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Unter der Sonne


Klara und die Sonne+ Gleich vorweg muss ich zugeben, dass ich ein großer Bewunderer der Romane und Geschichten von Kazuo Ishiguro bin. Ich habe alle seine Bücher gelesen und jedes davon hat mich auf eine neue und doch vertraute Weise bewegt und fasziniert. Es sind Bücher, in denen das Menschliche auf so eigenwillige, sanfte und doch intensive Art zelebriert wird, die manchen Leser*innen zu unaufgeregt, zu offen erscheinen mag, die ich aber für eine großartige Synthese aus Kunstfertigkeit und Einfühlungsvermögen halte.

Ishiguros neuer Roman knüpft in mancherlei Hinsicht an seine älteren Werke, bswp. “The artist of the floating world” oder “The remains of the day”, an. So wird die ganze Geschichte aus der Ich-Perspektive geschildert und die Leser*innen bekommen nur die Informationen, die auch die Erzählerperson hat (wobei sie durchaus deren Sinn anders deuten, sie für sich selbst erschließen können).

Die Erzählerin Klara ist allerdings selbst kein Mensch, sie ist ein Roboter, eine modellierte Gefährtin für Heranwachsende. Ihre Geschichte setzt in dem Verkaufsshop ein, in dem sie zum Kauf angeboten wird, und ihre Welt umfasst zunächst nur diesen Raum und den Ausblick, der sich vom Schaufenster aus bietet. Von hier erschließt sie sich durch Beobachtungen und Überlegungen die Welt menschlicher Interaktionen. Im Zentrum ihres Kosmos steht jedoch die Sonne, die sie aufgrund ihrer lebensspendenden Energie für die personifizierte Güte hält, eine gottgleiche Figur. Sie wird in dem eigentlichen Plot eine wichtige Rolle spielen.

Dieser Plot beginnt als Clara von einem 14jährigen Mädchen auserwählt und nach einigem Hin und Her zu ihrer Gefährtin wird. Sie zieht in das Haus der Familie und schon bald deutet sich an, dass sie nicht nur als normale Unterhalterin gedacht ist und das mit ihrem Schützling etwas nicht stimmt …

Langsam breitet sich das zentrale Szenario des Buches aus, leichtfüßig kommt es daher, doch in seinen Winkeln und Schluchten, in seinem Kern, werden die großen Fragen verhandelt: Was können wir einander geben? Was ist ein gutes Leben? Wozu müssen wir bereit sein? Wie weit dürfen wir gehen, um Schmerz abzuwenden? Man könnte auch auf die von Immanuel Kant formulierten Fragen zurückgreifen: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch? Die Geschichte von Klara und der Sonne streift alle diese Fragen, ohne sie jedoch direkt zu stellen. Aber sie werden stellen sich in den entsprechenden Momenten dann doch mit aller Deutlichkeit und man fragt sich, wie man ihre Anwesenheit bisher übersehen konnte.

Etwas, dass ich an Ishiguros Romanen besonders schätze: seine Figuren sind nie Helden, seinem Stoff fehlt jeder Zug zum Epischen. Seine Geschichten erschließen nie ganze Welten, sie geben vielmehr einen einmaligen Einblick und zeigen den Menschen in den Umständen, ohne die Umstände groß auszuführen. Für manche Leser*innen mag das frustrierend sein oder es mag etwas fehlen – ich sehe gerade in dieser Beschränkung die Magie von Ishiguros Prosa begründet. Denn dieser Beschränkung sind wir zeitlebens ausgesetzt, auch wir sind in unserem Körper gefangen, unserem Geist, und können nur versuchen zu verstehen, was in anderen Menschen vorgeht und unsere Handlungen in Relation zu denen von anderen stellen, können versuchen irgendwie hinauszugreifen, mit Worten, Gesten, etc.

Dieses zentrale Dilemma vergegenwärtigt Ishiguro in all seinen Romanen, oftmals bildet es die Struktur. Er selbst hat in seiner Nobelpreisrede gesagt, dass es für ihn in Geschichten darum ginge, dass eine Person zu einer anderen Person sage: So fühle ich. Fühlst du genauso? Kannst du verstehen, wie ich fühle?

