Tag Archives: Richard

Zu Richard Brautigans “In Wassermelonen Zucker”


In Wassermelonzen Zucker

Ich glaube, Sie sind neugierig darauf, zu erfahren, wer ich bin, aber ich bin keiner von denen, die einen richtigen Namen haben. Mein Name hängt von Ihnen ab.
Vielleicht war es ein Spiel, das sie als Kind gespielt haben, oder etwas, das ihnen einfach so und ohne jeden Grund eingefallen ist, als Sie alt waren und in einem Sessel am Fenster saßen.
Das ist mein Name.
Vielleicht haben sie lange in einen Fluß geschaut. Neben ihnen war jemand, der Sie liebte. Er wollte Sie berühren. Sie spürten es, bevor es passierte. Dann passierte es.
Das ist mein Name.
Oder sie hörten jemand aus großer Entfernung rufen. Seine Stimme war fast ein Echo.
Das ist mein Name.
Vielleicht war es um Mitternacht, und das Feuer schlug wie eine Glocke im Ofen.
Das ist mein Name.

Richard Brautigans dritter Roman war noch eine Spur phantastischer als seine ersten beiden, leicht hippiesken und anarchischen Werke „Forellenfischen in Amerika“ und „Ein konföderierter General uns Big Sur“. Vor allem allegorischer.

Im Prinzip hat “In Wassermelonen Zucker” etwas Märchenhaftes. Eine sehr einfache, ins Poetische sich verzweigende Sprache, ein ganz schlichter und doch individueller Ton, Brautigans erquicklich-sanfte Poesie, trägt das Buch. Die Handlung ist in sehr kleine Kapitel aufgeteilt, meist nur eine oder zwei Seiten lang.

Passieren tut eigentlich nicht viel. Man begleitet den Hauptcharakter, der keinen Namen hat (siehe Zitat oben) durch die Welt von „iDEATH“ und „Wassermelonen Zucker“, einem scheinbar paradiesischen Ort voller kleiner Flüsschen, in dem eine kleine Gemeinschaft lebt und es ein paar angenehme Beschäftigungen gibt. Eine ganzheitliche Harmonie scheint den Ort auszumachen, zu umgeben und zu durchdringen und doch ist diese Harmonie auch auf das Wesentliche reduziert. Da sin aber auch die vergessenen Dinge, Margaret und die Tiger …

Eigenbrötlerisch, utopisch, zynisch: alles Elemente dieser heiteren Idylle. Nie wieder ist Brautigan ein so leichtes Stück Prosa geglückt, außer vielleicht in manchen Geschichten aus dem „Tokio-Montana-Express“.

Die langen Spaziergänge, die ich nachts mache. Manchmal stehe ich stundenlang an einer Stelle und rühre mich so gut wie gar nicht (ich habe es schon erlebt, dass sich der Wind in meiner Hand niederließ).

Was bleibt ist eine Erzählung mit der Essenz eines tiefschürfenden, aber zarten Gedichts, eine magische Geste ist dieses Buch und doch scheitert jede Beschreibung vor der Eleganz und Unwirklichkeit dieses kleinen Juwels. Da es vor allem durch seine Unwillkürlichkeit funktioniert, ist es sicher nicht für jeden geeignet. Wer eine klare Handlung, ein klares Narrativ braucht, für den ist dieses Buch nicht das richtige (und Brautigan nicht der richtige Autor). Denn es hält sich mit Details und Spielereien, Flüchtigkeiten und Ideen auf und wenn die Handlung dann doch vorangeht, geschieht dies meist ganz unspektakulär.

Wer sich für eine kurze Weile auf einen poetischen Ort zwischen zwei Buchdeckeln einlassen will, der greife ohne Bedenken zu.

Zu Brautigans letztem Roman “Ende einer Kindheit”


Ende einer Kindheit

Ich wusste an diesem Nachmittag noch nicht, dass die Erde darauf wartete, in nur ein paar Tagen wieder zum Grab zu werden. Es ist schlimm, dass ich die Kugel nicht mehr in der Luft packen und sie wieder in den Lauf der 22er Flinte zurückstecken konnte, damit sie sich wieder den ganzen Lauf hinunter bis in die Kammer zurückschraubte und sich von selber wieder an der Hülse befestigte, so als wäre sie nie abgefeuert, noch nicht einmal ins Gewehr geschoben worden.

