besprochen beim Signaturen-Magazin
Tag Archives: Nicolas Born
Zu “Muldental” von Daniela Krien
Erst letztens habe ich mit „Als ich mit Hitlers Schnapskirschen aß“ von Maja Pränkels einen Roman gelesen, der sich mit der Wende- und Nachwendezeit in einem ostdeutschen Dorf auseinandersetzt, mit besonderem Fokus auf die neonazistischen Auswüchse. Auch Daniela Kriens Geschichten sind oft bevölkert von Menschen der Nachwendegeneration – und nicht selten von Menschen, die einem „abgehängten“ Teil der Gesellschaft angehören.
Zwar gibt es auch wehrhafte Momente in den Erzählungen, doch der Fokus liegt auf dem Ertragen und Erdulden, dem Fertigwerden mit den Umständen. Alleinerziehende Mütter, überbeanspruchte Ehefrauen, perspektivlose Angestellte – um sie, um ihre vernarbten Sehnsüchte, ihre Wünsche nach einer neuen Chance, nach besseren Bedingungen, geht es.
Viele Geschichten aus „Muldental“ scheinen dabei direkt oder indirekt darauf abzuzielen, dass eine möglichst breite Anzahl von Menschen mit ihren Protagonist*innen und Schicksalen identifizieren kann. Was dabei auf dem Einband als „Schönheit und Klarheit von Kriens Sprache“ gepriesen wird (Maren Keller, Der Spiegel), erscheint mir eher wie eine Nüchternheit, die die Ernüchterung, das permanente Arrangieren und die Trostlosigkeit im Dasein der Protagonist*innen herausstreicht – durchaus ein probates Stilmittel.
Manchmal wirkt gerade dieses Bemühen um das Übereinstimmen von Ton und Stimmung enervierend, was wohl auch beabsichtigt ist und dazu beiträgt, dass die Geschichten unter die Haut gehen. Auch die eingefahrenen Vorstellungen, die in den Geschichten vorherrschen, sind oft (zumindest für einen Vertreter meiner Generation) schmerzlich, aber folgerichtig. In der Welten, die diese Protagonist*innen bewohnen, kann man schwer alte Rollenbilder über den Haufen werfen oder weitergehende Moralvorstellungen entwickeln – schließlich müssen Kinder versorgt und der Alltag will bewältigt werden. Das gibt den Geschichten dann und wann einen etwas biederen Anstrich und man möchte manche Protagonist*innen anschreien: verhaltet euch nicht so gewöhnlich, so erwartbar!
Aber gerade das ist das Schmerzliche an diesen Texten, dass sie die Ausweglosigkeit, die Macht der Umstände bis in ihre Sprache, bis in die Gewöhnlichkeit ihrer Figuren hinein tragen. Insofern widerspreche ich auch dem offiziellen Klappentext, der mir das Buch letztlich als feelgood-Lektüre verkaufen will. In diesen Geschichten geht es um die Schattenseiten des wiedervereinigten Deutschlands, das eben beileibe kein Paradies ist, sondern sowohl Altlasten als auch neue Probleme in sich trägt, unter denen ein nicht geringer Teil der Bevölkerung leidet – ein Teil, der noch immer zu wenig repräsentiert ist, in der Politik sowieso und in der Literatur schon auch. Hier leistet Daniela Krien durchaus Abhilfe.
Zu Friedrich Christian Delius neuem Buch “Die Zukunft der Schönheit”
„Da wollte jemand gehört, verstanden, erlöst werden, da wollte jemand raus aus der Nummer und nicht rein in die Nummer, da stand jemand unter Beschuss des Schlagzeugs und schoss zurück, da steckte jemand wie von Geigensaiten eingeschnürt in der Falle und wehrte sich, da wollte jemand aus dem Feuer gerettet werden –“
Ich bin sehr froh, dass mir vor einigen Jahren das Buch „Warum ich schon immer Recht hatte – und andere Irrtümer“ in die Hände fiel, ein schmaler Sammelband mit Wortmeldungen, Vorwörtern, Kommentaren und anderen Kurztexten von Friedrich Christian Delius.
