Tag Archives: Minnesota

Zu Emily Fridlunds “Eine Geschichte der Wölfe”


Eine Geschichte der Wölfe Direkt vorweg: “Eine Geschichte der Wölfe” ist ein sehr, sehr bemerkenswertes Buch. Nicht primär wegen dem Plot oder der Sprache, sondern weil es schlicht und einfach unter die Haut geht. Wurde ich bisher nach einem umfangreicheren Roman von einer zeitgenössischen Autorin, der unter die Haut geht gefragt, nannte ich meist Marisha Pessls “Die amerikanische Nacht”, manchmal auch “Die Vegetarierin” von Han Kang (wobei nicht so umfangreich). Jetzt kann ich auch noch “Eine Geschichte der Wölfe” nennen.

Linda (oder Madeleine, Linda scheint ihr selbstgewählter Name zu sein) lebt mit ihren Eltern in einer kleinen Hütte im amerikanischen Middlewest-Nordstaat Minnesota, in der Nähe eines Sees. Das Verhältnis zu ihren Eltern (ehemalige Hippies) und ihre Lebensumstände sind trostlos, in der Schule ist sie eine Außenseiterin. Ein neuer Lehrer verspricht für sie und die andere Außenseiterin Lily ein Hoffnungsstreif zu werden, aber sehr schnell offenbaren sich unheimliche Züge in dessen Persönlichkeit.

Linda erzählt die Ereignisse um ihn und ihre Kindheit rückblickend. Inzwischen ist sie 14 und freundet sich mit einer jungen Mutter an, die ein Sommerhaus am See bezogen hat; ab und zu babysittet sie ihren kleinen Sohn. Bald tun sich aber auch in dieser Familie Abgründe auf und Linda sieht sich mit der Frage konfrontiert, inwieweit Erziehung und Lebenswelt Privatsache sind und wann sie problematische Züge annehmen.

Eine Geschichte der Wölfe ist fast durchgehend eine ungemütliche Angelegenheit. Es gibt Augenblicke der Wärme, aber die Grundstimmung hat etwas Herbes, etwas Sinisteres beizeiten. In Linda ballt sich immer wieder die gesammelte Ratlosigkeit des Individuums, das nicht tatenlos sein will, aber auch nicht weiß, was in seiner Macht steht und was nicht; daran zweifelt, dass es etwas erreichen kann in diesem Fall.

Wie verhält man sich zu jenen Erscheinungen des “Gefährlichen”, die sich am Rande des Verbrechens bewegen? Die Erkenntnis ist schon vorhanden, aber für eine eigene Tat sind sie nicht greifbar genug … Ein Dilemma, vor das sich jeder Mensch irgendwann einmal gestellt sieht. Emily Fridlund führt dies vor, eindrücklich, intensiv, nachhaltig. Großartig erzählt.