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Kritik der Begriffskraft in Klimadiskursen


Klima, Sprache, Moral

„Um von den Fakten zu konkreten Handlungszielen zu gelangen, bedarf es eines großen Schrittes. Über diesen Schritt wird verhältnismäßig wenig gesprochen – und zu diesem Schritt hat die Philosophie einiges zu sagen.“

Dass der Klimawandel zu den großen globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gehört, ist zwar nicht unbestritten, aber mehr als ausreichend beglaubigt. An diesem Faktum will auch Johannes Müller-Salo nicht rütteln, wenn er in seinem Buch „Klima, Sprache und Moral“ einige Fallstricke und Problematiken in den heutigen Klima-Diskursen aufzeigt.

Ihm geht es nicht darum, die Bewegungen für den Klimaschutz in Verruf zu bringen – aber er will deutlich machen, dass dieses Thema ein Schlachtfeld ist, auf dem es vor allem auf eine Waffe ankommt: die Sprache. Narrative und Begriffe vermögen es, Menschen zu überzeugen und zu motivieren. Fakten und Zahlen sind schön und gut und wichtig, aber ohne eine Erzählung, ohne die richtige Sprache, ziehen nicht genug Menschen mit.

Und so fühlt Müller-Salo der Sprache der Klimadiskurse, mit ihren Leitgedanken und zentralen Aussagen, auf den Zahn, analysiert Begriffe wie Klimanotstand, Zukunftsraub und Natur, auf sprachlicher und auf moralischer Ebene. Sein Fazit lautet, in vielerlei Hinsicht: so gut gemeint viele Schlagworte & Wendungen auch erscheinen, wie oft sie auch ins Feld geführt werden, wie sehr sie Dinge auf den Punkt zu bringen scheinen (als Beispiel: „Wir haben die Erde nicht von unseren Vorfahren geerbt, sondern von unseren Kindern geliehen“), philosophisch gesehen sind sie alles andere als wasserdicht, voller sprachlicher und moralischer Untiefen, Fragwürdigkeiten.

Natürlich ist der Klimawandel nicht die erste Krise, bei der mehr mit Emotionen als mit Konkretionen, mehr mit großspurigen Ansagen als mit filigranen Überlegungen gearbeitet wird. Müller-Salo pocht auf die Philosophie, sieht sie (und beruft sich dabei auf Wittgenstein) „als Kampf gegen die Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache“. Das kann sie ohne Zweifel sein und seine Darlegungen sind in dieser Hinsicht hilfreich, geben zu denken.

Die Frage ist, ob eine solche philosophische Kritik in irgendeiner Form Chance auf Gehör hat, in einer Welt, deren mediale Öffentlichkeit von schnelllebigen Sprüchen, liebgewonnenen Vorstellungen und komplexen Abhängigkeiten bestimmt wird. Oder vielleicht ist das nicht die Frage. Eher: Wie gelangt man von den Fakten, die unbestreitbar sind, zu Zielen, die überzeugen und gut umzusetzen sind? Hier hat die Philosophie einiges anzumerken, allerdings, in diesem Buch, mehr über das „so nicht“ als über das „so“.

Zu “Das Duell” von Volker Weidermann


Das Duell Die Geschichte vieler Autor*innenbiographien der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist mit seinem Namen verwoben, manchmal nur in ein-zwei Fädchen, manchmal elementar: Marcel Reich-Ranicki, Kritikerpapst, Chef des literarischen Quartetts, selbsternannter Kanon-Verwalter, Urteilssprecher über die deutsche Literatur von einst bis in die Gegenwart. Mit einem Autor hat er sich ganz besonders gebalgt, hat viele seiner Bücher verrissen und doch unermüdlich den Glauben an sein Talent beteuert: Günter Grass.

