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Zu den Reden von Michael Köhlmeier


erwarten sie nicht

Es war eines der wenigen Ereignisse, die mir in den letzten Jahren wirklich Mut gemacht haben: Michael Köhlmeiers Rede in der Wiener Hofburg am 04. Mai 2018. Da sprach ein Schriftsteller – kein/e politische/r Kabarettist/in im Gewand der Ironie, kein/e NGO-Vertreter/in aus der Opposition, sondern ein Künstler aus der Mitte der Gesellschaft – offen gegen die Verhältnisse, gegen die politische – und indirekt auch gegen deren Verlängerungen in der gesellschaftlichen – Kultur. Und fast noch wichtiger als das Thema seiner Rede (die Geschichtsvergessenheit der aktuellen österreichischen Regierung, ihre fragwürdigen Verlautbarungen und jüngsten Maßnahmen) war ein Satz, der nun dieser Sammlung mit neun Reden als Titel dient.

„Erwarten Sie nicht, dass ich mich dumm stelle“, sagt Köhlmeier in der Rede. Dieser Satz war an die Regierenden gerichtet, aber er ist deswegen so schneidend, weil er sich darüber hinaus auch an die Regierten richten konnte. Dummstellen (auch als Synonym für Wegschauen) hat in unserem Informationszeitalter und in unseren Wohlstandsgesellschaften Hochkonjunktur – oft ist der Grund Ignoranz, manchmal auch Überforderung, Kapitulation. Wer sich dumm gibt, seine Dummheit schützt und pflegt, der kommt mit bestimmten Debatten nicht in Berührung und kann glauben, er hätte mit vielen Dingen nichts zu tun. Kenntnis zieht die Frage des Verhaltens, der Position nach sich, keiner kann sich dieser Konsequenz entziehen (und es wird oft versucht, meist durch Leugnung oder Verdrehung der Kenntnis).

Köhlmeier ergriff die Gelegenheit zu zeigen, wie das ist, wenn man sich in der Öffentlichkeit, bei einem offiziellen Anlass, nicht dumm stellt, sich nicht servil gibt. Es war Stefan Zweig, der einmal gesagt hat: „Jede Widerstandsgeste, die kein Risiko in sich birgt und keine Wirkung hat, ist nichts als geltungssüchtig.“ Ob er damit nun recht hatte oder nicht, Köhlmeiers Rede entsprang eben nicht der Geltungssucht, sondern der Gelegenheit. Er nutzte sie und mahnte.

„Zum großen Bösen kamen die Menschen nie mit einem großen Schritt, sondern mit vielen kleinen, von denen jeder zu klein schien für eine große Empörung.“

Seine Rede war dennoch keine Kampfansage und auch die übrigen Reden sind es nicht. Es sind Lektionen in Aufmerksamkeit, Menschlichkeit, Lehrstücke gegen das Vergessen, Elegien der Dialektik – und natürlich ein Stück weit das, was gute Literatur immer ist: Mittel gegen die Scheuklappen und die Ausreden der Ignoranz, gegen die Einseitigkeit.

Zum Beispiel jene Rede, die er 2014 bei der Verleihung des Humanismus-Preis hielt. Eine eher kurze Rede, in der er nach der Grundlage für humanistisches Verhalten fragt und auf den letzten Gesang der Ilias von Homer zu sprechen kommt. Dort schleicht sich Priamos, der König von Troja, in das Lager der Griechen, ins Zelt des Achilles, um ihn um den Leichnam seines Sohnes Hector zu bitten, den Achilles vor kurzem erschlagen hat. Der trauert noch um seinen Freund Patroklos, der wiederum von Hector erschlagen wurde. Als sie sich begegnen, erkennen sie, dass gerade sie den Schmerz des jeweils anderen am besten verstehen können.

