besprochen beim Signaturen-Magazin
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Zu einem großartigen Debüt!
Auf fixpoetry erschienen: Eine Rezension zu einem grandiosen Debütbuch, das Hirn und Universum gleichermaßen aus den Angeln hebt – Raphaela Edelbauers Poetik Entdecker.
“Vakante Glut” von André du Bouchet
“Die Luft, die sich der Fernen bemächtigt, lässt uns lebend hinter sich.”
“Der Berg
wie ein Spalt im Atem
der Leib des Gletschers.”
Französische Poeten der Moderne haben die Eigenart, elementare Dichter zu sein. Ihnen liegt selten das realistisch Imaginierte und noch seltener das thematisch Fixierte; vielmehr speist sich ihre ganze Kraft, das ganze Wesen ihrer Dichtung aus dem Element ihrer Sprache, aus einer Art Metakraft, die Worte und ihre Ideen in einem Raum mit unendlichen Reihen ausgräbt und auftürmt. Diese lange Tradition begann schon ansatzweise mit Rimbaud und gipfelte teilweise in ihm und etwas später, geradezu symbolisch, in Apollinaire und seinem schon sprichwörtlichen Gedichtband Alkohol; natürlich sind auch Namen wie Verlaine und Seghour auf eine gewisse Art dieser Kategorie zuzuordnen; jeder von ihnen hatte seinen eigenen Rahmen, in dem die Idee dieser Tradition fortgeführt wurde. Sie ist bis heute ungebrochen, Sprachkadenzen weiterhin sehr gebräuchlich. André du Bouchet, gefeierter Übersetzer der Werke Paul Celans ins Französische, ist auf seine Weise ein später Wahrer der Idee.
“Am Anfang der kalten und weißen Brust, in der mein
Satz sich unterbringt, über der Mauer, im wild-
wachsenden Licht.”
Obwohl der Gedichtband “Vakante Glut” in 7 Teile unterteilt ist und diese wiederum in viele Einzelgedichte, hat man nicht das Gefühl, dass das Gedicht, das auf der ersten Seite anfängt, jemals gänzlich aufhört. Eigentlich ist der ganze Band ein einziges, sich immer wieder auf sich zurückbesinnendes Gedicht. Es mag zwar manchmal, wie eine Flagge, in die eine oder die andere Richtung wehen, aber der Mast bleibt derselbe und wenn kein starker Wind weht, legt und lehnt sie sich wieder dagegen zurück, um wieder davon auszu(g/w)ehen.
“…der Lufthauch
der dem Feld entsteigt
das Licht
der Zügel.”
Mit wenigen zentralen Worten steht und fällt das Buch; der Rest ist Wind, Dekorationsmaterial. Auch sind die Lyrismen sehr großzügig gedruckt, die Sätze immer etwas zersplittert und über die Seite verteilt und manchmal nehmen sie gar nur den oberen Rand einer Seite ein. Da es auch noch ein zweisprachiger Band ist, also nur eine Seite jeweils Deutsch, hätte der Inhalt auch auf wesentlich weniger Seiten Platz gefunden; was mich nicht stört, da es für mich die Atmosphäre des Bandes unterstreicht.
Diese Atmosphäre ist eine Symbiose aus dem Weiß der Seite und dem Schwarz der Buchstaben, der Symbiose aus Feuer und Eiseskälte, aus Wind und einer festen Mauer, aus Luft am Tag und Atem in der Nacht. Diese Worte und Wendungen und noch einige andere Schlagworte wie Feld, Stein, Berg, Himmel, Glut, Straße sind die Variablen in denen du Bouchets Lyrik ihre Spiegel und Ausfahrten findet. Es liegt noch einiges dazwischen, aber es sind diese wiederkehrenden Wörter, die seine Dichtung ausmachen – und man hat irgendwie das Gefühl, als würde die ganze Dichtung nur dazu dienen, diesen paar Wörtern auf den Grund zu kommen.
“Wenn die Nacht einfällt, ist die unnütze Straße mit schwarzen Ländern bedeckt, die sich vermehren.”
Wie dieser Satz zeigt entbehren du Bouchets Seiten jedoch nicht ein paar großartiger Innovationen und Formulierungen. Das ganze, den Band umfassende Gedicht ist sicherlich ein großes poetisches Räderwerk, mit dem man sich lange beschäftigen kann, aber es sind einzelne, meist ganz am Rand liegende Räder diese Komplexes, fast unnütz für das große Ganze, die wirklich tief gehen und ein Bild entstehen lassen. Für diese paar einzelnen Zeilen lohnt es sich schon, den Band zu lesen.
“Da ist noch Karosserie des Schaums, der aufklirrt als entspränge er mit zerbrochnen Nägeln in der Erde verkanterten Baum, dieser Kopf, der auftaucht und sich in die Ordnung fügt, und die Stille, die uns fordert wie ein großes Feld.
Der Heuschober des anderen Sommers funkelt.”
Sehr schade und bedauerlich ist es, dass dem Werk keine einzige Anmerkung, auch keine Erläuterung des Übersetzers Celan oder überhaupt irgendeine Art von Beitext mitgegeben wurde – vielleicht aus dem nicht ganz falschen Gedanken heraus, dass man ein Werk dieses Stils am besten selber Stück für Stück entschlüsseln möchte, bis man den Stein wie einen Kloß im Hals und die Kälte wie ein Mark in den Knochen spüren kann. Aber, so ganz wortlos diesen Dichter und seinen Band hinzustellen und den Leser so zu entlassen – es bleibt das Gefühl einer viel zu oberflächlichen Beschäftigung. Denn was der letzte Satz des Bandes sagt, ist nur zu wahr und bestimmt den ganzen Band rückblickend; vielleicht muss man ihn deswegen einfach noch mal von vorne lesen und noch mal und noch mal:
“Nichts stillt den Durst meines Schrittes.”