige Grafiken unterstützen die legere Aufmachung der Kapitel (als reiner Text hätte das Buch vielleicht 100, statt der tatsächlichen Dicke von 189 Seiten als Umfang), die in ihrer Kürze mehr Ausblicke als Einblicke gewähren. Letztlich ist dieses Buch tatsächlich nur eine Reise in die Welt der Mathematik und nicht deren Kartographisierung oder eine mehr als oberflächliche Behandlung der Themen.

“Die Mathematik ist mehr ein Tun als eine Lehre.”
L. E. J. Brouwer

Brouwer hat sicherlich Recht. Und so sollte man dies Buch als Anreiz nehmen, sich selbst mit den abstrakten Phänomenen der Zahlen und ihrer Idee zu beschäftigen; vielleicht tut er das dann nur, um auf sehr seltsame Zusammenhänge zu stoßen – wie etwa diesen hier, der in dem Buch selbst nicht vorkommt, der mich persönlich aber immer sehr verblüfft hat:
“Ich wenigstens kenne keine voll befriedigende Erklärung dafür, warum jede ungerade Zahl (von 3 ab), mit sich selbst multipliziert, stets ein Vielfaches von 8 mit 1 als Rest ergibt. (Erich Bischoff, Erforscher der Kabbala)

Zusammenhänge, das ist es, was auch Archeson so an der Mathematik fasziniert; das bestimmte Zahlen immer wieder auftauchen, dass sie quasi universell sind, ohne das man es ihnen ansieht, oder es aus ihrer Stellung ablesbar wäre; aber immer wieder erscheinen sie an den unterschiedlichsten Grenzen aller math. Disziplinen. (Pie, die eulerische Zahl, die Wurzel von -1).

“Eine mathematische Wahrheit ist an sich weder einfach noch kompliziert, sie ist.”
Émile Lemoine

Fazit: Man kann dieses Buch als Werk an sich nicht tadeln, höchstens in seiner Ausrichtung auf maximale Klarheit beim Leser. Denn die stellt sich des Öfteren dann doch nur am Ende ein, bei der Lösung, während man manche Rechnung doch arg und mehrmals nachvollziehen muss. Wen das nicht stört und wer gerne ein paar der elementarsten Wahrheiten und Kuriositäten des mathematischen Kosmos in einem Buch vereint haben und kennenlernen will, dem sei das Buch “1089 oder das Wunder der Zahlen” ans Herz gelegt.
Und wer es trotz Zweifeln kauft und dann doch entnervt aufgeben muss, dem sei mit Jules Verne gesagt:

“Du wolltest doch Algebra,
da hast du den Salat.”

Noch ein paar Zitate zum Abschluss:

“Unter allen menschlichen Entdeckungen sollte die Entdeckung der Fehler die wichtigste sein.”
St. J. Lec

“Gott existiert, weil die Mathematik widerspruchsfrei ist, und der Teufel existiert, weil wir das nicht beweisen können.”
Andre Weil

“Man darf nicht das, was uns unwahrscheinlich und unnatürlich erscheint, mit dem verwechseln, was absolut unmöglich ist.”
Carl Friedrich Gauß

“Seit man begonnen hat, die einfachsten Behauptungen zu beweisen, erwiesen sich viele von ihnen als falsch.”
Bertrand Russell

“Manche Menschen haben einen Gesichtskreis vom Radius Null und nennen ihn ihren Standpunkt.”
David Hilbert

“Das entscheidende Kriterium ist Schönheit; für häßliche Mathematik ist auf dieser Welt kein beständiger Platz.”
Godfrey Harold Hardy

 

Der Scheideweg zwischen christlicher und hellenistischer Welt – oder: Was Kepler noch nicht wusste… – Zum Film “Agora – Die Säulen des Himmels”


“Philosophie ist die Kunst, den Dingen auf den Grund zu gehen, die keinen Grund haben.” Dahár

Es ist eine interessante Epoche, die in diesem Film beleuchtet wird: Seit 60 Jahren ist das Christentum offiziell Staatsreligion, die Teilung des römischen Imperiums in einen östlichen und einen westlichen Teil stet kurz bevor und die Schwierigkeiten, sowohl der politischen, als auch der religiösen Verhältnisse spitzen sich zu. Es ist eine Zeit des Umbruchs, des Konflikts zwischen griechisch-hellenistischer Wissenschaft und Philosophie und der neuen christlichen Glaubenswelt, die ihre schnelle Ausbreitung eisern vor allem auf ihre Dogmas stützt.

