Tag Archives: Philip Roth

Zu Denis Schecks “Kanon”


Schecks Kanon Wieder jemand, der unbedingt mit einem Kanon auf Spatzen schießen will oder besser gesagt: auf die Zugvögel, die die Menschen heute sind, ziehend von Eindruck zu Eindruck und wenig interessiert am Verweilen vor dem Buch, geschweige denn dem Klassiker, was immer das jetzt wieder sein soll? Dennis Scheck ist aber schon mal so clever nicht von „dem“ Kanon, sondern lediglich von seinem eigenen zu reden und überzeugt im Vorwort durchaus mit hehren Absichten.

Weder will er, so schreibt er dort, sich in Geschmacksfragen verirren und wichtige Bereiche der vielfältigen literarischen Landkarte dabei unterschlagen, noch will er es sich nehmen lassen, vor allem und allein seine Lieblinge auszustellen. Klingt schon sehr nach der Quadratur des Kreises, doch am Ende von Schecks Liste mit 100 Büchern sieht das, was sich da entfaltet hat, tatsächlich sowohl einem Kreis als auch einem Quadrat nicht unähnlich.

Denn in der Tat berücksichtigt er in seinem Kanon nicht nur viele Autorinnen, sondern auch Chinua Achebes „Alles zerfällt“ und Ngũgĩ wa Thiong’os großartiges Werk „Der Herr der Krähen“, „Omeros“ von Derek Walcott, Sei Shonagons „Kopkissenbuch“ und einige andere Bücher aus nicht westlichen Kontexten. Zusätzlich bricht Scheck noch Lanzen für ausgewählte Vertreter verschiedener Genres, darunter Comic (Tim und Struppi, sowie Donald Duck), Fantasyroman (Herr der Ringe), SciFi (Ursula K. Le Guin) und Kinderbuch (Karlsson vom Dach) (wobei er auch anmerkt, das Unter-Genres ihm meist eh wenig einleuchten).

In Summe ist dann aber doch sehr viel Klassisches dabei: „Die Odyssee“, „Faust“, „Krieg und Frieden“, „Verbrechen und Strafe“, Ovid, Shakespeare, Flaubert, Cervantes, Kafka, Proust, etc. – mal geht Scheck diese Klassiker durchaus erfrischend an, manchmal durchaus gebräuchlich. Trotzdem gibt es genug zu entdecken und Scheck kann immer wieder mit charmanten und anschaulichen Darstellungen punkten, manchmal verzettelt er sich aber auch und der Text dreht sich etwas zu wenig um das Buch selbst und etwas zu viel um etwas anderes, das Scheck erzählen will (überhaupt hatte ich das Gefühl, dass die Qualität der Texte gegen Ende etwas abnimmt).

Von James Tiptree Jr. über Hypatia bis zu Lu Xun gibt es dennoch, wie gesagt, einiges Neues zu entdecken und manche Klassiker werden durch Scheck auch anschmiegsamer, klingen lesenswerter, spannender. Zu einigen Büchern wird man unweigerlich greifen wollen, andere kann man vielleicht endgültig ad acta legen. Letztlich ist dieses Buch vor allem ein Genuss, wenn man Spaß daran hat, einem großen Buchfreund beim frei von der Leber-Reden zuzuhören.

Zu Lisa Hallidays “Asymmetrie”


Asymmetrie, Halliday Es ist symptomatisch, veranschaulicht zusätzlich die im Rahmen dieses Buch angelegte Diskrepanz (oder Asymmetrie): der Fokus der meisten angloamerikanischen Besprechungen zu Lisa Hallidays Debüt lag beinahe ausnahmslos auf dem ersten Abschnitt des Buches, seinen Hintergründen und Umständen. Immer wieder wurden diese Hintergründe und Zusammenhänge heruntergerattert (und auf gewisse Weise schließe ich micht mit meiner Kritik daran diesem Trend leider an): Der erste Abschnitt beschreibt die romantische Affäre zwischen einem alten jüdischen Schriftsteller, der alle höchsten literarischen Ehrungen erhalten hat (außer dem Nobelpreis), und einer jungen Verlagslektorin in New York; man weiß: Halliday und der amerikanische Autor Philipp Roth hatten eine Beziehung miteinander als sie jünger war; Roth gefiel das Buch, er lobte es; Halliday betont, dass der größte Teil Fiktion sei. Ring frei für wilde Spekulationen oder ebenmäßige Erläuterungen. Schon konnte man meinen, das Buch enthalte nur diese Geschichte.
Das deutsche Cover präsentiert uns dementsprechend eine Skyline und auf dem Umschlagrücken steht:

Es beginnt mit einer Eiswaffel, auf einer Bank im Central Park.