Mit diesem unheilschwangeren Bekenntnis beginnt der letzte abgeschlossene Roman Richard Brautigans. Im Englischen trägt er den Titel „So the wind won’t blow it all away“, eine Wendung, die immer wieder, am Ende von längeren Abschnitten, gleich einer Phrase, wiederholt wird.

„Ende einer Kindheit“ markiert noch einmal eine leichte Veränderung in Brautigans Romanästhetik und es ist reizvoll sich vorzustellen, welche Richtung sein Schreiben eingeschlagen hätte – doch sein Freitod 1984 beschloss dies Werk, eines der schillerndsten unter den Oeuvres des 20. Jahrhunderts.

Das anarchische Element, das in diesem Werk immer präsent gewesen war und zusammen mit einer unaufhaltsamen Poesie und einer leichten Albernheit ein Pendant zu dem schwermütigen Frohsinn, Brautigans Grundstimmung, geboten hatte, löst sich in diesem letzten Buch fast vollständig auf. Eine Art von Liebe und ein noch so banales Streben nach Glück, das Brautigans Protagonisten zumeist für sich zu beanspruchen versuchen, trotz aller Widrigkeiten, hier schrumpft beides auf ein paar fast schon makabre Kleinigkeiten.

Die Sonne hatte sich verändert, sie war nicht mehr langweilig, sondern war jetzt, während sie tiefer sank, interessant geworden, und sie würde bald im Sinken die ersten Türen des Abends öffnen, und der Wind hatte sich gelegt, so dass der Teich ruhig und still dalag wie schlafendes Glas.

Trotzdem ist „Ende der Kindheit“ kein bitteres Buch. Es ist eine melancholische Suche nach der verlorenen Kindheit und eine unverstellte Auseinandersetzung mit dem Tod. Der Ich-Erzähler hat schon als Fünfjähriger von seinem Kinderzimmer aus auf das Bestattungsinstitut gegenüber geblickt und die vielen Beerdigungskolonnen beobachtet, die Trauergäste und die Särge. Auch ansonsten erzählt er im Rückblick vor allem von den Begegnungen aus seiner Kindheit, die aus unterschiedlichen Gründen mit dem Tod endeten. Bis zu dem Tag im Apfelhain, an dem er den Tod noch unmittelbarer erlebt hat.

„Ende der Kindheit“ ist ein trauriges Buch, keine Frage, und jedes kleine Funkeln Witz und Irritation darin erinnert nur von fern an den ausgelassenen, ideensprühenden Autor von „Ein konföderierter General aus Big Sur“ oder der genialen Erzählsammlung „Der Tokio-Montana-Express“. Nachdem er u.a. den Western, den erotischen Roman und die Gothic-Novel, sowie das Detektivheft durch den Kakao gezogen und gleichsam wunderbar adaptiert hatte, zog sich Brautigan in seinem letzten Buch auf eine sehr einfache, autobiographisch wirkende Ebene zurück und versuchte die verstörende Dichte der Kindheit und die verstörende Dichte des Lebens festzuhalten. Ein Schimmer der alten Genialität blieb und floss in solche Betrachtungen ein:

Der Mann hielt eine Flasche Bier in der Hand, die er ganz sachte in einer klaren Linie zum Mund führte, um einen Schluck zu trinken. Rembrandts Linienführung hätte nicht sparsamer und nicht direkter sein können.

Für solche Bilder lernte ich Brautigan zu lieben. Während der Lektüre seines letzten Buches begriff ich aber auch wieder, was mich zusätzlich zu ihm hinzog: seine hoffnungslose, geradezu närrische, aber auch sehr feinfühlige Suche nach Wundern, nach Harmonie und Erfüllung, in allem, in jeder Kleinigkeit, jedem Ereignis, das uns widerfährt, jedem Moment, der uns betrifft, egal ob banaler oder phantastischer Natur. Brautigan versuchte stets den Dingen Euphorie, Schönheit und Bedeutung beizumessen, einzuimpfen, die oftmals eine solche Behandlung gar nicht verdient zu haben schienen.

