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Zu “Muldental” von Daniela Krien


Muldental Erst letztens habe ich mit „Als ich mit Hitlers Schnapskirschen aß“ von Maja Pränkels einen Roman gelesen, der sich mit der Wende- und Nachwendezeit in einem ostdeutschen Dorf auseinandersetzt, mit besonderem Fokus auf die neonazistischen Auswüchse. Auch Daniela Kriens Geschichten sind oft bevölkert von Menschen der Nachwendegeneration – und nicht selten von Menschen, die einem „abgehängten“ Teil der Gesellschaft angehören.

Zwar gibt es auch wehrhafte Momente in den Erzählungen, doch der Fokus liegt auf dem Ertragen und Erdulden, dem Fertigwerden mit den Umständen. Alleinerziehende Mütter, überbeanspruchte Ehefrauen, perspektivlose Angestellte – um sie, um ihre vernarbten Sehnsüchte, ihre Wünsche nach einer neuen Chance, nach besseren Bedingungen, geht es.

Viele Geschichten aus „Muldental“ scheinen dabei direkt oder indirekt darauf abzuzielen, dass eine möglichst breite Anzahl von Menschen mit ihren Protagonist*innen und Schicksalen identifizieren kann. Was dabei auf dem Einband als „Schönheit und Klarheit von Kriens Sprache“ gepriesen wird (Maren Keller, Der Spiegel), erscheint mir eher wie eine Nüchternheit, die die Ernüchterung, das permanente Arrangieren und die Trostlosigkeit im Dasein der Protagonist*innen herausstreicht – durchaus ein probates Stilmittel.

Manchmal wirkt gerade dieses Bemühen um das Übereinstimmen von Ton und Stimmung enervierend, was wohl auch beabsichtigt ist und dazu beiträgt, dass die Geschichten unter die Haut gehen. Auch die eingefahrenen Vorstellungen, die in den Geschichten vorherrschen, sind oft (zumindest für einen Vertreter meiner Generation) schmerzlich, aber folgerichtig. In der Welten, die diese Protagonist*innen bewohnen, kann man schwer alte Rollenbilder über den Haufen werfen oder weitergehende Moralvorstellungen entwickeln – schließlich müssen Kinder versorgt und der Alltag will bewältigt werden. Das gibt den Geschichten dann und wann einen etwas biederen Anstrich und man möchte manche Protagonist*innen anschreien: verhaltet euch nicht so gewöhnlich, so erwartbar!

Aber gerade das ist das Schmerzliche an diesen Texten, dass sie die Ausweglosigkeit, die Macht der Umstände bis in ihre Sprache, bis in die Gewöhnlichkeit ihrer Figuren hinein tragen. Insofern widerspreche ich auch dem offiziellen Klappentext, der mir das Buch letztlich als feelgood-Lektüre verkaufen will. In diesen Geschichten geht es um die Schattenseiten des wiedervereinigten Deutschlands, das eben beileibe kein Paradies ist, sondern sowohl Altlasten als auch neue Probleme in sich trägt, unter denen ein nicht geringer Teil der Bevölkerung leidet – ein Teil, der noch immer zu wenig repräsentiert ist, in der Politik sowieso und in der Literatur schon auch. Hier leistet Daniela Krien durchaus Abhilfe.

Zu “Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß” von Maja Präkels


Als ich mit Hitler „»Mimi, nimm’s nich so schwer. Für die kleenen Leute hat sich noch nie wat zum Bessern jewendet. Biste unten, bleibste unten.«
»Was hat das denn mit den Nazis zu tun?«
»Na allet!«“

Ich war sehr gespannt auf Manja Präkels „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“, wurde mir das Buch doch als „der Roman zur Wende, wie sie wirklich war“, angepriesen. In dieser Hinsicht wurde ich auch nicht enttäuscht und es gibt sicher wenige Bücher, die so eindringlich den Bruch in der jüngsten deutschen Geschichte beschreiben und aufzeigen, auf welche Arten und Weisen dieser Bruch nicht einfach nur ein historischer Fixpunkt war, sondern auch ein (Um)Bruch in den Biografien unzähliger Menschen.

Wie Präkels (geb. 1974) ist auch ihre Protagonistin im Teenageralter, als die Mauer fällt und kurze Zeit später die Wiedervereinigung über die Bühne geht, die in ihrer Heimatstadt, genannt die Havelstadt, vor allem zu Arbeits- und Perspektivlosigkeit führt – und in weiterer Folge zu Banden von Schlägern, die durch die Ortschaften ziehen und jagt auf Andersgesinnte und Fremde machen, mit Drogen dealen und bei denen sich schnell die Ideen der Neonazis festsetzen.

Während die Familie der Protagonistin Mimi den um sich greifenden neuen Wahn nicht wahrhaben will, vor allem aber einfach mit den eigenen enttäuschten Hoffnungen klarkommen muss (die Mutter war stolze DDR-Bürgerin, der Vater steht kurz vor dem Organversagen wegen seiner Trinkerei), flüchtet sie sich zunächst in die Gegenkultur der Punks und Außenseiter*innen, später auch nach Berlin und anderswohin.

Doch immer wieder kehrt sie zurück in die Havelstadt, deren Schicksale sie nicht loslassen, obgleich ihr immer wieder das Grauen in die Glieder fährt, wenn sie dort ist – schließlich ist sie hier Zeugin einiger entsetzlicher Verbrechen geworden, hat viele persönliche Abstürze und Rückschläge hinnehmen müssen.

Vor allem kommt sie nicht los von der Angst vor/den Gedanken an den Nachbarsjungen, mit dem sie einst lose befreundet war und der nach der Wende zu einer Art Anführer der Skinheads aufstieg, sogar den Spitznamen „Hitler“ erhielt. In diesem Konflikt, aber auch in der ganzen Geschichte, spiegeln sich letztlich einige zentrale Dilemmata einer ganzen Generation von (jungen) Ostdeutschen wider.

Trotz dieser beeindruckenden Darstellung wirkt das Buch mehr wie eine Autobiographie und nicht wie ein Roman. Viele Figuren bleiben Randerscheinungen, viele Handlungselemente werden nicht zu Ende gebracht, was aber nicht an einer mangelhaften Darstellung liegt, sondern einfach daran, dass die Geschichte wie etwas Nacherzähltes und nicht wie etwas Fiktives aufgeführt wird, was gut ist für die Authentizität ist, aber, wie gesagt, wenig von einem Roman hat.

Das nimmt dem Buch zwar nichts, aber diese falsche Etikettierung hätte man trotzdem vermeiden können. Es ist klar: am besten verkaufen sich die Bücher, wo Roman draufsteht, aber „autobiografische Erzählung“ oder „Schilderungen einer DDR-Jugend“ oder etwas in der Art wäre eine ehrlichere Bezeichnung gewesen. Davon abgesehen gibt es an dem Buch selbst wenig zu bemängeln, es ist sprachlich stark und es wäre gut, wenn viele es läsen, bietet es doch neben einer spannenden Geschichte wichtige Einblicke in die Beschaffenheit der ostdeutschen Realität nach der Wende und damit in die Geschichte einer heimlichen Katastrophe, die bis heute andauert und in den letzten Jahren einige weitere hässliche Erscheinungen, Entdeckungen und Entwicklungen nach sich zog.