Natürlich entstehen so nur Romane mit leisen Tönen, eben keine epischen Fresken, sondern kleine Gemälde, Zeichnungen, Holzschnitte. Wer glaubt, sich für das erzählerische Äquivalent zu diesen Kunstformen nicht begeistern zu können, dem ist von Ishiguro eher abzuraten (vielleicht sag denen Ian McEwans “Maschinen wie wir”, ähnliches Thema, andere Aufbereitung, eher zu). Allen anderen empfehle ich nachdrücklich, diesen Roman zu lesen, sich auf seine eigenwillige Erforschung des menschlichen Daseins und seiner Verquickungen mit Fragen der Ethik, des Glaubens und vielen anderen, einzulassen.

Ein Buch über das Leben, was es ist, wie man es führt


Maschinen wie ich

Man nennt sie Uchronien, oder, einfacher, Was-wäre-wenn-Geschichten. Was wäre geschehen, wenn Antonius die Schlacht bei Actium gewonnen hätte? Was wäre geschehen, wenn Wilhelm der Eroberer bei Hastings verloren hätte? Was wäre geschehen, wenn die Nazis den 2. Weltkrieg gewonnen hätten? – dies drei Beispiele für Fragestellungen, mit denen sich sogar die Geschichtswissenschaft beschäftigt (wenn auch meist nur, um ex negativo darauf hinzuweisen, warum die faktischen Ereignisse die Weltgeschichte auf eine bestimmte Art beeinflusst haben). Johannes Dillinger hat ein interessantes Buch über Uchronien in Geschichtswissenschaft, Film und Literatur verfasst, das ich jeder Person, die das Thema interessiert/fasziniert, empfehlen kann.

Allerdings findet Dillinger nur wenige der von ihm angeführten literarischen Werke wirklich bemerkenswert. Und in der Tat ist die Uchronie dort eher selten anzutreffen (sie ist auch abzugrenzen von Utopien und Dystopien, die in der Zukunft und nicht in alternativen Zeitlinien spielen und von Filmen und Büchern, die trotz einer Abänderung der Vergangenheit keinen Fokus auf die historischen Entwicklungen abseits ihres Plots legen). Meist sind dann auch nicht gut durchdacht und die historische Plausibilität wird im Verlauf oft zugunsten der Handlung vernachlässigt.

Dennoch gibt es ein paar spannende Beispiele, am bekanntesten sind wohl Robert Harris „Vaterland“ und „The man in the high castle“ von Philip K. Dick, wobei letzteres keine Uchronie im strengen Sinne ist. Dieter Kühns Grotesken in „Ich war Hitlers Schutzengel“ wären vielleicht noch zu nennen, viele weitere Titel kann man dem Buch von Dillinger entnehmen. Das erschien 2015 und enthält daher nichts zu Ian McEwans neustem Roman „Maschinen wie ich“. Allerdings bin ich der festen Überzeugung, dass Dillinger auch an diesem etwas auszusetzen gehabt hätte – aber ich glaube, er hätte auch anerkennen müssen, dass McEwan in mancherlei Hinsicht eine wunderbare Uchronie verfasst hat.

Einer der Gründe, warum meiner Meinung nach „Maschinen wie ich“ eine tolle Uchronie (und ein tolles Buch) ist: McEwan übertreibt es nicht. Sein England der frühen 80er Jahre ist kein wahnwitziger Ort, in dem die historische Kurskorrektur zu einem epischen Konflikt oder einer anderen Ausnahmesituation geführt hat. Eigentlich scheint sogar alles recht gewöhnlich, sieht man von der Tatsache ab, dass der Protagonist Charles Friend sich schon auf den ersten Seiten einen humanoiden Roboter mit künstlicher Intelligenz zulegt.

Der Mensch erschafft bei McEwan also schon Maschinen nach seinem Ebenbild (sogar unterteilt in Geschlechter, die einen heißen Adam, die anderen Eve). Möglich ist das, weil der Pionier der Computerwissenschaft, Alan Turing, sich nicht 1954 infolge einer quälenden Hormonbehandlung (dieser „chemischen Kastration“ musste er sich aufgrund einer Verurteilung seiner Homosexualität als Straftat unterziehen) umbrachte, sondern stattdessen auf vielen Feldern (Quantenmechanik, Logik, Computerintelligenz) weitarbeitete und ihm mit einigen Kolleg*innen weitreichende Durchbrüche auf diesen Feldern gelangen. Er machte diese Informationen öffentlich zugänglich, damit alle von ihnen profitieren konnten. Und so führten seine Entdeckungen auch zu der ersten Konstruktion von künstlicher Intelligenz.