Nicht nur enthielt dieser Band einige sehr klare, auf den Punkt gebrachte gesellschaftspolitische Analysen, wie ich sie in dieser Schnörkellosigkeit eigentlich nur von George Orwell kannte, den Texten darin war allgemein eine Direktheit zu eigen, ein gleichsam kämpferischer, unbequemer, aber nicht versponnener oder zu weit gehender Ton, der mich richtiggehend begeisterte.
Mittlerweile habe ich viel von Delius gelesen, nicht alles mit derselben Begeisterung, aber immer wieder fasziniert von der Art, mit was für Themen er sich auseinandersetzt und wie er sie anpackt. Großartig sein sarkastischer, kirchenkritischer Monolog in „Die linke Hand des Papstes“, sehr aufschlussreich und spannend der biographische Band „Als die Bücher noch geholfen haben“, aber auch das frühe Buch über Siemens ist genial, etc. etc.
In „Warum ich schon immer Recht hatte“ findet sich auch ein kurzer, wunderbarer Nachruf auf den Schriftsteller Nicolas Born. Ich erwähne dies nicht nur, weil dieser knappe Text eine der schönsten literarischen Liebeserklärungen ist, die ich kenne, sondern auch weil darin eine Dimension von Delius Schreiben aufblitzt, die in seinem neuesten Buch „Die Zukunft der Schönheit“ eine wichtige Rolle spielt. Denn so kritisch, sarkastisch und unbequem Delius oft ist, in vielen seiner Texte zeigt er sich auch anders: als empfindsamer Beobachter, als feinsinniger Chronist.
Ausgehen tut das Buch von einem Erlebnis in New York, am 1. Mai 1966. Delius ist mit dabei, als die Gruppe 47 ihren legendären Amerikaaufenthalt zelebriert (diese Reise hat er sehr genau in „Als die Bücher noch geholfen haben“ geschrieben), in dessen Rahmen sich Handke zum neuen Kafka ausrufen lässt, politische Positionen ins literarische Geschäft Einzug halten und Delius Susan Sontag anhimmelt. Am 1. Mai nun, einem der letzten Tage in den USA, lässt Delius sich von zwei Jazzfans, Schriftstellerkollegen, in einen Jazzclub mitnehmen, um ein Konzert des Saxophon-Avantgardisten Albert Ayler und seiner Band anzuhören.
Das Konzert beginnt und Delius erscheint die Musik sofort fremd, schwer erträglich, mit ihrer Dissonanz, sehr verquer. Aber um nicht wie ein Snob oder undankbar zu wirken, versucht er sich darauf einzulassen. Schon bald regt ihn die Musik zu Überlegungen an – zunächst, weil er auf der Flucht vor ihr ist, dann aber, weil er in ihr die Fragen seiner Zeit, die Elemente seiner Sehnsucht, den Soundtrack zu seinem eigenen Lebensweg zu erahnen beginnt.
Formal ist das Buch ein gezähmter Stream of consciousness, in dem sich Text und Musik die Bühne teilen, ineinandergreifen, aber auch einander überfallen, herüberschwappen, sich durchdringen. Die Musik wird zur fortlaufenden Projektionsfläche für Delius Eindrücke und immer mehr zum Sound für alles, was gerade aktuell ist: Vietnam, sexuelle Befreiung, neue Musik, neue Welt, Atomkrieg, Aufbruch, Repression, Jugend, etc. Sie bringt Delius dazu, sich in Gedanken zu entblößen, seine eigenen Scheidewege zu sehen, seine eigene Entwicklung zu begreifen. In diesen Momenten, im Verlauf des Konzerts, entfaltet sich für ihn die Übersichtlichkeit der Gegenwart, des Lebens, durchzogenen von einigen eigenen Gewissheiten.
Was ist schon die Herkunft gegen die Zukunft? Wir können nicht ändern, woher wir kommen, aber wir können entscheiden, wohin wir gehen, oder? The soul is a streetcar named desire. Delius blickt in seine Vergangenheit und, darauf aufbauend, auf das, was noch kommt, hoffentlich noch kommt. Wir stehen alle täglich vor unserem Leben, einem fortlaufenden Spiel der Ereignisse, an dem wir nur in diesem Moment, der gerade ist, teilnehmen können. Delius fächert sein Leben auf, mit den Szenen, die einem im Gedächtnis bleiben, den prägenden Erlebnissen, die einen nicht loslassen. Da ist so viel, was klar ist und so viel, das unklar bleibt; weshalb geschrieben wird, gedacht, gemalt – und musiziert. Die Zukunft der Schönheit, man hat sie selbst in der Hand.