„Sich des anderen zu erbarmen heißt, das gemeinsame Los aller Sterblichen an sich selbst zu erfahren“

Auch als Redner hält Köhlmeier an den Werten und der Aufgabe des Schriftstellers, des Erzählers fest. Was u.a. heißt: nicht nur den Spiegel vorhalten, sondern auch in ihn hineinschauen; den Spiegel nicht aus Eitelkeit ergreifen, sondern weil er etwas birgt, was wir normalerweise nicht zu Gesicht bekommen, mit dem wir selten konfrontiert werden. In einigen Reden spricht Köhlmeier über das Erbe des 20. Jahrhunderts, darüber wie sich Apathie und Schrecken angenähert haben, verschmolzen sind – so fest mittlerweile, dass sie kaum noch zu trennen sind.

„Wir sind begriffslos, seit wir das Böse nicht mehr von dem unterscheiden können, das uns ansieht, wenn wir in den Spiegel schauen.“

Köhlmeier erzählt von seiner Mutter und von dem Gegensatzpaar Leben und Historie. Er spricht über Toleranz und Individualität, über Empathie und Verdrängung. Er redet über Verbrechen und er redet über die Schönheit. Und alle seine Reden weisen uns, unter der Hand, an, uns nicht nur unserer Feinde zu vergewissern, sondern vor allem dem, was wir bewahren und bewirken wollen. Thomas de Quincey schrieb: „Feinde glauben, einander zu kennen. Es besteht die Gefahr, dass sie diesen Kenntnissen irgendwann mehr Bedeutung beimessen als den eigenen Erfahrungen.“ Sich nicht dummstellen will gelernt sein, aber ebenso, zu erkennen, dass die Wirklichkeit komplexer ist als der eigene Einblick in den Verlauf der Dinge.

Und gegen wen wir kämpfen darf nie verdrängen wofür wir kämpfen. Hier hat Köhlmeier in einer Rede eine schöne Anekdote parat:

„Mitten im Krieg gegen Hitler wurde im britischen Unterhaus der Antrag gestellt, das Kulturbudget zu kürzen. Churchill, Premierminister und Verteidigungsminister, empörte sich dagegen: „Wofür kämpfen wir denn?“, soll er ausgerufen haben. Und der Antrag war vom Tisch.“

Eine Polemik im Umfeld des Buches “mit Rechten reden” von den Autoren Leo, Steinbeis und Zorn


Mit Rechten reden „bestünde die Rechte mehrheitlich aus Holocaustleugnern, Hitlerfans, Brandstiftern und Terroristen, handelte es sich bei Ihnen, mit einem Wort, vor allem um gewaltbereite Neonazis, dann hätten wir kein Problem mit ihnen. Wir hätten einen Job zu erledigen. Die Umtriebe einer staatsfeindlichen und latent kriminellen Subkultur könnten wir getrost den Wächtern überlassen: der Polizei, der Bundeszentrale für politische Bildung, Ursula von der Leyen und der Antifa. Unsere Perspektive schließt Rechtsterroristen und Neonazis nicht aus, aber wir halten es mit einer Maxime der angelsächsischen Rechtspraxis: Hard cases make bad law. Wir werden, heißt das, die Extremfälle der Rechten von ihren moderaten Varianten her verstehen, nicht umgekehrt.“

Das Böse wird nur siegen, wenn die Guten es zulassen. Das Böse triumphiert allein dadurch, dass gute Menschen nichts unternehmen. Für den Triumph des Bösen reicht es, wenn die Guten nichts tun.

Jeder hat sicherlich schon einmal eine Abwandlung des Zitats “The only thing necessary for the triumph of evil is for good men to do nothing” von Edmund Burke gehört. Damit lässt sich das Herz kampfeslustig und gleichsam rührig anheizen und man kann es allen entgegenhalten, die noch unschlüssig am Rande des Schlachtfelds stehen und sich fragen, worum hier genau gekämpft wird und was passiert wenn die eine oder die andere Seite gewinnt.

Ich mag diesen Spruch, nicht ob seines Pathos, aber wegen dem Wunsch, der Hoffnung, die darin enthalten sind. Die Hoffnung, dass die Entwicklung des Menschen doch einen guten Weg einschlagen kann, der wegführt von den vielen zersetzenden Elementen in unserer Natur, und es uns ermöglichen wird, die bestmöglichen Gesellschaften einzurichten, auf diesem einzigen Planeten, auf dem wir derzeit leben können.