Auf der anderen Seite aber sind die neusten Errungenschaften auch der Militärdiktatur in Argentinien zugänglich, die nun, mit spezieller Raketentechnik im Rücken, keinen Grund sieht, die Falkland Inseln nicht ihrem Herrschaftsbereich einzuverleiben. Maggie Thatcher will das (wie auch in realen Historie) verhindern und entsendet die britische Flotte, was in der Folge zu turbulenten politischen Verwicklungen führt …

Während die Geschichte der britischen Politik und Gesellschaft die Story immer begleitet (und genau in dem Maße bedingt, wie es Politik in westlichen Gesellschaften meistens tut, wenn man zur Mittelschicht gehört: es ist Gesprächsthema und hin und wieder auch wichtig, aber nicht permanent) liegt der Fokus eindeutig auf den Verwicklungen, die sich für den Protagonisten Charles aus dem Kauf seines neuen Androidenbegleiters ergeben. Denn der schaltet sich sehr bald in das Leben seines neuen „Besitzers“ ein, stellt die Ehrlichkeit von dessen neuer Freundin Miranda infrage und entwickelt eine Persönlichkeit, nebst einem Interesse für Kultur und Moral. Alles kein Bein(oder Mittelhand)bruch, denkt man, aber langsam und still wird Adam zum Freund, aber auch zum Nebenbuhler, zum Gewissen und zum nervigen Mitbewohner, zum Geldverdiener und zum Katalysator verschiedenster Entwicklungen …

McEwan ist ein großartiges Buch gelungen. Selbst wenn man den uchronischen Aspekt weglässt, ist es tolles Werk über Moral, Kunst, Gefühle, kurz: über das Menschsein. Wie McEwan das beschreibt, anhand der Dreieckskonstellation von Adam, Charles und Miranda darstellt, auf allen Ebenen, ist hohe Romankunst. Es gibt in diesem Buch alles: Spannung, Intensivität, Witz und Schönheit. Und bei all dem zeigt McEwan immer wieder, dass er ein Händchen für Charaktere hat. Er spielt sie nicht gegeneinander aus, um einen billigen Punkt zu machen, sondern führt uns mitten in ihre Zwiste und Versuchungen, Ideen und Ängste.

Es wird viel verhandelt in „Maschinen wie ich“, von den hohen Fragen was Leben bedeutet und wie man es erkennt, wie man es richtig führt, bis zu Fragen, warum man Rache will und wie das Zeitgeschehen uns gleichsam angeht und nicht angeht. Alles in allem: ein Buch, in dem man sich sehr mit seinem Menschsein konfrontiert sieht. Ich wüsste nicht, was man von Kunst mehr verlangen könnte.

Zu “Technophoria” von Niklas Maak


Technophoria „Nie hatte man so viel Geld verdienen und gleichzeitig der Menschheit und der Natur so viel Gutes tun können.“

Smart Homes, Smart Citys, Roboter, die sich wie Menschen verhalten, Serverfarmen, die mit Ökosystemen gekoppelt sind, selbstfahrende Autos, Überwachung der meisten Interaktionen zum Schutz und der Optimierung aller Abläufe – in Niklas Maaks Roman betreten wir eine Welt, an deren Schwelle wir längst stehen, die aber immer noch futuristisch anmutet, wenn man sie, mit all ihren innovativsten und fortschrittlichsten Zügen, vorgesetzt bekommt.

Vor allem, weil sich schnell die Frage stellt, wie sich das vereinbaren lässt: auf der einen Seite die immer mehr in Richtung Perfektion und Reibungslosigkeit verlaufende Evolution der Technik und auf der anderen Seite der Mensch, dieses ganz und gar nicht reibungslose Wesen (das „Reibung“ sogar benötigt, in vielerlei Hinsicht), das mit dieser Evolution kaum Schritt halten kann, ohne dessen Mitwirkung die Visionen der Technik aber nichts weiter sind als ausgeklügelte Mechanik, der die Funktion (und der Sinn) fehlt.