An der Musik schöpfen heißt oft in uns schöpfen, das dürfte jedem schon einmal aufgefallen sein. Delius zeichnet diese Erfahrung meisterhaft nach.
In Teilen hat mich „Die Zukunft der Schönheit“ an eine Erzählung von Julio Cortázar erinnert: „Der Verfolger“, ein Buch über des Saxophonisten Charlie Parker und die Unmöglichkeit der Perfektion, die Sehnsucht nach dem genau-getroffenen Ton und der Aufhebung der Zeit im Moment größter lautlicher Schönheit. In Delius neuem Buch wird die Zeit nicht durch den perfekten Ton, sondern durch das Gegenteil aufgehoben: eine Kakophonie, in der doch wieder der Wunsch nach Ausdruck mitschwingt, die Themen der Zeit sich artikulieren. Natürlich ist der Mensch unentwegt auf der Suche nach Perfektion – aber er selbst ist und bleibt ein Chaos. Ein Chaos, ohne das es wohl das Potenzial für Schönheit nicht gäbe; wobei genau dieses Chaos, das die Zukunft der Schönheit sichert, die Gegenwart der Schönheit schnell übersieht, sie verschleißt, verliert. Traurig, aber schön: gibt es eine bessere Definition für die Musik? Für unsere Existenz?
Delius ist ein eindringliches Portrait der seelischen Zusammensetzung eines Menschen gelungen. Mit seiner unruhigen Sprache, allgemein mit seiner Unruhe, ist es eine belebende Leseerfahrung. Eine Lektüre, die, neben allerlei Denkanstößen, kleine Rückstände von Ewigkeit im eigenen Empfinden zurücklässt.
Über Nicolas Borns “Leben, Werk und Wirkung”
Ein lyrischer, komplexer Roman – Borns “Die Fälschung”
“Es ging um Kontraste, immer noch, immer noch um Gut und Böse, obwohl beides nichts mehr bedeutete, da alle nur noch verrückt in den Kategorien der Verrücktheit staken.”
Nicolas Born, gestorben 1979, hätte mit Sicherheit noch ein bedeutendes Werk verfasst, denn schon allein das, was er bis zu seinem Tod geschrieben hat, ist beeindruckend, Gedichte und Vorträge, und (nicht) zuletzt dieser Roman, der von einem Kriegsberichterstatter, Georg Laschen, handelt, den die Entgrenzungen von Sinn und Realität, die Divergenz von Darstellung und Wirklichkeit, umtreiben. (Ort des Geschehens ist der Libanon, während des Bürgerkriegs in den späten 70ern, zwischen christlichen und muslimischen Glaubensanhängern.)
Ledig-Rowohlt der Inhaber des Rowohlt Verlages, sagte auf Borns Grabfeier trefflich, er wäre “auf dem besten Weg gewesen, ein deutscher Camus zu werden”. In der Tat lässt sich dieser Roman in seiner Stimmung, seiner leicht apathischen, dann wieder leicht engagierten Art, durchaus mit Camus Roman “Die Pest” vergleichen.
Man könnte sehr viel über “Die Fälschung” schreiben, denn es ist ein sehr verdichteter Text, eine Prosa, die ständig die Schwerpunkte verschiebt und den inneren Stimmungen des Protagonisten folgt; der Roman spielt zwar hauptsächlich im Libanon und die eine Seite des Buches ist natürlich auch diesem Umstand gewidmet: Aussagen von verschiedenen Beteiligten, die Besuche dieses und jenes Frontabschnittes, die Berichte über Siege und Niederlangen.
“…Recht und Unrecht waren bis zur Unkenntlichkeit vertauscht worden, gab es nicht, schien es nie gegeben zu haben. Nur Räume und Zeiten sollten siegen über Räume und Zeiten, eine Behauptung sollte die andere besiegen, eine Geschichte die andere. Der Tod in Fortsetzungen sollte geschehen, damit eine einzige Wahrheit am Leben bleiben konnte, eine einzige Wahrheit und ihre Darstellung.”
