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Eine Bestandsaufnahme der serbischen Seele – zu Marko Dinićs “Die guten Tage”


Die guten Tage „Ich wurde bis zu meinem achtzehnten Lebensjahr dazu erzogen, Muslime, Albaner, Kroaten und Gott weiß wen noch zu hassen – das ist ein Verbrechen, für das niemand eine Entschädigung zahlen wird! Wir können uns schließlich nicht wehren, wir halten die Klappe und fressen die ganze Scheiße, schwenken die Fähnchen und schwören irgendeinem Deppen, dessen Namen wir als Kinder nicht einmal richtig aussprechen konnten, die Treue. Mein Lieber, im Grunde wurden wir für die Ohnmacht gezüchtet!“

Wie schafft man es, aus einer Tirade einen Roman zu machen? Vor diesem Problem steht nicht etwa Marko Dinić – wobei auch sein Debütroman „Die guten Tage“ sich in Teilen wie eine Tirade liest, gegossen in eine Narrativ –, sondern der Sitznachbar seines Protagonisten, mit dem dieser im ersten Teil gemeinsam im „Gastarbeiterbus“ von Wien nach Belgrad sitzt und der ihm unentwegt von seinem Buchprojekt erzählt (wobei unklar ist, ob es dieses Projekt wirklich gibt).

Grund für die Reise ist der Tod der Großmutter (des Protagonisten). Es ist eine Rückkehr nach 10 Jahren in der Diaspora – damals hat der Protagonist Belgrad gerade zu fluchtartig verlassen, ist abgehauen, mit Geld von eben jener nun verstorbenen Großmutter und mit ihrem Ehering, beides gab sie ihm, den Ring bringt er nun auf Anweisung seines Vaters zur Beerdigung zurück.

Im ersten Teil changiert das Buch zwischen aufkommenden und/oder geträumten Erinnerungen an die Kindheit und Jugend in Belgrad – auch u.a. während der Zeit des Bombardements von 1999 – und den Episoden im Bus, die zu großen Teilen aus den Monologen des Sitznachbarn bestehen. Letzterer ist eine markante und doch absonderliche Gestalt und man fragt sich mit der Zeit, ob er überhaupt existiert oder nicht doch eine Art Wahnvorstellung ist, in der der Protagonist seine eigenen Ansichten bündelt und ihnen so mal ab- und mal zugeneigt sein kann, weil er sie selbst nicht verkörpern muss, während er sich im permanenten Selbstgespräch befindet.

In Summa ist das Buch ein Ringen mit der Frage nach der Bedeutung der serbischen Herkunft und aller damit einhergehenden Merkmale – eine Bestandsaufnahme der serbischen Seele, so könnte man sagen. Der verhasste und doch auch bemitleidete Vater ist dabei das Sinnbild für den serbischen Nationalismus, den Kadavergehorsam und die Staats- und Volksverherrlichung, die umso verwerflicher sind, je mehr die realen Verhältnisse im Land den Bach runtergehen und das Auseinanderklaffen von Mythos und Wirklichkeit kaum mehr zu leugnen ist. Kurzum: er steht für alles, gegen das sich ein Mensch, der noch ein Leben haben will, noch andere Hoffnungen und Träume hat, auflehnen muss.

Aber auch der Protagonist, der das Land bereits vor 10 Jahren verlassen hat, kann sich nicht lösen von seiner Obsession mit Serbien und all seine Ausfälle und Überlegungen zur Verkommenheit seiner Familie und den gesellschaftlichen Verhältnissen, der Indoktrination und der Perspektivenlosigkeit sind zwar einerseits eine Art Weckruf, eine Kampfansage, aber auch eine Rechtfertigung, eine Verzweiflung, ja vielleicht sogar eine Furcht vor dem Anteil, der von dieser Abscheulichkeit in seinem eigenen Selbst vorhanden ist. Ich habe mich an ein Gedicht des tschechischen Dichters Jan Skácel erinnert gefühlt (übersetzt von Reiner Kunze):

“kindheit ist das was irgendwann
gewesen ist und aus dem Traum nun hängt
ein faden fesselrest den man
zersprengen kann und nie zersprengt”

Dinićs Erstling weißt eine beachtliche Sprachgewalt auf, die wohl nicht umsonst entfernt an Louis-Ferdinand Céline erinnert (und irgendwo auch, in ihrer Eklatanz und gleichzeitigen Ambivalenz, an Curzio Malaparte). In seinen eigenen Gedanken-Schleifen aus Abscheu und Indifferenz gefangen, bleibt der Protagonist, bei aller Offenheit, eine fast schon undurchsichtige Figur, in der sich verschiedene Dilemmata und Klarheiten mit gleicher Intensität spiegeln. Die Verkommenheit, die er anprangert, ist geschminkt mit Trauer, die Wut, die er loslässt, schlägt auch ein bisschen über ihm selbst zusammen.