Doch dieser Eindruck trog und trügt uns weiterhin. Denn die ganze Wirklichkeit ist ein einziges Wunder, das wir nicht auf uns hinunterplätschern oder in uns hinein- und durch uns hindurchziehen lassen – es muss auf uns einstürzen oder flach und unbewegt vor uns liegen, sonst nehmen wir es nicht wahr.

In den Zwischenräumen und an den Scheitelpunkten all unserer Leben wird uns die Frage begegnen: Was hätten wir anderes machen können, was können wir anders machen? Diese Fage wird uns die Gegenwart dehnen, über die wir sonst so leichtfüßig, auf dem Weg in die Zukunft hinwegsteigen. Für Brautigans Protagonist ist ein Weg in die Zukunft versperrt durch die eine Sekunde im Apfelhain, in der er die Kugel nicht mehr in den Lauf drücken konnte, derweil der Abgrund der Vergangenheit überall liegt. Er hätte damals einen Hamburger kaufen können, aber er tat es nicht.

Stattdessen ging ich über die Straße in das Waffengeschäft und kaufte mir eine Schachtel 22er Munition. Der Hamburger hatte verloren. Das Geräusch, das bei der Produktion von faulem Apfelmus entstand, hatte gewonnen.

 

Zu “Träume von Babylon”, einer Detektiv- und Träumerfarce von Richard Brautigan


Träume von Babylon
Eigentlich läuft alles gut für C. Card – zumindest wenn er in seiner Fantasiewelt abdriftet, nach Babylon, wo er berühmt ist, General oder Bandleader und natürlich stets ein Frauenheld; leider versäumt er dank Babylon oft die richtigen Haltestellen und andere Dinge. Abseits von Babylon läuft eigentlich nichts wirklich gut. Card ist überall verschuldet: bei Geschäften, bei Freunden (sogar bei seiner Mutter hat er horrende Schulden) und ist trotzdem mit seiner Miete im Rückstand. Auch mit Klienten ist seit fast einem Jahr Essig; keine Spesen, keine Sekretärin, kein Büro, selbst Kugeln für die Waffe kann er sich nicht mehr leisten. Gerade jetzt braucht er aber welche, wo es wieder bergauf gehen könnte – ein Klient hat Interesse an seinen Diensten. Und Card, der dank seiner Babylon-Aussetzer eine Polizei- und eine Baseballkarriere in den Sand gesetzt hat, hofft auf einen Zipfel von besseren Zeiten. Doch was soll er überhaupt für den mysteriösen Klienten tun …

Brautigans wie immer nah an der banalen Einlage gebaute und gleichsam mit eigenwilliger Tragik und Komik gewürzte Farce ist mitnichten ein Detektivroman, vielmehr ein gekonntes, mitunter elegant-albernes Spiel mit Gangster-, Detektiv-, Antiheld-, Screwball- und Slapstikelementen, die wie Motive auftreten, sich aber letztlich als Masken entpuppen, als unterhaltsame Auftritte und Tricks. Denn der Roman führt wie vieles, was Brautigam schrieb, nirgendwohin – was die existenziell-krude Misere seiner skurrilen Charaktere nur noch verdeutlicht. Die Absurdität ihres Daseins und ihre eigene Schrulligkeit wirken zunächst wie glatte Comedy, aber letztlich sind es anschauliche Geschichten über die Ratlosigkeit, die Unsicherheit und Fragwürdigkeit des Lebens und Strebens.

Das Leben könnte so einfach sein: was zu essen, was zu reden, jemanden zum vögeln und die ausgebreitete Welt mit all ihren Wundern und Möglichkeiten vor dem Fenster. Aber Beziehungen sind brüchig, Geld regiert die Welt und jeder Mensch spielt sein eigenes Spiel, in dem anderen Regeln gelten.

Träume von Babylon macht Spaß; besonders die Schnoddrigkeit und die Genre-Anspielungen. Brautigans unauffällige, beiläufige Poesie macht Spaß. Aber es bleibt dabei: es ist eine Farce, eine schöne, einzigartige, aber eine Farce, die man wegliest, freudig und frei. Tiefer sinkt nur die verhaltene Tragik, die in dem Protagonisten und seinen Träumereien von Babylon steckt.