Wie weit ist das Menschsein heute schon über Interaktionen zwischen Mensch und Maschine definiert (oder bewegt sich zumindest auf neue Definitionen zu)? Können Natur und Technik verschmelzen, können Herkunft und Errungenschaften des Menschen zu einem gemeinsamen Lebensumfeld werden?

„Technophoria“ geht diesen Fragen auf den Grund und das extrem schnörkellos. Wer ein geruhsam aufgebautes Narrativ erwartet, der wird rasch eines Besseren belehrt: das Buch ist ebenso schnelllebig wie die Zeiten, von denen es erzählt. Damit ist keineswegs gemeint, dass Maak einen platten, uninspirierten Schreibstil pflegt – seine Sprache ist präzise und bringt doch immer wieder erstaunlich poetische Bilder hervor, durchaus mit feinen Nuancen. Es ist vielmehr so, dass das Buch einfach niemals wirklich innehält, sondern geradezu unaufhaltsam seine Episoden abspielt.

Fixpunkt und roter Faden in dieser Abfolge von Episoden rund um den Globus ist zumeist Turek (nebst einer Gruppe von weiteren Protagonist*innen, in deren Innenleben wir allerdings nur begrenzt, meist nur in einer einmaligen Sequenz, Einblick erhalten). Er arbeitet am Anfang für einen Smart-City-Pionier namens Driessen, der in Berlin gerade ein Viertel modernisiert, mit allem was dazugehört: von Lichtern, die nur angehen, wenn jemand in ihrer Nähe ist, bis zu selbstfahrenden Autos. Ein anderes Projekt, das immer wieder eine Rolle spielt und eine Art Rahmen für das Buch bildet, ist das Anlegen eines Grabens vom Mittelmeer zur Qattara-Senke in Ägypten, zur Senkung des Meeresspiegels und der Schaffung einer neuen wirtschaftlichen High-End-Region, ähnlich dem Silicon Valley.

Aber auch zu Gorillas in den Urwald, Roboterpionieren in Japan und zu Serverfarmen in der Wüste Montanas verschlägt es Turek. Überall ist er konfrontiert mit den Auswüchsen der Globalisierung und, unter der dünnen Schicht aus Technik, Wirtschaft und Politik, einer gleichbleibenden Menge an menschlichen Emotionen.

Denn das arbeitet Maak gut heraus, wenn er es auch selten direkt zum Thema macht: ganz gleich, wie weit die Technik schon ist und was die Menschen alles schon für sich entdeckt (oder wiederentdeckt) haben: noch immer sind da, die Begierden, die Irritationen, die guten alten Affären, die unerwiderte Liebe, die Geltungssucht, die Sehnsüchte generell. Turek glaubt an die formende und erneuernde Macht der Technik, die Erlösung der täglich aufs Neue verlorenen Menschheit durch ihre kühnsten Schöpfungen – und doch bringt der Mensch mit jeder neuen Schöpfung mehr zwischen sich und seine Ursprünge und vielleicht auch zwischen sich und andere Menschen.

Wie steht es um die Vereinbarkeit von Innovation, Ressourcenmanagement und Ökologie? Können wir eine Welt erschaffen, die wie für uns gemacht ist oder verlieren wir gerade diese Welt aus dem Blick? Welche Hoffnungen und Ängste verbinden wir mit Technologie? Maaks Roman ist ein kleines Panorama technischer Möglichkeiten und der damit verbundenen Hoffnungen und Abgründe. Zwar sind die Figuren nicht unbedingt Sympathieträger*innen und man baut keine wirkliche Beziehung zu ihnen auf, aber man erlebt als Leser*in eindringlich, wie sie mit ihrer Umwelt und deren technischer sowie animalischer Natur verbunden sind/interagieren – und das ist, auf Umwegen, dann doch ein Blick in den Spiegel.

„Je neuer die Dinge sind, hatte Driessen gesagt, desto mehr muss man den Leuten einreden, dass alles so wie immer ist.“