Man könnte dem Roman vorwerfen, dass er nirgendwo hinkommt, sich um sich selbst dreht. Aber genau das ist wohl auch der Punkt. Es gibt keinen Ausweg, denn der Protagonist ist nicht gedacht als touristisches Ausflugsziel für Leser*innen, die mal in Serbien einen Entwicklungsroman durchleben wollen. Vielmehr leidet er unter genau jener Ohnmacht, die im ersten Zitat beschrieben wird. Er ringt mit dieser Ohnmacht und findet doch außerhalb von ihr und seinem Ringen wenig vor, das ihm Halt gibt. So gelingt Dinić das außergewöhnliche Portrait einer geschädigten Seele, einer von vielen.

Rezension zu “Ab hier nur Schriften” auf dasgedichtblog.de (von Hellmuth Opitz)


ab hier nur schriften

Link zur Besprechung

Mit bestem Dank an Hellmuth Opitz!

Besprechung von “Ab hier nur Schriften” in der Zeitschrift “Zwischenwelt”


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Vielen Dank an Monika Vasik!

(aus “Zwischenwelt”, 36. Jg., Nr. 1-2, Juli 2019)

Alben, die ich sehr schätze – Zweiter Eintrag: Greatest Hits von Joan Jett & the Blackhearts


Greatest Hits Joan Jett war die Heldin meiner frühen Jugend. Und ist es bis heute geblieben. Ich trete ihr mit derselben naiven Bewunderung gegenüber wie damals, als ich 13 Jahre alt war.
In einer Buchhandlung stieß ich vor kurzem auf das Buch „Good Night Stories for Rebel Girls: 100 außergewöhnliche Frauen“. Ich öffnete es – genau auf der Seite mit Joan Jett. Und hätte es beinah sofort gekauft. (Es steht jetzt auf meinem Weihnachtswunschzettel)

Albern ist es, sagen manche, sich mit Menschen verbunden zu fühlen, die man überhaupt nicht kennt. Von denen man nur Aussagen oder Werke kennt. Aber irgendwie glaube ich daran, dass es nicht nur Schwärmerei und Idealisierung sind, die mich zu Joan Jetts Musik hinziehen, sondern dass darin etwas Echtes, durch und durch Aufrichtiges liegt, das Jett in ihre Songs gelegt hat und auf das ich zugreifen kann, wenn ich sie höre.

In der Wahrnehmung der meisten (behaupte ich) wird Joan Jett hauptsächlich mit Bombast-Rock und dem Song „I love Rock’n’Roll“ in Verbindung gebracht; einige werden noch wissen, dass sie vor ihrer Solokarriere Gründungsmitglied der Band „The Runaways“ war (da war sie siebzehn Jahre alt. Als sie 1982 zu einem Weltstar wurde, war sie erst 24.)

Was den Menschen Joan Jett betrifft, kann ich nur empfehlen, sich für den Anfang das Video von der Aufnahme in die Rock’n’Roll Hall of Fame anzuschauen (Laudatio: Miley Cyrus), in dem auch auf viele ihrer caritativen Projekte und ihre besondere Rolle in der weiblichen Emanzipationsgeschichte innerhalb des Rock’n’Roll und des Musikbusiness eingegangen wird.

“You’re on my mind always my one desire
And let’s get together and build us a fire
Make me tremble and make me shake
Pleasin’ each other rockin’ till daybreak”

Die ersten drei Lieder auf der (wie ich finde besten) Greatest Hits Zusammenstellung (2010 erschienen) sind Neuauflagen von Songs, die Jett noch für die Runaways schrieb. Gerade die ersten beiden – das Kult-Lied „Cherry Bomb“ und „You drive me wild“ (der erste Song, den Joan Jett je schrieb) – sind scharfkantige, sexuelle Emanzipationsexplosionen, mit viel Freude an der Provokation. Diese Lust an der Provokation ist für Joan Jetts Werk essentiell und nach eigener Aussage war sie zeitlebens ein wichtiger Antrieb für das Schreiben neuer Songs. Ein wichtiger Aspekt ist dabei die sexuelle Selbstbestimmung, ganz gleich, ob sie als Freude an der Dominanz oder als Genuss durch Unterwerfung auftritt (oder als ein Mix aus beidem).