Ein Pappmachevogel, Sado-Maso und ein paar Jungs, die für ihre Trophäen morden – Richard Brautigans “Willard und seine Bowlingtrophäen”


Willard und seine Bowlingtrophäen „Sie lagen eng aneinandergeschmiegt im Bett, und sie waren sehr traurig. Sie waren immer traurig, wenn sie miteinander geschlafen hatten, aber sie waren ja jetzt die meiste Zeit traurig, so dass es eigentlich soviel auch wieder nicht ausmachte, außer dass sie jetzt warum und unbekleidet beieinanderlagen und dass die Leidenschaft auf ihre eigentümliche Art ihre Körper gestreift hatte wie ein Schwarm seltsamer Vögel oder wie der Flug eines einzigen dunklen Vogels.“

Während die zwei traurigen Liebenden auf dem Bett liegen (gleich daneben die Green Anthology mit den Fragmenten von zweitausend Jahre alten Gedichten), hockt ein Stockwerk tiefer Willard, der große Pappmachevogel, zusammen mit seinen Bowlingtrophäen, während im Zimmer nebenan seine Besitzer, John und Pat, sich noch die Johnny Carson-Show ansehen und Sandwiches futtern. Das eine Paar hat einen unbefriedigenden Geschlechtsakt hinter sich, mit Sado-Maso, Kondomekel und Entfremdung gespickt, das andere einen befriedigenden, geradezu idyllischen. Eine traurig bis heitere Wohnhaus-Melancholie mit american Flair, mit Feinschliff dargestellt – oder?

Leider gehören Willard die Bowlingtrophäen nicht (auch wenn sie nun zusammengehören, Pokale und Vogel), sie gehören den Logan-Brüdern, die seit mehreren Jahren auf der Suche nach ihnen sind und durch die Staaten touren. Einstmals nette Jungs, deren ganzer Stolz ihre Trophäen waren, drehen sie krumme Dinger und überfallen Tankstellen, immer nur auf der Suche nach den Dieben, die ihnen eines Abends ihre ganzen Trophäen geklaut haben. Gerade warten sie in einem Hotel auf einen mysteriösen Anruf, der ihnen endlich verraten soll, WO IHRE VERDAMMTEN TROPHÄEN SIND.

Schon irritiert? Die Lektüre von „Willard und seine Bowlingtrophäen“ wird diese Irritation nicht auflösen, sondern eher noch sanft-süffisant verstärken. Denn Richard Brautigans 1975 erstmals veröffentlichter „perverser Kriminalroman“ ist kein Krimi und auch kein Roman, sondern ein komisch-krudes Kabinettstück. Während wir einiges über Warzen am Geschlechtsteil hören, erleben wir den traurigen Verlauf, den die Liebe manchmal nimmt und sehen gleichzeitig ein Stockwerk tiefer ein zufriedenes Liebesglück. Und dazwischen braut sich langsam die Geschichte über den schleichenden Wahnsinn, die Gewalt, die aus der Verhinderung der höchsten wie einfachsten Lebenswünsche entspringt zusammen.

Brautigans kurze, aber nicht beiläufige Farce ist skurril, absurd, albern fast. Aber sie hat trotzdem wie immer einen Haufen doppelter Böden, die oft in Nischen und innerhalb der banalsten Momente angebracht sind und sich nur kurz auftun, während die Handlung fast schon behäbig und gleichwohl beschwingt dahinfließt. Seine Bücher kreisen immer wieder um Motive, denen eine absurde, kaum angemessene, aber doch sehr lebensnahe, vertraute Tragik innewohnt – und diese Tragik rettet seine obskure, lang hingezogene Dramatisierung vor dem Abgrund der Mühsamkeit.

Es ist nicht Brautigans bestes Buch, aber es ist eine kurze und lesenswerte Comedy-Melancholie, ohne Gewieftheit, schlicht und mitunter in ihrer Sanftheit und Unausweichlichkeit poetisch.

