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Im Übergang


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Ich muss zugeben, dass ich Mareike Fallwickls zweiten Roman mit einer gewissen Skepsis zu lesen begann. Zwar gefiel mir von Anfang an die Art, mit der sie ihren Plot aufzog, aber ich wurde nicht so recht warm mit den Passagen, die anfangs wie der Dreh- und Angelpunkt der ganzen Story wirkten.

Aber zunächst kurz zum Aufbau: der Roman ist in drei Erzählstränge geteilt, die sich nach einem festen Prinzip abwechseln. Zum einen sind da die elf Kapitel, die von 10 auf 0 in den Überschriften heruntergezählt werden, geschildert aus der Sicht von Maximilian Wenger (oder einfach “der Wenger”, wie ihn alle nennen), einem ehemaligen Skandalautor und Krawallmacher, der sich nach der Trennung von seiner Frau in seinem neuen Leben nicht zurechtfindet und vor allem: nicht mehr schreiben kann.

Im zweiten Erzählstrang folgen wir der Geschichte von Zoey, Wengers Tochter, mit der er allerdings wenig Berührungspunkte hat. Sie steht kurz vor dem Schulabschluss und ihre Passionen sind die Fotografie und ihr ehemals bester Freund, zu dem sie nun in einem sehr unklaren Verhältnis steht. Sie fühlt sich aufgerieben zwischen ihrer Suche nach einer eigenen Idee für die Zukunft und den vielen, vielen Altlasten, allen voran der Versuch ihrer Mutter, sie zu einer Person zu machen, die sie nicht sein will. Die Überschriften ihrer Kapitel sind Hashtags.

Der dritte Erzählstrang ist jeweils zwischen den Kapiteln von Wenger und Zoey platziert (aber nicht zwischen denen von Zoey und Wenger). Er besteht aus Briefen, die an Wengers Adresse geliefert werden und an den alten Mieter seiner neuen Wohnung gerichtet sind. In ihnen erzählt eine Frau von einer großen Liebe und einem großen Schmerz und wie es dazu kam, dass sie erstere verlor und ihr letzterer zugefügt wurde.

Es ist dieser dritte Strang, mit dem ich am Anfang sehr zu kämpfen hatte. Nicht nur erschienen mir die Briefe bei aller Sprachgewalt wenig substantiell, es erschien mir auch nicht glaubwürdig, dass jemand so peu à peu seine Geschichte erzählt, anders gesagt: dieser ganze dritte Strang erschien mir auffällig konstruiert.

Ich habe diese Vorbehalte dann aber schnell hinter mir gelassen. Denn abseits dieser Briefe (und zum Teil auch in ihnen, was sich aber erst im Lichte der abgeschlossenen Lektüre fassen lässt) ist Fallwickl ein bestechender und beeindruckend realistischer Roman geglückt, in dem das Themenfeld um MeToo, sexuelle Gewalt und den ambivalenten Umgang mit beidem in vielen Facetten abgebildet wird.

Sehr schnell ist auch klar, dass die Briefe nicht Dreh- und Angelpunkt, sondern eher eine Art MacGuffin sind, also ein Katalysator, der die Handlung vorantreibt und an einem bestimmten Punkt der Story den entscheidenden Spin geben. Bis dahin ist etwas Geduld vonnöten, das Buch baut sein Setting langsam auf, dafür nachhaltig, wie man im späteren Verlauf merkt.

Letztlich ist “Das Licht ist hier viel heller” eine Geschichte des Übergangs. Es thematisiert, wie oben bereits angesprochen, sexuelle Übergriffe, aber lotet darüber hinaus auch sehr gut die Konzeption von Lebensentwürfen aus. Beide Protagonist*innen und auch einige andere Figuren befinden sich am Scheideweg und die Art, wie sie mit ihren jeweiligen Rückschlägen und Problemen umgehen, was sie motiviert, bildet sehr gut die gesellschaftlichen Tendenzen unserer Zeit ab.

Insofern ist der Roman beides: Eine Geschichte zweier (dreier) Menschen im Übergang und ein profunder Blick auf unsere Welt im Wandel (und Stillstand). Aber vor allem ist dieser Roman ein sehr lesenswertes Buch.