Zwar wird weiter unten auch auf den zweiten Teil des Buches hingewiesen, der am Londoner Flughafen Heathrow und, in Rückblenden, im Irak und in Kalifornien spielt, aber ein flüchtiger Blick könnte den Eindruck vermitteln, hier handle es sich um eine New York-Geschichte, einen von der anderen Seite erzählten Philipp Roth-Plot. Da ich aber diesen ersten Teil tatsächlich für weniger gelungen halte – sowohl was die Figuren als auch was die Inszenierung angeht – wende ich mich zunächst dem zweiten Teil zu.

Amar wurde in einem Flugzeug, das gerade die USA überquerte, als Kind irakischer Eltern geboren. Wegen diese besonderen (und symbolträchtigen) Umstände, hat er beide Staatsbürgerschaften, die irakische und die amerikanische. Für ihn bleiben die Vereinigten Staaten das Land der Wahl, obgleich er wegen seiner Familie, vor allem wegen seines dort lebenden Bruders, nie den Kontakt zu dem Land seiner Abstammung verliert. Doch die Geschichte der irakisch-amerikanischen Beziehung im späten 20. Jahrhunderts ist, wie alle wissen, eine wechselhafte, letztlich desaströse. Am Anfang noch wird Saddam Hussein von den Amerikanern als Gegenpol zu der iranischen Revolution aufgerüstet, doch mit seinem Einmarsch in Kuwait und mit dem ersten Golfkrieg ändern sich die Gegebenheiten; und sie ändern sich wiederum als Saddam Hussein stürzt und mit ihm das Land, nämlich in noch größeres Chaos.

Als wir Amar begegnen, wird er gerade am Flughafen Heathrow festgehalten, ohne greifbaren Grund, vermutlich schlicht, weil er aus den USA kommt, Amerikaner ist, aber zwei Pässe hat, und gerade über die Türkei in den Irak einreisen will. Ein langes Warten beginnt, in dessen Verlauf Amar – angeregt durch die aktuellen Ereignisse, den Punkt an dem er jetzt in seinem Leben steht – an die Stationen seiner Lebensgeschichte zurückdenkt und in welcher Beziehung sie zu seiner doppelten Nationalität standen. Lisa Halliday gelingt (obgleich ich bei den vielen Zeitsprüngen nicht ganz mitgekommen bin und eine genaue Chronologie nicht nachzeichnen könnte) ein gut aufgefächertes Panorama, in dem sich unwillkürlich die vielen Facetten der US-amerikanischen Mentalität und der Unterschiede zur Mentalität im Nahen Osten auftun.

Auch sehr zugute halten muss man Halliday, dass sie aus Amar keinen Amboss macht, auf dem sie eine große Theorie über den Irakkrieg, die US-amerikanische Außen- und Einmischungspolitik und die Gefahren des 21. Jahrhunderts schmiedet. Die Figur und ihre begrenzte Perspektive, Amars ganz eigene Erfahrungen, stehen im Mittelpunkt; in dieser Perspektive, diesen Erfahrungen, spiegeln sich natürlich allerlei Ansätze von größeren Themen und Realitäten, die von einem Bild des modernen Irak bis zu den Wurzeln von Donald Trumps Repressionen gegen muslimische Bürger*innen reichen. Amars Lebensweg erscheint authentisch, mit allen Wendungen; die Geschichte seiner Familie, das darin schwingende Pendel zwischen USA und Nahost, wirkt gleichsam exemplarisch und individuell. Auch an der Art, wie Halliday Rückblenden und Gedankengänge sprachlich inszeniert, ist wenig auszusetzen – klug lässt sie die Unsicherheit und die Anspannung von Amar einfließen in die Struktur und den Verlauf seiner Überlegungen, seiner Erzählung.

