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Zu “Träumer” von Volker Weidermann


Träumer Noch kurz vor dem offiziellen Ende des 1. Weltkrieges ruft Kurt Eisner den Freistaat Bayern aus – ein Ereignis, nicht unähnlich der Proklamation der deutschen Republik durch Philipp Scheidemann 2 Tage darauf und doch in mancherlei Hinsicht ein Gegenentwurf. Die Königsdynastie wird verjagt, Wahlen angesetzt, alle Weichen sind gestellt für utopische Zeiten, für Gerechtigkeit und Frieden – doch stattdessen wird München fast ein halbes Jahr in den Ausnahmezustand versetzt …

“Das Buch der verbrannten Bücher”, in dem Volker Weidermann die Lebensgeschichten aller Autor*innen erzählt, die bei den Bücherverbrennungen der Nazis auf den Scheiterhaufen landeten, gehörte für mich zu den fesselndsten Lektüren der letzten Jahre. Auch in dem Buch “Träumer” hat sich Weidermann mit verdrängten Kapiteln deutscher Geschichte beschäftigt: der Revolution (oder eher: den Revolutionen) 1918/1919 in München, aus der zunächst der Freistaat Bayern und später eine Räterepublik hervorgingen, beide kurzlebig, aber voll spektakulärer Entwicklungen und Ideen.

So zumindest inszeniert Weidermann diese Zeit: als Spektakel. Als gesellschaftlich-politischen Einschnitt, historischen Hexenkessel, voller großer Namen und Figuren. Als Dreh- und Angelpunkt der Zeitenwende. Und dann auch noch der Untertitel: Als die Dichter die Macht übernahmen.

Das ist natürlich nicht alles nur heiße Luft, denn in der Tat ist diese Revolution nicht nur im Zuge des Nachkriegschaos von Bedeutung, sondern ein in vielerlei Hinsicht ein bedeutendes historisches Ereignis, dessen ersichtliche Auswirkungen letztlich gering waren, dessen Potenzial und vielfältiges Angesicht aber, das macht Weidermann deutlich, eine fast schon erschreckend umfassende Studie des Zeitgeistes ermöglichen.

Dennoch ist der Untertitel ein bisschen hochgegriffen. Zwar waren sowohl Kurt Eisner und Ernst Toller Schriftsteller und ein Großteil der damaligen Münchener Intellektuellen nahm (manchmal notgedrungen, wie Thomas Mann, manchmal mit Feuereifer, wie etwa Oskar Maria Graf) Anteil am revolutionären Geschehen und es wurden viele progressive Ideen von Literat*innen befeuert, dennoch ist die Zeit im hohen Maße von politischen Lagern geprägt und nicht von künstlerischen Vorstellungen. Das weiß Weidermann wiederum gut darzustellen: Wie die hochfliegenden, liberalen Ideen der Intellektuellen von der Unbedingtheit der politischen Weltanschauungen niedergedrückt werden.

Neben der Darstellung des Revolutionsverlaufs schweift Weidermann immer wieder geschickt in literarische Welten ab, zu Thomas Mann, Hermann Hesse, Rainer Maria Rilke und anderen Gestalten und Werken, wie etwa Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes“. Er bettet sie zwar ein in den Kosmos der Revolution, es entsteht aber trotzdem der Eindruck, Weidermann hätte liebend gern ein Buch wie Florian Illies „1913“ geschrieben und sich vor allem auf die künstlerischen Verstrickungen und deren Lebenswelten konzentriert.

Dennoch macht er auch in Sachen Revolution seine Sache nicht schlecht. Was die Räterepublik angeht, möchte ich hier am Rande das Buch “Die Erfindung des Rußn” von Daniel Bayerstorfer und Tobias Roth empfehlen (erschienen beim Aphaia Verlag, 2018), das eine wunderbare Ergänzung zu Weidermanns Ausführungen darstellt.

Zum dritten Band der Jandl-Werkausgabe


dritter band jandl Der dritte Teil der Jandl-Werkausgabe enthält mit „die bearbeitung der mütze“ einen der vermutlich besten Gedichtbände des Wiener Autors. Hier findet sich nicht nur das wunderbare Langgedicht „183 Fahren für Rottweil“, sondern auch der programmatisch wie poetisch herausragende Zyklus „der gewöhnliche rilke“, mit so bekannten Gedichten wie „rilkes schuh“:

„rilkes schuh
war einer
von zweien

jeder schuh rilkes
war einer
von zweien

rilke in schuhen
trug immer
zwei

wade an wade
stand rilke
aus den beiden schuhen heraus“

In dem ganzen Zyklus, im ganzen Gedichtband, probt und vollführt Jandl mit verschiedensten Mitteln einen Stil zwischen Provokation und Brillanz, für den er schon in früheren Bänden bekannt war, den er aber hier auf enervierende bis vorzügliche Art und Weise noch einmal ausbaut. Kritisch klopfen seine Verse das Sprachliche ab und sind doch selbst Kunstwerke einer ausgereizten Sprachlichkeit (zuzüglich einer ebenso ausgereizten graphischen Anordnung von Sprache).

vorvorvorvorvorvorvorvorhang
vorvorvorvorvorvorvorhang
vorvorvorvorvorvorhang
vorvorvorvorvorhang
vorvorvorvorhang
vorvorvorhang
vorvorhang
vorhang

Dabei geht er ebenso spielerisch wie gewissenhaft vor – ja, das Absurde und die sprachliche Prägnanz kommen in seiner Dichtung immer wieder aufs Erstaunlichste zusammen, sorgen für Transzendenz und Unterhaltung in verschiedenen Kombinationen, manchmal in Form von feinen Banalitäten, manchmal in Form von grotesk-verstiegenen Konstrukten.