Natürlich ist dieser Spruch auch problematisch und das nicht nur, weil er das biblisch-abstrakte Schema von Gut und Böse mit sich führt. Er kann nämlich auch als eine Anstiftung zum unveräußerlichen Konflikt verstanden werden, der nur dadurch enden kann, dass eine der beiden Seiten endgültig obsiegt. Dass das nicht nur global, sondern auch zwischenmenschlich ein Holzweg ist, hat die Historie gezeigt, die persönliche wie auch die globale. Wenn das Gute triumphiert, ist es längst nicht mehr das Gute. Dialektik steckt überall drin – wenn man eine Hälfte wegschneidet, spaltet sich die übriggebliebene.

Auch bei den Kategorien Links und Rechts hat sich das gezeigt: den Triumph linker Politik und linker Gesellschaftsmodelle schien in der Zeit zwischen 2. Weltkrieg und Jahrtausendwende nicht aufzuhalten. Freie Liebe, freie Gesellschaften, freie Meinung, freies Denken, Selbstbestimmung Sozialpolitik, etc. Die Linke, so schien es, hatte „gesiegt“. Und ignorierte in Folge alles, was nicht in ihr Weltbild passte. Leider gab es aber viele Leute, die diese Dinge weiterhin glaubten, welche die Linke ausführlichst ignorierte. Zu viele. Und dass die Linke mit ihren Meinungen ein Problem hatte, hörte mit der Zeit auf, ihr Problem zu sein.

„Wenn ich jemandem nicht helfen will, kann ich sagen: das ist dein Problem. Und genau das könnte mir auch derjenige antworten, dem ich mitteile, ich hätte ein Problem mit ihm. Er könnte nämlich zurecht feststellen, dass dieser Satz mehr über mich sagt als über ihn. Wenn du ein Problem mit mir hast, könnte er entgegnen, dann ist das dein Problem. Ich bin, wie ich bin. […] Dies ist nämlich kein Buch über Rechte und auch kein Buch gegen Rechte. Zumindest nicht nur. Was immer wir an ihnen kritisieren mögen, allein dadurch, dass wir die Rechten als Teil eines gemeinsamen Problems auffassen, nehmen wir eine andere Perspektive ein als all jene, die meinen, es sei damit getan, sie identifizieren, zu beobachten, zu beschreiben und dann Maßnahmen zu ihrer Unterdrückung zu ergreifen.“

Womit wir endlich in diesem Buch angekommen sind, das sich ein sehr ehrgeiziges Ziel gesetzt hat: Rechte und Linke an einen Tisch zu bringen. Nicht mit Gewalt, sondern mit Argumenten – und mit dem Verweis darauf, dass sie ohne einander nicht auskommen. Denn ob sie wollen oder nicht: sie leben in einer Gesellschaft, die nicht einer allein bestimmen wird; auch eine links ausgerichtete autoritäre Regierung wäre immer noch autoritär. Solange beide den anderen besiegen/zerstörten oder seine Meinungen verbieten/unter Strafe stellen wollen, ist diese Auseinandersetzung kein Gewinn für die Gesellschaft, sondern ein Scheingefecht, in dem nichts entschieden, dafür aber alles aufgefahren wird – was letztendlich den Blick auf die wichtigen Themen, die es anzugehen gilt, eher verstellt und wodurch die Auseinandersetzung zu einem Spiel wird, das nicht nur unproduktiv, sondern auch verdammt lästig ist, weil beide Seiten Regeln aufstellen, die der andere nicht befolgen will, was beide Seiten nur frustriert – oder im Fall der Neuen Rechten: freut.
Denn dann können sie sich als Opfer unfairer Mitspieler präsentieren, die sich nicht mal mit ihnen auf offensichtliche Regeln einigen können und unrealistische Parameter vorschlagen. Und so müssen sie nicht über ihre Inhalte reden, sondern reden über das Wie oder Wann oder Wo oder Warum oder Wer.