Kurzum: Würde in diesem Buch nur diese Geschichte erzählt, es wäre nur 110 Seiten lang, aber es wäre eine beeindruckende menschliche Studie, ein gelungenes Porträt. Aber alles beginnt ja auf einer Parkbank im Zentralpark.

Während ich die Beschaffenheit der asymmetrischen Komponente im zweiten Teil für sehr vielschichtig und komplex halte, wirkt sie im ersten Teil geradezu plump: hier wirkt nichts wirklich asymmetrisch. Was trennt die beiden „ungleichen“ Liebenden, den Starschriftsteller Ezra Blazer und die Juniorlektorin Alice, anderes als das Alter? Nun will ich keineswegs behaupten, dass eine Geschichte über Liebende grundverschiedenen Alters nicht interessant sein kann oder ein alter Hut ist. Nichts Menschliches ist ein alter Hut und wenn jemand (oder eine ganze Gesellschaft) von etwas übersättig ist, dann hat das ebenso viel mit der Nachfrage zu tun wie mit dem Angebot.

Mir geht es also in Bezug auf diesen ersten Abschnitt nicht nur um die mangelnde Innovation. Er wirkt einfach trocken und nicht gut inszeniert, uninspiriert, scheint sich von einer Szene zur nächsten zu hangeln, als müsste die Autorin die 150 Seiten-Marke erreichen. Als Einwand könnte geltend gemacht werden: aber vielleicht geht es ja genau darum, um eine ungeschönte Darstellung, das Unaufgeregte, den Alltag eines Paares, dessen Alter weit auseinander liegt. Mag sein. Aber ich möchte dann schon verstehen, wie dieses Paar emotional ineinander verwickelt ist. Ich möchte die Figuren im Spiegel ihres Umgangs kennenlernen. Beides passiert nicht. Stattdessen laviert das Buch vor sich hin, in Sätzen und Szenen, die wohl Symptomatisches, Doppelbödiges enthalten und Zwischenräume lassen sollen, aber einfach nur wie zu dünn aufgetragen, zu baufällig gezimmert wirken. Dialoge wie dieser sollen vielleicht knapp und gleichsam hintergründig wirken, sparsam und feingliedrig:

Als sie den Kühlschrank öffnete, schlug die goldene Medaille vom Weißen Haus, die er an den Griff gebunden hatte, laut klappernd gegen die Tür. Alice ging wieder zum Bett.
„Liebling“, sagte er. „Ich kann kein Kondom tragen. Niemand kann das.“
„Okay.“
„Was machen wir dann wegen Krankheiten?“
„Na ja, also ich vertraue dir, wenn du …“
„Du solltest niemandem vertrauen. Was, wenn du schwanger wirst?“
„Mach dir deswegen keine Sorgen. Ich würde abtreiben.“
Als sie sich später im Bad wusch, reichte er ihr ein Glas Weißwein durch die Tür.

 

Aber sie wirken stattdessen unausgereift, apathisch manchmal, wie ohne Hintergrund und Inhalt, wie eine Hülle. Ich erfahre zwar alles Mögliche über die beiden Figuren und was sie miteinander machen, wie sie leben – aber ich erfahre nichts über sie; es gibt keinen Moment, wo sie heraustreten aus ihren Beschreibungen, dreidimensional werden.

Ist das die Asymmetrie? Hier die Oberfläche einer Liebesgeschichte, die Neurose der amerikanischen Literatur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts adaptierend und glättend, und auf der anderen Seite die Tiefe einer menschlichen Psyche, zerrissen zwischen der Dominanz der US-amerikanischen Lebensweise auf der einen und den Auswirkungen dieser Dominanz auf der anderen Seite? Gut, das taugt was, als großes Bild, aber es macht diese erste Geschichte nicht besser, nicht lesenswerter. Vor allem nicht als Fiktion. Als autobiographischer Bericht (wie einst die Geschichte von Joyce Maynard über ihre Zeit mit J. D. Salinger) würde diese Story vielleicht noch etwas hergeben. So wirkt sie zahm, lahm, allzu glatt, ohne wirkliche Einfühlungsmöglichkeiten, ohne Reiz.