Kurzum: auch dieser dritte Band hält einiges bereit für jede*n Freund*in von ernsten Sprachspielereien, Lyrik von absurd bis zwingend, mit kritischen Ansätzen nebst unterhaltsamen Ausformungen. Ein Jandl-Gedicht kann man erforschen oder einfach nur bestaunen, gleichermaßen. Hier gibt es viele wunderbare, reizvolle Stücke, aus denen, wie bei jedem guten Gedicht, die Frage hervorscheint: wer sind wir eigentlich, wir, die Sprechenden, die Lesenden, die Denkenden?

du bist nicht hier
du bist gewiß nicht hier
wo du bist
mußt du selbst herausfinden
vorausgesetzt du mußt
herausfinden wo du bist
hier bist du keinesfalls
hier sind ausschließlich wir
hundertdreiundachtzig buchstaben

 

Gedichtband “Ab hier nur Schriften”


ab hier nur schriften

Anfang Februar erscheint mein zweiter Gedichtband “Ab hier nur Schriften” beim Berliner Aphaia Verlag. Auf der Verlagswebsite kann man jetzt bereits einen kleinen Eindruck bekommen.

Don Paterson und sein Band “Weiß wie der Mond”


“Gedichte übersetzen das Schweigen und finden Worte, wofür es keine Worte gibt. Sie füllen Lücken mit… Liedern, die wir eigentlich nicht hören dürfen.”
Don Paterson

“Remember, brother soul, that day spent cleaving,
nothing from nothing, like a thrown knife?
Then there was no arriving and no leaving,
just a dream of a disintricated life –
crucified and free, the still man moving,
the balancing his work, the wind his wife.”
(Aus: Schlittschuhlaufen auf Loch Ogil)

Ausgerechnet der vielleicht größte amerikanische Dichter unserer Zeit, Charles Simic, sagte über dieses Buch: “Wenn sie mich fragen, ob große Gedichte überhaupt noch geschrieben werden, dann müssen sie nur die Gedichte von Don Paterson lesen.”
Denn eine so vielgestaltige und vielschichtige, in gleichen Teilen klassische, antagonistische und moderne Dichtung, die sich wegen ihrer Bandbreite allein schon dem Begriff der Größe nähert, gibt es in diesen Zeiten selten – eine Dichtung, die Wahrheit nicht zwanghaft mit Schönheit verbindet (aber sie doch oft zusammenbringt und wieder auseinandersprengt), nicht Reim mit Gesang, sondern ganz eigen und auf virtuose Weise radikal, stets ihren eigenen Diktionen folgt.

“Die Gegenwart ist eine Scheibe,
an die ihr die Stirn lehnt, wobei ihr heimlich
das Wörtchen >jetzt< schreit. Vielleicht
ist die Gegenwart eine Zimmerwand,
durch die ihr die Geister stoßt, die ihr sofort
wieder zu euch zurückholt. Die Gegenwart
ist eine Wand, vor der ihr zwischen Nichts
und Etwas patrouilliert. Sie hält nicht dicht.
Die Gegenwart ist eine Wand, die sich
vor euch aufbaut, während ihr euch bemüht,
sie zu erklimmen, bis ihr abrutscht und stürzt.
[…]
There is no wall. Pick your bed. Walk through it.
Last chance friend. So do it or don’t do it.”

Verse der Analyse, des Bohrenden und Offenbarenden, in endlosen Gedichtverquerungen, wird man hier finden, genauso wie kleine, sich in Reimen die Hände reichende Lyrik. Paterson wendet die Metapher und sogar die Metaphorik als ganzes Gedicht an, aber weiß auch in ganz einfachen Worten das Orchester der Welt einen Bogenstrich lang auf einen einzelnen Ton zu minimieren.

“Stehe ich zwischen der Sonne selbst,
gesegnete Mutter, und dem, was sie erhellt,
dann verwandele mich in Glas.”

Ein solches, immer wieder seine Ausrichtungen änderndes Werk, ist natürlich kein homogenes Lesevergnügen. Es sind z.B. auch zwei Rilke-Übersetzungen enthalten, die ich ziemlich schlecht finde und auch das sehr lange, in seinen scheinbar erderschütternden Parabeln des Worte-auf-den-Kopfstellens und -ausschüttens gefangene Gedicht-Black-Box, welches sicherlich Hochphilosophisches enthält, mir war es eher ein Gräuel. Aber was man eben anerkennen muss ist, dass Paterson einfach dichten/schreiben kann und das dabei immer auch etwas Tiefes zustande kommt, etwas Magisches.

Don Paterson ist ein starker Dichter, der sowohl Moll als auch Dur, sowohl Angriff als auch Beobachtung beherrscht. Dieses kleine Büchlein wird, denke ich, für jeden eine andere Erfahrung sein; es ist ein Kaleidoskop von “Weiß wie der Mond” bis zu “black box”, darin viele Stufen von hell und dunkel, Kontraste einer Welterfahrung, fein definiert. Aber jeder wird von seiner Position aus ein paar für ihn vortreffliche Verse entdecken, denn hier wurde nichts ausgespart, vom Prosagedicht bis zur lyrischen Einfassung.

“Was ich euch nun überbringe,
ist das Geheimnis der Bruderschaft der Dinge,
und nur der Dinge, die es lang schon bewahren.”

“Kein Sänger von Nacht- und Tageszeit
ist glücklicher als ich,
denn mein Schallraum ist die Dunkelheit,
mein Vortragssaal das Licht.”