Ich war sehr erpicht darauf, dieses Buch von Volker Weidermann zu lesen: gab es da noch unerzählte pikante Details, konnte die Beziehung zwischen den beiden denn sonst überhaupt genug Material für ein ganzes Buch liefern? Meine Hoffnung auf Enthüllungen wurde jedoch größtenteils enttäuscht, denn das Buch ist, was die Beziehung Grass-Reich-Ranicki betrifft, mehr ein Revue-passieren-Lassen der bekanntesten Geschichten und Zerwürfnisse, ergänzt um die Kenntnis und Erkenntnisse aus Briefverkehr und Aufzeichnungen aller Art, die jedoch zumeist nichts Spektakuläres an sich haben.

Dass das Buch dennoch sehr lesenswert ist liegt zum einen daran, dass es gut geschrieben ist, mit dem gerade richtigen, noch nicht überzogenen Gespür für Spannung und Dramatik, die Weidermann an den richtigen Stellen einstreut, als hätte noch niemand vor ihm diese Geschichte erzählt. Zum anderen ist das Buch gelungen, weil letztlich tatsächlich niemand die Geschichte der beiden Größen in der deutschen Nachkriegsliteratur so erzählt hat, wie Weidermann es tut.

Statt sich nämlich nur und von Anfang an auf die konkreten Überschneidungen und Berührungspunkte zu konzentrieren, ist das Buch eine Doppelbiographie vor dem Panorama einer Zeit, eines Jahrhunderts, das beide Protagonisten prägte (und das sie prägten, sowie sich gegenseitig). Die ersten hundertdreißig Seiten werden ihre Lebenswege getrennt voneinander und in unterschiedlichen Kapiteln geschildert: Grass Jugend in Danzig, Kriegszeit, Soldatenzeit, dann Anfänge als Schriftsteller – Reich-Ranickis Jugend in Polen und Berlin, dann Krieg, Warschauer Ghetto, Flucht und Überleben in einem Keller, Intermezzo beim polnischen Geheimdienst und später Rückkehr nach Deutschland, Anfänge als Kritiker.

Erst mit dem ersten Zusammentreffen führt Weidermann die Stränge zusammen und erzählt von da an ihre jeweiligen Lebensgeschichten nebeneinander, immer auch vor dem Hintergrund ihres Verhältnisses zueinander. Natürlich ist das eine kluge Entscheidung, denn in beiden Fällen ist die biographische Vorgeschichte wichtig für das Verständnis der Persönlichkeit, ihres Schaffens und ihrer jeweiligen wunden Punkte, liefert das Dekor für den Raum, in dem sich viele zentrale Szenen abspielen werden.

Der Titel allerdings erscheint dadurch zunächst etwas reißerisch und klingt auch am Ende noch etwas überzogen (in meinen Ohren – obgleich ich verstehe, warum er seine Berechtigung hat). Meiner Ansicht nach beschreibt der Untertitel des Buches viel besser, worum es vor allem geht: nicht um das Freund-Feind-Verhältnis und die Frage nach dem Sieger des Duells, beides sorgt lediglich dann und wann für die Ausschläge auf dem Spannungsbarometer, sondern um die beiden Persönlichkeiten.

Zu kurz kommt ihre affaire compliquée, ihre nicht zu scheidende Ehe dennoch nicht. Jedoch sollte jedem/r potenziellen Lesenden klar sein, dass es sich bei diesem Buch nicht vorrangig um einen Bericht über literarischen Klatsch handelt (auch wenn er durchaus vorkommt) , auch nicht um einen bestechenden literaturhistorischen Essay, der Werke und Meinungen unmittelbar ins Visier nimmt und/oder ausführlich kommentiert (vielmehr bezieht Weidermann sehr dezent, dafür umso souveräner, Stellung zu einzelnen Ereignissen, Disputen). Sondern eine Doppelbiographie, die sich im zweiten Teil auf eine besondere Verflechtung konzentriert.

Wer ein gut lesbares Stück deutscher Literaturgeschichte erwartet, mit Fokus auf die Biographie der beiden Figuren, wird nicht enttäuscht werden. „Das Duell“ ist gut geschrieben, mitunter hat es etwas Mitreißendes, geschickt abgeschöpft, Längen hat es eher nicht.