Auch als Liebeserklärung an den Autor Philipp Roth oder sein Schreiben, kann man diesen ersten Abschnitt nicht gelten lassen – diese Absicht ließe sich am ehesten im dritten, kürzesten Teil finden. Dieser dritte Abschnitt ist ein Interview mit Ezra Blazer, bei dem er über seine Lieblingsmusik sprechen soll, wie sie seine Biographie begleitet und geprägt hat. Dieser dritte Teil ist gelungen und obgleich Blazer auch hier ein bisschen wie ein Platzhalter wirkt und ganz klar als Figur auftritt, ist doch sehr viel mehr Leben in diesem kurzen Abschnitt als auf den ganzen ersten 150 Seiten.

Fazit: Ja, Lisa Halliday ist eine gute Autorin, aber die ersten Seiten ihres Debüts wirken bemüht und etwas einfallslos; sie wagt viel zu wenig. Die Chance, die in der Darstellung einer solchen Beziehung aus weiblicher Perspektive liegt, lässt sie ungenutzt verstreichen und bringt fahrlässig wenig von den Emotionen und der Persönlichkeit ihrer Protagonistin ein. Der zweite Teil ist wie gesagt beeindruckend, bestechend. Der dritte ein schöner Schluss, elegant. Hätte man den ersten Teil um 100 Seiten gekürzt oder anders inszeniert, wäre es ein tolles Buch geworden. Wobei der Titel „Asymmetrie“ immer noch ein wenig hochgegriffen wirken würde, den dafür kommunizieren Teil 1 und 2 einfach zu wenig und selbst die oben angesprochene Idee stellt die Teile zwar einander gegenüber, aber verknüpft sie nicht wirklich miteinander. Das Ungleichgewicht ist ein ästhetisches, kein konzeptionelles.

Zu Philip Roth


 

Seine großen Themen waren Sex und Tod. Das in manchen seiner Romane nicht ganz unproblematische und nicht selten einseitig gewichtete Frauenbild, dürfte manchen Leser*innen schon einmal sauer aufgestoßen sein. Seine Frauenfiguren, oft nur Spiegel für die Vergänglichkeit und Konflikte der männlichen Protagonisten, blieben seine Achillesverse.

In den USA sorgten einige seiner Plots für Furore – schon sein Erstling „Portnoys Beschwerden“ wurde begrüßt und gleichsam verdammt, aber auch sein in Europa kaum bekannter Satireroman über Richard Nixon, seine Zuckermann-Quadrologie und nicht zuletzt sein Buch „Der menschliche Makel“, erhitzten die Gemüter und sorgten für einige Kontroversen. Nun ist der Autor Philip Roth gestern im Alter von 85 Jahren gestorben.

Immer wieder thematisierte er das Neurotische im und am Triebhaften, die Fallhöhen der kreativen und erotischen Existenz – und schon früh, und am Ende immer häufiger, die Qualen des Alters, die Furcht vor dem Tod. Eine Furcht, der seine Protagonisten anscheinend nur durch eine Flucht ins Brodelnde oder Ebenmäßige der wiedergefundenen Jugend beikommen konnten, im Wiederaufleben der Pubertät, einer letzten Erregung.

Ich schätze vor allem seine unkonventionelleren Werke: das anarchische Baseball-Opus „The great american Novel“, halb Parodie, halb Mythos, eigentlich ein wahnsinniger Witz und streckenweise eigenwilligste Unterhaltung. Das schmale Buch „Mein Leben als Sohn“, eine Auseinandersetzung mit dem Vater. Und jene beiden ersten Bände seiner letzten Kurzromanserie „Jedermann“ und „Empörung“.

Ersteres: eine rücksichtslose, hoffnungsangekratzte Bilanz einer (männlichen) Existenz, ein Endpunktspektakel, das berührt, weil es alle Kraft der Beschreibung in die Aussichtlosigkeit investiert. Ein Konzentrat der Endlichkeit.
„Empörung“: Das Gegenstück. Eine Geschichte von Jugend, Aufbruch und Ungeduld. Ein Konzentrat der Unendlichkeit. Und beide Bücher haben ihre ganz eigene Antipointe.

Viele können sicher viel mehr über das Werk Philip Roths, seine Größe, seine Problematiken, berichten. Aber für diese vier Bücher will ich ihm einfach danken. Mir werden sie bleiben. Ruhe sanft.

