“We all start as strangers.”
Musik und Liebe haben etwas gemeinsam: man kann nur sehr schwer Worte finden, um sie lang und ausführlich zu beschreiben. Oft steckt die Wahrhaftigkeit dieser beiden Phänomene in einem kurzen Satz, einem Wort und noch häufiger einfach in ihnen selbst, als eine Wahrheit, die sie mittragen, ohne sie dir auszuhändigen; sie verbleibt dort, unauslotbar, eine Erscheinung der Wirklichkeit, die zwar wirkt, aber nicht bleibt – dem Kopf nicht zu vermitteln.
Jeder neue Liebesroman ist auch ein neuer Versuch, jene ganz spezielle Wahrheit einer Liebegeschichte zu beschreiben; jede Zeile, die man über Musik jeglicher Art schreibt, ist ein neuer Tanz auf dünnem Eis, fast genauso, als würde man versuchen, Musik zu genießen, in dem man sie kognitiv während des Hörens aufbricht, zu erschließen und in die richtigen Kanäle zu leiten versucht.
Aber nur fast… denn in der Sprache kann es noch gelingen, das man mit einem Mal, für einen Lese-Schritt, für eine Zeile, wirklich weiß, was der Autor meint – diese eine Zeile reißt einen dann mit, über weitere 10, 20, 30 weitere Sätze. Und man liest sich selbst die eignen Sehnsüchte, Gedanken und Erinnerungen von der Seele – und erschließt sich dabei ein Stück von den Weisheiten des Lebens. Auf denen mag stehen: Vorsicht – flüchtig. Aber selbst das was flüchtig ist, kann einem der Moment, in dem man liest und liest und erkennt, nicht nehmen.
“Die Seele hat ihr eigenes Ohr und manchmal ist die Erinnerung der gnadenloseste DJ aller Zeiten”
Alle meine Rezensionen zu Büchern sind nicht nur Empfehlungen und Besprechungen, sondern auch Meditationen zu den Themen, dem Tempo, der Sprache, der Botschaft eines Werkes. Als solche können die oberen beiden Abschnitte gelesen werden. Nun eine etwas sachlichere Ergänzung.
Wegen seiner unkonventionelle Erzählungen einer Liebesgeschichte in Das Wörterbuch der Liebenden, die mir sehr gut gefallen hat, war mir David Levithan schon ein Begriff – zusätzlich noch, weil er ja auch ein Buch zusammen mit John Green geschrieben hat, dessen Werke ich ebenfalls sehr schätze. Ich lese immer mal wieder gerne Jugendbücher – warum, diese Frage habe ich in meiner Rezension zu Die erste Liebe nach 19 vergeblichen Versuchen auf Amazon.de beantwortet; trotzdem sei hier erneut gesagt, dass ich glaube, dass Jugendbücher Erfahrungen bereithalten, die wir über unser ganzes Leben nicht vergessen sollten.
“und da hab ich mich nur noch wie eine Feuerwerksrakete gefühlt.”
In zwanzig Kapiteln (die ungeraden gehören Nick, in den geraden erzählt Norah, immer abwechselnd) begleiten wir die zwei durch die Nacht und die Clubs von New York City. Worum es geht, ist von Anfang an klar: es geht um die Liebe und um die Musik – und darum, dass man sich in beiden verlieren, aber auch finden kann. Beides leichter gesagt als getan, unentwegt passiert das eine wie das andere, scheinbar ohne, dass wir etwas daran tun können; schließlich sind wir, wer wir sind, die Musik ist, was sie ist. Das Leben ist, was es ist.
Manches kann man teilen, das andere nicht. Manches ist kompliziert, manches einfach – und manches, manches ist schöner als man glauben kann und manches gelingt nie, obwohl es anderen gelingt.
Und darum geht es doch, in der Musik und in der Liebe: um das, was den Glauben übersteigt. Es geht nicht darum “Wissen” zu werden oder “Gewissheit”. Eher darum etwas zu befühlen und zu erfahren, wie es sich anfühlt.
Auf dem Weg zu ein paar kleinen Erkenntnissen, reisen Norah und Nick durch die Nacht. Sie kommen sich näher, entfremden sich, lachen und reden, hören Musik, erleben und spüren, denken und erzählen. Der Rest: den muss man Lesen. Denn soviel sei gesagt: Auch sprachlich hat dieser kleine Roman den einen oder anderen genialen Riff drauf.
“Ich schaue nach oben, versuche, hinter dem Wolkenkratzer ein Stück vom Nachthimmel und am Nachthimmel einen schimmernden Stern zu entdecken, und als mir das nicht gelingt, schließe ich die Augen und versuche, mir auf meine Augenlider selbst einen Stern zu zaubern, und ich bin froh, dass Norah in diesem Moment Augenblick nicht meine Gedanken lesen kann, denn ich bin mir nicht sicher, ob ich will, dass irgendjemand von mir solche Sachen weiß.”
Warum wir lesen? Ich glaube, ich werde diese Frage nie beantworten können, während ich vor diesem Bildschirm sitze, oder während ich mit anderen irgendwo zusammensitze – und wenn, dann nur unzureichend. Ich könnte es immer nur sagen, wenn ich gerade vor einem richtig tollen Buch sitze. Doch dort bin ich mit mir allein und das ist gut so. Denn im Lesen geschieht mehr, als die Sprache wieder herausklauben könnte. Andeuten, ja das kann man und ich hoffe, dass die Andeutung ankommt, wenn ich abschließend sage, dass ich Nick & Norah für einen lesenswerten Jugendroman halte – kein Meisterwerk, aber eine kurzweilige Fuge in meinen Leseerfahrungen, die ich nicht missen möchte. “Atemlos”, nannte ein anderer Rezensent das Buch. Dem kann man zustimmen, auch wenn nicht das ganze Buch dieser Idee folgt. Es gibt auch sehr ruhige Stellen und ein paar die wiederum zum Schießen sind. Es gibt Stellen, wo alles Musik ist und dann wieder welche, wo alles fast süßlich ist, dann wieder kommt die Melancholie, dann die Zurückgezogenheit, dann der Überschwang, dann gehen die beiden Protagonisten wieder in einen filmreifen Schlagabtausch. Und das ist letztlich die Besonderheit des Buches, dass es einen die Intensität von Gefühlen in der Nacht nachempfinden lässt, auch von Enttäuschung oder Liebeswunsch oder simpler Freude am Gespräch – dass es seinen Ton, seine Windungen, sein Tempo sehr gut nach der Erzählung richtet, nach der Stimmung, die die Geschichte gerade betritt – einen wirklich durch diese Nacht, mit allen Höhen und Tiefen trägt. Diese eine Nacht. Was will man mehr?
Zum Schluss drehen wir die sprachliche Musik dieses Buches noch mal voll auf und lassen sie für sich selbst sprechen:
“Mein Herz schlägt schneller. Ich bin. Hier und jetzt. Ich bin. In der Zukunft. Ich umarme sie. Wir sind. Und wollen, fühlen, begehren, wissen, hoffen, alles wird eins. Wir sind die, die das Ding, das alle Musik nennen, mit dem Ding, das alle Zeit nennen, zusammenbringen. Wir sind das Ticken, wir sind das Pulsieren, wir sind die, die in diesem Augenblick alles vorantreiben. Es gibt nur uns in diesem Augenblick. Für eine Ewigkeit. Kein Publikum. Keine Instrumente. Nur unsere Körper, unsere Gedanken, unser Flüstern, unsere Blicke. Das ist die Musik, die größer ist als alles.”
Link zum Buch
*diese Rezension ist bereits auf Amazon.de erschienen