Zu “Unsere glücklichen Tage” von Julia Holbe


Unsere glücklichen Tage „Als ich auf meinem kleinen Hotelbalkon in Luxemburg saß und auf die Stadt blickte, konnte ich nicht anders, als mich ganz den Erinnerungen hinzugeben. Diese Erinnerungen waren Dämonen, aber ich hatte sie vermisst. Wie eine Droge.“

Vier Freundinnen und der Sommer ihres Lebens + große Liebe + großes Zerwürfnis – das klingt nach einem altbewährten Rezept. Bewährt nicht nur wegen dem relativ klaren Plotverlauf, sondern auch weil der/die Autor*in, wenn sie rückblickend erzählt (wie auch Julia Holbe es tut), gleichsam über die Jugend und übers Alter schreiben kann, also beide Gefühlswelten abdeckt.

Zu Anfang ist das Buch auch genau die eindringliche und bewegende Erfahrung, die es durch diesen Mix zu sein verspricht: nach fast drei Jahrzehnten trifft Elsa Marie wieder. Sie bildeten einst gemeinsam mit ihrer Freundin Fanny eine 3er-Clique, die in ihren Studienjahren immer die Ferien in einem Haus von Elsas Eltern an der französischen Atlantikküste verbrachte. Dort wartete jeden Sommer das vierte, ortsansässige Mitglied ihrer Gruppe auf sie: die quirlige Lenica, zu der besonders Elsa ein tiefe Zuneigung hegte. Sie verbrachten die Tage mit trinken, reden, lesen, schwimmen und essen, in tiefer Eintracht.

Dann, im letzten gemeinsamen Sommer, trat auf einmal Sean in diesen erlesenen Kreis: Sean, der etwas ungeheuer Anziehendes hatte, etwas Raubtierhaftes und gleichsam Liebevolles, etwas Umwerfendes und der aber auch Geborgenheit geben konnte, Leichtigkeit, Freiheit. Mitgebracht hatte ihn Lenica, die ihn bereits lange zu kennen schien – aber zusammen kommt er dann mit der Erzählerin Elsa, die sich mit aller Leidenschaft in diese Beziehung stürzt, obgleich sie den Abgrund darin von Anfang an ahnt.

Danach sahen sich die Freundinnen über Jahrzehnte nicht; Lenica starb in der Zwischenzweit. Und jetzt, nach Ehen, Kindern und Scheidungen, erscheint den drei Freundinnen (Marie und Elsa spüren auch sehr schnell Fanny auf) dieses einstige Glück nicht nur magisch, sondern sie legen es auch auf ein letztes Revival an und fahren noch einmal in das Haus, um ein langes Wochenende dort zu verbringen. Und es kommt, wie es kommen muss: Sean taucht wieder auf …

Am Anfang ist Holbes Buch unwiderstehlich und sie versteht es, die Gegenwarts- und die Vergangenheitsebene gut miteinander zu verschränken und doch separat voranzutreiben. Es wird Spannung aufgebaut und viel Vorfreude stellt sich ein, gleichsam zeichnet Holbe ein gutes Bild von Erinnerungswelten und ihrer Anziehung, ihrer trügerischen und doch tiefen Schönheit.

Bis sie dann anfängt, es in einigen Formulierungen zu übertreiben. Als würde sie der Kraft und Dynamik ihres eigenen Sujets (das sich ja, wie gesagt, schon bewährt hat) nicht vertrauen, beteuert sie etwa ab dem zweiten Drittel in jeder Szene die Intensität und Bedeutung der Gefühle ihrer Protagonistin – manches davon mag als authentischer Überschwang durchgehen, aber vieles wird zur enervierenden Overdosis.

Ja, kann man jetzt einwenden, die Protagonistin wird halt von ihren Gefühlen überwältigt, sie schwelgt darin, das gehört zu ihrem Charakter. Das mag stimmen, ist sogar logisch, ergibt aber leider streckenweise einen furchtbaren Stil und macht die Spannung in vielen Szenen zunichte; und auch die zentralen Gefühle erscheinen zu durchsichtig, zu wenig ambivalent.

Ich möchte hier gar nicht mit irgendwelchen creative-writing-Regeln à la „Show, don’t tell“ kommen und Holbes Stil generell aburteilen. Ich verstehe, warum er zeitweise übersteigert sein muss – eben weil die Protagonistin so empfindet, aber noch mal: Logik ersetzt mir nicht das Lesevergnügen und das schwindet leider spätestens ab der Hälfte rapide, zumindest in den Szenen, in denen – statt dass vorausgesetzt wird, dass ich die emotionalen Verfassungen der Beteiligten grundsätzlich verstanden und im Blick habe – immer und immer wieder dieselben Gefühlswelten abgegrast werden.