Zuckermans Ketten. Zu Roths Roman “Zuckermans Befreiung”


Im zweiten Teil der Trilogie um den Autor Nathan Zuckermans (eigentlich ist es ja mit dem Epilog und mit dem nachgereichten Exit Ghost nun eine Quintlogie), die er mit dem etwas klaustrophobischen und ambivalenten kurzen Roman Der Ghost Writer begann, ist Roths alter Ego ein beträchtliches Stück in seiner Laufbahn vorangekommen und steckt dennoch in einer schweren Krise: Er hat es gerade geschafft einen Bestseller zu schreiben und kommt mit den nun an ihn gestellten Erwartungen nicht so ganz klar. Nicht nur, dass man ihn allum nur mit seiner neurotischen und verruchten Romanfigur Carnovsky identifiziert, nein, zu allem Überfluss muss er sich auch noch mit Drohungen per Telefon, seinem neuen Reichtum, einer gescheiterten Beziehung und einem sehr aufdringlichen Fan, einer ziemlich gescheiterten Seele, auseinandersetzen.

In diesem Roman gibt sich Roth überraschend heiter und geizt weder mit kleinen satirischen Momenten, eingeschobenen Obskuritäten oder aberwitzigen Figuren – natürlich alles in dem Bestreben, dem Wahnwitz von Zuckermans Lebenswendung eine deutliche, symbolisch Note zu verleihen. Grandios würde man diesen Roman wohl nicht nennen, aber er liest sich trotz seiner eigenwilligen Art 1a, von vorne bis hinten, und lässt in keinem Moment wirkliche Langeweile aufkommen. Jüdische Problematiken haben wie immer einen Gastauftritt, ebenso die sexuellen Nöte. Aber größtenteils ist der Roman ein sehr luftiges Ereignis, das mit ernsten Themen jongliert, die man jedoch nicht ganz ernst nehmen kann, die lächerlich bis verworren erscheinen – alles in filigraner Überspitzung und doch immer wieder nah am wahren Leben. Roth versucht dabei gar nicht realistisch zu sein – vielmehr schafft er es uns ganz in den Vorzügen der Fiktion aufgehen zu lassen, wie in einem guten, einfachen Film, die Nähe zum Leben nicht eklatant suchend, stattdessen lieber eine gute Geschichte erzählen, in denen sich die Problematiken des Lebens und Schreibens durchaus mit der Zeit herauskristallisieren.

“Nathan, mein Junge, du sitzt in deinem Apartment und denkst, soweit ich das beurteilen kann, Tag für Tag über nichts anderes nach als über dich selber. Und wagst du dich mal auf die Straße, dann wird’s bloß noch schlimmer. Jeder gafft dich an, jeder rückt dir auf die Pelle, alle wollen dich entweder an einem Bett festbinden oder dir ins Gesicht spucken. Man hat dich auf Gilbert Carnovsky festgenagelt, obwohl jeder, der auch nur ein bisschen Hirn im Kopf hat, wissen sollte, dass du niemand anders als du selber bist. Aber denk doch mal zurück, mein Lieber – es ist erst ein paar Jahre her, da hat es dich fast verrückt gemacht, wirklich du selber zu sein.”

Zum Ende meiner Rezension möchte ich noch einmal auf Roths verschlungener Pfade in diesem Buch hinweisen. Es geht natürlich um die Problematiken eines Schriftstellers, aber vor allem auch denen der Kunst in der Moderne. Aristoteles sprach hoher Kunst das Potenzial zu, eine Katharsis beim Menschen zu bewirken, eine Reinigung und Ich-Werdung. Zuckerman hat mit seinem Bestseller ein Buch geschrieben, was nicht unbedingt hohe Literatur ist und… schon hat er Erfolg! Die Menschen kaufen das Buch, aber im Gegensatz zu seinen anderen Büchern gibt es dabei keine Katharsis, sondern mehr einen Schuldverlagerungseffekt. Die Leute lesen das unverblümte Buch und halten den Autor für abgründiger als sich selbst, oder meinen diese Abgründe nun ebenfalls ausleben zu können: ein zentrales Problem moderner Literatur wird so (wie immer bei Roth: unter der Hand, erzählerisch und nicht frontal essayistisch) sehr gut in Szene gesetzt und auch ein anderes wird offenbart: Der Schriftsteller, der sich selbst mit einem Buch befreien kann, legt anderen damit Bürden auf und auch sich selbst, wenn er glaubt, eine literarische Befreiung schlage keine Wellen.