In dieser Zeit ist Alexandria bereits mehr als 300 Jahre lang in römischem Besitz. Hier lebt die Philosophin Hypatia. Obwohl sie eine Frau ist, darf sie unterrichten und ihre Meinung ist geachtet und gefragt; vielen ihrer Schüler steht nach ihrer Ausbildung ein großer Karriereweg offen. In der Bibliothek von Alexandria lehrt sie sie das ptolemäische Weltbild und die konischen Formen (Kreis, Ellipse, Parabel und Hyperbel); ihre Forschung gilt vor allem der kosmischen Gesamtheit, den Bewegungen der Himmelskörper, dem Zusammenspiel der Erscheinungen und der Kraft, die alles zusammenhält – sind es wirklich Kreisbewegungen, auf denen die Planeten ihre Bahnen um die Erde ziehen? Ziehen sie überhaupt um die Erde?

Während Hypatia diesen Fragen und ihrer Liebe zur Philosophie ihr Leben widmet, muss sie bald schon miterleben, wie der Rest von Alexandria sich bald einem Kräftemessen der Glaubenswelten hingibt und die Seelen der Menschen sich mehr zu strengen Fronten verhärten; für Hypatia, die an die Vernunft und die Diplomatie glaubt, bricht sie dabei Stück für Stück auseinander…

Der Film steckt vielerlei zusammen – was an sich als Gewinn und nicht als Verlust zu betrachten ist, weil er sich so nicht auf eine Darstellung (oder ein Thema) versteift, sondern hier und da das herauskehrt, was interessant und glaubwürdig um dadurch die beiden Hauptstränge, die Geschichte der Hypatia und die Christianisierung einer hellenistischen Stadt, den Umsturz einer langen Tradition, darzustellen. Auch wenn er stets bei einer begrenzten Anzahl handelnder Personen bleibt, schafft er es doch einen kaleidoskopartigen Blick in das Wesen dieses wichtigen Momentes der Geschichte zu ermöglichen und dabei nicht die Ausreizung der Figuren zu vernachlässigen und Themen wie Sklaverei, Liebe oder Geisteswelt komplett zu unterschlagen (aber auch nicht übermäßig das Thema überlagern zu lassen).

Wer philosophisch und historisch interessiert ist, wird hier einen umfassenden Film erleben, der durch seine gut ausbalancierte Handlung und seine Ausstattung besticht. Wie ein guter historischer Roman, vereint er faszinierende historische Aspekte mit menschlichen Figuren, die sie erleben.

Zusätzlich: Ich denke, dass dieser Film keine direkte (anti-christliche) Aussage hat, wie viele es ihm oft anlasten wollen. Wenn man tatsächliche Ereignisse verfilmt und dabei eine Geschichte erzählt, folgt alles einem inneren Faden, der grundsätzlich ist (weil an die Geschichte geknüpft) und nicht einer Meinung nachgebildet. Der Zuschauer muss immer selbst entscheiden, welche Schlüsse er aus der Geschichte zieht – das ist der Vorteil der Kunst, die im Gegensatz zur Meinung, eine Ausdeutung offen lässt. Kunst verbreitet im besten Falle nicht – sie vermittelt.

Link zum Film: http://www.amazon.de/Agora-S%C3%A4ulen-Himmels-Rachel-Weisz/dp/B003BY0S8G/ref=cm_cr_pr_pb_i

*Diese Rezension ist bereits teilweise auf Amazon.de erschienen.