Und das ist wirklich sehr, sehr schade, denn zu Anfang hatte ich den Eindruck, ein wirklich überdurchschnittlich gutes, sehr in seinem Thema aufgehendes Buch in Händen zu haben, das ich nach dem ersten Drittel wohl auch hymnisch besprochen hätte, als Ode an die Landschaften unserer Erinnerungen, als Psychogramm des Alters, als Elegie über das Gefühl der verpassten Dinge, etc.

Und gerade auf diesen ersten Seiten ist das Buch auch in Bezug auf das eigene Erzählen viel klüger als später, wie Formulierungen wie diese hier beweisen:

„Wahrscheinlich war alles irgendwie gebrochener, ambivalenter, wahrscheinlich trauriger. Aber ist nicht das Wichtigste, wie wir uns erinnern? Nein. Das Wichtigste ist, wie wir es erinnern wollen.“

 

Zu Konstantin Weckers neuer Biographie “Das ganze schrecklich schöne Leben”


Schrecklich schöne Leben „In den letzten Jahren habe ich zwei Autobiographien geschrieben („Die Kunst des Scheiterns“ und „Mönch und Krieger“). […] Vieles aus all diesen Büchern würde ich heute anders schreiben – nicht weil ich glaube, dass es falsch oder schlecht wäre, sondern einfach, weil ich es anders sehe.“

Obwohl vorn auf dieser Biographie nur Weckers Name steht, ist diese Biographie ein Gemeinschaftsprojekt: einige Kapitel sind von Wecker selbst verfasst, andere von Günter Bauch, einem beinahe lebenslangen Freund und Wegbegleiter, und einige von dem Journalisten Roland Rottenfußer, ebenfalls ein enger Freund und Betreuer von Konstantin Weckers Webmagazin „Hinter den Schlagzeilen“.

Dass eine lebende Person wie Wecker seine Biographie in dieser Weise präsentiert ist ungewöhnlich, aber auch spannend. Dem Buch ist eine besondere Dimension eigen, die aus dem Zusammenspiel der sehr persönlichen, auch bekenntnishaften und kritischen Töne von Wecker und den etwas allgemeineren, aber trotzdem lebensnahen Schilderungen von Bauch, sowie den analytischen, zeithistorischen Passagen von Rottenfußer entsteht. Man bekommt alle drei Spektren: einmal das Empfundene, zweitens wie es von anderen erlebt wurde und drittens wie es sich im Kontext der Öffentlichkeit darstellte und sich im Werk niederschlug.

„Meine Biographie ändert sich ständig. Je nachdem, was ich an Neuem dazulerne, erfahren habe, erlebt und erlitten habe, verwandelt sich mein Gedächtnis. […] In den Augen der einen bin ich heute ein Sturkopf, der sich an seine 68er-Ideale klammert und nichts dazugelernt hat, für die anderen vielleicht gerade deshalb ein aufrechter Künstler, der seinen Idealen treu geblieben ist.

Diese Mischung ist für eine Biographie nahezu ideal, in jedem Fall aufschluss- und abwechslungsreich. Manchmal stört diese Abwechslung den Lesefluss etwas, weil intensive und informative Passagen dicht aufeinanderfolgen, aber wenn man weiß, worauf man sich einlässt und außerdem erkennt, dass diese Dynamik auch immer wieder neue Perspektiven hervorbringt, ist das kein wirkliches Manko.

Was gäbe es sonst noch zu sagen? Ich werde hier keinen Kursabriss von Weckers Leben geben, dafür ist die Reise, die man mit diesem Buch unternehmen kann, viel zu spannend. Ich finde Wecker ist einer der eindrucksvollsten deutschen Liedermacher überhaupt und obwohl ich mit seinen spirituellen Einschlägen fremdle, sprechen viele seiner Lieder meinen Kopf und mein Herz an. Die Biographie hat mich noch mal darin bestätigt, dass dieser Doppeltreffer kein Zufall ist, sondern aus der großartigen Persönlichkeit herrührt, die Höhen und Tiefen bewusst erlebt und verarbeitet hat.