Wieder einmal schaffte es Roth die Fragwürdigkeit der Kunst in ihrem eigenen Spiegel zu bannen.

“Wenn er[sie] doch begreifen könnte[n], dass der Autor den Leser zu Mitleid und Furcht bewegen soll – und nicht umgekehrt.”

Link zum Buch

*diese Rezension ist bereits in Teilen auf Amazon.de erschienen.

Zu Philip Roths “Professor der Begierde”


Wenn man dieses Buch zuklappt und auf dem Einband den Namen Philip Roth liest, ist man doch wieder etwas verblüfft. Wo war die leichte rothische Rohheit, normalerweise hier und da possierlich eingeflochten? Wo der Witz und der ewig kreisende Skeptizismus, den so viele Werke dieses Autors üblicherweise ausmachen? Wo war das Anecken und das hin und wieder angebrachte Grenzwertige?

Nicht viel davon zu sehen (Dafür die Frage: woher kommt die tiefe Nachdenklichkeit?). Stattdessen eine starke Bedachtheit auf das Wesentliche: Die Hauptfigur, den Literatur-Professor, und seine Begierden (wobei das letzte Wort in der Bedeutung, nach seinem Original, dem engl. “Desire”, ambivalenter verstanden werden sollte).

Professor der Begierde ist das vielleicht menschlichste (ja sogar beinahe teilnahmsvollste) Buch Philip Roths (womit ich nichts gegen Der menschliche Makel oder das grandiose Werk Jedermann sagen will, aber jenes erste ist eben sehr episch, das andere doch noch mit einem gewissen anonymen Kniff versehen), auf jeden Fall das authentischste und gehört sicherlich zu den ehrlichsten Werken in seinem Ceuvre.

Es ist ein Buch über die Beziehung von Leben und Literatur und von den hohen Problematiken der Sexualität, die sich zwischen den Spiegeln dieser beiden Lebensformen gefangen sieht – relativ ausweglos. Auch das Thema Depression, ausgewalzt in Mein Leben als Mann und die jüd.-amerik. Lebensweise, Angelpunkt von Portnoys Beschwerden, spielen  eine Gastrolle. Denn hier, am Fixpunkt seiner bisherigen Themen und dem Übergang von seinem Frühwerk in sein mittleres Werk (welches lautlos in sein Alterswerk übergeht), zeigt sich seine gesamte stille Meisterschaft, wie sie alles kompakt hier und da streift und unter der Oberfläche ausbreitet. Ja, dass kann man sagen: Es ist ein Buch das viel unter der Oberfläche, hinter der Geschichte arbeitet.

Sicherlich kann gerade diese Kompaktheit sehr unstimmig wirken und manchem trainierten Rothleser sogar belanglos oder seicht erscheinen. Aber man muss, wie schon angedeutet, hinter die Fassade dieses Werkes sehen und höllisch aufpassen auf die wenigen Knackpunkte in der sonst schlicht wie nacherzählt wirkenden Lebensgeschichte des Prof. David Kepesh – denn dann erkennt man vielleicht wie essentiell hier mancher Vergleich und manche Idee zum Vexierbild des Problems der Literatur wird; zum Konflikt zwischen ihr, die das Leben abbilden will, und dem Leben, das sich formal abbilden lässt, aber nicht darin einsperren.

“Hör mal, damit es keine Verwirrung gibt, lass es mich gelinde übertreiben: ich hasse Bibliotheken, ich hasse Bücher und ich hasse Universitäten. Wenn ich mich recht erinnere, neigen sie dazu, alles im Leben ein ganz klein wenig in etwas anderes zu verdrehen als es ist – das heißt >ein ganz klein wenig<, wenn man Glück hat. Diese armen, ahnungslosen Theoretiker und theoriebesessenen Bücherwürmer, die sich vorn hinstellen und losdozieren, sind es, die alles zu etwas noch Schlimmerem verdrehen.”