Zu Richard Brautigans “Die Abtreibung”


Die Abtreibung „Während Foster in die Bibliothek ging, um sein erstes Buch zu empfangen, lagen Vida und ich weiter auf dem Bett und tranken ab und zu ein paar Schlückchen aus der Whiskeyflasche, die er gnädigerweise dagelassen hatte. Nach einer Weile waren wir so entspannt, dass man uns beide als Gänseblümchenwiesen vermieten hätte können.“

Nach Richard Brautigans ersten, nahezu übersprudelnden drei Romanen („Konföderierter Generel aus Big Sur“, „Forellenfischen in Amerika“ und „In Wassermelonen Zucker“), den feinsinnig-aberwitzigen Gedichten in „Die Pille gegen das Minenunglück von Springhill“ und dem Erzählband „Die Rache des Rasens“ hatte er, wie viele meinen, seinen Zenit überschritten. 1971 erschien dann dieser (wie immer schmale) Roman und verkörperte, zum ersten Mal in aller Deutlichkeit, so Brautigans Kritiker, dass er kein wirkliches Thema habe (und nie eins haben würde – abgesehen vielleicht von der Japanbesessenheit am Ende seines Werks).

In der Tat kommt dieser Roman auf so langsamen und teilweise obskuren Sohlen daher, dass man ihn als Luftnummer ansehen könnte, als kleine Phantasie, als zum Roman gestrecktes Material mit wenig Substanz.

Gleich zu Anfang werden die Lesenden „der Bibliothek“ konfrontiert. Sie dient als Anlaufstelle für selbstgeschriebene, egal wie krude, egal wie banale, simple bis sinnlose Bücher jeglicher Machart und jeglichen Inhalts. Die Leute können sie vorbeibringen, sie werden eingetragen und dann auf eines der Regalbretter gestellt.
Geleitet wird diese Einrichtung von einem Bibliothekar, dem Protagonisten, der seit etwa drei Jahren das Gebäude nicht verlassen hat; nicht verlassen darf, denn die Bibliothek, mit ihm als einzigem Mitarbeiter, nimmt rund um die Uhr Bücher entgegen.

Eines Tages kommt Vida mit einem Buch in die Bibliothek. Vida, die einen perfekten, allen Schönheitsidealen entsprechenden Körper hat. Vida, die von allen männlichen Wesen deswegen angestarrt wird. Und die das fertig macht.

„Mein Buch handelt von meinem Körper, davon, wie schrecklich es ist, wenn man den Leuten so ausgesetzt ist: dieses Kriechen und Krabbeln und Saugen an etwas, das nicht ich bin. Meine ältere Schwester sieht so aus, wie ich wirklich bin.
Es ist schrecklich.“

Vida und der Bibliothekar verlieben sich, schlicht und ohne Umschweife, sie kommt immer wieder zu ihm, sie zelebrieren eine unbefangene Liebe, in der sie auftaut und er nicht mehr alleine ist.

Bis hierhin wirkt der Roman wie ein üblicher Brautiganmix: Idiotisches und Witziges, Understatement und Philosophie, Banalität und Furiosität treffen sich irgendwo in der Mitte und veranstalten ein kleines absurd-legeres Gelage (das allerdings, im Gegensatz zu den ersten drei Romanen, nicht ganz so viele schöne poetische Blüten hervorbringt und deshalb nicht nur unspektakulär, sondern geradezu brav wirkt). Wie immer scheint die Bedeutungsschwere weit weg zu sein, schwingt aber doch in jedem Satz mit. Und natürlich gibt es wieder eine utopische Beziehung zwischen dem Protagonisten und einer Dame.

Dann wird Vida schwanger. Beide sind nicht bereit für ein Baby und sie will eine Abtreibung vornehmen lassen. Vom Lagerverwalter der Bibliothek, Foster, erfahren sie von einem Arzt in Tijuana, Mexiko, der sauber und gut arbeiten soll. Also übernimmt Foster für einen Tag die Bibliothek und der Bibliothekar und Vida fliegen nach San Diego.

„Ich schaute zu Vida. Sie sah auch aus, als wäre sie noch zu jung für eine Abtreibung. Was machten wir hier eigentlich alle? Ihr Gesicht wurde immer blasser. Ach ja, die Unschuld der Liebe war bloß ein körperlicher Zustand, der sich steigerte, und nicht etwas, das die Form unserer Küsse hatte.“

Was folgt ist eine Geduldsprobe und auf gewisse Art ein Meisterstück psychologischer Erzählkunst. Brautigan schildert die ganzen Trip, mit allerlei pointierten und oberflächlichen Kleinigkeiten, fast wirkt es so als würde nur das Nebenbei im Mittelpunkt stehen – zusammen mit Vida, die von allen Männern begafft wird und überall für Chaos sorgt mit ihrem wunderschönen Körper.
Auch die Abtreibung wird beschrieben – als das, was der Bibliothekar, der vor der Behandlungsraum-Tür sitzt, mit anhört. Danach, während Vida noch narkotisiert ist, hört er bei zwei weiteren Abtreibungen zu; bekommt mit wie einmal der Mann und einmal die Eltern der beiden Patientinnen damit umgehen.