Diese ersten drei Songs sind der Tritt auf das Gaspedal, die jubelnde Beschleunigung, mit der der Rest des Albums durch die Gegend cruised. Die Runaways waren eine Anarchogruppe, fast schon eine Punkband, Jett zog es jedoch (wie ihre Bandkollegin Lita Ford, ebenfalls eine empfehlenswerte Musikern – wenn man kein Problem mit ein bisschen Glam- vor dem Rock hat) mehr zum Hardrock; zu langsameren, volldröhnenden Gitarrenriffs, nicht zu den schnellen, vorantreibenden Akkorden, die in den meisten Songs der Runaways dominieren.

Doch sie strich den Punk nie ganz, er taucht immer wieder auf, witziger Weise in den meisten ihrer größeren Hits (folgerichtig wurde sie bereits als „Godmother of punk“ UND „Queen of Rock’n’Roll“ bezeichnet)

“I don’t give a damn
‘Bout my reputation
I’ve never been afraid of any deviation
An’ I don’t really care
If ya think I’m strange
I ain’t gonna change
An’ I’m never gonna care
‘Bout my bad reputation
Oh no, not me
Oh no, not me”

Ein Beispiel für die Verbindung zwischen Hardrock und Punk stellt auf jeden Fall „Bad Reputation“ da, ein Song mit kurzen, rotzigen Punkversen, in dem die Gitarre sowohl schnell als auch hart klingt. Ein Song, zu dem man auf Tischen tanzen kann, den man mit 14 Jahren laut aufdreht, um gegen jeder Form von Autorität zu pöbeln, dessen Revolutionsenergie aber auch darüber hinaus greifbar und hörbar bleibt. Eine Hymne des Individuums, das sich zu seinen Mitmenschen nicht mehr als nötig positionieren will (und doch oft muss). „I am my space not everyone else’s“, so hat Jett es einmal treffend formuliert, und diese Aussage fast das Lied ganz gut zusammen.

Der vierte Track, den ich aus Anknüpfungsgründen zunächst unterschlagen habe, ist „Love ist pain“. Er ist, trotz des Titels, nicht ganz so saturnalisch wie Jetts andere Mitsinglieder, aber ein schönes Bekenntnis: Ja, Liebe tut weh, aber davor haben wir keine Angst und wir werden es wieder tun. Und wieder. Denn die Angst vor dem Schmerz und der Ungewissheit sollte uns nicht daran hindern, das Verbindende zu wagen.

Manchen mag das wie eine ziemlich beliebige Botschaft erscheinen oder zumindest keine besonders innovative. Aber ich bin froh, dass es solche Lieder gibt und nicht nur die „es schmerzt so sehr“ und „vermiss dich“ und „komm zurück“-Songs oder die „ich hasse dich“, „du wirst schon noch sehen“-Songs. „I love pain“ konzentriert sich auf das Eigene, nicht auf die Gefühlsbestätigung durch andere. Hier zeigt sich, was Jetts Musik IMMER ist: widerständig, Widerstand. Daraus bezieht sie ihre lebendige, unverwüstliche Art.

“He smiled so I got up and’ asked for his name
That don’t matter, he said
‘Cause it’s all the same
Said can I take you home where we can be alone
An’ next we were movin’ on
He was with me, yeah me
Next we were movin’ on
He was with me, yeah me singin’
I love rock n’ roll
So put another dime in the jukebox, baby
I love rock n’ roll
So come an’ take your time an’ dance with me”

Die nächsten beiden Tracks sind „You don’t know that you’ve got“ und „I want you“. Ersterer stammt noch von Jetts Debutalbum und ist etwas glattgebügelt, hat eigentlich zu wenige Kanten, geht aber dadurch schnell ins Ohr; „I want you“ gehört dagegen zu jenen kleinen-feinen, kopflos erscheinenden Exzessen (wie bspw. „I want to be your dog“ oder „Just Lust“), die eine Spezialität von Jett sind und die ich persönlich sehr cool finde, bei denen ich aber verstehen kann, wenn sie nicht jedermanns Sache sind.