Der Krieg der beiden Parteien, deren Mitglieder Georg Laschen ungehindert aufsuchen kann und die sich dennoch bekriegen – alles, was er darüber schreibt, ist letztlich eine “Fälschung”. Denn wenn er für niemanden eintreten kann, so gibt es auch keine echte Perspektive. Wer nur beobachtet ist eigentlich nicht dabei. (“Obwohl viele starben, starb man selbst doch nie.”) Darin gipfelt Borns Werk immer wieder, unter der Oberfläche, in dieser Empfindung, dass alle Grundlagen des Rechts für einen Beobachter, der nicht auch Akteur ist, obsolet sind, nicht greifbar, nicht erkennbar. Es ist als lebe und berichte er von einem anderen Planeten. Und außerdem ist die berichtete Wirklichkeit stets auch die Vergangenheit…
“Einmal hatte er ihr von seinen Schwierigkeiten erzählt, seine Schwierigkeit sei es oft, das Geschriebene anzuerkennen angesichts der immer ungeschriebenen Realität der Ereignisse.”[…]
Zu erwähnen ist auch noch die andere Seite des Romans, die Person Laschen selbst und ihre Verstrickung zwischen zwei Frauen. Diese eingewobene Geschichte stellt auf wunderbar ehrliche Weise die Kompliziertheit menschlicher Beziehungen dar; sie ist das klarere Highlight des Romans. Überhaupt ist Born ein hervorragender Charakterdarsteller und -nuancier.
So ist dieses Werk demnach auch kein wirkliches Buch -über- den Krieg im Libanon. Jener ist mehr (wie bei Camus die Pest) ein Mittel, um die Unübersichtlichkeit und Ferne der Realität darzustellen und die Handlung in eine Ausnahmesituation zu versetzten; er ist eine Metapher für die -Fälschung- des Lebens selbst. Born hat gewiss sehr gut recherchiert und bestimmt stimmt alles historisch, aber das verfällt neben der Geschichte des Individuums zur Nebensache. Auch das eine Botschaft, die der Roman langsam an sich selbst koppelt: das neben dem Individuum alle Realität eine Wirklichkeit ist, die nicht an ihm haften kann, also nur über Bezüge zu ihm aufschließen, ihn erreichen kann. Was ist der Bezug zu einem weitentfernten Krieg?
Insgesamt ist das Buch jedoch tatsächlich zu komplex um es einfach als Kategoriendiskussion abzuhandeln. Es ist ein Epos, aber ein lyrisches und deshalb knappes. So wie Born hauptsächlich Dichter war, so hat er auch diesen dichten Roman, in der Form und in der Sprache lyrisch inszeniert. Sein Stil ist von einer bildreichen Schroff- und Erhabenheit (“Die Granaten hörte er über den Dächern surren, sie flatterten, meinte er, wie einsame, eine Beute suchende Nachtvögel”) (“In Richtung des Platzes fuhr ein Panzer, das Turmgeschütz geradeaus gerichtet. Bei jedem Schuss rumste der ganze Stahlkörper, als hätte er sich aus einen Eingeweiden befreit”), die Handlungsführung lebt von einer sich stets halb entziehenden Schnelligkeit und Kargheit, die auf frequenzartige Weise in die Tiefe geht.
Es ist ganz ohne Zweifel ein großer Roman, einer dieser Romane, bei dem man stets im hier und jetzt, auf der gerade aufgeschlagenen Seite ist – eine Komposition von bestechender Intelligenz und Vieldeutigkeit.
Und um mit einem sehr wahren, wieder an Camus erinnernden Satz zu enden:
“Laschen kehrte zu einem schon oft gedachten, also vertrauten Gedanken zurück, nichts sei ein Menschenleben wert, täglich gebe es dafür Beweise, aber der Anspruch, Wert zu sein, müsse zeitlebens gestellt werden, verurteilt aber der, der Gegenbeweise liefere.”
*diese Rezension ist in Teilen schon auf Amazon.de erschienen.