Brautigan fehlt es in keinem seiner Bücher an Originalität, aber in diesem Roman tritt diese Originalität zurück hinter das Thema, was in seinen Büchern eigentlich nie passiert: eigentlich ist es immer die Originalität (oder Versuch), die das wirkliche Thema ist.

Verblüffend ist wie Brautigan das Thema Abtreibung sorgsam, aber eigentlich ohne es wirklich (über die Schilderung hinaus) zu behandeln, in den Mittelpunkt seiner Erzählung stellt. Und wie klar und unverstellt, wie unausweichlich es Gestalt annimmt in der Schilderung der Reise, aller Nebensächlichkeiten, die während dieser Reise passieren, bis zum Moment in der Praxis, wo es immer noch Details und banale Abläufe sind, die alles bedingen und ausmachen.

Dieses Nebensächliche, Detaillierte, reicht auf eine seltsame Art und Weise an die Wirklichkeit heran, erfasst die Schlichtheit und Unumgänglichkeit unseres Daseins und der Dinge, die wir tun können, sagen können, ertragen müssen.

Es gäbe noch andere, substantiellere Dinge, die erörtert werden könnten. Da ist der geradezu schreiende Name der Protagonistin, der auf Spanisch “Leben” bedeutet. Da ist der Körper, den sie nicht als ihren empfindet, weil er ihr nur unerwünschte Aufmerksamkeit beschert und andere Unannehmlichkeiten und jeder Entfaltung jenseits von ihm im Wege steht.

Im Prinzip spiegelt sich in Vida das Dilemma eines ganzen Geschlechts wider: eines Geschlechts, das immer wieder auf seinen Körper reduziert wurde und wird, trotz oder gerade weil dieser Körper der Weg zu neuem Leben ist. Der erotische und der Fortpflanzungsaspekt haben oft dazu geführt, dass Frauen nicht als Eigentümer ihres Körpers angesehen wurden – ihr Körper gehörte ihnen nicht. Und bis heute werden Frauen oft dazu erzogen (von der Gesellschaft, der Werbung) ein kompliziertes, problematisches Verhältnis zu ihrem Körper zu haben, egal ob es dabei um Körpermaße, ihre Geschlechtlichkeit, Beharrung, etc. geht.

Wie aber kann man auf gute Weise damit umgehen (ganz abgesehen davon, dass die Unversehrtheit und das Selbstbestimmungsrecht der Frauen natürlich längst keine Frage mehr sein sollten!), dass es ein Geschlecht gibt, das schwanger werden kann und eines, dass es nicht kann? Brautigan verhandelt diese Frage nicht wirklich, aber er führt ein exemplarisches, phantastisch-angehauchtes Beispiel vor. Das Buch erscheint wie der Versuch einer unmöglichen Versöhnung; wie die Annäherung an eine Wirklichkeit, in der es keine Frage ist, miteinander und füreinander da zu sein.

Es liegt eine tiefe Traurigkeit und Schönheit in dieser simplen und eigentlich völlig undynamischen Geschichte. Wie in allen Büchern von Brautigan.

 

Schöne Depressionslektüre – zu “Ein konföderierter General aus Big Sur”


Ein konföderierter General aus Big Sur Was kann man noch lesen, wenn gar nichts mehr geht? Zugegeben eine eher unangenehme, unschöne Frage. Aber sicher keine abwegige.

Der türkische Schriftsteller Orhan Pamuk schrieb über seine Thomas Bernhard-Lektüren, die ihm vor allem in depressiveren Zeiten geholfen hätten. Ein Freundin von mir spricht oft davon, dass man, wenn gar nichts mehr geht, nur noch Kafka lesen kann – dann könne man die Schwelle in Kafkas Schreiben und Denken erst richtig begreifen und sich mit seinem eigenen Abgrund auseinandersetzen, sich hineinstürzen ohne wirklich zu stürzen. Michel Houellebecq beschreibt ausführlich, dass ihm H.P. Lovecrafts Antiwelteinstellung immer eine perverse Art von Trost gegeben habe. Ein anderer Freund empfahl mir, bei Traurigkeit Cioran zu lesen, was vielleicht ein Witz war, vielleicht auch nicht.