Joan Jetts Hits sind häufig Covers und auch ihr größter ist eine solche Neuinterpretation; sie hat ein Händchen fürs Neuinterpretieren und mein liebstes Standalone-Album von ihr (über das ich vielleicht auch noch schreiben werde) heißt „Hitlist“ und besteht nur aus Cover-Songs; allesamt Würdigungen ihrer Vorbilder und Inspirationsquellen.

„I love Rock’n’Roll“ überflügelte als Cover die ursprüngliche Version von den Arrows und war ein Welthit. Joan Jett ist nicht wegen dieses Songs eine Ikone geworden, aber wer nur flüchtig hinguckt, für den wird es so aussehen. Dabei ist diese Hymne, bei aller Coolness und Eingängigkeit, nicht unbedingt einer ihrer besten Songs. Gutes Live- oder Partymaterial – in diesem Sinne vergleichbar mit den Stadionhymnen von Queen – aber für sonstigen Genuss etwas zu einförmig.

“I can’t take it
This is gettin’ silly
Can’t find me no tranquility
Anymore, I just can’t get through to you

We’re fakin’ it, it’s time to admit it
You make me feel like an idiot
All the time, there’s nothin’ left for me to do
No, so

I’m gonna run away
I’m never comin’ back to you
Yeah yeah, I’m gonna run away
I’m never comin’ back to you”

Zwei entschieden bessere Songs von dem zweiten Album „I love Rock’n’Roll“ sind mit „I’m gonna runaway“ und „Crimson and Clover“ vertreten. Ersteres ein wunderbares Schlussmachlied und ein Musterbeispiel für schnörkellosen Rock’n’Roll, ohne viel Pomp, ohne Schnickschnack. Die Gitarren umzüngeln die Stimme wie ein gutgehendes, funkensprühendes Lagerfeuer, verschlingen sie aber nicht. Und am Ende bricht der Song noch mal aus, fällt schwungvoll in sich zusammen.

„Cimson and Clover“ ist dagegen ein Lied, das eine ganz eigene Stimmung hat, eine eigenwillige Präsenz – chorisch ist, dann wieder dynamisch –, mit einem banalen Text, der aber großartig inszeniert wird. Es ist ein Cover, mal wieder, von einer Band aus den 60ern (denen Jett immer wieder ihren Respekt und ihre Reverenz zollte) namens Tommy James & The Shondells. Etwas eigentümlich Schönes liegt in seinem Wechselspiel von Behutsamkeit und Chaos, etwas Einnehmendes, als würde das Lied seine Quelle aus einer unbekannten Faszination, einem unbekannten Widerspruch beziehen; es gehört zu meinen absoluten Jett-Favoriten.

“We’ve been here too long tryin’ to get along
Pretending that you’re oh so shy
I’m a natural man doin’ all I can
My temp’rature is runnin’ high
Friday night no one in sight and we got so much to share
Talkin’s fine if you got the time, I ain’t got the time to spare

Do you wanna touch? Yeah! Do you wanna touch? Yeah!
Do you wanna touch me there? Yeah!“

Die zweite CD der Greatest Hits startet mit dem Gary Glitter-Cover „Do you wanna touch me“, wiederum ein Mitsing- und Mitklatschlied, das wie „I love Rock’n’Roll“ etwas einförmig erscheint und vor allem als Live- oder Partymaterial taugt. Oder als Dröhnung, die auch noch einen sexy Touch hat. Man kann das Lied als subtilen Soundtrack einsetzen: Wenn man mit jemandem auf der Couch zuhause sitzt und er oder sie kommt nicht richtig in die Gänge, dann kann man auch einfach diesen Song anmachen – besser und weniger übergriffig als das gähnende Arm um die Schulter-Legen.

“Don’t you be nervous baby
I didn’t come to bring you down
This is so natural baby
Just let my love turn you around

This twisted love affair
Could really take us somewhere

J’aime faire I’amour sur tout a trois
J’aime faire I’amour sur tout a trois

Don’t you feel guilty baby
I won’t take long to understand
Don’t waste time arguing
We’ll make the most with what’s at hand
I have to laugh out loud
When you say three’s a crowd

I know what I am, I am what I am
I know what I am
I know…”

Es folgt “The French Song”, einer meiner Favoriten, mit dem wir uns zum ersten Mal aus Jetts erfolgreichster Zeit herausbewegen, denn der Track stammt, wie die zwei folgenden, vom „Album“ von 1983.