„Nein, allein über die Inhalte kriegt man die Rechten nicht. Entweder man verharmlost sie als Sekte schrulliger Modernitätsverweigerer, oder man dämonisiert sie als Untote aus dunkler Vergangenheit. Beides verfehlt den Kern der Rechten. Aber beides gefällt ihnen. Sie spielen nämlich ein Spiel mit uns. […] Nun heißt unser Buch aus guten Gründen nicht: wie man mit Rechten redet. Denn das würde ja voraussetzen, eine »man« und eine »Rechte« genannte Gruppe ließen sich ebenso deutlich voneinander unterscheiden wie Untergebene und Chefs […] Wir begreifen, so viel sei verraten, als »rechts« keine eingrenzbare Menge von Überzeugungen oder Personen, sondern eine bestimmte Art des Redens. […] Wir wollen eingreifen, aber nicht in bestehenden Debatten, sondern in eine Republik, die dabei ist, in den Arenen des Spektakels und den Stuben Verwaltung eines ihrer kostbarsten Güter zu verspielen: die Lust am offenen Streit.“

Gerade dieser letzte Satz ist immanent wichtig. Die Debatten werden geführt und sollen geführt werden. Aber die Art und Weise, wie wir in unserer Gesellschaft mit diesen Debatten umgehen, ist oft, gelinde gesagt, furchtbar. Auf beiden Seiten. Ich selbst erlebe es jeden Tag auf Facebook. Einen Tag Facebook-Kommentare lesen und schon glaubt man nicht mehr, dass die Menschheit wirklich mit der Fähigkeit zur Reflexion, zum wertfreien Denken, zur Dialektik oder mit Vernunft ausgestattet ist. Oder muss feststellen, dass diese Fähigkeiten anscheinend von dem Wunsch, sich zu profilieren, schnell übervorteilt werden können. Das ist zugegebenermaßen eine heftige Wertung, die nicht umhinkommt, so auszusehen, als würde sie von einem hohen Ross gesprochen werden. Mir ist klar, dass sie etwas zu allgemein formuliert ist und stelle hiermit klar, dass diese Polemik auf Probleme hinweist und sie nicht detailiert schildert. Dieser Text soll ein Anstoß sein. Ein Anstoß über einige Punkte nachzudenken – ein Anstoß, das Buch zu lesen.

„Die Frage, wer die Rechten für uns sind, ist nämlich nicht zu beantworten ohne die Frage, was die Rechten aus uns machen.“

Wer sind die Rechten denn für mich? Sind sie die, deren Meinung ich nicht teile? Deren MeinungEN ich nicht teile? Deren Meinungen ich auf einem bestimmten Gebiet nicht teile? Die ihre andersgeartete Meinung sagen (statt sie zu denken und dementsprechend zu wählen, zu handeln, zu glauben)? Die sich asozial verhalten? Die sich inhuman verhalten? Die nicht progressiv sind, sondern konservativ? Die nicht liberal sind, sondern elitär? Die nicht idealistisch sind, sondern materialistisch? Die nicht vegan sind, sondern überzeugte Benzinfahrer und Fleischesser und auch gerne Klamotten einkaufen?

Ich weiß, wer die Rechten in jedem Fall nicht sind: der Feind. Es sind Menschen wie ich einer bin. Ich bin dafür, dass ihnen geholfen wird, wenn sie Not leiden und dass sie verhaftet werden, wenn sie ein Verbrechen begangen haben. Ich bin dafür, dass sie ihre Steuern zahlen und dass sie das Recht auf freie Meinungsäußerung ausüben (ganz abgesehen davon, dass Konzepte wie Straffvollzug, Steuern, Not und freie Meinungsäußerung natürlich individuell diskutiert werden können und ich an dieser Stelle auch nicht mit einer abschließenden Definition dieser Konzepte dienen kann).

