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Zu Vladimir Nabokovs zweitem Roman “König Dame Bube”


König Dame Bube Vladimir Nabovos zweiter Roman spielt, wie schon der erste, im Berlin der 20er Jahre, wo sich auch der Autor zur Zeit der Niederschrift aufhielt. Während der erste Roman “Maschenka” unter russischen Emigrant*innen spielt, werden die Lesenden in “König Dame Bube” Zeugen/innen einer Dreiecksgeschichte in einem gewöhnlicheren Milieu.

Franz kommt nach Berlin, um für seinen Onkel Dreyer zu arbeiten, der einige gute Geschäfte macht und in einem großen Haus am Stadtrand lebt. Dort begegnet Franz auch zum ersten Mal Martha, Dreyers Frau und seiner Tante, und ist, als Unschuld vom Lande, von ihrer Schönheit sofort in Beschlag genommen.

Sie ist erfreut über diese unerwartete, jugendliche Schwärmerei und bald begierig darauf, ihre Chance auf eine Romanze mit Franz zu bekommen, wo doch ihr eigener Mann sie erotisch (und auch ansonsten) überhaupt nicht reizt. Und sie beginnt darüber nachzusinnen, wie perfekt alles wäre, wenn Dreyer nicht mehr unter ihnen weilen würde…

Auf der Rückseite des Buches steht etwas davon, dass Nabokov sich in diesem frühen Werk als “Meister delikater Psychologie” zeigt. Das finde ich etwas hochgegriffen. Es ist ohne Frage eines von Nabokovs ausgelasseneren Büchern, mit viel Witz und einer eher leichtfertigen, wenngleich beschwingten Psychologie. Er zeigt seine Figuren als mitunter einfältige, eitle, emotionsbefeuerte Wesen, die in den seltensten Fällen auf Feinsinn oder Reflexion zurückgreifen. Sie tragen alle einen gewissen Übermut in sich – oder das Gegenteil, Angst oder Verzweiflung – die das Buch lebendig halten.

Dennoch (oder gerade wegen dieser Machart) ist “König Dame Bube” ein unterhaltsamer Roman, der hier und da mit Sprachverliebtheiten und Beschreibungsfiligranitäten auftrumpft, die einen Nabokov in der Probierphase verraten, der es sich bei diesem Buch anscheinend gegönnt hat, weniger Balance und mehr Esprit walten zu lassen. Immer wieder macht der Roman Spaß, hat aber auch gewisse Längen. Nicht der beste Nabokov und wenn man etwas von den früheren Werken lesen will, dann sollte man eher zu “Maschenka” oder “Lushins Verteidigung” greifen.

Zu Emily Fridlunds “Eine Geschichte der Wölfe”


Eine Geschichte der Wölfe Direkt vorweg: “Eine Geschichte der Wölfe” ist ein sehr, sehr bemerkenswertes Buch. Nicht primär wegen dem Plot oder der Sprache, sondern weil es schlicht und einfach unter die Haut geht. Wurde ich bisher nach einem umfangreicheren Roman von einer zeitgenössischen Autorin, der unter die Haut geht gefragt, nannte ich meist Marisha Pessls “Die amerikanische Nacht”, manchmal auch “Die Vegetarierin” von Han Kang (wobei nicht so umfangreich). Jetzt kann ich auch noch “Eine Geschichte der Wölfe” nennen.

Linda (oder Madeleine, Linda scheint ihr selbstgewählter Name zu sein) lebt mit ihren Eltern in einer kleinen Hütte im amerikanischen Middlewest-Nordstaat Minnesota, in der Nähe eines Sees. Das Verhältnis zu ihren Eltern (ehemalige Hippies) und ihre Lebensumstände sind trostlos, in der Schule ist sie eine Außenseiterin. Ein neuer Lehrer verspricht für sie und die andere Außenseiterin Lily ein Hoffnungsstreif zu werden, aber sehr schnell offenbaren sich unheimliche Züge in dessen Persönlichkeit.

Linda erzählt die Ereignisse um ihn und ihre Kindheit rückblickend. Inzwischen ist sie 14 und freundet sich mit einer jungen Mutter an, die ein Sommerhaus am See bezogen hat; ab und zu babysittet sie ihren kleinen Sohn. Bald tun sich aber auch in dieser Familie Abgründe auf und Linda sieht sich mit der Frage konfrontiert, inwieweit Erziehung und Lebenswelt Privatsache sind und wann sie problematische Züge annehmen.

Eine Geschichte der Wölfe ist fast durchgehend eine ungemütliche Angelegenheit. Es gibt Augenblicke der Wärme, aber die Grundstimmung hat etwas Herbes, etwas Sinisteres beizeiten. In Linda ballt sich immer wieder die gesammelte Ratlosigkeit des Individuums, das nicht tatenlos sein will, aber auch nicht weiß, was in seiner Macht steht und was nicht; daran zweifelt, dass es etwas erreichen kann in diesem Fall.

Wie verhält man sich zu jenen Erscheinungen des “Gefährlichen”, die sich am Rande des Verbrechens bewegen? Die Erkenntnis ist schon vorhanden, aber für eine eigene Tat sind sie nicht greifbar genug … Ein Dilemma, vor das sich jeder Mensch irgendwann einmal gestellt sieht. Emily Fridlund führt dies vor, eindrücklich, intensiv, nachhaltig. Großartig erzählt.