„The French Song“ zu hören fühlt sich in etwa so an, als hätte man ein Fell und eine Hand würde stark und gleichsam zärtlich hindurchfahren. Ich habe nie ganz verstanden, worum es in dem Text geht. Wohl um eine Nacht zu dritt, die irgendjemanden verunsichert, das lyrische Ich aber eindeutig nicht. Geht es um einen Mann, der plötzlich mit seinem erotischen Interesse für einen anderen Mann konfrontiert wird (wie ich insgeheim hoffe)? Nun, dieses Geheimnis, diese Unklarheit muss ich dem Song wohl lassen – oder ich frage irgendwann mal jemanden, der Französisch kann, was er davon hält …

“Sometimes I’m right and I can be wrong
My own beliefs are in my song
The butcher, the banker, the drummer and then
Makes no difference what group I’m in

I am everyday people, yeah yeah

There is a blue one who can’t accept the green one
For living with a fat one trying to be a skinny one
And different strokes for different folks
And so on and so on and scooby dooby doo”

Nächster Track: “Everyday people”, Jetts smoothstes Cover (das lässige Original stammt von Sly & The Family Stone). Jett machte daraus einen, simple unterlegten, Mitsinghit, mit genau der richtigen Dosis Süffisanz. Ein Song, zu dem man wunderbar beschwingt durch die Stadt schlendern kann. Ein Song, der sagt: man muss nicht Jemand sein, man kann einfach man selbst sein – eine schnörkellose Joan Jett-Weisheit.

“When you were down, they were never there
When you’re all alone, you really get to learn
If you get back up, they gonna come around
All the sycophants, they love to make romance
To the ugly sound of ’em tellin you
What you wanna hear and you pretend

‘Cause they all agree you’re supposed to have a better life
But you’re feelin worse, and they build you up
‘Til you fool yourself that you’re something else
And it’s like a curse
[…]
You got nothin’ to lose
You don’t lose when you lose fake friends”

Ähnlich weise, befreiend und gallig schön ist auch “Fake Friends”, eines dieser Lieder, von denen man wünschte, man hätte sie schon in der Schulzeit gehört und verstanden – und beherzigt. Ein cooles Lied, mit der Power, die es für solche Themen braucht (damit es nicht bloß gefühlsduselig zugeht).

“I hate myself for loving you
Can’t break free from the the things that you do
I want to walk but I run back to you, that’s why
I hate myself for loving you”

“Light of Day”, der nächste Track, wurde von niemand geringerem als Bruce Springsteen geschrieben, für einen Film, in dem Joan Jett an der Seite von Michael J. Fox spielte (der Film hat denselben Titel wie das Lied). Jett performte den Song im Film und er ist dem Soundtrack entnommen. Es ist nicht einer ihrer besten Songs, hat aber Drive und man kann die kleinen Anleihen bei Springsteen durchhören.

„I hate myself for loving you“ war Jetts letzter großer Hit und einer jener Songs, die ihr Kultstatus bescherten. Er stammt von dem Album „Up your alley“, von dem leider keine weiteren Tracks übernommen wurden, obwohl es eines ihrer stärksten ist (mit Liedern wie „You want in, I want out“, „Desire“ und das schon erwähnte Stooges-Cover „I want to be your dog“).

„I hate myself for loving you“ ist ein Song über eine unglückliche Beziehung – ja geradezu den Archetyp der unglücklichen Beziehung, in dem man nicht von jemandem loskommt, der einem nicht guttut, der einen schlecht behandelt und den man doch zu brauchen, zu lieben glaubt. Bei Jett wird aus der Klage darüber, trotz des eindeutigen Textes, ein lustvolles und gleichsam widerständiges Hadern, bei dem nicht klar ist, ob sich da jemand eines Banns entledigt oder ihm noch unterliegt.