Dies ist die große Angst von Kepesh’s Frau und im gewissen Sinne die Angst jedes Menschen, der der Literatur zugetan ist und, auf literarischer Ebene, “einfach schon zu viel gesehen hat”. Aber kann man das alles aufs Leben zurückmünzen, beziehen, selbst wenn es das Leben nachbildet? Eine große Frage und Zentrum jedes Literaturseminars und beinahe jeder wissenschaftlichen Arbeit über Literatur, jeder Analyse – ja, manchmal gar als einzige Daseinsberechtigung von Literatur propagiert. Doch Roth zeigt auch, neben der klaren Gemeinsamkeit zwischen diesen beiden Disziplinen, wo hier die Gefahren und die ewigen Grenzen liegen. Und er zeigt es, wie immer, bravourös und mit einem leichten Eigensinn, welcher ihn scheinbar dazu verpflichtet, niemals viel über den wahren Inhalt seiner Werke anzudeuten, sondern einfach zu erzählen – zu erzählen, wie es nur ein echter Romancier vermag. Deswegen ist es so schön Philip Roth zu lesen: Klare, lesenwerte Prosa und dahinter steht immer die Wahrheit im Kreuzverhör des Lebens (oder der Literatur(?))

Link zum Buch

*diese Rezension ist in Teilen bereits auf Amazon.de erschienen

Philip Roths first Storys: “Goodbye, Columbus”


Achtung: Wem dieser Text zu lang oder zu umfangreich ist, der findet eine Zusammenfassung/ein Fazit am Ende des Textes.

Im Jahr 1959 erschien das Debüt eines damals gerade 26 Jahre alten Amerikaners namens Philip Roth. Der Autor, ein 1933 in Newark geborener Jude, hatte die im Buch versammelten Erzählungen in den letzten 4 Jahren verfasst, neben zahlreichen anderen, die unveröffentlicht blieben; danach sollte er nie wieder eine Erzählung schreiben, sondern sich ganz dem beharrlichen Schreiben von kurzen oder umfassenden Romanen widmen, wobei er schnell als einer der größten Könner seines Fachs galt. Ist dieses erste Werk nur die Probe, die Übung vor der Meisterschaft, das Vorwort auf die Kunst, die folgt? Ja und Nein – es ist das Expose und gleichzeitig das Training, es ist ein früher Glanz, mit kleinern Schwächen.

Zwei Sachen haben diese frühsten Geschichten schon mit den späteren Romanen, bis zu Empörung, gemein: Es geht (erstens) um Juden und es geht (zweitens, wie so oft in der Prosa) um Immanuel Kants 4. Frage, die Philip Roth auf verschiedenen Ebenen (Bevorzugt Sexualität und Alter, aber auch Schreiben, Ethik, Glauben, Arbeit und mehr) immer wieder mit dem ersten Punkt verbindet und diese Verbindung meisterhaft zu variieren weiß: Was ist der Mensch?
Jedoch – er wäre kein großer Schriftsteller, wenn er neben dieser großen Frage, die all seine Werke durchzieht, seine Figuren nicht auch andauernd Gegenfragen ließe: Warum ist der Mensch?

“Diesmal blieb ich sehr lange unter Wasser, und als ich auftauchte, waren meine Lungen fast dem Platzen nahe. Ich schnappte nach Luft, warf dabei den Kopf zurück und sah den Himmel über mir, tief wie eine herabstoßende Hand, und ich begann zu schwimmen, als wollte ich mich diesem Zugriff entziehen.”

“Juden waren in den 50er Jahren in Amerika gleichsam eine Tatsache und ein Phänomen” – so ein Zitat aus Arthur Millers Buch Zeitkurven. So stellt sich auch für Philip Roth die Lage der Juden dar: Sie sind gleichsam Teile des amerikanischen Wesens und doch eine Art Sonderfall innerhalb der amerikanischen Gesellschaft. Juden sind sozusagen Gemeinschaft und Individuum zugleich, und man kann schwer sagen, wann sie die eine Rolle und wann sie die andere annehmen (sollen). Der Zwiespalt dieser Erfahrung macht weite Teile dieser ersten Erzählungen aus und war sicherlich auch nachher Teil des Antriebs, das Jüdische nie aus seinem Repertoire zu streichen.