Worum es mir und auch den Autoren des Buches geht, wenn ich/sie dermaßen polemisieren: Um ein Auflösen des ewigen: gegen-gegen-gegen! Zugunsten eines: wie können wir denn wirklich an einer besseren Welt arbeiten? Ist es dazu hilfreich, einfach nur die Rechte zu bekämpfen? Tritt das Gute allein dadurch ein, dass man das Böse bezwingt, verbietet, brandmarkt? Offensichtlich nicht, ganz im Gegenteil.

„Wer die Moral im Schilde führt, so die Rechten mit Nietzsche, will herrschen. Und wer die Menschheit sagt, so die Rechte mit Carl Schmitt, will betrügen.“

Wer davon spricht, dass das Rechte wieder „salonfähig“ geworden ist, der sollte sich das nächste Mal, wenn er andere Leute ob ihrer Sprachwahl kritisiert, auf die Zunge beißen. Salons sind nicht gerade gesellschafsnahe Orte – sondern bestimmten Gesellschaften vorbehaltene Orte. Es sind genau die Orte, in denen sich große Teile der intellektuellen Linken in den letzten Jahrzehnten eingerichtet haben. Nun sind sie fassungslos, dass die Rechten eintreten: was machen die denn in unserem schönen Salon. Das ist unser Salon, unserer! Hier können wir uns in Ruhe dort kratzen, wo es andere juckt!

„Als ob die Demokratie ein Salon wäre! Als ob Sätze allein dadurch gälten, dass irgendjemand sie äußert! Als ob da Sagbare eine Erlaubnis bräuchte. […] Wenn die Rechten und die Moralisten nur diese wenigen Unterschiede kapieren würden, den Unterschied zwischen Faktizität und Geltung, den Unterschied zwischen dem Stoff und dem Werk und den Unterschied zwischen dem Hass und dem Schönheit, dann hätten wir kein Problem mehr. Dann könnten wir streiten, in dem die einen die Existenz der Ungleichheit gegen die nivellierende Tendenz der Moral verteidigen, und die anderen das Recht auf Gleichheit gegen die Anmaßung der Stärke. Denn Menschen sind einander ja nie nur gleich oder ungleich. Sie sind immer beides.“

Seien wir ehrlich: Es gibt Unterschiede. Zwischen allen Menschen. Nur sollten diese Unterschiede, die ja alles in allem etwas Wunderbares sind (es wäre ja schlimm, würden alle dieselben Texte schreiben, dieselben Kaffeetassen designen, sich dieselben Witze ausdenken, etc.), eben keine Rolle spielen, wenn es um die Eignung und die Privilegien von Menschen geht, in jeder Hinsicht.

Es ist diese Form der Einteilung, die die Unterschiede erst problematisch macht – sie sind es nicht aus sich heraus. Sie zu leugnen ist daher problematisch; die Einteilung muss geleugnet werden, die Unterschiede zu leugnen kann schwer nach hinten losgehen. Die Grenzen verschwimmen, die Dinge werden hohl. Identität, diese komplexe Idee, wird von den Rechten stark vereinfacht. Sie wird aber auch von den Linken vereinfacht, wenn die behaupten, dass sie völlig willkürlich ist. Sie ist sehr ambivalent, vielschichtig und sollte letztlich abseits des Persönlichen auch keine Rolle spielen. Aber sie ist nicht willkürlich und gegenstandslos (was auch nicht alle Linken behaupten, aber ich habe es schon linkausgerichtete Person behaupten hören).