“Your time ain’t long you don’t belong
Maybe so but you hope that they’re wrong
Thin skin gets thick it happens quick
Like a baby turn her very first trick
Hold tight (hold tight) hold tight for the ride of your life
And the lovers go by so fast
Here it comes, here it comes feel it comin’
Backlash, backlash, backlash”

Es folgen zwei Songs von den Alben der 90er Jahre “Notorious“ bzw. „Pure and Simple“. Als erstes „Backlash“, wiederum einer meiner persönlichen Favoriten, irgendwo zwischen Siebzigerrock und 80‘s-Sound. Auch der Text ist schön, verhandelt die eigene Ungläubigkeit oder Ignoranz, jenes Nichtsehenwollen, welche sich plötzlich gegen einen kehren können – mit einem Mal ist man allein, ohne jenen Halt, auf den man sich bisher verlassen hat und von dem man nicht glaubte, dass er einen verlassen könnte. Aber man hat ihn nicht genug wertgeschätzt.

Der Song von „Pure und Simple“ heißt „Activity Grrrl“ und setzt genauso ein, wie der Titel sich anhört, mit fast schon unangenehmen Gitarrenkrakeleien und Joan, die schreit: „Yay ah yai“. Es ist ein kraftvoller, kompromisslos wirkender Song – gleichsam ein Selbstporträt und eine feministische Vision. Dem Schnörkellosen, Drängenden dieses Songs kann man sich schwer entziehen.

“Here comes Dick
He’s wearing a skirt
Here comes Jane
You know she’s sporting a chain
Same hair revolution
Same build evolution
Tomorrow who’s going to fuss
And they love each other so
Androgynous
Closer than you know
Love each other so
Androgynous
[…]
Now something meets boy
And something meets girl
They both are the same
They’re overjoyed in this world
Same hair revolution, unisex, evolution
Tomorrow who’s gonna fuss”

“She got girls
Girls all over the world
She got men
Every now and then
But she can’t make up her mind
On just how to fill her time
An’ the only way she can wind

A.C.D.C.
She got some other lover as well as me
A.C.D.C.
She got some other fella as well as me
She got some other lover as well as me “

Wir nähern uns dem Ende – diese Greatest Hits-Disc Nummer Zwei geht, nach meinem Empfinden, immer viel zu schnell vorbei.

„Love is all around“ ist ein Sonny Curtis-Cover, eine ein-minütige, geballte Ladung Rock’n’Roll-Hoffnung, ohne Kitsch, aber doch: Frontalknutschen mit Gitarren.

Das The Replacements-Cover „Androgynous“ liebe ich sehr. Nicht nur wegen des Inhalts, wegen des emanzipatorischen Kontextes, sondern auch wegen der Lässigkeit, leicht liebevoll angehaucht, mit der es von Joan Jett inszeniert wird. Hier beweist sie noch einmal, dass sie nicht einfach die Bombastrocklady ist, die I love Rock’n’Roll geschrieben hat – sie ist eine Künstlerin mit einem guten Gespür. Oft gibt sie der klaren Auseinandersetzung den Vorzug, einer Dosis Dröhnung, aber ihre Musik kann auch auf andere Weise kommunizieren, eindrücklich sein.

Last but not least: „A.C.D.C.“. Nicht etwa eine Anspielung auf die Hardrockband aus Australien, sondern ein Cover der Band Sweet (einige Leute kennen vielleicht ihr „Fox on the run“). Energiegeladen, kritisch, mitreißend, formal auf unprätentiöse Weise ein bisschen verspielt, ist es ein schöner Schlussakkord zu diesem Greatest Hits-Album.

Ein paar Mal scheint es so, als würde das Lied aufhören, fade out, dann geht es doch noch einmal weiter. Ein herausgezögertes Finale, Symbol für den Genuss, Symbol für die Freude. Hört Joan Jett, Leute! Lasst euch mitreißen. Sie liefert nach wie vor einen sauberen, starken, coolen Sound.

Auch live: https://www.youtube.com/watch?v=9kBnRQwVzdM

Zu den Essays von Fritz J. Raddatz in “Schreiben heißt, sein Herz waschen”


Schreiben heißt sein Herz waschen Er schied die Geister und an ihm schieden sie sich. Fritz J. Raddatz war einer der beharrlichsten Kritiker und Rezensenten, Feuilletonisten und Essayisten der Bundesrepublik, ein Lauttöner und Feinsinniger, ein Dauerläufer des Kulturellen & rasanter Stilist – und gleichsam einer, der ehrfürchtig vor den Werken verharrt, in denen eine Authentizität und Wahrhaftigkeit aufleuchtet, die (nach seiner Ansicht) gerade aus dem Grundzwist des künstlerischen Arbeitens – der Differenz zwischen Werk und Leben, Meinung und Ästhetik, Handlung und Darstellung – entsteht und nicht aus irgendeiner Auflösung dieses Zwistes, einem Ausweichen oder Verhüllen des Dilemmas.