Die längste und beste Erzählung des Bandes, “Goodbye Columbus”, von Philip Roth als Kurzroman bezeichnet, dreht sich um die (erste) Liebe eines jüdischen Jungerwachsenen aus Newark, zu der Tochter einer neureichen jüdischen Familie, die auch einst in Newark wohnte, jetzt aber in ein besseres Viertel umgezogen ist. Die Liebe der beiden scheint – wie es oft bei erster Liebe ist – plötzlich und unerwartet zu gelingen und eine Zeit lang fühlt der Junge wie sich sein Leben ungeheuer erweitert. Doch: “Denn was Verantwortung in der Liebe ist/ das lernst du erst, wenn es soweit ist” – nach diesem Spruch von Jacobsen kommen dem Protagonisten mit der Freude an Liebe und Lustbarkeiten schnell auch Zweifel und Gewissensbisse… es ist ja alles nie so einfach…

Sprachlich gibt es an den anderen Erzählungen auch nichts auszusetzen, bei vieren ist auch der erzählerische Fluss, der einem in Roths Werken so großes Vergnügen bereitet,  gewährleistet. Juwel der kürzeren Texte ist wohl die Geschichte “Verteidiger des Glaubens”, eine Erzählung, mit der Roth im Nachkriegsamerika einige Proteste beschwor. Auch wenn ihm, selbst ein Jude, sicherlich nicht an Polemik gegen seine Glaubensrichtung gelegen war, so ist doch die mögliche Ausdeutung der Aussage der Geschichte recht heikel.
Es geht um einen, aus dem Krieg in Europa heimkehrenden, Veteran, der als Sergeant in eine Ausbildungskaserne versetzt wird. Als ein jüdischer Rekrut bemerkt, dass sein neuer Vorgesetzter ebenfalls jüdisch ist, versucht er ihm allerlei Gefallen abzupressen und seine Einsatzbereitschaft für die drei jüdischen Soldaten der Truppe zu fordern. Der Sergeant, hin und her gerissen zwischen Pflicht und Pflichtgefühl, Gerechtigkeit und Gemeinschaftssinn, versuchte in beide Richtungen seine Integrität zu wahren, doch es scheint als müsse ihm dieser Balanceakt misslingen, als sei das unvermeidliche Scheitern dieser Situation in seinem jüdischen Blut, der Zerrissenheit, die es bedeutet, einprogrammiert …

“In allen Ländern und zu allen Zeiten ist der Schriftsteller sowohl den Harmlosen preisgegeben, die instinktiv missverstehen, als auch den Böswilligen, die bewusst missverstehen;”, schrieb Roth im Vorwort zu dem Band und er wird wohl hauptsächlich auf diese Geschichte angespielt haben.

Die anderen 4 Erzählungen sind gleichsam kurzweilig und zeigen einen soliden Erzähler in seinen Anfängen: Eine einfache Ehebrechergeschichte, die Erinnerungserzählung eines Schülers, eine kleine Phantasie über Glauben und Macht und schließlich eine – interpretativ – sehr interessante Erzählung, über einen amerikanischen Juden, Eli, der sich auf sehr mystischer Ebene vom Schicksal seines Volkes angezogen fühlt.

Zusammenfassung/Fazit:

Philip Roths erste Erzählungen sind in Geschichten verpackte Analysen zur Lage der Juden im Amerika der Nachkriegszeit. Der große Zwiespalt ergibt sich für die handelnden Figuren aus ihrer Stellung in der Gesellschaft, die auf der einen Seite die geschuldete Integrität mit den anderen Juden und der jüdischen Lebensweise zu wahren versucht, auf der anderen Seite in die Gesellschaft der vereinigten Staaten integriert werden will, welche ebenfalls eine umfassende nationale Gemeinschaftshaltung bei gleichzeitigem individuellen Bewusstsein fordert. Die Schwierigkeit, jahrhundertealte Tradition mit einer modernen und liberalen neuen Lebensweise zu vereinen, ist Dreh- und Angelpunkt der Handlungskonzepte, die von der ersten Liebe, einem Seitensprung, einer religiösen Auflehnung oder einer, vor dem Hintergrund einer US-Militärkaserne ausgetragenen, Konfliktsituation in Sachen Gerechtigkeit handeln. Sprachlich sehr gekonnt, weil unglaublich klar, sind die ersten Versuche Philip Roth vielleicht nicht genial oder meisterhaft, aber doch auf jeden Fall lesenswert.

Link zum Buch: http://www.amazon.de/Goodbye-Columbus-Kurzroman-f%C3%BCnf-Stories/dp/3499238772/ref=cm_rdp_product

*diese Rezension ist in Teilen schon auf Amazon.de erschienen