Die Linke. Leo, Steinbeis und Zorn richten einen deutlichen Appell an sie:

„Aus einer Bewegung zur Emanzipation der Arbeiterklasse war eine Partei von Anti-Faschisten, Anti-Imperialisten und Anti-Kapitalisten geworden. Und genau das machte sie ideologisch verwundbar. Denn der geistige Preis für den Sieg war hoch. Um sich in der Welt zu behaupten, hatte die Linke ihre beiden größten Schätze, die Dialektik und den Humanismus, geopfert. […] Die Linke dachte im Freund-Feind-Schema. Wie die Rechte. […] Ein kaum erträglicher Zustand, aus dem nur Selbsterkenntnis, eine Rückkehr zu Marx, und Erneuerung, herausgeführt hätte. Aber die Linke entschied sich für den Selbstbetrug. Statt das Denkschema eines nicht besonders denkstarken Feindes zu kritisieren, fügte sie sich ihm. Und schminkte es mit Moral. Freunde und Feinde verwischte sie zu Opfern und Tätern, die Vielfalt der Kulturen, Religionen und Geschlechter unterschied sie nach unterdrückten Schwachen und abzuwehrenden Starken.“

Natürlich blieb die Linke eine Bewegung der Emanzipation. Und diese Emanzipation ist eine mehr als großartige Errungenschaft, sie weist Wege zu einem Miteinander, das dem menschlichen Bedürfnis nach Entfaltung und nach Harmonie gleichermaßen entspricht. Und viele „Rechte“ verstehen seltsamerweise nicht, dass „Sicherheit“ eben gerade aus der Selbstbestimmung abseits der Norm entstehen kann und nicht an Traditionen oder etwas Übergreifendes geknüpft sein muss.

Dennoch: die Linke ist mit ihrer moralisierenden (nicht moralistischen) Tendenz teilweise ins Abseits geraten, in die eigenen Echoräume. Dort werden Debatten geführt, die auf den ersten Blick entscheidend, auf den zweiten Blick künstlich wirken; wie ein Meinungsboard, an dem sich alle einmal austoben und Ferien vom Über-Ich nehmen können. Nicht immer, nicht zwangsläufig. Aber stetig. Manchmal werden dabei die menschlichen Faktoren gut in den Mittelpunkt gerückt – und manchmal im theoretischen Höhenflug außer Acht gelassen, über Bord geworfen. Was bedauerlich ist, denn das kreative, intellektuelle und dialektische Potential, das sich dabei zeigt, ist eigentlich grandios. Nur bewegt es sich oft im Kreis. Oder wird einfach per Katapult zu den Rechten rübergeschossen.

„Die Rechte ist Wille zur Macht ohne Kraft zur Gestalt. […] Die Ziele der Linken waren immer schon richtig, so wie ihr Hang zur Selbstgerechtigkeit schon immer fatal war. […] Und darum macht es uns fassungslos, dass sie ihr einst so überlegendes Denken durch moralischen Eifer ersetzt hat – von dem wir uns haben einlullen lassen. Wir haben eine rote Schleife um das Weiße Haus gebunden und es Donald Trump geschenkt.“

Wir müssen wieder ins Gespräch, wir Menschen von rechts und links und dazwischen. Denn nur am Tisch, im Gespräch, sind die Argumente der linken Seite besser, stärker – im Kampf auf offener Straße, emotionsgeladen, schmierig, in den Medien, mit Gewalt und Fake, können die Linken keinen Blumentopf gewinnen. Gott sei Dank! Es wäre bedenklich, wenn es nicht so wäre. Vor allem zeigen sich die Rechten am Tisch, im Gespräch, dann oft als das, was sie wirklich sind: quängelnde Phrasendrescher, kleine Kinder, die zürnen und heulen, die prahlen und Luftschlösser bauen, die Fakten verdrehen. Die nicht mehr der Erfahrung klarkommen, in einer Welt zu leben, in der nicht alles nach ihren Vorstellungen eingerichtet ist (im Gegensatz zu den Linken, die das fast schon überproportional verinnerlicht haben).

„Die Erfahrung, dass man selbst, so wie man ist, und die Welt, so wie sie ist, nicht zusammenpassen wie Mutter und Schraube, kennt auf die eine oder andere Weise doch jeder.“

Ich weiß nicht wie und ob es möglich ist. Aber es wäre wichtig, wieder Kommunikationskanäle einzurichten und die Politik, die Gesellschaft wieder daran zu orientieren, was sich in klaren Debatten als die bessere Lösung erweist. Es wird oft die linke Lösung sein. Aber solange man den Dialog mit Rechten meidet, wird die rechte Lösung öfter gewählt, weil sie lauter und (in Ermangelung der Reflexion) selbstbewusster schreit und zu den komplexesten Problemen die einfachsten Lösungen präsentiert und sich auch als exquisite Alternative verkaufen kann.