In diesem Band wurden (anlässlich von Raddatz 75. Geburtstag) einige seiner besten essayistischen Texte gesammelt. Am Anfang stehen zwei große Panoramen, von denen das erste sich mit der Frage nach der Verbindungen und Verflechtungen zwischen den Ideologien des 20. Jahrhunderts und den Akteur*innen der Literatur dieser Zeiten auseinandersetzt. Es ist keine große Abrechnung, sondern wirklich eine „Schau“, in die zahllose Klarstellungen und Einsprüche, Bloßstellungen und Zweifel eingeflochten sind und die wie eine Havarie von einem Schauplatz zum nächsten rollt, entziffernd, anklagend, aufdröselnd, unterscheidend.

Der zweite Text (der Band erschien 2006) setzt sich mit der Frage auseinander, warum es noch immer die Literat*innen älteren Kalibers sind, die in der Öffentlichkeit den Ton angeben und deren Bücher als stilprägend gelten. Raddatz führt aus (und sein Essay ist beides: eine Geschmacksdarlegung und dennoch in Teilen eine gute Analyse zeitgenössischer Literatur), dass dies mit dem existenziellen Gehalt der Bücher zu tun hat, der bei den älteren Schriftsteller*innen gegeben ist, bei der jüngeren Pop- und Verkaufsschlager- und Ich-Literatur nicht.
Eine steile These, die einige Werke jüngerer Autor*innen sofort widerlegen könnten, allerdings nur im Einzelnen – insgesamt verfehlt Raddatz Kritik die Gegenwart nicht so weit, wie es einem das Augenrollen und die desinteressierten, abschlägigen Handbewegungen vieler Leute glauben machen wollen. Es gibt eine Krise des Existenziellen in der Literatur, wie auch in der Gesellschaft, die sich auf ungute Weise zu entladen beginnt. Auch die Bücher mit den besten Stilen und den schönsten Geschichten sind aufgrund dieser Krise zur Bedeutungslosigkeit verdammt (selbst wenn sie massenhaft gelesen werden).

Dann folgen noch einige, teilweise grandiose, Porträts zu Literat*innen wie Thomas Mann, Christa Wolf, Robert Musil, Walter Kempowski, u.a.
Vor allem die Texte zu Musil und Mann (bei beiden geht es vorrangig um ihre Tagebücher und die daraus destillierte Selbstwahrnehmung und Positionierung gegenüber der Welt) sind sehr empfehlenswert. Der Christa Wolf-Text ist eine Lehrstunde in politsicher Dialektik und die Kempowski-Arbeit eine wunderbare Lobeshymne, die die ganze Kraft und das Darstellungsgenie von Kempowskis Echolot und seinen anderen Werken darlegt.

Die Texte haben schon einige Jahre auf dem Buckel; viele Ausschläge darin sind eher Anekdotenhappen und nicht unbedingt relevant für den literarischen Diskurs. Aber der Kern von Raddatz Kritik, Elan und Verve ist es umso mehr. Denn sein Beharren auf der existenziellen, differenziert zu betrachtenden Komponente der Kunst und ihrer Verschlingung mit dem Leben, der Politik, der Zeit, findet sich heute viel zu selten. In dem Maß, in dem sich die Politik gleichsam radikalisiert und banalisiert, beginnt auch die Kunst sich zu radikalisieren und gleichsam zu banalisieren. Nicht als Ganzes, nicht in jedem einzelnen Werk, das widerständig sein mag – aber doch stetig, fast scheint es: unaufhaltsam.

Raddatz ist nicht das Gegengift zu dieser Entwicklung – die vielleicht produktiver und wichtiger ist oder ausgehen wird, als ich befürchte. Aber seine Ideen und Hinweise reißen klare Wunden dort, wo sonst klammheimlich Entzündungen schwelen oder die Zellen schweigend verfallen würden. Er prescht in manches Thema zu ungestüm hinein, aber er hat immer wieder einen feinen Blick für das Wesentliche – und der ist niemals verkehrt!