Ich selbst habe immer nur vier Dinge lesen können, wenn gar nichts mehr ging: Douglas Adams Hitchhikers Guide, Mascha Kalékos Gedichte, Susan Sontags nachgelassene Texte aus „Zur gleichen Zeit“ und Richard Brautigans Gedichte und Romane. Im Prinzip sind auch dies (wie alle erwähnten Beispiel oben) Werke voller Hoffnungslosigkeit (und darin mitunter voller Hoffnung, denn die gehört, obgleich das Wort es zu verschleiern sucht, zur Hoffnungslosigkeit dazu).
Mascha Kalékos Melancholie und Bitterkeit, die Worte eingefärbt von ihrem traurigen Schicksal. Adams turbulent-phantastischer, brillanter Versuch eines heiteren Zynismus. Sontags entfaltetes, großartiges Denken, gefangen im Bild, in den Grenzen ihres Sterbens. Und Richard Brautigans Romane, Utopien ohne Halt, der Wirklichkeit entfremdet und ohne Chance, ihr zu entgehen, immer im Versuch etwas schöner, etwas besser zu sein als sie, ohne sie zu verlassen.

1964 erschien dieser erste seiner Romane, über zwei Freunde, die versuchen im Kalifornien der 60er Jahre über die Runden zu kommen. Beide sind sie so etwas wie Tunichtgute, Allerweltsverlierer, meist nur auf der Suche nach etwas zu essen, einer netten Frau, einem Drink. Im ganzen Roman geht es eigentlich nur darum, wie sie versuchen zu überleben und ein erträgliches Dasein zu haben, der Trostlosigkeit ein Schnippchen zu schlagen, mal hier, mal dort. Brautigan würzt diese Versuche mit einer Menge unprätentiöser, poetischer Komik und Szenen voller improvisiert wirkender und unschlagbarer Vergleiche und Beschreibungen wie diesen:

“Die Nacht kam herein und borgte sich das Licht. Sie hatte sich zuerst bloß für ein paar Cent Licht geborgt, aber jetzt borgte sie sich jede Sekunde Licht für Tausende von Dollars. Das Licht würde bald weg sein, die Bank geschlossen, die Kassierer arbeitslos und der Bankdirektor ein Selbstmörder.”

“Sie lachten beide. In Elizabeths Stimme war eine Tür. Wenn man die Tür aufmachte, fand man noch eine Tür, und wenn die Tür offen war, noch eine andere Tür. Die Türen waren alle hübsch und führten aus ihr hinaus.”

Diese Passagen schweben über dem Text, in ihnen entkommt man, mit einem erstaunlich freien Lachen und Staunen, für einen Moment der ganzen Schwere, die im Leben liegt (aber auch im Text, im Erzählen, im Denken, etc.) und der das Lebendige entgegenzuwirken versucht. Und es ist dies Lebendige, das in Brautigans Gedichten und Romanen immer wieder durchkommt, in seinen Erzählungen und Kurzprosastücken. Als wollte er eine neue Faszination der Welt begründen und doch von den ganz einfachen Dingen sprechen, drehen sich seine Romane um außergewöhnliche, aber eigentlich ganz unspektakuläre Momente, die sich aneinanderreihen, in immer neuen, meist kurzen Kapiteln aufziehen. Zwischen Märchen und bitterem Ernst, Gelassenheit und Abgrund.

Mit Brautigan kann man an der Welt zugrunde gehen und gleichzeitig ihre ganze, absurde Schönheit betrachten, ihr alles entgegenhalten und nichts. Deswegen kann man sie wohl noch lesen, wenn eigentlich gar nichts mehr geht. Weil die Welt darin still steht und doch in jeder Facette funkelt wie eine Discokugel. Sie zeigen das Leben wie es ist: absurd schön und trotzdem größtenteils ein Ort, an dem das, was man braucht (zu brauchen glaubt) und das, was man hat, nicht zusammenkommt, weswegen man ohne Ende dabei ist, dieses Zusammenkommen zu ermöglichen.