Also, im Sinne dieses Buch, das eine kritische Lektüre lohnt und viel Stoff zum Nachdenken gibt (noch mehr als ich hier auffächern, ansprechen kann): mit Rechten reden. Nicht ihnen eine Bühne bieten, nicht ihnen auf den Leim gehen – das würde voraussetzen, dass man die Diskussionen verliert oder zu schnell zu einem Ende führen will, weil man eh glaubt, die Wahrheit gepachtet zu haben. Wie die Geschichte gezeigt hat, kann sich der Mensch längerfristig vernünftigen und logischen Argumenten nicht widersetzen. Darauf ist wieder zu bauen, zu hoffen.

„Wir machen euch ein Angebot: Wir hören auf euch mit Moral zu traktieren. Ihr wollt die Syrer hier nicht haben? Gut, das können wir euch nicht verbieten. Ihr habt das Recht, diese Position einzunehmen. Aber lasst uns eure Argumente hören, eure Wertungen, eure Kosten-Nutzen-Rechnungen, eure Gefahrenprognosen, eure Lesart des Rechts. Versucht uns zu überzeugen, dass die Bundesregierung das Recht eklatant gebrochen hat. Wir sehen das nämlich anders.“

Zu Michael Maars Reden und Rezensionen in “Tamburinis Buckel”


Viel zu selten findet man hinreißende, inspirierende Lobreden. Es ist oft mehr ein Akt als eine Aktion, jemanden zu loben und dieser Akt wird dann schlicht über die Bühne gebracht; die Faszination des gelobten Werkes oder der gelobten Person wird durch die Worte nicht verkörpert, es tritt nicht das hervor, was innewohnt.

Die Reden und Essays von Michael Maar gelingt diese Verkörperung mit einer bewundernswerten Leichtigkeit. Schon sein Buch über Tagebücher (Heute bedeckt und kühl: Große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf) und seine Essaysammlung Leoparden im Tempel: Nachrichten aus der Weltliteratur, in der ein wunderbarer Text über Borges enthalten ist, haben mich begeistert; aber ich zögerte, Rezensionen zu diesen Büchern zu verfassen, denn wie sollte es möglich sein zu beschreiben, was diese illuminierenden, literarischen Exkursionen mit einem machen?

Vielleicht muss es kitschig und einfach formuliert werden: sie bringen einen dazu, sich – wiederum oder noch stärker – in die Literatur zu vernarren, in ihre Beschaffenheit, ihren Glanz, ihre Geheimnisse und allem was darin und dahinter liegt. Ich halte Julian Barnes für einen der fähigsten (und nebenbei unterschätztesten) Schriftsteller unserer Zeit, aber nie hätte ich so elegant und gleichsam elaboriert über seine Werke sprechen können wie Maar es tut. Und doch liegen Teile der Essenz von Barnes Meisterschaft in diesen Essays, offengelegt, ins Auge stechend. Ich könnte mir diese Teile nicht so zurechtlegen, aber sie machen das aus, was ich an diesem Autor so schätze.

Was mich letztlich wohl dazu brachte, zu diesem Buch eine Rezension zu schreiben, ist der Umstand, dass in dieser Essaysammlung vielen Werken und Autor*innen Raum gegeben wird, die ich selber schätze und die ich oft unterrepräsentiert und missverstanden sehe. Daniel Kehlmanns Rezensionen und Reden und Brigitte Kronauers Essays zum Beispiel. Ich habe aber auch ein-zwei wunderbare Neuentdeckungen gemacht.

Wer Literatur als Kosmos, als eine eigene Form von Wirklichkeit, schätzt oder sogar liebt, in dessen Bücherschrank sollte, ja, darf Michael Maar nicht fehlen – vor allem nicht dieses Buch.